Читать книгу Mission SOL 2020 Paket (1 bis 12) - Madeleine Puljic - Страница 15
8.
ОглавлениеDie Nachforschung, die über Leben oder Tod der Truvaud entscheiden würde, begann nicht in deren Siedlungsgebiet, sondern so weit wie möglich davon entfernt. Kalphatt Udimor landete die Transportspitze auf einem der zwei Kontinente in der südlichen Hemisphäre von Diulu, am Rand eines weiten, trümmerübersäten Platzes inmitten einer zerstörten und entvölkerten Metropole.
A-Kuatond hatte nicht nur ihren Orbiter, sondern auch zwei ihrer Roboter auf den Einsatz mitgenommen. Die Ruinenstadt wirkte zwar bar jeden Lebens, aber niemand konnte wissen, was sich vielleicht unter den Trümmern verbarg. Die zentrifaalähnlichen Maschinen marschierten im Gleichschritt voran, während sie selbst und Udimor ihnen gelassen folgten.
»Eine Tragödie«, kommentierte Udimor ihre Umgebung. »Das hätte einer der schönsten Orte sein können, die wir auf unseren Reisen je besucht haben.«
A-Kuatond pflichtete ihm in Gedanken bei. Das Volk, das diese Stadt erbaut hatte, war mit einem feinen Sinn für Ästhetik gesegnet gewesen. Viele Spezies verloren dieses Gespür, wenn ihre Technik voranschritt. Aber selbst im Zustand des Verfalls sah man noch, welch imposanten Anblick die Gebäude ringsum einst geboten haben mussten: weiß schillernde Türme, die weit in den Himmel ragten, sich unbeugsam gegen das Gesetz der Schwerkraft stemmten; schmale Stege, die dazwischen zu schweben schienen.
»Ein kluger, artistischer Einsatz von Antigravitechnik«, urteilte Udimor, selbst ganz Genießer.
A-Kuatond gab ihm recht, erinnerte den Orbiter jedoch daran, dass sie den Planeten nicht als Kunstliebhaber besucht hatten.
»Ich weiß.« Udimor ließ betrübt die Lippen flattern. »Wir werden schon herausfinden, wer all das hier zerstört und die Erschaffer getötet hat.«
A-Kuatond war weniger architektonisch interessiert, sondern konnte sich mehr an klug konzipierten Schlachtmanövern erfreuen. In dieser Hinsicht bot ihr der Anblick allerdings wenig Anlass zur Ergötzung.
»Das ist nicht die Handschrift der Truvaud«, stellte sie fest, als sie größere Trümmerteile am Boden beäugte und die Abbruchkanten der noch stehenden Gebäudestümpfe holografisch vergrößerte.
Zumindest lief es deren üblicher Kampftaktik zuwider. Die kriegerischen Vierbeiner hatten eine krude, gegen unterlegene Gegner aber durchaus effektive Taktik: Mit Impulsstrahlern verwüsteten sie vom All aus alle größeren Ansiedlungen. Danach landeten sie und hetzten in Rudeln die Überlebenden, die in Panik und Chaos kaum noch verteidigungsfähig waren. Doch nichts an diesem Ort ließ auf einen Impulsbeschuss schließen.
Auf A-Kuatonds Wink hin startete einer der Roboter drei Mikrosonden. Deren Luftaufnahmen bestätigten den Eindruck, den die Ritterin bereits aus der Fernortung gewonnen hatte: Es gab einige Punkte, von wo sich die Zerstörung ringförmig durch die Stadt ausgebreitet hatte. Von diesen Zentren aus gesehen, waren die filigranen Türme nach außen geknickt und gestürzt. Am schlimmsten waren die Auswirkungen dort, wo zwei Vernichtungsringe aufeinandertrafen. In diesen Grenzzonen waren die verbliebenen Trümmer maximal kopfgroß, während an anderen Stellen viele Gebäude teilweise oder sogar vollständig erhalten geblieben waren.
»Das sieht nach einem konventionellen Bombardement aus«, sagte A-Kuatond. »Keine Nuklearsprengsätze, keine Energiewaffen, keine Waffentechnik auf Fünf-D-Basis.«
»Schwer vorstellbar«, wandte Udimor ein. »Eine Zivilisation, die Antigravitation so vollendet unter Kontrolle hat, müsste in der Lage sein, derart technisch rückständige Waffen problemlos abzuwehren. Sie könnten die Bomben einfach wegschweben lassen. Oder den Angreifern hinterherschicken.«
Das klang überzeugend, passte jedoch nicht mit ihren anderen Beobachtungen zusammen. Irgendein Teil fehlte, um das Bild zu komplettieren.
Oder sie gingen von falschen Annahmen aus. Wenn der Faktor Antigravitation wegfiel, war wieder alles stimmig.
A-Kuatond hob ein Trümmerstück auf und war überrascht, wie leicht es war. Sie schob es einem Roboter in die Schaufelhand. »Analysiere das!«
Das Ergebnis lag schon kurz darauf vor. Das mysteriöse weiße Material wies eine geringe Dichte, aber erstaunliche Stabilität auf. Damit ließen sich Konstruktionen schaffen, die mit Stein, Holz, Glas oder Beton völlig undenkbar gewesen wären. Die Türme und Brücken waren so leicht und fest, dass sie ihre kühnen Schwünge und Bögen ganz ohne Antigravunterstützung halten konnten.
Udimor wurde still, als der Roboter seine Ergebnisse vortrug. A-Kuatond ahnte, was ihm durch den Kopf ging. Aber um seine Befürchtung zu bestätigen oder zu widerlegen, benötigten sie noch mehr Informationen.
Sie betrachtete erneut die Luftbilder der Sonden. »Da«, sagte sie. »Dort war ein Hauptangriffsziel, und zwar vermutlich das große, palastartige Gebäude. Sehen wir es uns an.«
*
A-Kuatonds Instinkt hatte sie nicht getrogen: Tatsächlich handelte es sich um einen ehemaligen Regierungssitz. Ob man von dort aus die Stadt, ein Land oder den ganzen Kontinent gelenkt hatte, konnte sie nicht sagen. Doch es war eine große Anlage gewesen, und der Angriff musste überraschend gekommen sein. Die Sonden entdeckten Tausende Skelette unter den Trümmern, nachdem sie ihre Ortungsinstrumente auf die charakteristische chemische Zusammensetzung von Lebensformen eingestellt hatten.
»Bitte nicht«, sagte Kalphatt Udimor neben ihr. »Nicht schon wieder.«
A-Kuatond hätte ihm gern Trost gespendet, sah jedoch nichts, was das gerechtfertigt hätte. Sie waren einer Geschichte auf der Spur, die ihnen so oder ähnlich schon auf viel zu vielen Welten begegnet war.
»Du hast gesagt, die Truvaud wären meinem Volk ähnlich«, sprach sie. »Aber das hier erinnert dich an etwas anderes, nicht wahr?«
Udimor senkte stumm die Augenfinger.
Einer der Roboter meldete sich. Er hatte so etwas wie eine Kommunikationszentrale entdeckt, inklusive einer noch abrufbaren Aufzeichnung der letzten Sendung, die von dort ausgestrahlt worden war.
»Zeig es uns!«, befahl A-Kuatond.
Ein Holobild leuchtete auf: Ein ätherisches Wesen, schmal gebaut und mit grünweißlich gläserner Haut, blickte aus großen schwarzen Augen in die Kamera.
»Bürger von Frimal«, erklang seine Stimme. »Eltail! Die Stunde der Bewährung ist gekommen. Die Matresche Föderation hat ihre Armee mobilisiert und greift Frimal an. In Tukif und Calwel fallen bereits Bomben, und mehrere Geschwader sind unterwegs hierher, nach Patann. Diese Ungeheuerlichkeit bleibt nicht ungesühnt. Der Gegenschlag hat begonnen, doch bis zur Entwarnung rufen wir die Bevölkerung auf, zu ihrer eigenen Sicherheit ...«
Weiter kam der oder die Eltail, wenn das der Name dieses Volkes war, nicht. Kurz sah A-Kuatond in dem in Weiß- und Grüntönen gehaltenen Bild das Rot eines Feuerballs, dann brach die Aufzeichnung ab.
»Sie haben es selbst getan!«, rief Udimor voller Wut. »Sie haben sich tatsächlich selbst ausgerottet!«
A-Kuatond legte ihm tröstend die Schaufelhand an den Rücken. Sie spürte sein Zittern.
Sie konnte nun nichts tun, außer für ihn da sein. Ihre Gedanken strebten in die Vergangenheit, zurück zu ihrem ersten Treffen. Tiapa, Udimors Heimatwelt, hatte sich in ähnlicher Lage befunden, am Rande eines Kriegs, der unweigerlich zum Untergang aller Kultur geführt hätte. Die Politiker hatten das Land der Rationalität längst verlassen und überboten einander in hetzerischer Rhetorik. Große Teile der Bevölkerung hatten sich anstecken lassen. Einige Wissenschaftler warnten noch, doch die meisten waren still, nachdem man einige als Volksverräter hatte hinrichten lassen.
Am Abend der Generalmobilmachung, kurz vor dem Erstschlag, der unweigerlich zum Ende geführt hätte, hatte Kalphatt Udimors große Stunde geschlagen. Er war Forscher gewesen, hatte sich eigentlich aus der Sphäre des Politischen heraushalten wollen. Aber angesichts der drohenden Vernichtung hatte er den Prototypen eines neuen Funkgeräts, das in der Theorie überlichtschnell senden konnte, gestohlen und einen Hilferuf ins All geschickt.
A-Kuatond hatte reagiert. Mit der gesamten Macht einer Ritterin BARILS und der Unerbittlichkeit einer Zentrifaal hatte sie die drohende Katastrophe verhindert. Sie hatte Sorge getragen, dass kein Bomber aufstieg, oder genauer: dass sie nicht weit kamen, wenn sie es versuchten. Sie hatte alle Kriegstreiber in allen Nationen aufgespürt, alle, die sich an Kampf und Elend hatten bereichern wollen. Sie hatte den Tiapanern die Wahrheit über ihre Führer offengelegt, alle Waffen auf ganz Tiapa aufgespürt und vernichtet.
Die Tage waren in die tiapanische Geschichte eingegangen als der Krieg ohne Opfer. Eine schönfärberische Lüge, denn einige Tausend Tiapaner kamen durchaus ums Leben, meist nach einer kurzen, oft genug auch ganz ohne vorhergehende Gerichtsverhandlung.
Es vermisste sie jedoch niemand, denn es waren jene, die unter normalen Umständen in der Sicherheit voll ausgestatteter Schutzbunker überlebt hätten, während die einfache Bevölkerung auf ihren Befehl hin starb. Ihr Tod war schnell vergessen, als man von der unwahrscheinlichen Rettung in höchster Not und dem Wunder BARILS zu sprechen begann.
A-Kuatond missionierte die Welt, wie BARIL es verlangte. BARIL war die Retterin, BARIL gebührte Dank. BARIL schützte die Tiapaner. Und BARIL konnte jederzeit damit aufhören, wenn man ihr keinen ausreichenden Respekt entgegenbrachte.
Auf einer hysterischen, gebeutelten Welt fielen ihre Worte auf fruchtbaren Boden. BARIL war die Retterin, A-Kuatond war ihre Prophetin, und Kalphatt Udimor wurde zum Mittler zwischen den Tiapanern und ihren Rettern. Der Wissenschaftler litt sehr darunter, wie sein Volk sich von Verstand und Ratio abkehrte und Heil in einem neuen Glauben suchte. Doch wer an BARIL glaubte, glaubte an den Frieden. Tiapa wurde gerettet, aber es hatte seinen Preis.
Udimor selbst konnte ihn nicht bezahlen. Er sah hinter die Kulissen, wusste, wer die Welt gerettet hatte: ein Wesen namens A-Kuatond, mit ungewöhnlichen Machtmitteln ausgestattet. Keine gottgleiche Superintelligenz. Er konnte nicht an BARIL glauben, er wollte nicht den Rest seines Lebens lügen, und er wollte den neuen Glauben nicht untergraben, der jahrtausendealte Konflikte in seiner Heimat beendete.
Also ging er. Er bat A-Kuatond, sie begleiten zu dürfen, um andere Welten zu retten. Das hatten sie getan, oft, über viele Jahre hinweg.
Genauso oft aber waren sie zu spät gekommen, wie bei den Eltail. Auf dieser Welt hatte es keine Forscher gegeben, die gerade rechtzeitig ein Hyperfunkgerät entwickelt hatten.
A-Kuatond wartete, bis das stumme Beben in Udimors Brust abebbte.
»Die Truvaud sind unschuldig«, raunte Udimor. »Das haben sich die Eltail selbst angetan.«
A-Kuatond widersprach nicht, stimmte aber auch nicht zu. Die Schuld der Eltail sagte nichts über die Unschuld der Truvaud. »Suchen wir Überlebende«, sagte sie.
Es gab immer Überlebende. Zumindest eine Weile lang. Sie konnten eine neue Zivilisation aufbauen. Oder sie gingen unter, weil es ihnen am Nötigsten fehlte.
Oder sie wurden getötet, wenn nach dem Krieg eine feindliche Spezies den Planeten übernahm.
*
Kurze Zeit später erreichten sie die Nordhalbkugel und gingen mit ihrer Transportspitze am Rand der Stadt nieder, in der die Truvaud Bauwerke in ihrem eigenen, kompakten, gedrungenen Stil errichteten.
Die Ruinen der Eltail dort sahen ähnlich aus wie in Patann – auch in dieser Ortschaft hatte die indigene Spezies von Diulu sich ihr eigenes Grab geschaufelt. Die Truvaud waren dafür gar nicht nötig gewesen. Aber A-Kuatond zweifelte nach wie vor daran, dass die Krieger, die schon drei Völker auf dem Gewissen hatten, diesmal einfach als friedliche Kolonisten agierten.
Den ersten belastenden Hinweis fand sie auf einer Großbaustelle, auf einem Platz ähnlich jenem vor Patanns Regierungspalast. Dort arbeiteten mehrere Hundert Truvaud an einem Denkmal, auf dessen Grundfläche die Eltail etliche Türme hätten errichten können. Ein Arrangement mehrerer überlebensgroßer Statuen entstand, und sie alle waren Variationen desselben Motivs: Ein Truvaud mit einem von Narben entstellten Gesicht jagte und tötete Ureinwohner. Hockte auf dem Rücken gestürzter Flüchtender, verbiss sich bei anderen im Hals, streckte wieder andere in einem Sprung nieder. Ganz als hätte dieser eine Truvaud höchstpersönlich den kompletten Planeten entvölkert.
Kalphatt Udimor seufzte tief. »Also doch!«, beschwerte er sich. »Warum muss auf jeden Hoffnungsschimmer die Enttäuschung folgen? Warum kann nicht irgendjemand mal besser sein, als man zunächst erwartet?«
A-Kuatond wusste darauf nichts zu sagen. Auch BARIL in ihrer ganzen Weisheit hatte darauf keine Antwort, sonst hätten die Ritter nicht so oft eingreifen und das Gleichgewicht auf Yahounas Welten sichern müssen.
»Fragen wir nach, was wir hier sehen«, schlug sie vor.
Sie entdeckten einen Truvaud mit ungewöhnlich hellem Fell, der die Arbeiter beaufsichtigte und koordinierte. Gemeinsam traten sie auf ihn zu, während Udimor schon die Gedanken des Truvaud sondierte und die zweite bemerkenswerte Geistesgabe des Orbiters einsetzte: die Fähigkeit, Aufmerksamkeit und Sorgen seiner Gesprächspartner zu betäuben.
»Wir kommen von Truv«, behauptete Udimor dreist, »und sollen die Fortschritte der Kolonieentwicklung kontrollieren.«
Der Bauleiter ließ widerspruchslos die Lefzen hängen. Dass Inspektoren von Truv eigentlich wie Truvaud aussehen müssten, kam ihm offenkundig überhaupt nicht in den Sinn.
»Für die Heimat!«, stieß der Angesprochene bellend hervor und schlug sich mit dem rechten Vorderlauf vor die Brust.
»Was sehen wir hier?«, fragte Udimor und deutete auf die Baustelle.
»Den großen Trurull, der heldenhaft die Armeen der verbrecherischen Eltail niederkämpft und ihre Welt für die Truvaud in Besitz nimmt.« Der gedrechselte Satz kam ohne jedes Zögern oder Nachdenken, wie auswendig gelernt.
A-Kuatond betrachtete den Aufseher befremdet. Vom Zerstörungsgrad der Städte her konnten nach dem Krieg kaum ganze Armeen der Eltail übrig geblieben sein. Und hätte »der große Trurull« gegen sie gekämpft, hätte es doch irgendwo Kampfspuren von truvaudtypischen Waffen geben müssen. Doch nichts dergleichen hatten sie bislang gesehen.
»Hier stimmt etwas nicht«, stellte sie fest. »Warst du dabei?«, fragte sie. »Als die Truvaud diese Welt erobert haben?«
»Nein«, gestand der Aufseher, »ich kam erst mit der zweiten Welle. Da war der Sieg schon unser und der große Trurull beinahe schon genesen.«
Das versprach eine interessante Geschichte, doch A-Kuatond wurde abgelenkt. Sie bekam eine Nachricht von der Schlachtspitze.
Stumm zeigte sie Udimor ihre Kommunikatoranzeige. Im Diulusystem, weit entfernt von dem Planeten selbst, war intensive sechsdimensionale Strahlung geortet worden, von einem Moment auf den anderen.
»Ich überprüfe das aus der Nähe«, teilte sie dem Orbiter mit. »Mach du hier weiter und schau, was du herausfindest.«
Sie kehrte zur Transportspitze zurück und startete. Mochte Kalphatt Udimor das Urteil über die letzten lebenden Truvaud fällen. Die Sechs-D-Strahlung kündigte Ereignisse von größerer Tragweite an, als diese von niederen, aggressiven Spezies umkämpfte Welt sie je zu bieten haben würde.