Читать книгу Mission SOL 2020 Paket (1 bis 12) - Madeleine Puljic - Страница 17
10.
ОглавлениеPerry Rhodans Kopf flog nach links, sein Ohr kam auf dem harten Boden zu liegen. Die rechte Wange brannte wie Feuer.
»Endlich«, hörte er eine vertraute Stimme. »Komm zu dir!«
In dem verschwommenen Schemen vor ihm erkannte er die Gestalt von Mahlia Meyun, ehemals Heilerin im Tal der Gestrandeten, mittlerweile Medikerin der SOL. »Hast du mich geschlagen?«
»Du bist wach, oder?«, fragte sie zurück. »Wer heilt, hat recht.«
Mühsam und mit dröhnendem Schädel schob sich Rhodan in eine sitzende Position. »Was ist passiert?«
»Das will ich von dir wissen«, sagte Meyun. »Alle, wirklich alle an Bord sind bewusstlos oder sonst wie weggetreten. Wer aufwacht, starrt mit glasigen Augen ins Nichts oder brüllt sich die Seele aus dem Leib. Meine Leute haben sich inzwischen erholt, aber die Alt-Solaner sind nach wie vor betroffen. Sogar du hast bis eben noch wirres Zeug gebrabbelt. Trotz dieses Dings in deiner Schulter, dass dich doch angeblich vor jeder Krankheit schützen soll.«
»Keine Krankheit«, murmelte Rhodan, obwohl seine Kopfschmerzen ihn von etwas anderem überzeugen wollten. »Ich glaube, ich weiß, was passiert ist ...« Zumindest hatte er eine vage Ahnung. »Hilf mir!«
Er streckte Meyun eine Hand entgegen. Sie zog ihn auf die Beine wie einen alten Mann.
»Wie geht es Michael?«, fragte er. »Roi«, korrigierte er sich und wählte den Namen, unter dem Meyun seinen Sohn besser kannte.
»Kommt zu sich. Hat die gleiche Behandlung erhalten wie du.« Sie präsentierte ihre rechte Handfläche.
»Das macht dir Spaß, oder?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Es wirkt. Besser als die Medikamente, die ich probiert habe.«
»Versuch, Tess und Benjameen zu wecken«, sagte er. »Mit kreislaufstärkenden Mitteln, bitte, nicht mit einer Schelle. Schau in der Medodatenbank unter Strangeness-Schock nach. Welche Behandlung wird dort empfohlen?«
Meyun rief ein entsprechendes Holo auf, zog die dunklen Augenbrauen zusammen und studierte den Eintrag. »Meinetwegen«, sagte sie. »Wäre ich so nicht drauf gekommen, aber ich probiere es. Ihr scheint das Phänomen ja zu kennen.« Sie aktivierte eine portable Medoeinheit, die den von Rhodan empfohlenen Medikamentenmix zusammenstellte. »Und woher, wenn ich fragen darf?«
»Kennen ist zu viel gesagt. Ich fische im Trüben. Lange Geschichte kurz erzählt: Strangeness ist ein Wert, der die Unterschiedlichkeit verschiedener Universen bemisst. Vom einen zum anderen unterscheiden sich die Naturgesetze. Schwerkraft, Lichtgeschwindigkeit und alle möglichen Konstanten können anders sein als bei uns. Die Strangeness gibt an, wie groß dieser Unterschied ist. Je größer, desto schwerer fällt es Lebewesen, sich zu akklimatisieren. Bis sie in ihrer neuen Umgebung ankommen, zeigen sie Symptome wie die, die du beschrieben hast.«
»Du glaubst, wir sind in einem anderen Universum?« Meyun zweifelte offensichtlich an seinem Verstand.
Rhodan winkte ab. »Wäre nicht das erste Mal für mich. Aber nein. Wir hatten einmal mit einem Ding namens Teletrans-Weiche zu tun, das zwei weit voneinander entfernte Galaxien in unserem Universum verband. Auch durch so eine Art Tunnel, wie der, durch den wir gerade gekommen sind. Wer damals den Transfer mitgemacht hat, bekam einen Strangeness-Schock. Vielleicht hat der Kosmokratentunnel von Tare-Scharm nach Yahouna die gleichen Folgen.«
Meyun kniete sich neben Tess Qumisha und injizierte ihr das Medikament.
Danton kam mühsam, aber immerhin ohne fremde Hilfe auf die Beine. »Ein Ferntransport mit solchen Nebenwirkungen ist aber keine kosmokratische Wertarbeit«, klagte er ächzend.
»Die Bedienungsanleitung sieht aber auch nicht vor«, gab Rhodan zu bedenken, »dass man mittendrin Potenzialwerfer abfeuert.«
»Touché.«
Allmählich klärten sich seine Gedanken. Er begann, die Lage strategisch zu analysieren. »Wer ist wach?«, fragte er. »Wer ist einsatzfähig?«, schränkte er die Frage sogleich ein.
»Schwer zu sagen«, antwortete Meyun. »SENECA spricht nicht mit uns, und der Bordfunk ist auch ausgefallen. Die Neu-Solaner aus dem Tal der Gestrandeten sind eigentlich alle wieder beieinander. Die alte Stammbesatzung – da haben wir bislang nur ein paar Dutzend Resistente entdeckt. Die meisten liegen noch bewusstlos an der Stelle, wo sie zusammengebrochen sind.«
»Wo sind wir?«, fragte Rhodan. »Wie ist die Situation außerhalb der SOL? Sind wir noch im Tunnel?«
»Woher soll ich das wissen?«, fragte Meyun zurück.
»SENECA, eigentlich habe ich dich gefragt«, stellte Rhodan klar.
»Wir haben das Sextadim-Intermitterfeld verlassen«, antwortete das Schiffsgehirn, »und befinden uns in einer unbekannten Galaxis, drei Lichtjahre von der nächsten Sonne entfernt. In unserer Nähe gibt es kein Anzeichen für Raumschiffsverkehr.«
Das beruhigte Rhodan zumindest. »Wie ist der Status der Besatzung?«, fragte er weiter.
»Es ist keine Besatzung an Bord«, behauptete die Hyperinpotronik, die Zugriff auf alle Sensoren inner- und außerhalb der SOL hatte.
Rhodan sah Meyun an, die blickte zu Danton. Dann sahen sie alle zu Qumisha, die die Augen aufschlug und zwar nicht schrie, aber heiser unverständliche Silben brabbelte. Benjameen da Jacinta hatte noch nicht auf das Mittel reagiert.
»SENECA, natürlich ist Besatzung an Bord«, stellte Rhodan klar. »Allein wir fünf ...« Erst da fiel ihm auf, dass Eroin Blitzer fehlte. Aber das war ein Problem für später.
»Das wüsste ich aber«, sagte SENECA.
Rhodan murmelte einen herzhaften Fluch, wie er ihm selten über die Lippen kam. »SENECAS Biokomponente«, erklärte er. »Unser Schiffsgehirn leidet auch am Strangeness-Schock! Es halluziniert!«
»Das wüsste ich aber«, erklang es ein zweites Mal.
Danton seufzte erneut. Es kam von Herzen. »Wer macht was?«
»Hängt davon ab, wo wir sind«, antwortete Rhodan. Er traute SENECAS allzu rosiger Antwort auf seine Frage von vorhin nicht – wer wusste schon, ob das Schiffsgehirn nicht einfach phantasiert hatte? »Zentrale?«, sendete er über den Bordfunk. »Viena, hörst du mich?«
Weder der Funk- und Ortungschef noch irgendein anderer Zentraleoffizier meldete sich.
»Dann eben von Hand.« Rhodan setzte sich an Qumishas verwaiste Arbeitsstation und vernetzte das Positronikpult mit den externen Sensoren des Kombinationsraumschiffs. Doch weder Nah- noch Fernortung waren aktiv. Die SOL empfing keinerlei Daten von außen. Sie konnten gerade genau auf eine Sonne zurasen und würden nichts davon mitbekommen.
»Wir teilen uns auf«, schlug Rhodan vor. »Mahlia, du trommelst die einsatzfähigen Leute zusammen und rüstest sie mit diesem Medikament aus. Spritzt alle Besatzungsmitglieder fit, die ihr findet. Sie werden immer noch Strangeness-Symptome zeigen, aber sie klingen schneller ab als ohne Behandlung.«
Er wandte sich Danton zu. »Mike, bitte lauf in einen Hangar und starte manuell ein paar Ortungssonden mit Impulstriebwerken. Einfachste Technik, die dürfte am ehesten noch laufen. Etwas, das uns die Ergebnisse auf Normalfunk übermittelt.«
»Handbetrieb«, sinnierte Danton. »So etwas hat an Bord bestimmt seit tausend Jahren keiner mehr benutzt.«
»Ja, aber du warst schon vor tausendfünfhundert Jahren hier. Also los!«
Danton machte sich auf den Weg.
»Und benutz ...«
»... keine Antigravschächte«, brachte Danton den Satz im Laufen zu Ende. »Schon klar. Nicht auf die Bordtechnik verlassen, bis SENECA wieder der Alte ist!«
Rhodan wollte ihm noch hinterherrufen, Roi solle sich ein Lowtech-Funkgerät aus einem Ausrüstungsdepot holen, verkniff es sich jedoch. Auf diese Idee würde sein Sohn selbst kommen. Meyun allerdings gab er eine entsprechende Empfehlung.
»Wird gemacht«, sagte sie. »Was ist mit ihnen?« Sie deutete auf Qumisha und da Jacinta.
»Was habt ihr bisher mit den Mannschaftsmitgliedern gemacht, die ihr gefunden habt?«
»Auf die Medostation geschleppt. Aber die ist mittlerweile voll.«
Perry Rhodan kaute kurz auf seinen Lippen, dann entschied er: »Wir lassen sie liegen. Zehntausend Besatzungsmitglieder können wir eh nicht alle medizinisch korrekt lagern. Nicht ohne Hilfe der Medoroboter, und die sind lahmgelegt. Richtig?«
»Haben zumindest auf meine Anweisung nicht reagiert.«
»Dann machen wir es, wie ich es gesagt habe. Los geht's!«
»Was hast du eigentlich vor?«, fragte Mahlia Meyun.
»Ich schaue in der Zentrale, was ich ausrichten kann.«
*
Die Antwort hieß kurz und bündig: nichts. Perry Rhodan kam nicht mal hinein. Alle Zugänge waren hermetisch geschlossen.
»SENECA, mach auf!«, forderte er.
»Nein«, weigerte sich die Hyperinpotronik im Leidenston. »Ich will nicht!«
Rhodan hatte viel in seinem langen Leben erlebt, aber im wahrsten Sinne des Wortes zickigen Rechnersystemen war er nur sehr selten begegnet. »Warum nicht?«, fragte er mit möglichst neutraler Stimme.
»Das ist so hell da draußen!«, quengelte SENECA. »Das tut meinen Sensoren weh!«
»SENECA«, sagte Rhodan bemüht verständnisvoll. »Ich dunkle den Gang ab. Du musst mich nur kurz hineinlassen, dann kannst du die Tür wieder schließen.«
»In Ordnung«, sagte das Schiffsgehirn nach kurzem Zögern. Die Tür allerdings blieb zu.
»SENECA?«, fragte Rhodan.
»Oh«, kam die Antwort. »Schade. Ich dachte, du merkst es nicht.«
»Mach auf!«
»Aber es ist so hell da draußen! Das tut meinen Sensoren weh!«
Rhodan gab auf und funkte Meyun mit dem Gerät an, das er sich selbst auf dem Weg geschnappt hatte. »Mahlia«, sagte er. »In der Zeit, als du Kommandantin einer SOL-Zelle warst – hast du da einen Abschaltcode für SENECA bekommen?«
Er konnte förmlich hören, wie die Frau, die ihn mehrfach gerettet, aber auch unendlich viel Nerven gekostet hatte, grübelte. »Nein«, antwortete sie schließlich. »Kann mich zumindest nicht erinnern. Müsste ich?«
»Schon gut«, sagte Rhodan. »Ich frage Roi.«
Sein Sohn kannte den Code – selbstverständlich, das musste er als Expeditionsleiter. »Was ist wichtiger?«, fragte Roi Danton. »Die Sonden oder ...?«
»Der Code«, entschied Perry Rhodan. »Es bringt nichts, wenn wir Hindernisse vor uns kennen, aber nicht ausweichen können, weil SENECA alles blockiert.«
*
Perry Rhodan brauchte fünf Minuten. Es kam ihm wesentlich länger vor. Jeder Roboter, den er passierte, jedes Schott – alles konnte zur Todesfalle werden, wenn SENECA ihn aufhalten wollte. Verschwitzt und mit klopfendem Herzen erreichte er sein Ziel und suchte den Raum ab. Zu seiner Erleichterung fand er nichts, was die Hyperinpotronik als Waffe hätte missbrauchen können.
Roi Danton brauchte deutlich länger für den Weg. Er war schon in einem Hangar gewesen und hatte eine Sonde vorbereitet. Der Weg bis zur Beta-Zentrale der Hauptpositronik, genau im Zentrum des SOL-Mittelteils, hätte kaum länger sein können.
»Lange nicht hier gewesen«, sagte Danton, als er abgehetzt den Raum betrat.
Rhodan stimmte ihm zu. Die Beta-Zentrale, in der man über archaische Eingabegeräte direkten Kontakt zum Schiffsgehirn aufnehmen konnte, war in den ersten Jahrhunderten nach dem Stapellauf der SOL wichtig gewesen. Inzwischen konnte man im Grunde überall mit SENECA kommunizieren.
Aber für das, was er nun vorhatte, mussten sie vor Ort sein. Er wollte SENECA zwar nicht abschalten, aber zweiteilen. In der Hyperinpotronik ergänzten sich eine lebendige Komponente aus Zellplasma und ein positronischer Hochleistungsrechner mit einem Volumen von insgesamt 65 Millionen Kubikmetern.
Das Plasma war außer Kontrolle. Bislang war zwar außer ein paar Insubordinationen nichts Gravierendes geschehen. Aber wer konnte wissen, wann SENECA nicht aus Jux den Sauerstoff im gesamten Schiff abpumpte?
Deshalb musste sein biologischer Teil von der Schiffssteuerung abgekoppelt werden. Die Positronik musste allein die Kontrolle übernehmen, bis ihr Gegenpart wieder voll und ganz in der Wirklichkeit angekommen war.
Eine derartige Trennung bedeutete aber eine massive Einschränkung für die Einsatzfähigkeit der SOL. Deshalb konnte der Befehl dafür nur von zwei Kommandoberechtigten gemeinsam erteilt werden. Sie mussten ihre Codes dafür gleichzeitig auf einer Tastatur in der Beta-Zentrale eingeben. Eine archaische Sicherheitsschaltung, die nur sehr selten in der langen und wechselhaften Geschichte des Expeditionsschiffs nötig geworden war.
»Umstellung auf reinen Positronikbetrieb erfolgreich«, meldete sich SENECAS Stimme direkt im Anschluss. Ihr fehlte jedoch das warme Timbre, das sie üblicherweise auszeichnete.
»SENECA, Ortung!«, forderte Rhodan. »Wo befinden wir uns?«
»Sämtliche Ortungssensoren sind ausgefallen«, meldete SENECA unverzüglich. »Überprüfe Schiffsstatus. Schwere Beeinträchtigungen vieler Systeme. Die Ausfälle umfassen neben der Ortung den Antrieb, Offensiv- und Defensivwaffen, Funk, Güterdistribution ...«
Die Liste wurde immer länger.
Roi Danton seufzte. »Ich laufe zum Hangar und starte eine Ortungssonde. Von Hand.«
»Super Idee«, meinte Rhodan lakonisch. »Könnte von mir sein.«
Sein Sohn deutete auf seine Tastatur. »Du weißt, was das bedeutet, oder?«
Perry Rhodan nickte. Wenn einer von ihnen verletzt oder getötet wurde oder sich auch nur auf einem Außeneinsatz befunden hätte, hätte der andere die Trennung der zwei SENECA-Komponenten nicht veranlassen können. Es brauchte also mehr Besatzungsmitglieder an Bord, die für solche Fälle bevollmächtigt waren.
Was nichts anderes hieß, als dass Tess Qumisha die ganze Zeit recht gehabt hatte. Die SOL brauchte dringend wieder einen Kommandanten.