Читать книгу Damian - Madlen Schaffhauser - Страница 21
17.
ОглавлениеSeit drei Stunden sitze ich bei der Arbeit und erledige eine Akte nach der anderen. Mira, die heute aussergewöhnlich gut gelaunt ist, vertreibt meine Gedanken, die ständig zu einer Frage abtauchen. Wer ist Helen? Diese Sache lässt mich einfach nicht in Ruhe und ich weiss, dass ich früher oder später Damian damit konfrontieren muss.
Als wir heute Morgen in seinem Rolls Royce sassen und Pietro uns zum Meyers Empire fuhr, war Damian ungewöhnlich still. Zwar hielt er die ganze Zeit über meine Hand eisern umklammert, aber er schenkte mir kein einziges Lächeln. Irgendwas beschäftigt ihn. Ich könnte mehrere Gründe aufzählen, habe aber Angst davor, dass wirklich etwas davon für seine Verschlossenheit verantwortlich ist.
Warum nur konnte ich meinen Mund nicht halten, sondern musste ihm sagen, dass ich dabei bin, mich in ihn zu verlieben? Ich hätte ihm auch gleich unter die Nase binden können: Ich liebe dich.
Obwohl ich mir geschworen habe, diese Worte niemals wieder zu benützen, sind sie mir einfach über die Lippen gerutscht. Damian verzauberte mich mit seinem Charme und seinem autoritären Auftreten, dass ich nicht anders konnte, als ihm zu sagen, was er mir bedeutet. Aber umgekehrt habe ich keine Ahnung.
„Bist du schon wieder bei deinem geheimnisvollen Liebhaber?“ Miras fröhliche Stimme reisst mich aus meinen Überlegungen. Sie lächelt mich über den Tisch hinweg an, ihr Kopf ist in eine Hand gestützt.
„Ist mir das so einfach anzusehen?“
„Gerne würde ich erfahren, wer für deine schwunghafte Laune zuständig ist. Aber ich kenne dich mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass du es für dich behältst.“ Theatralisch seufzt sie. „Muss ja ein ganz geheimnisvoller Womanizer sein.“
„Ja.“ klage ich. „Vielleicht ist aber genau das mein Problem.“
„Geniess die Zeit. Du bist jung und hast dein ganzes Leben noch vor dir. Wenn er nicht begreift, was er an dir hat, ist er eben nicht der Richtige für dich.“
„Es klingt so einfach aus deinem Mund. Du hast schliesslich schon deinen Prinzen gefunden und er vergöttert dich.“
„Und ich vergöttere ihn.“ Mira erhebt sich aus ihrem Stuhl, kommt auf meine Seite und drückt mir die Schultern. „Glaub mir, auch du wirst ihn noch finden, wenn du ihn nicht bereits hast.“
Ich lege meine Hände auf ihre. „Danke.“
„So und jetzt lass uns Pause machen. Ich habe einen Bärenhunger und Rose wartet bestimmt schon in der Lobby.“
Nach wenigen Minuten gehen wir zu dritt durch die Londoner Strassen, um uns in einem gemütlichen Bistro einen feinen Snack zu gönnen. Heute entscheide ich mich für ein Sandwich gefüllt mit Käse und dünnen Fleischscheiben, während meine Begleiterinnen eine heisse Suppe wählen. Wir setzen uns an einen kleinen runden Tisch und geniessen unsere Speisen.
„Habe ich euch schon von meinem heutigen Malheur erzählt?“ fragt uns Mira zwischen zwei Bissen.
„Was hast du dir jetzt wieder geleistet?“ möchten Rose und ich gleichzeitig wissen. Mira ist bekannt für ihre Missgeschicke.
„Ich habe mir lange überlegt, ob ich meine neuen Stiefeletten mit dem mörderischen Absatz anziehen soll. Hätte ich doch nur auf meinen Instinkt gehört, denn kaum war ich auf der Strasse, hat sich mein Schuh in einer gottverdammten Rille verfangen und ich konnte mich nur noch mit den Händen auffangen, als ich auf die Strasse platschte. Ihr glaubt gar nicht, wie peinlich es war. So viele Leute haben mir dabei zugesehen, wie ich wie ein schwerer Sack Kartoffel nach vorne fiel.“
Ich versuche mich zusammenzureissen, um nicht laut loszulachen, aber als ich mir vorstelle wie Mira vor einem Haufen von Menschen auf die Nase fliegt, ist es um mich geschehen und lasse meiner Belustigung freien Lauf und für einen Moment vergesse ich, dass Damian jetzt mit Suzanne in seinem Appartement zusammensitzt. Obwohl mich Mira böse anfunkelt, stimmt Rose in mein Gelächter ein und wir halten uns dabei die Bäuche fest.
„Wartet nur, bis euch so etwas passiert.“
„Das ist gar nicht möglich. Du sorgst schon genug für solche Patzer.“ bringe ich schmunzelnd hervor.
Meine Mitbewohnerin versucht zu schmollen, was ihr jedoch gänzlich misslingt und selbst anfängt über ihren Fehltritt zu grinsen.
Ich liebe das gemütliche Zusammensitzen und befreite Plaudern mit ihnen. Wahrscheinlich können sich Rose und Mira gar kein Bild machen, wie viel sie mir bedeuten und mir mein Leben bereichern. Ich wüsste nicht, wie ich ohne sie die Tage meistern würde. Sie sind ausser meinem Dad und Sandy der einzige stabile Halt in meinem Dasein. Allerdings würde ich auch gerne Damian zu diesen Personen zählen, aber dafür komme ich nicht genug nahe an ihn ran. Viel zu viele Geheimnisse schweben zwischen uns. Nicht nur von seiner Seite her, leider auch von meiner.
Als unsere Mittagspause vorbei ist, gehen wir wieder zurück an unseren Arbeitsplatz ins Meyer Empire, dessen gigantische Bauweise mich noch immer einschüchtert, so wie der markante Inhaber dieses Gebäudes.
Gerade als wir die Strasse überqueren möchten, drängen sich doch tatsächlich wenige Sonnenstrahlen durch den wolkenverhangenen Londonerhimmel, der schon seit Tagen kein Licht mehr hindurchliess. Ich bleibe stehen, halte meine beiden Mitarbeiterinnen zurück und bedeute ihnen zu warten. Dann schliesse ich die Augen, beuge meinen Kopf in den Nacken und lasse den warmen Glanz auf mein Gesicht scheinen.
Nur nebenbei höre ich Mira und Rose wie sie über mich witzeln, trotzdem weiss ich, dass sie mich nicht verspotten, sondern für mich freuen, wie mich die wenigen Sonnenstrahlen entzücken können. Keine Minute dauert der ganze Schein, trotzdem hat er mich mit unsichtbarer Kraft gestärkt.
Noch bevor ich wieder auf meine Umgebung schaue und ihn sehen kann, nehme ich ihn wahr. Er steht neben seinem dunklen Rolls Royce und starrt mich an. Sein intensiver Augenkontakt verursacht mir eine Gänsehaut auf dem ganzen Körper. Aber nicht, weil er bis in meine Seele zu sehen vermag, sondern weil sein Gesichtsausdruck hart und kalt wirkt. Kein bisschen verrät es über seine Gefühlsregung, trotzdem glaube ich dass er wütend und missgelaunt ist und das ich der Grund dafür bin. Meine Hände werden feucht. Ich beginne zu schwitzen, obwohl eisige Temperatur herrscht. Plötzlich wendet er sich ab, sagt irgendwas zu Pietro und verschwindet in seinem Wolkenkratzer.
„Habt ihr heute Aila schon gesehen?“ reisst mich Mira aus meiner Starre.
Rose und ich schütteln gleichzeitig den Kopf. Und so horche ich interessiert Miras Erzählung, darüber wie sie die Blondine und unseren direkten Vorgesetzten in einer nicht misszuverstehenden Umarmung beobachtete.
„Ich sage euch, als sie bemerkt hat, dass sie beobachtet wurde, fiel sie fast hin, lief knallrot an und getraute sich kein einziges Mal, mich anzusehen.“
„Die taffe Aila. Kaum zu glauben, dass sie aus ihrer Rolle fallen kann. Aber glaubt sie wirklich wir seien so naiv und würden nicht schon längst wissen, dass sie mit unserem finsteren Baker in die Kiste springt?“ kommentiert Rose Miras Beobachtung.
Als die Ampel auf Grün schaltet, überqueren wir die Strasse und gehen geradewegs auf die Glastüren zu, in denen vor wenigen Augenblicken Damian verschwunden ist. Während wir durch die Lobby auf die Aufzüge zusteuern, frage ich mich nicht zum ersten Mal, wie Rose und Mira reagieren würden, wenn sie von meiner Affäre mit unserem Chef wüssten. Würden sie mich genauso abstempeln wie Aila oder könnten sie Verständnis dafür aufbringen?
Zurück in meinem Büro befestige ich den Mantel und verstaue die Handtasche unter dem Schreibtisch, nachdem ich kurz auf mein Smartphone geschaut habe. Ich habe gehofft eine SMS von Damian erhalten zu haben, doch keine einzige Nachricht ist bei mir eingegangen. Warum hat er sich heute auf der Fahrt hierher so distanziert verhalten und warum hat er sich noch nicht bei mir gemeldet? Was ist nur geschehen? Was sehe ich nicht?
Etwas enttäuscht setze ich mich an meinen Tisch, auf dem ein paar Unterlagen liegen, die vor meiner Pause noch nicht dagewesen sind. Baker muss mir neue Akten gebracht haben. Wenigstens fehlt es mir nicht an Arbeit. Seufzend beende ich den Bildschirmschoner und öffne ein Programm, um Zahlungen einzufügen.
Als ich nach zwei Stunden mein Smartphone zum unzähligsten Mal hervornehme und noch immer nichts von Damian gehört habe, werde ich langsam unruhig. Ich kann nicht länger warten und tippe eine kurze Mitteilung an ihn.
Alles in Ordnung zwischen uns?
Kaum habe ich sie abgeschickt, ertönt ein Signalton. Meine Finger zittern, als ich auf seinen Namen drücke.
Ich habe viel zu tun.
Das beängstigende Gefühl, das mich schon den ganzen Tag quält, wird durch seine Nachricht nur noch mehr bestärkt. Hätte er doch gar nichts geschrieben, dann würde ich mich wenigstens ein kleines Stück besser fühlen und nicht so als hätte er auf meinem Herzen herumgetrampelt. Verzweifelt über seine nichtssagende Antwort, lege ich mein Telefon zurück in die Tasche und widme mich wieder der Arbeit. Mechanisch gebe ich eine Buchung nach der anderen ein, überprüfe sie nicht genauer, obwohl ich weiss, dass diese Zahlungen auf ein undurchsichtiges Bankkonto überwiesen werden. Ich überfliege meine E-Mails und sehne den Feierabend herbei.
Als es endlich fünf Uhr ist, packe ich meine Sachen zusammen, fahre den PC herunter und mache mich mit Mira auf den Heimweg.
„Bleibst du heute zu Hause?“ fragt mich Mira, als wir durch die Drehkreuze nach draussen in die beginnende Dunkelheit treten.
„Ja, warum?“
„Eigentlich bin ich mit Alan verabredet....“
„Möchtest du die Wohnung für dich haben?“ falle ich ihr ins Wort. „Ich kann auch woanders hingehen.“
„Nein. Darum geht es nicht. Ich frage mich nur, ob du klarkommst.“
„Warum sollte ich nicht klarkommen?“
„Dich belastet etwas.“ Sie hebt ihre Hand, um nicht unterbrochen zu werden. „Versuche es gar nicht abzustreiten. Ich sehe es in deinen Augen und an deinem Gesichtsausdruck. Etwas muss vorgefallen sein. Leider schweigst du eisern, was dich betrifft. Aber ich hoffe und wünsche mir, dass du weisst, dass du auf mich zählen kannst.“ Wir bleiben vor dem Meyer Empire stehen und Mira drückt meine Hand. „Sprich dich aus, bevor dir alles zu viel wird und dich innerlich zerfrisst.“
Ich sehe sie an und habe Mühe, die Tränen zurückzuhalten, die sich beharrlich einen Weg in meine Augen bahnen wollen. „Es ist alles gut. Amüsier dich mit Alan.“
„Bist du sicher?“
„Ganz sicher.“ Hoffentlich spürt sie meine Zerrissenheit nicht, mit der ich kämpfe. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als mit jemandem über meine Beziehung zu Damian zu sprechen, aber er ist unser Chef und daher verkompliziert es meine Lage nur noch mehr. Wenn es jemanden gibt, mit dem ich darüber sprechen kann, ist es mit ihm selbst. Und vielleicht würde ich das heute Abend auch tun, wenn mir nicht die Kraft dazu fehlen würde. Ich fühle mich müde, energielos und ausgeschlossen aus seinem Leben, was mir am Meisten zusetzt.
„Hallo sexy Mädels!“ ruft Alan als er auf uns zukommt.
Mira dreht sich zu ihm um und sobald er bei uns steht, schlingt sie ihre Arme um seinen Nacken.
„Wir werden etwas Essen und danach ins Kino gehen. Wenn du willst, kannst du dich anschliessen.“ meint Miras Freund, als sich die beiden Verliebten wieder voneinander gelöst haben.
„Echt nett von euch. Aber ich werde es mir zu Hause gemütlich machen.“
„Wie du meinst. Also bis später.“ Alan legt seinen Arm um Miras Hüften und so schlendern sie davon.
Ich sehe ihnen lange nach. Auch dann noch, als sie schon längst um die Ecke gebogen sind. Ich beneide die beiden um ihre Beziehung, die sie frei und offen ausleben können. Wie sie allen zeigen dürfen, was sie für einander empfinden. So ein einfaches Verhältnis hätte ich auch gerne, doch mit Damian wird dieser Wunsch nicht in Erfüllung gehen. Das braucht er mir nicht zu sagen, denn ich spüre, dass er keine feste Bindung will. Auch wenn ich darauf vorbereitet sein sollte, dass unsere Affäre irgendwann zu Ende sein wird, zerreisst mir der Gedanke daran beinahe das Herz.
Seufzend drehe ich mich um und erblicke Pietro am Strassenrand, wie er an den Rolls Royce gelehnt dasteht und offensichtlich auf Damian wartet. Ich winke ihm zu und mache mich zu Fuss auf den Weg in Miras Wohnung. Doch weit komme ich nicht, denn Damians Bodyguard hat mich schon nach wenigen Schritten eingeholt und hält mich mit Vorsicht am Arm zurück.
„Guten Abend, Miss Weber.“
„Guten Abend, Pietro.“ fragend sehen ich ihn an und wundere mich darüber, dass er mir nachgelaufen ist.
„Darf ich Sie bitten mit mir zu kommen?“
„Warum?“ Dieses Wort brauche ich ihm zwar nicht zu stellen, da mir sofort bewusst wird, dass ihn Damian damit beauftragt hat, trotzdem frage ich mich, weshalb mich Damian sehen möchte. Am Morgen auf der Hinfahrt wollte er sich nicht mit mir unterhalten. Als ich ihn am Mittag vor dem Meyer Empire sah, starrte er mich mürrisch und abweisend an und als ich ihm eine SMS schrieb, hat er mich kalt abgewiesen. Warum also macht er sich nun die Mühe, mich zu sehen? Nein, Mühe gibt er sich nicht. Er schickt nur seinen Bodyguard los, um mich aufzuhalten. So einfach werde ich es ihm nicht machen.
Ausserdem war es ein anstrengender Tag und ich fühle mich müde. Zu müde und kraftlos, um mich mit Damian zu unterhalten. Ich möchte einfach nur noch nach Hause und alleine sein. Ich brauche Zeit für mich. Zeit um nachzudenken.
„Sie können Ihrem Boss ausrichten, dass ich nach Hause wollte und das zu Fuss. Auf Wiedersehen, Pietro.“ Noch bevor er etwas sagen kann, löse ich mich aus seinem Griff und überquere schnell die Strasse.
Ich hatte zwar nicht vor, die ganze Strecke zu Miras Wohnung zu laufen, doch jetzt tut mir die kalte Luft gut, die in meiner Lunge brennt und die Schmerzen an meinen Füssen lassen meine deprimierte Laune dahinschwinden. Trotzdem bin ich froh, als ich endlich in der Wohnung ankomme.
Dort lege ich meine Sachen ab, husche unter die Dusche und lasse heisses Wasser auf meinen Körper prasseln. Ich wollte ich könnte den heutigen Tag streichen, ich könnte meine Gefühle für Damian verbannen, aber je länger ich unter der Dusche stehe, umso deutlicher sehe ich ihn vor mir und jene Verzweiflung, die heute die Macht über mich hat, kehrt wie ein Donnerschlag zurück. Ich wusste, dass irgendwann der Zeitpunkt kommen wird, an dem mich Damian abserviert, nur dass es schon so bald ist....
Ein energisches Läuten und ein wütendes Hämmern an die Wand lässt mich aufhorchen und reisst mich aus meinen trüben Gedanken. Ich drehe den Wasserhahn zu, um sicher zu sein, dass ich mich nicht getäuscht habe. Jetzt höre ich es deutlicher. Jemand ist an der Tür und drückt pausenlos auf die Klingel.
Ich überlege mir schon, ob ich so tun sollte, als würde ich es nicht hören, doch da ruft er aufgebracht meinen Namen.
„Ich weiss, dass du da bist. Mach endlich die verdammte Tür auf!“
Weitere Sekunden zögere ich, aber dann schnappe ich mir schliesslich den Bademantel und gehe zur Eingangstür. Denn wenn ich ihm nicht jetzt gegenübertrete, schiebe ich das Ganze nur weiter hinaus, was uns beiden keineswegs weiterhilft.