Читать книгу Damian - Vertrauen - Madlen Schaffhauser - Страница 5

1.

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Während der ganzen Fahrt sitze ich steif auf dem Rücksitz und ergebe mich meinen Tränen. Ich dachte, dass ich irgendwann keine mehr haben würde, doch sobald ich mich ein wenig gefasst habe, rollen sie von Neuem.

Ich kann nicht glauben, dass er mich derart ausgenutzt und belogen hat. Dass ich nur eine kurze Abwechslung für ihn war. Oder möchte ich es einfach nicht wahrhaben? War es vielleicht von vornherein ein Spiel für ihn?

Ich höre die Frauen von der Benefizgala, wie sie auf der Toilette über mich gesprochen haben und mich als Zeitvertreib und Spielzeug betitelten. Lagen sie etwa doch richtig damit?

In den vergangenen Wochen war ich unglaublich glücklich, wie seit langer Zeit nicht mehr und ich habe wirklich angenommen, er wäre es auch. Ich dachte sogar an eine gemeinsame Zukunft, doch so leicht kann man sich irren. Wahrscheinlich war er glücklich, wobei dieser Begriff vielleicht nicht der richtige Gefühlsausdruck für ihn ist.

Meine Gedanken rasen wild im Kreis herum. Ich wünschte, ich könnte sie ausschalten, in der hintersten Ecke meines Bewusstseins verschliessen und sie vergessen, weil die Erinnerungen an Damian und unsere gemeinsame Zeit viel zu schmerzhaft sind. Aber es möchte mir nicht gelingen. Ständig sehe ich ihn vor mir. Mal liebend, mal lachend, mal kalt, mal distanziert.

Wann wird das endlich aufhören? Wann wird dieser Schmerz, der in meinem Herzen wütet, erlöschen? Wie soll es jetzt weitergehen? Kann ich noch immer bei ihm arbeiten oder muss ich mir einen neuen Job suchen? Wie komme ich mit dieser neuen Situation klar? Kann ich ihm noch unter die Augen treten, ohne dass ich an uns denken muss?

Ich starre aus dem Fenster, versuche mich auf die Umgebung zu konzentrieren, die nun, da wir uns London nähern, heller wird. London, die Stadt, in der ich ihn kennengelernt habe. London, wo er wohnt und arbeitet. London, wo ich ihm wieder begegnen werde, egal ob ich es möchte oder nicht.

Sollte ich vielleicht alles zusammenpacken und weiterziehen, so wie ich es schon einmal gemacht habe? Ich werde wieder von vorne beginnen müssen, doch das sollte nicht zu schwierig werden. Schliesslich wäre es nicht das erste Mal. Nur ist da das Problem, dass ich nicht von hier weg möchte.

Pietro biegt in Miras Strasse und hält den Rolls Royce vor ihrem Wohnblock. Eigentlich müsste ich jetzt aussteigen und in mein Zimmer gehen, aber ich brauche noch einen Moment.

Pietro sagt nichts. Er drängt mich nicht, den Wagen zu verlassen, damit er endlich nach Hause kann, um eine Mütze Schlaf zu bekommen. Nein, er bleibt geduldig sitzen, schaut nur kurz in den Innenspiegel und richtet seine Aufmerksamkeit wieder nach vorne.

Als ich mich letztendlich soweit gefangen habe, um nach oben zu gehen, steigt er schnell aus und hält mir die Tür auf. „Alles in Ordnung?“ fragt er unsicher.

Ich schüttle nur den Kopf. „Danke fürs herbringen.“ äussere ich mich leise.

„Soll ich Sie noch begleiten?“

„Es geht schon.“ Ich drehe mich um und öffne die Tür ins Treppenhaus.

Es ist bereits nach drei, während ich in mein Schlafzimmer komme. Ich überlege mir, ob ich die Kleider ausziehen soll, entscheide mich dann jedoch dagegen. Ich bin zu erschöpft und müde, um noch irgendwelche Bewegungen zu machen.

Aber als ich dann auf meinem Bett liege, kann ich noch lange nicht einschlafen. Immer wenn ich die Augen schliesse, sehe ich ihn vor mir, was mir ständig neue Tränen in die Augen treibt.

Irgendwann muss ich dann doch in den Schlaf gesunken sein, denn jetzt scheint die Sonne durch den nicht ganz geschlossenen Vorhang. Es dauert ein paar Sekunden, bis mir alles wieder einfällt und wie ein spitzer Pfeil durch mein Herz schiesst. Viel zu wuchtig kommen die Erinnerungen an die letzte Nacht zurück.

Mühsam rapple ich mich aus dem Bett und gehe hinüber ins Bad. Dort stelle ich mich unter den heissen Wasserstrahl und hoffe, dass mir die Dusche hilft zu vergessen. Leider vergebens. Meine Haut färbt sich bereits rot, weil das Wasser brennt, nur dass ich es kaum spüre, weil der Schmerz, der in meiner Brust tobt, viel stärker ist.

Ich wage es kaum in den Spiegel zu sehen, trotzdem werfe ich einen kurzen Blick hinein und erschrecke über mein Äusseres. Meine Augen wirken leblos. Die dunklen Ringe unter ihnen werde ich nicht mal mit reichlich Make-up kaschieren können. Glücklicherweise ist heute Samstag. Ich brauche also nicht vor die Tür zu gehen. Vielleicht werde ich Mira und Alan über den Weg laufen, aber das werde ich schon irgendwie hinkriegen. Ich bin nur froh darüber, dass ich ihn nicht sehen muss.

Zwei Tage habe ich Zeit, um mich an die neue Situation zu gewöhnen und die werde ich nutzen. Ich werde am Montag als eine ganz andere Jessica zur Arbeit gehen. Als eine Jessica, die sich nicht zum Narren halten lässt. Als eine Jessica, die nicht ihr Herz an ihren Chef verloren hat. Ich werde mich nicht unterkriegen lassen. Nicht mehr.

Mit dieser neugewonnenen Energie ziehe ich eine schwarze Freizeithose an, ein abgetragenes T-Shirt und gehe in die Küche, um mir einen Kaffee zu machen. Nachdem ich mir eine Tasse von dem dunklen Getränk eingeschenkt habe, setze ich mich auf die Couch und geniesse die Stille in der Wohnung. Wahrscheinlich sind meine Mitbewohnerin und ihr Freund schon zur Hochzeit gefahren. Das bedeutet, dass ich heute niemandem mehr begegnen werde, was mir gerade sehr gelegen kommt.

Ich höre mein Telefon im Zimmer trällern, doch ich habe keine Lust dranzugehen. Später kann ich noch immer zurückrufen, wenn ich mag. Ich lehne mich zurück und geniesse immer wieder einen kleinen Schluck von dem heissen Kaffee, der jedes Mal langsam meine Kehle hinabrinnt und ein angenehmes Gefühl hinterlässt.

Das Klingeln in meinem Zimmer verstummt und die erwünschte Stille kehrt zurück. Nur leider hält das keine Minute an, dann beginnt mein Handy von neuem eine Melodie zu spielen. Ich brauche nicht nachzusehen, wer es ist. Nur für einen Menschen habe ich diesen Ton gewählt. Damian.

Was möchte er von mir? Wurde gestern nicht alles gesagt, was es zu sagen gibt? Möchte er mich vielleicht noch weiter erniedrigen? Oder möchte er mir mitteilen, dass ich meine Sachen bei ihm abholen soll? Das werde ich, aber nicht heute.

Ich halte mir die Ohren zu, damit ich das Klingeln nicht mehr hören muss und als es dann wieder verstummt, gehe ich schnell in mein Zimmer, um das Telefon auszuschalten. Meine Handtasche liegt noch immer an der Stelle, wo ich sie gestern achtlos hingeworfen habe, krame mein Smartphone heraus und entsperre das Display. Es sind über zehn unbeantwortete Anrufe und über fünf Nachrichten eingegangen. Allerdings mache ich es aus, bevor ich nachsehen kann, von wem die Anrufe und Mitteilungen sind.

Zurück in der Küche sehe ich mich nach etwas Essbarem um und muss enttäuscht feststellen, dass es nichts gibt, was mir irgendwie zusagen könnte. Ich beschliesse also in den Supermarkt zu gehen, obwohl ich darüber überhaupt nicht begeistert bin, aber ich brauche etwas für meinen Magen.

Schon eine halbe Stunde später schiebe ich den Einkaufswagen vor mir her. Ich werfe hinein, was mir gerade in die Finger kommt, wobei ich erst an der Kasse bemerke, dass ich überhaupt nichts für eine gesunde Ernährung eingepackt habe. Normalerweise achte ich immer darauf, doch an diesem Morgen kein einziges Mal. Wahrscheinlich widerspiegelt mein heutiger Einkauf meine Laune. Denn alles was ich mir besorgt habe, deutet unmissverständlich auf Frust hin. Genauso wie ich mich fühle.

In jeder Hand halte ich eine Tasche und mache mich wieder auf den Weg in die Wohnung. Ich biege gerade um die Ecke und die Tafel der U-Bahn kommt in Sicht, als ich jemanden meinen Namen rufen höre. Mein Körper spannt sich sofort an, weil ich im ersten Augenblick annehme, es könnte Damian sein. Wer sonst sollte mir hier über den Weg laufen? Als ich dann die weibliche Stimme deutlicher höre, drehe ich mich um und die Anspannung fällt augenblicklich von mir.

„Hey Jessica. Dachte ich doch, dass du es bist.“ Bernice, die im Kundendienst von Meyer Enterprises arbeitet, begrüsst mich mit einem freundlichen Lächeln.

„Hallo Bernice.“

„Warst wohl einkaufen?“ Sie deutet auf die Taschen an meinen Seiten. „Bist du mit der Tube hier?“

„Ja. Mira ist mit Alan auf einer Hochzeit. Also muss ich das Zeug halt auf diese Weise nach Hause schleppen.“

„Brauchst du Hilfe?“

„Das ist nett von dir, aber es geht schon. Was hat dich hierher verschlagen?“ Ich weiss, dass sie am anderen Ende der Stadt wohnt, daher bin ich etwas neugierig geworden und frage mich, was sie in dieser Gegend macht.

„Ich hab einen Bekannten besucht.“ Dabei kann sie ein Schmunzeln nicht unterdrücken.

„Ach so, einen Bekannten.“ Ich rümpfe meine Stirn und steige, so gut ich kann, in ihr Lachen ein, als sie über meine Bemerkung grinsen muss.

Wie ich von Mira gehört habe, hat Bernice eine Vorliebe für kurze Bettgeschichten. Sie ist ein total lieber Mensch, nur mit einer etwas anderen Einstellung als ich. Manchmal wünsche ich mir, ich könnte so locker sein wie sie. Dann würde ich mich jetzt vielleicht nicht so niedergeschlagen und alleine fühlen. Vielleicht könnte ich Damian dann ganz einfach aus meinem Herzen entfernen.

„Du siehst aus, als könntest du ein bisschen Abwechslung vertragen.“ reisst sie mich aus meinen abschweifenden Gedanken und ich sehe sie etwas verdattert an. „Hast du heute Abend schon was vor? Ich kenn da einen ausgezeichneten Club.“

„Ich weiss nicht, ob das was für mich ist.“

„Na komm. Zwei meiner Freundinnen werden auch da sein. Das wird bestimmt lustig. Oder hast du was Besseres vor?“

Was soll ich antworten? Dass ich mich in Miras Wohnung verkriechen möchte, um mich dem Schmerz, der sich immer mehr in meiner Brust ausbreitet, ergeben zu können?

„Ich weiss nicht.“

„Ach komm, gib dir einen Ruck.“

Plötzlich erscheint mir die Gesellschaft zu meiden, nicht mehr als die sinnvollste Art, um mit Damians Verrat umzugehen. Ich brauche Ablenkung. Ich muss wieder nach vorne schauen und alles andere hinter mir lassen. Noch bevor ich länger darüber nachdenken kann, höre ich mich sagen: „Also gut. Wann und wo?“

Nachdem ich mit Bernice einen Treffpunkt abgemacht habe, verabschieden wir uns und ich gehe weiter zur U-Bahn. Doch kaum bin ich zehn Meter weiter, ruft wieder jemand meinen Namen. Dieses Mal ist der italienische Akzent nicht zu überhören.

„Darf ich Sie nach Hause bringen, Miss Weber?“

Ich traue meinen Augen und Ohren nicht, als ich Pietro vor mir sehe und mir dieses Angebot macht. Warum? Sofort suche ich die Strassen nach Damian ab, aber ich kann ihn nirgends sehen. Ausser er sitzt im schwarzen Rolls Royce, neben dem Pietro steht und der auf eine Antwort wartet.

„Ist er da drin?“ Ich nicke Richtung Limousine.

„Nein. Er ist auf einer Konferenz. Den ganzen Tag.“

„Und warum sind Sie hier?“

„Weil er mir aufgetragen hat Sie zu bewachen.“

„Ich verstehe das nicht. Es ist aus zwischen uns. Also, warum lässt er mich noch beschatten? Es kann ihm scheissegal sein, was ich mache, wer mich verfolgt oder was mir passiert!“ schreie ich heraus, woraufhin sich der Leibwächter versteift, sich aber gleich wieder fängt und mich mitleidig ansieht.

„Er hat Sie schon mehrfach versucht zu erreichen, nur...“

Ich schneide ihm das Wort ab, weil ich nicht hören möchte, was er sagen will. „Richten Sie ihm aus, dass er sich von mir und meinem Leben fernhalten soll.“

„Wenn er nicht geschäftliche Dinge zu erledigen hätte, wäre er selbst hier. Es ist ihm wichtig, dass sie in Sicherheit sind und dass es Ihnen gut geht.“

„Soll das ein Witz sein?“ Ein grausames Lachen windet sich aus meiner Kehle. Er möchte, dass es mir gut geht? „Damian ist der, der Schuld für mein Gefühlschaos ist. Sie müssten mich vor ihm beschützen!“

„Miss Weber, bitte.“

Er tut mir schon fast leid. All das, was ich Damian an den Kopf werfen sollte, musste sich nun sein Bodyguard anhören.

„Lassen Sie uns gehen.“ Er hebt die Einkaufstaschen vom Boden, die ich vorhin fallen gelassen habe und legt sie in den Kofferraum. Danach öffnet er mir die hintere Wagentür. Ich leiste keinen Widerstand, weil ich auf einmal keine Kraft mehr habe und bin froh, dass mein aufgelöstes Ich niemand mehr sehen kann, nachdem ich eingestiegen bin.

Pietro und ich reden kein einziges Wort auf der Fahrt. Er wagt nicht einmal einen Blick in den Innenspiegel. Was er seinem Boss erzählen wird, ist mir eigentlich egal. Hauptsache Damian lässt mich in Ruhe.

Bei der Wohnung angekommen, steige ich schnell aus, bevor mir Pietro öffnen kann und nehme die Taschen entgegen, die er bereits ausgeladen hat.

„Seien Sie nicht zu hart zu ihm.“

Verblüfft sehe ich ihn an und mir liegt schon eine Erwiderung auf der Zunge, aber irgendwas in seinem Blick lässt mich innehalten. Stattdessen frage ich nur: „Warum?“

„Geben Sie ihm eine Chance, es Ihnen zu erklären.“

„Was zu erklären? Warum er mich brauchte, obwohl er die längste Zeit Helen hatte?“

Ich sehe, wie ein Schatten über sein Gesicht gleitet und er schwer schlucken muss. „Reden Sie mit ihm.“ Er tippt sich an seine imaginäre Hutkrempe und steigt wieder ein.

Der Appetit ist mir in der Zwischenzeit komplett vergangen und ich frage mich, warum ich überhaupt auf die Strasse gegangen bin.

Während ich die Einkäufe in die Kästen räume, gehe ich ständig das Gespräch mit Pietro durch. Warum besteht er darauf, dass Damian und ich uns aussprechen? Letzte Nacht wurde alles gesagt, was es zu sagen gab. Damian soll mit seiner Helen glücklich werden und mich in Ruhe lassen. Je früher desto besser.

Ich möchte von ihm nicht wissen, wie leid es ihm tut, dass er ein solches Spiel mit mir gespielt hat, dass er mir niemals wehtun wollte. Solches Mitleid brauche ich nicht. Er soll weiter sein Leben leben und ich werde meines wieder irgendwie kitten. Und damit werde ich an diesem Abend beginnen.

Obwohl ich heute schon einmal geduscht habe, stelle ich mich ein zweites Mal darunter. Das Wasser massiert meine angespannten Schultern und spült ein klein wenig von meiner Unruhe weg, die mich seit letzter Nacht immer noch fest im Griff hat.

Nachdem ich mich abgetrocknet und die Haare in ein Handtuch gewickelt habe, stelle ich mich vor meinen Schrank und gehe alle meine Kleider durch. Dabei fällt mir das teure Kleid, das mir Damian zur Gala gekauft hat, ins Auge und ich muss unweigerlich an jenen Abend denken. Wie wir getanzt haben, als hätten wir das schon jahrelang miteinander gemacht. Wie er mich immer wieder ansah, während wir uns unterhielten. Wie er mich anlächelte und wie erschrocken er aussah, als er mich draussen in der Kälte fand.

All jene Bilder flimmern mir durch mein inneres Auge und ich muss mich auf die Bettkante setzen, damit ich nicht zu Boden sinke, weil es in meiner Brust plötzlich unheimlich eng wird. Damian war immer sehr aufmerksam, liebevoll und einnehmend. Aber nun weiss ich, dass alles nur vorgeheuchelt war. Ich kann immer noch nicht begreifen, wie ich mich so in ihm täuschen konnte.

Damian - Vertrauen

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