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Eine globale Steuerlücke in Höhe von100 Milliarden Dollar

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Subventionen und Steuererleichterungen sind eine Sache. Aber die Tech-Giganten sind auch Meister darin geworden, weltweit ihre Steuerverpflichtungen rücksichtslos auf ein Minimum zu drücken. Airbnb ist ein typisches Beispiel dafür. Obwohl es eher zu den vertrauenswürdigeren der großen Tech-Marken gehört, nutzt der Marktplatz für kurzfristige Untervermietungen seinen Status als digitale Plattform auf zwei Arten. Der erste und wahrscheinlich bekannteste Weg ist, dass Airbnb dank seines Peer-to-Peer-Modells den Großteil der Fixkosten des Hotelgewerbes umgehen kann, einschließlich der Personal- und Beschäftigungssicherung. Der zweite und weniger bekannte Weg sind die »freiwilligen« Steuervereinbarungen, mit denen Airbnb die staatlichen und kommunalen Behörden vermutlich übers Ohr gehauen hat und dadurch Löcher in die Haushalte in den USA und weltweit reißt.

Dan Bucks, ehemaliger Leiter des Finanzamts in Montana und fast 17 Jahre Exekutivdirektor der bundesstaaten-übergreifenden Steuerkommission (MTC) in Washington, D.C., stellte im Juni 2019 fest, dass die »freiwilligen Einzugsvereinbarungen« von Airbnb zwischen 2013 und 2018 Bundes-, Staats- und Kommunalverwaltungen in den USA geschätzte 3,48 Milliarden Dollar gekostet haben könnten. Dabei handelt es sich um Mittel, die andernfalls für öffentliche Dienstleistungen hätten ausgegeben werden können, die in den meisten US-Städten bitter benötigt werden.22

Airbnb bietet auf seiner Plattform ganze Häuser und Wohnungen an, die von einer reinen Wohnzwecknutzung umgewandelt wurden zur kurzfristigen Nutzung als Beherbergungen für Touristen. Aus dem Bericht von Bucks geht hervor, dass Airbnb damit »oftmals gegen die örtliche Baunutzungsverordnung verstößt«. Um ein Verbot dieser »illegalen Vermietungen« zu verhindern, »versucht das Start-up, die Namen und Standorte der Beherbergungsbetriebe vor den Behörden geheim zu halten«, so Buck.

»Diese Geheimhaltung ermutigte auch Betreiber dazu, keine Umsatz- und Beherbergungssteuer zu berechnen und die Abführung von Einkommenssteuern zu vermeiden. Die Plattform schirmte sie darüber hinaus ab vor einer Veranlagung zur Gewerbegrundbesteuerung«, schreibt er. »Airbnb verstärkte den Schutzschild der Geheimhaltung für seine Unterkunftsbetreiber zusätzlich, indem es anbot, Zahlungen zu leisten – angeblich für Unterkunfts- und Umsatzsteuern. Die Gegenleistung war eine höchst fragwürdige Sonderbehandlung durch die Steuerbehörden – einschließlich der Erlaubnis, ihre Unterkunftsbetreiber vor allen öffentlichen Behörden geheimzuhalten.« Dem Bericht zufolge, der von der American Hotel & Lodging Association (AHLA) stark beworben wurde, hat sich der Valley-Riese diese Vereinbarungen in »über 35 Bundesstaaten und mehreren hundert Ortschaften« gesichert.

Bevor ich fortfahre, sollten wir uns zunächst kurz in Erinnerung rufen, wie es zur aktuellen Situation kommen konnte. Früher wurden Unternehmen in der Regel auf Grundlage des Betriebsstättenprinzips besteuert. Natürlich hat dies die wenigsten Unternehmen davon abgehalten, ihre Steuerangelegenheiten zu optimieren (bekannt als »Steuervermeidung« und nicht als illegale »Steuerhinterziehung«). Dies ging teilweise soweit, dass Unternehmen ihren Stammsitz verlagerten, um in den Genuss besserer Steuerkonditionen zu kommen.

Der Unterschied bei Tech-Konzernen ist, dass ihre physische Präsenz kaum relevant ist, wenn man einmal absieht von Apple oder dem Ausflug von Amazon in klassische Ladengeschäfte mit eigenen Logistik-Zentren in den USA. Ihre Produktionszentren sind meist Niederlassungen mit Ingenieuren oder Vertriebs- und Marketing-Leuten, während ihre Produkte und Dienstleistungen (auch hier von offensichtlichen Ausnahmen abgesehen) meist virtueller Natur sind. Angesichts all dieser Fakten sind sie viel flexibler in der Entscheidung, wo sie ihre Gewinne deklarieren. Ein völlig legitimer Prozess ist die Verrechnungspreisgestaltung, bei dem zwei Bereiche derselben internationalen Organisation miteinander Handel treiben (zum Beispiel stellt ein Unternehmen einem anderen »Dienstleistungen« in Rechnung). Dieser Prozess hat es Amazon beispielsweise ermöglicht, zwischen 2006 und 2014 etwa 75 Prozent seiner EU-Einnahmen in eine Holdinggesellschaft in Luxemburg zu schleusen, der Amazon Europe Holding Technologies (AEHT). Dort hatte Amazon die Erlaubnis erteilt bekommen, steuerfreie Gewinne zu erwirtschaften. AEHT leistete wiederum regelmäßig Zahlungen an Amazon U.S.23 2017 entschied die Europäische Kommission daraufhin, dass Luxemburg dem US-Giganten unzulässige Steuernachlässe in Höhe von rund 250 Millionen Euro gewährt hatte. Die Kommission betrachtete diese Vereinbarung als »nach den EU-Beihilfevorschriften unzulässig«, da sie es Amazon ermöglicht habe, »wesentlich weniger Steuern zu zahlen als andere Unternehmen«.24 Zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Kapitels wehrt sich Amazon nach wie vor »energisch« gegen die Versuche der Kommission, die ihrer Ansicht nach entgangenen Steuereinnahmen zurückzubekommen.25

Im Dezember 2019 veröffentlichte Fair Tax Mark, eine britische Non-Profit-Organisation, die 2014 ein Zertifizierungsprogramm einführte und sich für Steuertransparenz und -gerechtigkeit einsetzt, einen Bericht mit dem Titel »The Silicon Six and their $100 billion global tax gap«26 (»Die Silicon Six und das 100-Milliarden-Steuerloch«). Der Bericht belegt, dass zwischen 2010 und 2019 »ein erheblicher Unterschied zwischen den gezahlten Ertragssteuern, dem erwarteten Gesamtsteuersatz und noch wichtiger den ausgewiesenen aktuellen Steuerrückstellungen« der sechs US-Giganten Facebook, Apple, Amazon, Netflix, Google und Microsoft besteht.

Die Wissenschaftler stellten für den Zeitraum der letzten 10 Jahre fest, dass zwischen dem erwarteten Steuersatz und den tatsächlich gezahlten Ertragssteuern eine Differenz von insgesamt 155,3 Milliarden US-Dollar besteht. Zwischen den aktuellen Steuerrückstellungen und den tatsächlich gezahlten Ertragssteuern besteht laut der Studie eine Differenz von 100,2 Milliarden Dollar. Der überwiegende Teil dieser Differenz wurde außerhalb der USA generiert, und die Gewinne in Steueroasen wie die Bermudas, Irland, Luxemburg und die Niederlande verlagert.

Insgesamt zahlten diese Unternehmen laut der Studie »im Zeitraum von 2010 bis einschließlich 2017 nur 15,9% Körperschaftssteuer auf ihre erklärten Gewinne, zu einem Zeitpunkt, an dem der Regelsteuersatz 35% betrug. Die gezahlten Steuerbeträge liegen deutlich unter denen, die von der Mehrheit der anderen Unternehmen in den Vereinigten Staaten gezahlt wurden, wobei Studien einen Mittelwert zwischen 29,1% (1995-2004) und 26% (2008-2014) ergeben haben«.

Keiner der sechs Tech-Riesen konnte sich in dieser Studie in Bezug auf die gesellschaftliche Verantwortung, Steuern zu zahlen, mit Ruhm bekleckern. Amazon allerdings wurde als größter Übeltäter bewertet. »Das Unternehmen baut seine weltweite Marktvorherrschaft auf Grundlage von weitgehend unversteuerten Einnahmen auf, und kann unfairerweise die Geschäfte vor Ort unterbieten, die einen verantwortungsvolleren Ansatz verfolgen«, schrieben die Autoren des Berichts von Fair Tax Mark.

Amazon reagierte auf den Bericht mit einem pauschalen Dementi. In einer per E-Mail übermittelten Erklärung an die Tech-Website The Register27 schrieb ein Sprecher: »Überall, wo wir tätig sind, repräsentiert Amazon etwa 1 Prozent des globalen Einzelhandels. Und überall stehen wir im Wettbewerb mit Firmen, die größer sind als wir. Der effektive Steuersatz auf Gewinne in den Jahren 2010 bis 2018 betrugt 24 Prozent – weder ›marktbeherrschend‹ noch ›steuerfrei‹ … Die Regierungen sind verantwortlich für ihre Steuergesetze, und Amazon tut genau das, wozu diese Regierungen die Konzerne ermutigen: alle fälligen Steuern zu zahlen und gleichzeitig viele Milliarden in die Schaffung von Arbeitsplätzen und Infrastruktur zu investieren. Gepaart mit niedrigen Margen führen diese Investitionen logischerweise zu einem niedrigeren Ertragssteuersatz.«

Wenn es darum geht, Steuergesetze auszunutzen, stellen sich die Tech-Riesen in der Tat besonders geschickt an. Laut einer Studie des Instituts für Steuer- und Wirtschaftspolitik (ITEP) haben sie sich 2017 (gemeinsam mit anderen) geradezu auf die Steuerreform der Trump-Regierung gestürzt.

»Netflix bezahlte bei einem Gewinn in Höhe von 856 Millionen Dollar keine Steuern an den Staat«,28 während beispielsweise Amazon bei einem Gewinn von 11 Milliarden Dollar sogar eine Steuerrückerstattung in Höhe von 129 Millionen Dollar erhielt.

Und falls Sie denken, dies sei nur eine Breitseite gegen die US-Giganten: Eine von der Europäischen Kommission29 veröffentlichte Studie hat ergeben, dass sich digitale Unternehmen in Europa sehr ähnlich verhalten. »Im Durchschnitt unterliegen inländische digitale Geschäftsmodelle einem effektiven Steuersatz von lediglich 8,5 % – das ist weniger als die Hälfte im Vergleich zu herkömmlichen Unternehmen«, so der Bericht.

Ich bin der gleichen Meinung wie Margrethe Vestager, die als geschäftsführende Vizepräsidentin der Europäischen Kommission »Europa fit für das digitale Zeitalter« machen will und die als Kommissarin für Digitales eine der größten Peinigerinnen der Tech-Giganten sowie eine überzeugte Verteidigerin des europäischen Gemeinwohl-Gedankens ist: Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem es zum Zusammenbruch kommen muss. »Diese Situation ist nicht nachhaltig«, sagte sie in einem Interview für dieses Buch. »Die überwiegende Mehrheit der Unternehmen zahlt ihre Steuern, sie tun es vielleicht mit Freude [oder] sie betrachten es vielleicht auch als Belastung, aber sie zahlen ihre Steuern. Und es ist nicht nachhaltig, wenn sie sehen, dass ihre Wettbewerber ihre Steuern nicht bezahlen, im Kampf um Kapital, qualifizierte Mitarbeiter und Kunden, und dass [diese Wettbewerber] keinen Beitrag zu den Gesellschaften leisten, in denen sie ihr Geschäft betreiben.«

Abgesehen von der erdrückenden Wirkung, die dieses Verhalten auf Start-ups und traditionelle Wettbewerber hat, untergräbt die systemische – wenn auch legale – Vermeidung von Unternehmenssteuern die Kaufkraft der Regierungen für lebenswichtige Dienstleistungen. Unternehmen, deren Ziele tatsächlich darauf ausgerichtet sind, die Welt um sie herum zu verbessern (indem sie Menschen miteinander verbinden, die Informationen der Welt organisieren usw.), reiben sich an der Haltung der Tech-Riesen zu Unternehmenssteuern auf. Sicher, die Tech-Giganten sind in dieser Hinsicht bei Weitem nicht allein, aber sie sind besonders versiert darin.

Niedergetrampelt von Einhörnern

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