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3 Die Smaragdstadt
ОглавлениеIm Juli 2016 wurde im Cadence, einem gehobenen Restaurant im Stadtteil Mid-Market von San Francisco, das letzte Gericht serviert. Sarah Fritsche, ehemalige Gastronomie-Journalistin des San Francisco Chronicle, beschrieb den nur sechsmonatigen Betrieb des Lokals als »ein erstaunlich kurzes Leben für ein Restaurant, von dem man annahm, dass es ein Publikumsmagnet1 sein würde«. Leider war das Cadence bei Weitem nicht das einzige Restaurant in diesem Stadtteil, das seine Türen innerhalb weniger Monate schließen musste.
Vier Jahre zuvor war Twitter in das Stadtviertel gekommen. Das Social-Media-Unternehmen war das erste von mehreren einflussreichen Tech-Unternehmen (darunter Zendesk, Yammer, Square, Spotify und Uber), die sich zwischen Mitte 2012 und 20142 im damals aufstrebenden Mid-Market-Viertel der Stadt niederließen, neben Luxusapartments, zu deren Bewohnern auch hoch bezahlte Tech-Mitarbeiter gehörten. In den Folgejahren öffnete eine Reihe gehobener Restaurants, angelockt durch den demografischen Wandel und die Fördergelder der Stadt. Einige scheiterten; einige, wie das Cadence, existierten nicht viel länger als die Vorspeise.
Während es oft viele Gründe dafür gibt, dass Restaurants ins Straucheln geraten – und im Mid-Market gehörte dazu sicherlich auch die grassierende Obdachlosigkeit –, waren sich die Gastronomen in der Gegend einig, dass es durch die kostenlosen Kantinen der Tech-Betriebe für viele äußerst schwierig war, rentabel zu arbeiten. Die ehemalige Geschäftsführerin der Golden Gate Restaurant Association, Gwyneth Borden, schätzt, dass es vor COVID-19 allein im Stadtgebiet von San Francisco bis zu 50 Kantinen gab, die ihren Mitarbeitern kostenlos zur Verfügung standen, hauptsächlich in der Tech-Branche. »Es gab (damals) so viele Gespräche darüber, dass sich die Tech-Branche fördernd auf die Gastronomie auswirken würde«, erinnert sie sich ironisch. »In einem Fall im Mid-Market köderten Tech-Vorstände einen Gastronomen sogar mit dem Versprechen, es würden Tausende von Arbeitskräften in die Gegend kommen, und er solle doch unbedingt ein Restaurant in der Nähe eröffnen. Was sie ihm leider nicht gesagt haben ist, dass sie Kantinen mit kostenlosen Mahlzeiten einrichten würden.«
Im Laufe der letzten 20 Jahre fand eine Abschottung vieler Mitarbeiter von ihrem direkten Umfeld statt, oft auf weitläufigen, universitätsähnlichen Campusanlagen. Bewirkt wurde dies durch Kantinen mit kostenloser Verpflegung ebenso wie durch die anderen bereits beschriebenen Vergünstigungen, einschließlich chemischer Reinigung oder Ärzten und Zahnärzten. Auch wenn es schlicht unsinnig ist, die Tech-Firmen für alle Folgen des enormen Erfolgs des Valleys verantwortlich zu machen, gab es doch Ressentiments bei einigen lokalen Unternehmen. Sie waren der Meinung, man habe ihnen eine Menge potenzieller neuer Kunden direkt vor ihrer Haustür versprochen. Stattdessen konnten sie aber keinen bedeutenden Aufschwung erkennen oder es traf sie gleich noch schlimmer.
»Einer der Gründe für die Verunglimpfung einiger [der Tech-Giganten] ist, dass sie diese hermetisch abgeriegelten Blasen bilden, Blasen, die im Zentrum der Smaragdstadt Oz gleichen – erstaunliche, von ihnen geschaffene Universen – und doch passiert alles innerhalb der Blase«, sagt Russell Hancock, Herausgeber des Valley-Trend-Trackers Silicon Valley Index, der als Beispiel die kalifornische Stadt San Jose nennt, in deren Zentrum sich der Hauptsitz von Adobe befindet. »San Jose war so euphorisch über die [Adobes] Investitionen in ihrer Stadt, aber es hat sich nicht bezahlt gemacht. Wenn die Menschen dorthin müssen, fahren sie mit ihren eigenen Autos, parken in der firmeneigenen Garage, gehen in die Türme und bleiben dort, bis sie wieder gehen. Dementsprechend sind die realen Auswirkungen auf San Jose minimal und enttäuschend.«
Einige namhafte Tech-Konzerne und einige wenige kommunale Behörden ergreifen mittlerweile Maßnahmen, um der Abschottung der Tech-Riesen von den umliegenden Gemeinden entgegenzuwirken, getrieben von allgemeiner Kritik und in manchen Fällen auch von lokalen Gegenbewegungen. Als Facebook – bekannt für sein hochwertiges kostenloses Essen – die Eröffnung eines neuen Firmensitzes in der Stadt Mountain View ankündigte, griffen städtische Behörden erfolgreich ein. Facebook wurde es faktisch untersagt, seinen Beschäftigten vollwertige, voll subventionierte Mahlzeiten anzubieten. Klares Ziel war es, die Mitarbeiter in ansässige Restaurants zu locken.3 Dieser Kurswechsel war eine unmittelbare Reaktion darauf, dass Google, mit Hauptsitz ebenfalls in Mountain View, der lokalen Gastronomie angeblich durch firmeneigene, kostenlose Kantinen die Daumenschrauben ansetzte.4
Google versucht mittlerweile, Fehler wie in Mountain View weitgehend zu vermeiden. Hancock verweist auf das riesige neue Bauvorhaben Downton West in San Jose. Es bietet Platz für bis zu 25 000 Mitarbeiter auf einem offenen Tech-Campus im Herzen der Innenstadt, angrenzend an einen brandneuen multimodalen Bahnhof.5 »Sie haben beschlossen, dieses [Festungs-]Modell auf den Kopf zu stellen«, sagt er. »Sie wollen nicht mehr isoliert sein, sie wollen die Annehmlichkeiten der Stadt nutzen, sie wollen integriert sein.«
Als ich dieses Kapitel schrieb, stand die offizielle Genehmigung für Downtown West zwar noch aus, dennoch hatte in San Jose eine beachtliche Protestbewegung gegen die Tech-Riesen und das Vorhaben Fahrt aufgenommen. »Seit der ersten Absichtserklärung von Google, hier in San Jose den größten Technologie-Campus im gesamten Silicon Valley zu bauen, ist dies wirklich die vordringlichste Sorge der Bevölkerung – vor allem bei einkommensschwachen Berufstätigen, Schwarzen und Senioren«, sagt Jeffrey Buchanan, Leiter Politik bei Working Partnerships USA, einer Basisbewegung gegen Ungleichheit und Armut. »Es besteht die große Befürchtung, dass dieses und eine Reihe weiterer groß angelegter kommerzieller Immobilien-Projekte, mit denen Tech-Unternehmen in die Stadt gelockt werden sollen, das Fass für die Menschen zum Überlaufen bringen wird, die heute bereits Schwierigkeiten haben, in der Stadt zu überleben.« Obwohl Google laut Buchanan »wirklich starkes Interesse« daran zeige, in großem Umfang in bezahlbaren Wohnraum in San Jose zu investieren, mahnten die bisherigen Erfahrungen mit der Bauwut der Tech-Riesen zur Vorsicht. »Gewöhnlich sehen wir Unternehmen expandieren und die Mieten steigen«, sagt er. Immer wieder hörte er bei öffentlichen Veranstaltungen über Downtown West, dass die Menschen heute schon Schwierigkeiten haben, ihre Miete zu bezahlen. Tech-Standorte sind abhängig von Tausenden von Dienstleistungsgehilfen, darunter Reinigungskräfte, Sicherheitsbeamte, Mitarbeiter in der Gastronomie und Fahrer von Firmen-Shuttles, so Buchanan weiter. »Das sind größtenteils Niedriglohnjobs und die Löhne reichen oft nicht aus, um sich ein Leben in der ›Bay Area‹ genannten Bucht von San Francisco leisten zu können, wenn die Arbeiter nicht gewerkschaftlich organisiert sind. Google ist sicher nicht das schlimmste Beispiel für den Umgang mit diesen Themen und möglicherweise kann man aus diesem Projekt auch eine positive Bilanz ziehen. Doch schon die Größe von Google und die Erfahrungen der Gesellschaft mit dem Wachstum der Tech-Branche sorgen für eine Veränderung. Der Hauptgrund für das enorme öffentliche Interesse an [Downtown West] ist, dass bislang keiner der Tech-Giganten jemals Verantwortung übernommen hat für die von ihnen verursachten Auswirkungen.«
Während ich dieses Kapitel schreibe, zwingt COVID-19 Tech-Unternehmen dazu, das Prinzip vom mobilen Arbeiten und der Nutzung von Büroflächen neu zu überdenken. Es ist unwahrscheinlich, dass sie in absehbarer Zukunft zu dem zurückkehren werden, was vor der Pandemie gültig war. Gleichzeitig ist es allerdings genauso unwahrscheinlich, dass Büroflächen völlig überflüssig werden und die großen Tech-Standorte sich ihrer Mitarbeiter vor Ort entledigen werden. Da Arbeitslosigkeit und Ungleichheit zunehmen, ist es weiterhin zwingend erforderlich, dass sich die Tech-Giganten die von ihnen verursachten Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung zu Herzen nehmen.