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»Steve Jobs baute Apple auch nicht mit Bescheidenheit und Fürsorge auf«

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Die Anhäufung junger weißer und asiatischer Männer mit beschränktem Horizont trug zur Entstehung einer Reihe gefährlicher Klischees bei.

Ein Beispiel dafür ist das, was ich gerne als »Steve-Jobs-Syndrom« bezeichne. Ob wahr oder nicht, viele sind der Überzeugung, sein unzweifelhaftes Genie entschuldige jegliches Verhalten. Ein fester Bestandteil seines Erbes ist die unauslöschliche Verknüpfung der Begriffe Vollidiot und Genie. Viele Menschen gehen sogar fest davon aus, dass speziell ein Gründer-CEO ein Vollidiot sein muss, um ein Genie zu sein. Der Stereotyp einer überkandidelten »Get shit done«-Persönlichkeit vom Typ A (man denke nur an den Uber-Gründer Travis Kalanick, den Einhorn-Seriengründer Elon Musk, und Adam Neumann, den ehemaligen Frontmann von WeWork) ist seit Langem eine Quelle des Stolzes für die Tech-Gemeinde. Und dieses »Syndrom« ist nicht ausschließlich Männern vorbehalten (obwohl es scheinbar vor allem Männer betrifft); man achte nur auf das Verhalten der Theranos-Gründerin Elizabeth Holmes: Sie trug sogar, ganz im Stil von Steve Jobs, schwarze Rollkragenpullover, während sie wissentlich Leben aufs Spiel setzte – was letztendlich in einer Anklage wegen kriminellen Betrugs endete.14 Immer wenn ich den Gründer einer der Tech-Firmen, deren Übernahmen ich beaufsichtigte, auf seinen Mangel an Einfühlungsvermögen und Demut aufmerksam machte, der in vielen katastrophalen Entscheidungen endete, reagierte er darauf stets mit der Phrase: »Steve Jobs baute Apple auch nicht mit Bescheidenheit und Fürsorge auf.«

Und dann gibt es da noch die Mutation der »Genie/Vollidiot«-Theorie: der missverstandene, einsame Nerd, der zwar ziemlich brillant, aber sozial inkompetent ist und ein wenig schroff – etwas, das wir Nicht-Genies einfach akzeptieren müssen. Man denke nur an Gilfoyle, eine Figur im Film Silicon Valley, die jedem nur allzu bekannt vorkommen wird, der jemals in der Tech-Branche gearbeitet hat. Seine Frauenfeindlichkeit und bösartige, herablassende Art werden toleriert, weil er durch Software, die die Schwerkraft aufhebt, »die Welt verändert«.

Dieses sich verbreitende Syndrom trug wiederum zur Kultivierung eines weiteren Tech-Mythos bei: der »Außergewöhnlichkeit« (»exceptionalism«). Einhorn-Gründer, Führungskräfte, Wegbereiter und auch Risikokapital-Investoren, die alle einen tiefen Schluck aus der Kool-Aid-Flasche getrunken haben, sehen die Welt als einen meritokratischen Ort an, an dem sie und nur sie allein für ihren Erfolg verantwortlich sind, da sie klüger sind und härter arbeiten als alle anderen. Das Problem mit dieser Theorie ist, dass sie in den allermeisten Fällen nachweislich falsch ist. Sie sind zwar klug und arbeiten hart, aber nicht zuletzt profitieren sie auch von einer einzigartigen Konstellation von günstigen Umständen, wie man sie nur einmal in einem Jahrhundert erlebt. Angefangen von der Entwicklung des Internets, über die Wildwest-artige »Gesetzlosigkeit« im Valley – unbehelligt von Regierungen, Aufsichtsbehörden und Steuersystemen – bis hin zum heutigen, noch nie dagewesenen Überfluss an Risikokapital und einer überbordenden Wachstumskultur.

Wer ernsthaft der Meinung ist, jeder habe das Zeug zum Milliardär und das Silicon Valley verkörpere den amerikanischen Traum von »Alles ist möglich«, kommt leicht auf den Gedanken, dass jeder selbst daran schuld ist, wenn er nicht erfolgreich ist, und sein Schicksal verdient hat. Diese libertäre Haltung erklärt auch das mangelnde Einfühlungsvermögen einer gewissen Tech-Elite, die ihren enormen Reichtum als »verdient« ansieht und das Scheitern anderer Menschen als das Ergebnis einer gewissen Art von Faulheit. Sie steht Regierungen grundsätzlich misstrauisch gegenüber und geht davon aus, zu viel Steuern zu zahlen.

So entstanden auch weitere eigennützige Dogmen, die vom »Tech«-Stamm stolz vertreten werden, darunter Vorstellungen wie »solange ich hervorragende Ergebnisse erziele, werde ich nicht gefeuert«, oder dass digitale Technologie an sich weder gut noch schlecht, sondern neutral sei (»es gibt keine Voreingenommenheit im Code«), das technologische Heilsversprechen (»digitale Technologie wird alles lösen«, »wir brauchen nur bessere/mehr digitale Technologien« usw.), ein scheinbar geschlechts-/ethnien-neutraler Ansatz (»wir stellen nur die Besten ein«) und so weiter.

Zusammengenommen haben diese übermäßig geschützte Welt, die mangelnde Diversität, die »Stammesmythologien« und die Hyperspezialisierung sowohl positive als auch negative Auswirkungen. Einerseits hat jeder Stamm seine eigenen Bräuche und Erkennungszeichen, und in vielerlei Hinsicht haben diese Mythen dazu beigetragen, eine schnelllebige, lösungsorientierte Kultur zu beflügeln. Die Menschen haben keine Angst vor gewaltigen Herausforderungen und verfolgen kühne Ziele, und so können es auch kleine Start-ups mit den größten Monopolen und Amtsinhabern aufnehmen. Das sollte nicht unterschätzt werden. Wir kamen dadurch in den Genuss einer Vielzahl neuer Tools und Services. Mir persönlich würde es sehr schwerfallen, wieder in traditionellen Unternehmen zu arbeiten, die ich mittlerweile oft unglaublich langsam und bürokratisch finde.

Aber das Ganze führte auch zu einer unangenehmen und beunruhigenden »Tech-Bro«- oder einfach Bro-Kultur. Eine sich zusammenrottende Gruppe meist junger männlicher, weißer und asiatischer Ingenieure, die zumeist nur Personen aus ihrem unmittelbaren Umfeld anheuern. Sie verbringen viele Stunden gemeinsam, bei der Arbeit aber auch in ihrer Freizeit und in einer Umgebung, die sie dazu drängt, »schnell zu sein und Dinge zu zerstören« (obwohl sich Facebook öffentlich von diesem Motto getrennt hat, ist es nach wie vor prägend für den Zeitgeist vieler Tech-Start-ups).

Das führt zu einer Einstellung, in der jeder auf der Grundlage der Verhaltensmuster junger Männer beurteilt wird. Mir sind im Laufe der Jahre Dinge begegnet wie: »Work Hard/Play Hard«, verkörpert durch eine Kultur gemeinsamer Besäufnisse; Menschen, die laut und frech ihre Meinung vertreten; Rücksichtslosigkeit; Hyper-Wachstum, das wichtiger ist als nachhaltige Gewinne; erniedrigende Kommentare über Frauen und Minderheiten. Natürlich finden sich in anderen Berufszweigen ähnliche Cliquen und Verhaltensweisen, von der Wall Street bis hin zu Anwaltskanzleien und Teilen der Handel-, Medien- und Werbebranche. Dennoch ist diese Einstellung besonders in der Tech-Branche verankert und schwer zu ändern, da sie sich normalerweise bereits in der Frühphase eines Start-ups etabliert. CEOs haben oft einen ingenieurwissenschaftlichen Hintergrund, alle konzentrieren sich aufs tägliche Überleben und die Bro-Kultur ist oftmals schon zur Norm geworden, wenn das Team den ersten HR-Mitarbeiter einstellt. Diese einseitige Denkweise fördert wiederum das Unverständnis gegenüber den Auswirkungen der von ihnen geschaffenen Produkte und Dienstleistungen.

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Die unzähligen Ursachen für die Probleme der Tech-Giganten sind umfassend dokumentiert. Letztendlich könnte die veränderte Wahrnehmung des Valleys (und damit auch der anderswo ansässigen Giganten) auf etwas Subtileres zurückzuführen sein. Russell Hancock, CEO und Präsident des Joint Ventures Silicon Valley, das in den letzten 25 Jahren die Entwicklung im gesamten Valley ermittelt und im Silicon Valley Index veröffentlicht, belegt: »Die Tech-Giganten sind nicht mehr in erster Linie innovativ im Lösen von Problemen, sondern sie sind mittlerweile häufig selbst die Quelle vieler gesellschaftlicher Probleme. Früher wurden die Dinge, die [sie] auf den Markt brachten, allgemein gefeiert und waren hochbegehrt«, sagt er. »Jetzt produziert die Tech-Branche Werkzeuge, mit denen man in die Privatsphäre eindringen oder demokratische Prozesse manipulieren kann, oder sie machen süchtig – sie verbessern also die Lage der Menschheit nicht mehr, sondern verschlechtern sie sogar noch. Das ist eine wirklich bedeutende Veränderung.«

Zunehmend vom Rest der Welt isoliert, hat die Tech-Elite schrittweise den Kontakt zu den Menschen verloren, denen sie eigentlich dienen wollte. Als Konsequenz versteht sie die von ihr verursachten gesellschaftlichen Auswirkungen nicht mehr in vollem Umfang.

Niedergetrampelt von Einhörnern

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