Читать книгу Niedergetrampelt von Einhörnern - Maelle Gavet - Страница 30
1,42 Dollar pro Stunde
ОглавлениеNicht vergessen sollte man die chronisch lückenhafte Bilanz der Tech-Giganten, wenn es um die Arbeitsbedingungen an Orten wie den chinesischen Zulieferbetrieben geht. Die Arbeitsverhältnisse kann man nicht einmal mehr als prekär bezeichnen. Die Arbeiter werden vielmehr schlichtweg ausgebeutet. Im Juni 2018 recherchierte China Labor Watch (CLW), eine in New York City ansässige Nichtregierungsorganisation zur Überwachung der Rechte chinesischer Arbeitnehmer, im Foxconn-Werk Hengyang, wo Amazon Kindles, Echo Dots und Tablets herstellt werden.
Dem CLW-Bericht17 zufolge konnte die Recherche beweisen, dass in dieser Fabrik eine zu hohe Zahl so genannter »Leiharbeiter« beschäftigt war. Diese bei Agenturen angestellten Arbeiter genießen nicht den gleichen Schutz wie die bei der Fabrik direkt angestellten Arbeitskräfte. Alle Arbeiter waren langen Arbeitszeiten und niedrigen Löhnen unterworfen.
Damals reagierten sowohl Amazon als auch Foxconn mit der Ankündigung, sie würden die Arbeitsbedingungen in der Fabrik verbessern. Doch stattdessen wurden die Bedingungen noch schlechter.
Knapp ein Jahr später fanden die Prüfer von CLW einen ganzen Katalog an Verstößen im gleichen Amazon-Zulieferwerk, darunter zu viele Überstunden, zu niedrige Löhne und zu viele rechtswidrig beschäftigte Arbeitnehmer – eine zu hohe Anzahl an Leiharbeitern sowie 16- bis 18-jährige »Praktikanten«, die angeblich Überstunden und Nachtschichten leisten mussten.18 Die Beschäftigung von Praktikanten ist besonders besorgniserregend für ein Unternehmen dieser Größenordnung. Amazon hatte zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Kapitels eine Marktkapitalisierung von rund 1 Billion Dollar und generierte 2019 einen Umsatz, der in etwa dem BIP Finnlands oder Vietnams entsprach. Als der Bericht von CLW veröffentlich wurde, hatte Foxconn bereits 1581 Praktikanten von Berufsschulen geholt, die umgerechnet 248 Dollar pro Monat oder 1,42 Dollar pro Stunde verdienten. 2018 bekamen sie umgerechnet noch 276 Dollar pro Monat.
Waren die Praktikanten nicht bereit, Überstunden oder Nachtschichten zu leisten, sorgte die Fabrik dafür, dass Lehrer den entsprechenden Druck ausübten. Bei einer Verweigerung von Überstunden oder Nachtschichten wurden die Lehrer aufgefordert, die Praktikanten zu entlassen.
Derart unter Beschuss geraten nahm Amazon seinerzeit Stellung: »Wenn wir Verstöße [gegen unseren Verhaltenskodex für Zulieferer] feststellen, ergreifen wir geeignete Maßnahmen, einschließlich der Forderung nach sofortigen Korrekturmaßnahmen.« Es überrascht nicht, dass Elaine Lu, Programmverantwortliche bei CLW, dieser Behauptung gegenüber skeptisch reagierte: »Als wir letztes Jahr unseren Bericht veröffentlichten, behaupteten Amazon und Foxconn, sie würden die [angesprochenen] Probleme angehen«, sagte sie. »Aber ein Jahr später waren die Probleme immer noch da.«
Zwei Monate nach der erneuten Überprüfung in Hengyang deckte CLW ähnliche Verstöße in Apples so genannter »iPhone City«, dem Foxconn-Werk in Zhengzhou auf, der größten iPhone-Fabrik der Welt.19 »Apple und Amazon haben jeweils einen eigenen Verhaltenskodex und viele der Probleme, die wir finden, verstoßen gegen [diese]«, sagte Lu. »Sie wären in der Lage, die Situation zu verbessern. Wenn wir als eine so kleine Organisation diese Probleme aufdecken können, stellt sich schon die Frage, warum sind Apple oder Amazon angesichts ihrer erzielten Gewinne nicht selbst in der Lage, diese Probleme in ihren Lieferketten zu finden?« Sie ließ die Frage unbeantwortet.
In vielen über die Jahre geführten Gesprächen fand ich in Unternehmen wie Amazon oder Apple niemanden, der auch nur im Entferntesten mit dieser Ausbeutung von Fabrikarbeitern, geschweige denn mit der Schande der Kinderarbeit einverstanden war. (Und es lohnt sich, darauf hinzuweisen, dass Tech-Unternehmen keineswegs alleine dastehen, wenn es um die Arbeitsbedingungen in Ausbeuterbetrieben geht. Von der Fast Fashion bis hin zur Spielzeugherstellung ist sie seit Jahren weit verbreitet.) Was auch immer der Grund für diese kognitive Dissonanz sein mag, ich vermute, dass es eine Kombination ist aus einer Einstellung »aus den Augen, aus dem Sinn« und dem »Silodenken« bei vielen dieser Tech-Riesen. Hardware-Hersteller sind hier besonders gut im Verschleiern und Verschweigen – nur wenige Angestellte dürfen jemals die Fabrikhalle betreten, Zugang zu substantiellen Informationen über Arbeitskosten und Arbeitsbedingungen haben oder Teil einer diesbezüglichen Entscheidung sein. Am Ende wähnen sich die Firmen tatsächlich in einem ethisch korrekten Umfeld. Die Fakten deuten jedoch wieder einmal auf eine andere Geschichte hin und offenbaren schmerzlich die mangelnde Empathie der Big-Tech-Firmen.