Читать книгу Die bekanntesten Kinder- & Jugendbücher - Magda Trott - Страница 34

Kapitel 1

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Inhaltsverzeichnis

Der Garten, in dem das Haus Professor Benders lag, prangte im Maienschmuck. Voller Entzücken hingen die Blicke des kleinen Mädchens an den bunten Blumen; liebkosend, mit größter Behutsamkeit, strichen die Kinderhände über die bunten Blütenblätter der Tulpen, die aus ihren hohen Stengeln im Abendwinde leicht hin und her wippten.

»Heute kommt er wieder so spät, dabei habe ich ihm so schrecklich viel zu erzählen! Wenn ich nur wüßte, wo der Jule bleibt. Aber solch Mann kann nie fertig werden.«

Das kleine Hannchen, das in ganz Hirschberg den Namen Pommerle trug, lief ungeduldig zur Gartentür und spähte die Straße entlang. Nach dem Jule hielt Pommerle Ausschau, dem Spielgefährten, dem Freunde, der bei Meister Reichart nun schon im zweiten Jahre in der Lehre war und sich das Tischlerhandwerk erwählt hatte.

Pommerle blinzelte zu der Villa hinauf, in der die Eltern lebten. Was es heute mit Jule zu besprechen hatte, war ein großes Geheimnis, das durfte niemand erfahren. Höchstens der Sabine konnte man sich anvertrauen, der blinden Tochter von Jules Meister. Sabine war sehr klug, sie wußte, obwohl sie nicht sehen konnte, viel mehr als das neunjährige Hannchen und der sechzehnjährige Jule Kretschmar.

Pommerle drückte die Hand auf den Mund und warf eine Kußhand hinauf zu den Fenstern des ersten Stockwerkes. Dort oben mußte die geliebte Mutti sein. Die Mutti, nicht mehr die Tante, wie früher. Pommerle war so froh, daß es den Onkel Bender und die Tante nun Vater und Mutter nennen durfte. Das war erst seit Weihnachten der Fall; vorher hatte es stets nur den toten Vater gehabt, der in der Ostsee beim Fischfang ertrunken war. Aber der gute Onkel und die liebe Tante hatten Pommerle in die schlesischen Berge mitgenommen, es war dort geblieben und hatte hier eine zweite Heimat gefunden.

Als Pommerle wohl zwanzigmal die Gartenpforte aufgemacht und wieder zugeknallt hatte, ließ es einen lauten Jauchzer ertönen.

»Jule, du Bummler, kommst du endlich!«

Ein hochaufgeschossener Knabe, im Arbeitsanzug, kam mit schnellen Schritten die Straße entlang und schüttelte Pommerle derb die Hand.

»Wenn nicht eher Schluß ist, wenn der Meister immer noch was will, kann ich nicht fortlaufen. Du brauchst nicht in der Werkstatt zu stehen, du hast den ganzen Tag Feierabend. – Was willst du nu eigentlich?«

»Oh, Jule, ich habe etwas sehr Schönes auf dem Herzen, und ganz was Neues! – Jule, der Vater wird furchtbar gefeiert.«

»Was wird er?«

»Sie kommen aus allen Ländern, weit her, viel weiter als wir denken können, Jule. Und alle die Männer werden sich tief verbeugen, sie werden dem Vater die Hand schütteln. Dann werden sie sagen: Vater, Herr Professor, du bist so ein großer Mann, wie es nur wenige auf der Erde gibt. Und einen Stuhl bringen sie ihm mit, irgendwo aus Schweden.«

»Quatsch! einen Stuhl brauchen sie ihm nicht aus Schweden zu bringen. Soviel habe ich schon gelernt. – Soll ich nicht lieber den Stuhl machen?«

»Nein, Jule, solch einen Stuhl kannst du nicht machen. Die Mutti sagt, das ist ein Lehrstuhl; solch ein Lehrstuhl ist in Schweden. Der Vater soll sich in Schweden darauf setzen.«

»Ein Lehrstuhl? Dummheit! Dein Vater ist ein viel zu alter Mann, um noch auf einem Lehrstuhl zu sitzen. Er gehört beinahe in den Lehnstuhl.«

»Du dummer Jule, mein Vater ist gar nicht alt; die alte Krause ist alt; mein Vater wird doch grade so gefeiert, weil er – – nun ja, du hast ja recht, Jule, fünfzig Jahre ist freilich ein alter Mann, aber so alt, wie die alte Krause, ist er noch lange nicht.«

»Was soll er denn mit dem Stuhl?«

»Da kommen Leute her, einer ist ein Franzose, der andere kommt aus Schweden, dann noch einer, der kommt aus Norwegen.«

»Was wollen sie denn? Sie brauchen doch nicht in unser Hirschberger Tal zu kommen. – Na, überhaupt der Franzose und der Schwede – nee, Pommerle, die sollen bleiben!«

»Sie kommen aber doch, Jule.«

»Dann lache ich den Franzosen aus und schrei immerzu: Franzos' mit der roten Hos'. – Du, die Franzosen, die kenn ich, davon hat mir mein Großvater viel erzählt. Und der Schwede? – Schweden, das ist doch da ganz hinten, wo das ganze Jahr Winter ist, wo die Leute in ihren Hütten einfrieren.«

»Nein, Jule, Schweden ist, wenn ich bin, wo ich früher war, an der Ostsee, und wenn man dann weit über die Ostsee segelt, immer gradeaus, dann ist Schweden. Sie haben dort auch so viel Fische, wie wir in Pommern gehabt haben. Das ist Schweden.«

»Was willst du denn nun von mir?«

»Nun hör mal gut zu, Jule. Ich hab' ein großes Geheimnis. Wenn der Vater bald seinen fünfzigsten Geburtstag hat, so sagen sie, dann ist ein Jubiläum. Da wird gefeiert. Dazu kommen die Leute her. Und weil ich dem Vater nun immer zum Geburtstag was geschenkt habe, so muß ich ihm zum Jubiläum was besonders schönes schenken. Du auch, Jule. Ich hab' immer ein Gedicht aufgesagt. Aber diesmal lerne ich viel was schöneres. Das wird ihn freuen, denn er hat doch so dicke Bücher geschrieben, von Blumen, Steinen und unserem Gebirge. Und grade, weil er so schön die Steine darin beschrieben hat, deswegen kommen die Schweden her.«

»Die Steine hab' ich ihm doch immer gebracht.«

»Ja, Jule, aber der Vater ist auch selber umhergegangen und hat aus allen Löchern Steine zusammengeklaubt. Deswegen ist er ein großer Mineral – – Mineral – –«

»Mineralwasser!«

»Unsinn, Jule, das Wort heißt anders, das habe ich vergessen. Und was ich jetzt zum Geburtstag lerne, Jule, das ist furchtbar schwer. Aber ich kann es schon fast. Und nun mußt du am Sonntag wieder sehen, daß du schöne Steine findest. Wenn der Schwede und der Franzose da sind, mußt du sie dem Vater geben.«

»Am liebsten schmisse ich damit den Franzosen und den Schweden! Wenn schon solche Leute kommen – –. Weißt du noch, wie uns der eine Mann im vorigen Jahr die Hörnerschlittenfahrt kaputt machte?«

»Natürlich weiß ich das noch. Da ist der Professor Unhold gekommen, und wir wollten grade Hörnerschlitten fahren. Dann habe ich mir das Bein gebrochen.«

Jule wurde ein wenig verlegen. Er erinnerte sich des schrecklichen Wintertages noch sehr genau. Voller Ingrimm hatte er Pommerle veranlaßt eine Rodelfahrt zu unternehmen, weil die geplante Hörnerschlittenpartie zu Wasser geworden war. Auch damals war Besuch gekommen, der Professor Bender daran hinderte, sein gegebenes Versprechen einzulösen. Nun kamen wieder Leute – wer konnte wissen, wie lange sie blieben. Vielleicht den ganzen Sommer über, dann hatte Pommerle keine Zeit für ihn, den Jule, und kam nicht mehr in die Werkstatt zu Sabine. – Es war nicht zum Ausdenken.

Jule erfaßte die Gartentür und schlug sie knallend zu.

»Wenn ich nur daran denke, daß wieder solche Leute kommen, habe ich 'ne Wut im Leibe!«

»Laß doch deine Wut im Leibe, Jule, sag mir lieber, ob du mir für meinen Geburtstagsvers Steine besorgen willst.«

»Was hast du denn für 'nen Vers?«

»Solch ein Vers, wie wir ihn in der Schule lernen, ist es nicht. Ich habe beim Vater ein dickes Buch gefunden, viele dicke Bücher sind es, alle in hübsches, schwarzes Zeug gebunden, und alles steht in den Büchern drin, auch über das Riesengebirge. Weil nun der Vater ein Jubiläum hat, und weil die Anna gesagt hat, daß der Herr ein berühmter Mann ist, habe ich auch was Gelehrtes zum Geburtstag auswendig gelernt. Das freut ihn mehr, als wenn ich ihm ein gewöhnliches Gedicht sage.«

»Du bist doch ein Mädel und brauchst nicht gelehrt zu werden. Das ist was für Männer.«

»Nein, Jule, neulich sagte die Mutti zu einer anderen Frau, daß jede Frau, die mit ihrem Manne zusammen in einem Hause lebt, auch für das Interesse haben muß, was der Mann treibt. Die Sabine hat doch auch Interesse, wenn du hobelst, und darum muß ich auch Interesse für das Mineral des Vaters haben. Wenn die Leute aus Schweden kommen, wenn sie von mir Steine oder Blumen haben wollen, will ich nicht dumm dastehen.«

»Ich kenn die Steine auch, aber zu mir kommt keiner aus Schweden.«

»Weil du ein Tischler bist und kein solcher Steinklauber, wie mein Vater. – Willst du nu mal hören, Jule, was ich dem Vater zum Geburtstag erzähle?«

»Meinetwegen!«

Jule setzte sich ins Gras und bohrte die Finger ins Erdreich. Pommerle stellte sich kerzengerade vor ihn hin, preßte die Arme fest an die Seiten und begann:

»Das Hauptgestein des Riesengebirges ist Granit, welcher aus der Tiefe des Hirschberger Tales bis auf den Rücken der böhmischen Kämme reicht. Am übrigen Südgehänge herrscht – – herrscht – – herrscht – – Christinens Schiefergebirge, vorzugsweise Glimmerschiefer. Das – das – gratinische Terrain ist mit Granitblöcken bedeckt und reicht an pitt – pitt – – na, das weiß ich noch nicht – und Einzelfelsen. Der Granit wird von einzelnen Papiergängen durchsetzt. Auch Asphalt tritt südöstlich vom Kynast auf. Bergbau wird nur im Riesengrund betrieben. Zahlreich sind die vielen Erzwesten auf der schlesischen und auf der böhmischen Seite. – Ist das schön, Jule?«

»Das ist Quatsch! Wozu lernst du denn sowas?«

»Na, der Vater wird sich doch darüber freuen. Und nun sollst du mir Steine dazu suchen, die zu den schweren Worten passen.«

»Ich habe keine Zeit.«

»Ach, Jule«, Pommerle legte dem Spielgefährten zärtlich die Hände auf die Schulter. »Wenn ich dich recht schön darum bitte? Der Vater hat dich doch auch schon ins Riesengebirge mitgenommen. Er ist immer so gut zu dir. Da mußt du ihm doch auch 'ne Freude machen. – Weißt du was, Jule? Du könntest ihm bei Meister Reichart eine große Holzkiste machen, in die er die Steine legt. – Jule, du wirst ihm doch was zum Jubiläum schenken?«

»Na ja – – er hat mir ja auch ein Fahrrad zu Weihnachten geschenkt.«

»Siehst du! Solch Holzkasten wird den Vater sehr freuen. – Ich habe ihm noch aus schöner Wolle – – Jule, Jule«, rief Pommerle plötzlich erregt. »Sei bloß still, dort kommt die Mutti!«

Pommerle drückte dem Knaben beide Hände auf den Mund und schaute mit gradezu ängstlichem Gesicht der Dame entgegen, die durch den Garten kam.

»Nichts verraten, Jule, sonst geht meine ganze Freude kaputt!«

Frau Bender blickte lächelnd auf die kleine Gruppe. Pommerle hatte wieder einmal ein Geheimnis und verbot auf diese energische Weise dem Spielkameraden den Mund. Sie wandte sich freundlich an Jule, fragte ihn, wie es bei der Arbeit gehe, ob der Meister, die Meisterin und Sabine wohlauf wären. Jule bejahte es.

»Ich hab' dem Jule erzählt, daß viele große Leute kommen, um mit dem Vater Geburtstag zu feiern.«

»Nun, Jule, was sagst du denn dazu, daß dein Pommerle vielleicht für einige Wochen mit nach Schweden geht?«

»Da haben wir's«, klang es ergrimmt von den Lippen des Knaben. »Sowas habe ich schon geahnt! – Überhaupt nach Schweden, dort erfriert man ja. Hier ist es jetzt so schön, hier blühen die Blumen und dort oben wickeln sie sich in Seehundfelle, weil die Wolle nicht warm genug ist für die Füße. – Was willst du nur dort oben? – Na, meinetwegen, wenn's dir eben in unserem Schlesien nicht mehr gefällt, kannst du mit den Renntieren Schlitten fahren.«

»Jule«, tadelte Frau Bender, »warum wirst du gleich wieder so grimmig? Ist es nicht recht erfreulich, daß dein Vormund so geehrt und in der Welt bekannt ist? Professor Ole Daae bringt Grüße aus Norwegen. Man kennt dort die Bücher, die dein Vormund geschrieben hat.«

»Was kümmert mich der olle Daae!«

»Eine Deputation aus den verschiedensten Ländern findet sich zum Geburtstag bei deinem Vormund ein, und Professor Gaulois aus Paris wird eine schöne Ansprache halten.«

»Da will ich mal besser in der Werkstatt bleiben. Ich will mit dem ollen Daae und dem französischen Gaul nichts zu tun haben! Aber – aber – wenn sie das Pommerle wegholen – – na, mir kann es ja einerlei sein. Dann is schon besser, ich geh gleich.«

»Jule!«

»Guten Abend!«

Er ließ sich nicht mehr halten. Im Laufschritt stürmte er die Straße hinunter. Die wenigen Worte Frau Benders hatten den temperamentvollen Jüngling derart erbittert, daß er seiner schlechten Laune nicht Herr werden konnte. Schon einmal war Pommerle einen ganzen Sommer über fortgewesen, Jule hatte es vor Sehnsucht nach der Spielgefährtin kaum ausgehalten. Nun kam ein alter Mann her, der sein Pommerle nach Schweden holte, also noch viel weiter, als im vorigen Jahre. Wer konnte wissen, ob Pommerle nicht erfror.

»Eine Frechheit ist es«, rief er im Laufen, »Hanne ist doch ein schwaches Mädel, sie kann nischt vertragen. Nu in das viele Eis! Aber ich dulde es nicht, und die Sabine darf es auch nicht dulden. Die Sabine muß dem Pommerle ins Gewissen reden. – Nun suche ich grade keine Steine, und eine Kiste mache ich schon gar nicht!«

Der Jule ging nicht wieder so schnell heim zum Meister. Er lief erst, um sich zu beruhigen, über eine volle Stunde im Hirschberger Tal umher, bis der größte Ärger verraucht war.

Am nächsten Morgen war er sehr gedrückt. Sabine, die Tochter seines Meisters, die häufig in die Werkstatt kam, merkte sofort, daß heute beim Jule etwas nicht stimmte. Sehen konnte sie freilich die tiefe Falte nicht, die auf der Stirn Jules stand, aber Blinde haben um so schärfere Ohren, und jedes Wort, was Jule sagte, klang ergrimmt.

Sehr bald hatte Sabine erfahren, was den verärgerten Lehrling drückte.

»Aber Jule, wie kannst du so egoistisch sein! Wenn Professor Bender mit seiner Tochter wirklich einmal im Sommer nach Schweden reist, brauchst du es doch nicht zu hindern. Außerdem ist dort oben kein Eis und kein Schnee im Sommer. Schweden liegt nicht am Nordpol, wie du es dir einbildest. Das kommt davon, Jule, wenn man in der Schule nicht lernt. Du solltest dich doch darüber freuen, daß Professor Bender, der dir so viel Liebes erwiesen hat, und noch immer erweist, zu seinem fünfzigsten Geburtstag geehrt wird. Auch hier in Hirschberg rüstet man bereits für seinen Geburtstag. Die Einwohner feiern freudig seinen Ehrentag mit. Und dann willst du abseits stehen? Ach nein, Jule, du bist mir doch immer ein lieber Freund gewesen, hast dich immer dankbar und gutmütig gezeigt. Sei wieder friedlich, Pommerle kommt doch wieder, und wird dir dann viel erzählen.«

»Was wollen denn die Leute aus Frankreich und aus Schweden?«

»Sie kommen, um Professor Bender zu ehren.«

»Nur weil er über die Steine schreibt, die ich ihm gebracht habe? Aber ich werde es den Leuten sagen, daß ich die Steine geholt habe!«

»Sei nicht einfältig, Jule. Das alles verstehst du noch nicht. Freue dich, daß dein Vormund so geehrt wird. Ist es nicht wunderschön zu denken, daß grade wieder ein deutscher Mann solch wertvolle Forschungen machte, und alle Länder Abgesandte schicken, und dies alles anerkennen? Das muß dich als deutschen Jungen doch stolz machen, Jule! Du hast deine Heimat so lieb, das weiß ich, und dann wird man in Frankreich, in Schweden und Norwegen von unserem schönen Riesengebirge erzählen. Ist das nicht wunderschön?«

»Ich begreife nicht, daß sich der Schwede überhaupt in unser Gebirge traut. Der weiß doch genau, wie es dem Schweden ergangen ist, der sich mit Rübezahl zankte.«

»So? – Wie ist es ihm denn ergangen?«

»Das weißt du nicht, Sabine, und wohnst in Hirschberg? Im Dreißigjährigen Krieg ist der Schwedenhauptmann durchs Hirschberger Tal geritten. Sein Pferd taugte nichts. Da ist ihm Rübezahl auf einem feinen Rappen entgegengekommen, der Schwede hat ihn jedoch nicht gekannt. Er wollte das schöne Pferd Rübezahls erhandeln, hat sogar den Degen gezogen, um ihn zu erstechen. Da hat ihm Rübezahl sein Pferd gegeben, aber als er dann nach Giersdorf kam, schrumpelte das Pferd ein und wurde ein Socken, auf dem der Schwede saß. – Ich weiß, der Rübezahl ist den Schweden nicht gut! Der schwedische Mann sollte lieber bleiben, wo er ist.«

»Laß gut sein, Jule, ich freue mich sehr auf den Geburtstag des Professors und hoffe, daß ihm noch viele glückliche Lebensjahre beschieden sind. Wir in Hirschberg können stolz auf diesen Mann sein.«

Nachdem Jule im Laufe des Tages noch mancherlei Belehrungen über sich ergehen lassen mußte, sah er schließlich ein, daß er in seinem Egoismus zu weit gegangen war. Gewiß, er liebte seinen Vormund herzlich, er gönnte ihm auch alles Gute, nur Pommerle sollte während des Sommers in Hirschberg bleiben und nicht nach dem fernen Lande fahren.

Je näher der Geburtstag Professor Benders kam, um so aufgeregter und geheimnisvoller gebärdete sich Pommerle. Immer wieder holte es sich, möglichst heimlich, aus dem Bücherschrank den einen Band des Lexikons, um die Rede, die es seinem berühmten Vater halten wollte, durchzulesen. Einen ganzen Absatz aus dem Lexikon, der von dem Gestein des Riesengebirges handelte, hatte das kleine Mädchen auswendig gelernt, in der Hoffnung, damit die geliebten Eltern zu erfreuen. Sehr schwere Worte standen in dem Buch, die Pommerle nicht begriff und falsch las. Doch der Gedanke, daß die Eltern staunen würden, veranlaßt die kleine Hanna immer wieder, noch weitere Zeilen hinzuzulernen. – Ob der Jule auch an die Steine dachte? Ob er dem Vater etwas schenkte? – Pommerle war sogar in der Schule daraufhin angesprochen worden, daß der Professor vom Musikverein ein Ständchen bekäme, und daß man Bender zum Ehrenbürger Hirschbergs machen werde. Mit verzücktem Gesicht hörte das Kind alles an. Wenn nur der Jule an diesem Tage kein mürrisches Gesicht zeigte. – Ob ihm der Meister wohl Urlaub gab, daß er am Nachmittag auch von der schönen Torte essen konnte, die der Konditor backen wollte? Die Tochter des Konditors war Pommerles Klassenfreundin, sie hatte es verraten. Eine Torte mit einer großen Fünfzig in grünem Zuckerkranz würde frühzeitig ins Bendersche Haus geschickt werden.

Es hielt Pommerle nicht länger daheim. Es mußte zu Meister Reichart gehen; Sabine sollte ein gutes Wort einlegen, daß der Jule am nächsten Dienstag schon um vier Uhr frei wäre und die Torte mit dem grünen Zuckerkranz mitessen könne.

Zunächst eilte das kleine Mädchen zu Meister Bohrmann und fragte, ob die Torte mit dem grünen Kranz schon fertig sei.

»Ich möchte sie so gern mal sehen!«

»Aber Pommerle, der Geburtstag ist doch erst am nächsten Dienstag, ich kann doch nicht schon heute die Torte backen lassen.«

»Und eine Fünfzig in der Mitte? Und der grüne Kranz aus richtigem Zucker?«

»Aus dickem Zucker und Früchten.«

Pommerle steckte den Finger in den Mund, leckte daran und sagte schwärmerisch: »Oh – –«

»So dicken Zucker wie auf diesem Kuchenstück. Das darfst du dir mitnehmen.«

Beglückt eilte Pommerle davon, unterwegs herzhaft in das Kuchenstück beißend. Den Rest wickelte es jedoch ein. Den sollte der Jule haben, der vielleicht doch nichts von der Torte mit dem grünen Zuckerkranz bekam, weil er fleißig hobeln mußte. Doch die Sabine würde schon bei ihrem Vater ein gutes Wort für den Jule einlegen, wenn sie hörte, daß eine Torte geschenkt wurde.

Sabine erklärte sich auch gern bereit, für Jule zu bitten.

»Du kannst auch kommen, Sabine, du bekommst auch ein Stück Torte. Aber der Jule muß sehr brav sein, er darf dem Schweden kein böses Wort sagen.«

»Komm, wir wollen zu Jule gehen, Pommerle, er ist hinten in der Werkstatt.«

Neben dem Meister stand der Lehrling, sein Gesicht strahlte, als er Pommerle erblickte. Und als nun Pommerle gar noch das Kuchenstück zeigte, streckte Jule hastig den Arm aus, dabei stieß er den Topf mit dem eben bereiteten Leim um.

»Du Tolpatsch!« schalt der Meister.

Während Jule den angerichteten Schaden wieder beseitigen mußte, strich ihm Pommerle verstohlen über das rote Haar.

»Hast dafür ein Stück Kuchen bekommen, Jule, und am Dienstag gibt es noch mehr. Mußt nicht traurig sein.«

»Wenn du doch nach Schweden gehst.«

»Aber Jule, ich komme ja wieder, ich bleibe doch nur ein bißchen fort.«

»Dort gibt es keine Schneekoppe und auch keinen Rübezahl. Keine so schönen Bäume wie hier, und Tannen kennt man überhaupt dort oben nicht. Dort wachsen nur Palmen und Oleander.«

»Hab' nur keine Angst, Jule, schön wird es dort oben auch sein, so schön wie in Pommern. – Ach, und viel Wasser haben sie auch! – Jule, Jule, so viel Wasser! Dann liege ich wieder am Wasser, und die Wellen erzählen mir viel schönes. Du, ich freue mich darauf. Aber ich bin auch gerne in Schlesien. Ich bin überhaupt gerne bei den Eltern, und da bleibe ich auch.«

»Hast recht, Pommerle«, sagte Sabine, »die Heimat ist das Schönste. Die fremden Länder haben gewiß auch herrliche Gegenden, aber das ist nicht Heimatluft, die uns froh und glücklich macht.«

»Hm – – ja – – die Heimatluft, die riechst du, Sabine, nicht wahr? Denn sehen kannst du doch gar nicht, wie schön alles ist. Aber, freilich, du siehst ja mit den Ohren, und du riechst die Heimat. – Ach, Sabine, in unserem Garten riecht es so nach Fliederheimat!«

»Ganz recht, kleines Pommerle, doch nicht nur nach Flieder, nach allem, was uns die Heimat schenkt, duftet es in uns und um uns her.«

»Auch nach Wasser! – Sabine, weißt du auch, daß Wasser wunderschön riecht? Die Ostsee riecht auch nach Heimat.«

»Nun werden zu euch die verschiedensten Leute aus allen Ländern kommen, Pommerle, und alle werden von ihrer schönen Heimat erzählen, und doch werden sie entzückt sein von unserem Hirschberger Tal, von unserem Riesengebirge.«

»Dann werden sie wenigstens mal was Schönes sehen«, warf Jule dazwischen. »In Schweden gibt es kein Riesengebirge. – Pah, als ob ich jemals nach Schweden ginge. Es ist das langweiligste Land der Erde. Nur Wasser und Eis!«

»Jule, du bist dumm! Ich habe mir gestern angesehen, wo Schweden liegt. In der Schule hängt auch eine große Landkarte. Weißt du noch, Jule, Europa ist ein fester Klumpen, unten hat es einen Stiefel, das ist Italien, an der linken Ecke hat es einen Hut, das ist Spanien, und oben, dort, wo über dem Klumpen eine Katze läuft, dort ist Schweden und Norwegen.«

»Quatsch!«

»Das ist kein Quatsch, Jule. Wenn du zu uns kommst, zeige ich dir, wo die Katze läuft. Der Buckel ist Norwegen, und der Bauch ist Schweden. Nun weißt du, wo Schweden liegt.«

»Hahaha – im Bauch der Katze! Dorthin gehst du? Ich bleibe lieber in Hirschberg. Laß das nur den Rübezahl hören, daß du nach Schweden willst, er kann die Schweden nicht leiden. Er hat das Pferd des schwedischen Hauptmanns verhext!«

»Die Ausländer werden gewiß unser Riesengebirge mit viel Interesse ansehen. Ihr wißt doch, daß unsere Kirche Wang, zu der ihr auch schon gewandert seid, einstmals in Norwegen stand?«

Jule warf das Brett, das er grade in den Händen hielt, knallend zu Boden.

»Sowas brauchst du mir nicht vorzureden, Sabine«, rief er ärgerlich. »Als meine Mutter noch ganz klein war, ist sie schon in die Kirche Wang gegangen! Freilich, und nu soll sie gar in Norwegen gestanden haben. Es ist unsere Kirche! Am Ende holt sie sich der Norweger wieder, wenn er hört, daß jemand solchen Unsinn redet. Der Norweger soll sich lieber auf den Buckel seiner Katze setzen. Die Kirche Wang steht im Riesengebirge, und dort bleibt sie!«

»Dort wird sie auch bleiben, Jule. Doch deswegen kann niemand leugnen, daß die Kirche in Bergen in Norwegen stand, daß sie der König Friedrich Wilhelm der Vierte nach hier bringen ließ. In Norwegen wollte man die baufällige Kirche abreißen, aber das hat ein deutscher Gelehrter nicht zugelassen. Er kaufte sie, und hier ist sie genau wieder so aufgebaut worden, wie sie einst oben in Bergen stand. Alles aus Holz, ohne jedes Eisenwerk. Nun, das brauche ich euch ja nicht zu erzählen, das wißt ihr besser als ich.«

Verächtlich zuckte Jule die Schultern.

»Solch 'ne schöne Kirche abreißen zu wollen. Nu ja, die dort oben kennen nur Erdhöhlen und Eisblöcke. – Aber das sage ich dir, Sabine, wenn der Mann am Geburtstag meines Vormundes etwa sagt, daß er die schöne Kirche Wang wiederhaben will, wo sie so schön dasteht, dann kriege ich wieder meine Wut in den Leib! Die Kirche gebe ich nicht mehr her!«

»Die Herren werden gewiß einen Ausflug nach der Kirche Wang machen und sich an dem alten, schönen Bauwerk erfreuen.«

Jule schluckte mehrmals. »Und – und – – wenn wir dann hinkommen – ist sie weg. – Aber das läßt sich der Rübezahl nicht gefallen. Ich will es ihm beizeiten sagen. Die Kirche bleibt hier!«

»Sag mir lieber, Jule, ob du schon den Holzkasten für den Vater angefangen hast?«

»Viel was Schöneres, aber es ist noch nicht fertig.«

»Wird es den Vater erfreuen?«

»Mächtig!«

»Dann ist es gut. – Ach, was ich ihm schenke, das freut ihn auch, aber ich sag' es noch nicht!«

Und in Gedanken murmelte Pommerle wieder den langen Absatz aus dem Konversationslexikon, einige Male stockend bei schwierigen Worten. Doch Pommerle fand, daß es wundervoll klappte.

Schließlich mahnte Sabine, die Werkstatt wieder zu verlassen, denn weder der Vater, noch Jule dürften bei der Arbeit gestört werden. Pommerle trat nochmals an den Freund heran.

»Hab nur keine Angst, lieber Jule, daß ich in Schweden bleibe, ich komme bestimmt wieder. Weißt du, ich will doch immer Heimatduft riechen, und es ist doch hier so schön. Ich hab' dich doch gerne. – Weißt du, wenn ich immer in Schweden bliebe, könnte ich dich nicht mal heiraten, und das will ich doch. Auch die Berge habe ich sehr lieb und die vielen Blumen und die Vögel, und – – und, Jule – und mein Pommern habe ich doch auch nicht in Schweden.«

»Aber viel Wasser hast du dort.«

»Ja, Jule – aber das ist doch anderes Wasser, das riecht nicht so gut wie unser Wasser. Und die Sabine wird sagen, das ist eben Heimatwasser. – Jule, wenn ich nach Schweden fahre, ob ich dann wohl ein kleines bißchen in Pommern bleiben darf? Weißt du, Jule, ich möchte eigentlich gar nicht nach Schweden, ich möchte lieber wieder an die Ostsee, dort ist die Elli Götsch, der Otto Jäger und die Grete Bauer. In Schweden habe ich die alle nicht. Jule, sei nicht böse, Jule – dein Hirschberg ist ja sehr schön, aber – aber – – mein Pommern ist doch viel schöner.«

»Ich bin dir ja gar nicht böse, Hanne, du bist eben ein Pommer und ich ein Schlesier.«

»Und alles beides ist Deutschland! Da sind wir alle beide Deutsche. Jule, wir können doch froh sein, daß wir zwei Deutsche sind.«

»Ja, Deutschland ist schön, darum brauchst du gar nicht erst nach Schweden.«

»Wenn ich noch nach Schweden fahre, will ich den Leuten drüben sagen, wie schön mein Pommern und dein Riesengebirge ist. – Aber nun muß ich gehen, Jule. Vorläufig fahre ich ja noch nicht, jetzt kommt erst Pfingsten und dann wieder Schule. Aber dann! Und wenn die Schule wieder anfängt, bin ich auch wieder da!«

Sie verabschiedeten sich, und Jule machte sich wieder an die Arbeit. Die Hobelspäne flogen nur so. Er war doch nicht so ruhig, wie es äußerlich schien. Seit er erfahren hatte, daß die Kirche Wang einst den Norwegern gehört hatte, hatte er Sorgen um den alten, interessanten Bau. Wenn ihn nur der Norweger, der zum Geburtstag des Vormundes kam, nicht wieder abreißen ließ.

»Rübezahl«, stieß er zwischen den Zähnen hindurch, »das lasse dir nicht gefallen, die schöne Kirche bleibt hier!«

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