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Kapitel 9.
Der Stein wird Gold

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Inhaltsverzeichnis

Der August neigte sich seinem Ende zu, noch immer weilte Ida im Hause des Professors. Nicht nur Frau Bender und Pommerle hatten sich liebevoll um die Kranke bemüht, sogar der Professor, der hochbefriedigt aus Schweden zurückgekehrt war, saß oft am Lager des kranken Mädchens und vertrieb ihm die Zeit mit Erzählen. Am hellsten aber leuchteten die Augen Idas auf, wenn Jule einen Krankenbesuch machte. Jule war nun zwar zum Krankenpfleger gar nicht geeignet, er hatte bei seinem ersten Besuch die Patientin in geradezu unerhörter Weise ausgescholten.

»Ich hätte dir beide Beine zerbrochen und die Arme dazu, die Nase hätte ich dir abgeknickt! Wer Pommerle ärgert, ist ein ganz gemeiner Mensch. So einer bist du!«

Es ging so weit, daß Frau Bender den ungestümen Tischlerlehrling aus dem Krankenzimmer wies. Als aber Ida im Garten sitzen durfte, traf es sich immer öfter, daß sich Jule einstellte; ein Wort gab das andere, und schließlich weilte Jule immer öfter bei Ida. Mit Verwunderung verfolgte Frau Bender die Erziehungsmethode dieses derben, aber so braven Knaben. Er schalt Ida mit kräftigen Ausdrücken, hielt ihr all ihr Unrecht vor und meinte sogar einmal, daß ihr der Denkzettel, den ihr der Rübezahl gegeben, nur dienlich sei.

Waren es nun Jules Worte, oder war es die liebevolle Pflege, die man Ida angedeihen ließ, jedenfalls zeigte es sich von Tag zu Tag mehr, daß Ida bemüht war, ihre Fehler abzulegen. Schon manches abbittende Wort war über die Lippen der Kranken gekommen, wenn sie mit Frau Bender allein war, und auch Pommerle gegenüber zeigte Ida bittere Reue. So kam es ganz von selbst, daß sich zwischen den Kindern ein herzliches Verhältnis anbahnte, und eines Tages sagte Pommerle mit Überzeugung:

»Du bist jetzt gar nicht mehr so wie früher. Manchmal hab' ich dich doch sehr lieb.«

»Ich möchte auch so werden wie du, Pommerle. – Du bist gut.«

»O nein«, wehrte die Kleine ab, »der Vati hat gerade erst gestern gesagt, ich bin ein Racker!«

Auch Sabine fand sich öfters mit der Laute ein, nur zu gern lauschte Ida dem Gesang der Blinden.

»Das möchte ich auch lernen«, sagte Ida. Hin und wieder probierte sie auf der Laute, die ihr Sabine überließ. Und gar bald stellte sich heraus, daß Ida ein hervorragendes musikalisches Talent entwickelte.

»Wenn sie so ein Musikdings hätte«, sagte Jule eines Tages zu Pommerle, »würde sie gar nicht mehr auf böse Gedanken kommen. Ein Sprichwort sagt, daß dort, wo sich die Musik niederläßt, nichts Böses sitzen kann. – Wenn ich nur mehr Geld hätte, dann schenkte ich ihr so ein Ding.«

»Ich muß mal mit ihr zum Harfenkarle gehen, vielleicht hat er so 'nen kleinen Ableger von seiner großen Harfe. Den schenken wir dann der Ida. – Ach, es muß herrlich sein, wenn sie später wieder im dunklen Keller sitzt und recht laut auf der Laute spielen kann. Dann wird alles Böse auch dort herausgejagt.«

»Haste nicht was in der Sparbüchse, Pommerle? Kannst du nicht der Ida so ein Ding kaufen?«

»Ich hab' nichts mehr drin, das Reich brauchte alles. Aber, Jule, ob wir vielleicht mal ein bißchen sammeln gehen könnten?«

Seit diesem Tage überlegten die Kinder, wie sie Ida ein kleines Instrument verschaffen könnten. In Hirschberg wohnte ein Instrumentenhändler, der wurde von Pommerle besucht.

»Es ist furchtbar schlimm«, meinte die Kleine, als sie die Preise der Lauten hörte. »Da müßte ich ja hundert Jahre lang sparen, und dann ist die Ida zu alt geworden. So alt wie der Harfenkarle. Vielleicht hat der sich seine große Harfe auch erst gekauft, als er schon alt war, weil er vorher kein Geld hatte.«

»Vielleicht kann dir die gute Frau Bürgermeister helfen, deren Kinder haben Lauten gehabt. Ich glaube, es liegen noch welche bei ihr auf dem Boden. Frage sie doch einmal, du kennst sie doch.«

Der Ausspruch des Mannes ließ Pommerle keine Ruhe. Eingedenk der Worte der Mutter, daß man nichts sagen dürfe, wenn man wohltue, machte sich die Kleine noch am selben Tage auf den Weg. Sie war schon häufig mit der Mutti bei Gloves gewesen, und in letzter Zeit war sie mit dem alten Herrn besonders befreundet. Nicht nur nach der Zirkusvorstellung, auch später noch hatte der Bürgermeister Pommerle seine beste Mitarbeiterin beim Hilfswerk genannt und gesagt, wenn sie wieder einmal ein Anliegen habe, solle sie nur ruhig zu ihm kommen.

»Es ist doch eben wieder eine Wohltätigkeit«, meinte Pommerle, als es im Hause des Bürgermeisters stand. »Das Reich wird wahrscheinlich später auch allen Kindern, die gerne Laute spielen möchten, so ein Ding schenken. Man wird wieder sammeln, und dann kann ich mal wieder ein leuchtendes Vorbild sein.«

Pommerle wurde aber doch recht verlegen, als es von Herrn und Frau Glove gefragt wurde, was es begehre.

»Wenn ich damals, beim Zirkus, schon gewußt hätte, daß die Ida so gerne auf einer Laute spielt, hätte ich mir nicht so viele Zigaretten gewünscht, sondern nur die Hälfte. Aber nun ist es eben vorbei. Soll ich Ihnen vielleicht mal wieder was singen?«

»Was möchtest du denn haben, kleines Pommerle? Sprich frisch von der Leber weg, du weißt doch, du bist meine kleine Mitarbeiterin beim Hilfswerk. Durch dich haben gar viele Menschen Freude gehabt.«

Da platzte der Wunsch aus Pommerle heraus. Es erzählte von Ida, die auf Sabines Laute spiele, vom Instrumentenhändler, der gesagt habe, auf dem Boden läge so 'ne Laute.

»Am Sonntag kriege ich wieder Geld vom Vati, und der Jule kriegt am Sonnabend doch auch Geld, das wollen wir herbringen. Und dann möchten wir die Laute dafür haben.«

Gerührt schloß Frau Glove das kleine gutherzige Mädchen in die Arme, das kaum einen Wunsch für sich hatte, stets nur versuchte, anderen Freude zu machen.

»Du sollst die Mandoline haben, mein liebes Pommerle. Ich gehe morgen auf den Boden und sehe nach, ob sie noch brauchbar ist.«

»Wenn du nun schon so gut bist, Tante Glove, dann sei doch noch ein bißchen besser und – geh schon heute auf den Boden. Was meinst du, wie die Ida zappeln würde, wenn ich ihr sage, daß sie erst morgen die Laute kriegt ... Sie könnte vor Freude die ganze Nacht nicht schlafen, und der Onkel Doktor hat doch gemeint, Schlaf ist ihr gut.«

»Ja, dann wird mir wohl nichts anderes übrigbleiben, als sofort hinaufzugehen.«

Pommerle wollte mitlaufen, doch der Bürgermeister hielt das Kind zurück.

»Dich werde ich im kommenden Winter oftmals brauchen, Pommerle, wir haben gar manches Liebeswerk vor uns, und das Winterhilfswerk soll in ganz besonders großem Stil vorgenommen werden. Keiner darf hungern, keiner darf frieren, ein jeder soll zu essen haben und damit nun nicht der eine immerfort etwas Gutes hat, will man einführen, daß man am ersten Sonntag in jedem Monat nur ein ganz bescheidenes Gericht ißt, und daß man jenes Geld, welches dadurch gespart wird, den Armen zukommen läßt. – Ist das nicht etwas sehr Schönes?«

»Und wenn es nun am Sonntag aber gerade Gänsebraten geben sollte?«

»Dann gibt es eben keinen Gänsebraten, sondern nur ein sogenanntes Eintopfgericht, das nur wenige Pfennige kostet. Schluckt man die Erbsensuppe herunter, denkt man mit Freuden an jene, die dadurch nun auch etwas zu essen haben. Ich glaube, daß mein gutes Pommerle sehr gern auf den schönen Gänsebraten verzichten wird, wenn es weiß, daß dann andere nicht zu hungern brauchen.«

»Hunger ist wohl schrecklich? Das hat der Jule mir auch schon gesagt. – Da will ich lieber nur aus einem Topf essen.«

»Wir werden sehr fleißig sammeln müssen, daß recht viel in die Kasse kommt, aus der die Armen gespeist werden,«

»Kann ich dann auch sammeln?«

»Ja, Pommerle, du wirst tüchtig mithelfen, denn dein goldenes Herzchen reißt auch die Lauen mit fort. So prächtige deutsche Mädel können wir heute gut brauchen. Auf der Jugend ruht unsere Hoffnung.«

Die Augen des Kindes strahlten. Noch fühlte es sich dumm und klein, trotzdem erwachte in seinem Herzen die Empfindung, daß es schon im Kindesalter wertvolle Arbeit leisten könne. Es wußte zwar nicht recht, wie alles anzufassen sei, aber die Eltern und die Bekannten würden ihm den Weg zeigen. Schloß sich doch die Jugend immer fester zusammen, und immer öfter ertönte die ernste Aufforderung: Jeder helfe, auch der Jüngste darf nicht zur Seite stehen.

»Wenn ich erst groß und alt bin, Onkel Glove, helfe ich noch toller mit.«

»Wenn du groß und alt geworden bist, mein liebes Pommerle, haben wir die schweren Zeiten, in denen wir heute leben, gewiß längst überwunden. Dann scheint wieder helle Sonne über unserem deutschen Vaterland; doch bis dahin kostet es noch viel Arbeit und Kampf, Mühe und Not. Ihr seid die Hoffnung des Vaterlandes, auf euch bauen wir. Ihr sollt euch den Platz an der Sonne erringen und erkämpfen, das ist eure Pflicht und euer Recht. Daß ihr aber erst tüchtig an euch selbst arbeiten müßt, das vergeht zu keiner Stunde. Wer sich nicht selbst beherrschen kann, der darf auch nicht herrschen, wer nicht selbst arbeiten lernte, ist auch nicht wert, über Arbeitende zu gebieten, und der, der im guten Rock einherspaziert, darf niemals verächtlich auf jene schauen, die geflickte oder zerrissene Kleider haben.«

Die blauen Augen Pommerles blickten ernst auf den Bürgermeister.

»Wenn du hoffst, daß wir, die wir noch klein sind, alles gut und schön machen sollen, dann muß ich immer sehr artig sein.«

»Ja, mein Kind, du mußt dich auch redlich bemühen, deinen Mitschülerinnen mit gutem Beispiel voranzugehen.«

In diesem Augenblick betrat Frau Glove das Zimmer, in der Hand eine Mandoline.

Mit einem Freudenschrei eilte Pommerle auf sie zu, nahm das Instrument und drückte es an sich. »Wie wird sich die Ida freuen! – Kann ich es haben? Ich bringe auch meinen Sonntagsgroschen!«

Es waren für Pommerle noch recht aufregende Minuten, denn erst mußten neue Saiten besorgt werden. Die Kleine mußte also warten. Als dann endlich alles in Ordnung war, konnte Pommerle nicht schnell genug das Haus des Bürgermeisters verlassen.

Die Mandoline in der Hand eilte Pommerle durch die Straßen Hirschbergs, jedem Bekannten erfreut zurufend, daß nun endlich die Ida eine Mandoline bekäme. Mit erhitztem Gesicht kam die Kleine daheim an und rannte in ihrer Freude heftig gegen die Mutter.

»Guck, da habe ich wieder mal was erbettelt! – Mutti, wird sich die Ida freuen!«

Die Ida war allerdings sprachlos vor Glück. Tränen der Freude liefen über ihre Wangen, sie drückte Pommerle an sich. Beschämt sagte sie:

»Soviel Schlimmes habe ich dir angetan, nun schenkst du mir sogar dieses Instrument.«

»Dann flieht alles Böse aus dem Hause, und du wirst auch ein leuchtendes Beispiel. – Weißt du, Ida, man braucht uns nämlich jetzt, uns alle miteinander. Auf uns, die Jugend, warten alle! Und wenn wir erst groß sind, dann ist überall Glück, weil wir es dahin gebracht haben. Aber es klappt eben nur, wenn wir selber sehr gute Menschen werden. Darum mußt du viel Musik machen.«

Von nun an saß Ida mit verklärtem Gesicht im Krankenstuhl und übte auf ihrer Laute. Sabine gab ihr wertvolle Anleitungen, und bald konnte das Kind das erste einfache Volkslied spielen. Jule schlug vor Vergnügen Purzelbäume und wollte durchaus, daß Ida das Lied vom Räuberhauptmann lerne.

»Nein, lieber ein kleines leichtes Wanderliedchen«, meinte Sabine. »Wenn du später mit deinen Freundinnen hinausziehst in Gottes herrliche Natur, die du hier so liebgewonnen hast, geht es mit Musik.«

Und wieder begann das Üben. Es dauerte nicht lange, so saßen die drei vergnügt zusammen, und unter den begleitenden Klängen der Mandoline hörte man die fröhliche Weise:

»Wenn wir schreiten Seit' an Seit',

Und die alten Lieder singen – – –«

In Idas Augen stand eine ganz neue Sehnsucht. Die Natur hatte sich ihren Augen erschlossen, die Musik kam hinzu und gab ihrem Leben einen neuen Inhalt. Wie hell würde es daheim im dunklen Stübchen werden, wenn sie alles erzählte, was sie in den Ferien erlebt hatte, wie froh würde es machen, die kleineren Geschwister zum Guten anzuleiten.

Endlich war es so weit, daß Ida sich wieder frei bewegen konnte. Der Fuß war sehr gut geheilt, und auch die Gehirnerschütterung hatte keine schlimmen Folgen hinterlassen. Während Pommerle einstens den Tag von Idas Abreise ersehnt hatte, tat ihm heute das Herzchen weh, wenn es daran dachte, daß Ida nun bald scheiden mußte.

»Sie muß wiederkommen«, meinte der Jule, »oder ich setze mich auf mein Rad und fahre sie besuchen. Dann muß sie mir etwas vorspielen, denn sie spielt besser als die Sabine.«

Das war freilich nicht der Fall, aber Jule behauptete es.

An einem der letzten Tage vor Idas Abreise führte Pommerle in Begleitung von Sabine die neue Freundin durch die Wiesen, hinaus nach dem kleinen Hause des Harfenkarle.

»Das ist ein ganz alter Mann mit schneeweißem Haare, wohl bald hundert Jahre alt, der spielt auf einer großen Harfe und singt wunderschöne Lieder. Er ist auch ein armer Mann, aber er singt uns davon, daß das gar nicht schlimm ist. Wenn man gesund und wohlgemut ist, hat man das größte Gut. Den mußt du hören, Ida, er hat mich so froh gemacht, mich und auch die Sabine. Wenn du dann später wieder allein sitzest, wirst du immer voller Freude an den Harfenkarle denken. Er weiß auch gewiß ein schönes Lied für dich. – Und dort drüben, siehst du es, das ist sein Haus.«

Seit jenem ersten Besuch, den Pommerle dem Harfenkarle gemacht hatte, war die Kleine öfters mit den Eltern bei dem alten Harfner gewesen. Er empfing auch heute die drei Besucherinnen mit einem freundlichen Lächeln.

»Harfenkarle, ich bringe dir Besuch. Das ist die kleine Ida aus der Kellerwohnung in Breslau. Sie hatte sich das Bein gebrochen und den Kopf zerschlagen, aber nun ist sie wieder gesund, nun fährt sie zurück nach Breslau und möchte gern auch solch schönes Lied von dir hören, daß sie sich noch lange darüber freuen kann. – Harfenkarle, singst du uns eines?«

Der alte Mann, dem das weiße Haar in dünnen Strähnen auf die Schultern fiel, streckte Pommerle die runzlige Rechte hin.

»Da ist ja auch das Fräulein Sabine. – So, und nun setzt euch nieder und erzählt mir etwas.«

»Aber dann spielst du uns eins, nicht wahr, Harfenkarle?«

Sie saßen in dem einfachen Zimmer um den Alten. Ida verlor langsam die Scheu vor dem weißhaarigen Mann. Gar lustig plapperten die Kinder.

»Bist wohl auch solch liebes, freundliches Mädchen wie mein Pommerle?« sagte der Alte und strich Ida über das Haar. Sie wurde rot, blickte auf Pommerle.

»Ja«, meinte Pommerle, »sie ist jetzt sehr gut, aber früher habe ich sie nicht leiden können. Jetzt mag ich sie gar gern.«

»Warum hast du sie denn nicht leiden können, Pommerle?«

»Weil ich böse war, weil ich gelogen habe«, sagte Ida, »weil ich Pommerle alles nahm, sogar den Stein vom Rübezahl.«

Interessiert horchte der Alte auf. Er fragte nach dem Stein, und schuldbewußt berichtete Ida von dem Stein, den sie genommen hatte, um Pommerle zu kränken.

»Es war ja nicht so schlimm«, meinte Pommerle, »es ist doch nur ein oller Stein, der doch nicht zu Gold wird.«

»Ich glaube doch, daß er zu Gold geworden ist, kleines Pommerle«, sagte der Harfenkarle, »den Stein könntest du der Ida schenken, er wird ihr immer eine liebe Erinnerung sein.«

»Ob er wohl zu Gold geworden ist, Harfenkarle? – Ich glaube nicht.«

»Hört einmal zu, Kinder, und paßt recht gut auf, was ich euch jetzt sage. Wäre der Stein nicht gewesen, nach dem die Ida griff, so wäre sie zum Ferienschluß heimgefahren, ohne innere Freude, ohne daß es hell in ihrem Herzen geworden ist. Aber dieser Stein vom Rübezahl hat sie festgehalten in Hirschberg. Und ganz langsam ist in das finstere Herz Idas heller Sonnenschein gefallen, der hat sie froh gemacht, er hat ihr auch die Augen geöffnet und ihr gezeigt, was gut, was böse ist. Sie hat auf dem Krankenlager gelegen und Zeit gehabt, nachzudenken, was man ihr Liebes antat, und sie wird auch gemerkt haben, daß man mit Lügen und Stehlen immer tiefer sinkt. Kein Mensch mag ein schlechtes Kind leiden. Das alles hat die Ida eingesehen, als sie krank war. Der einfache Stein hat all das bewirkt. Versteht ihr nun, daß dieser Stein Goldeswert hat? Auch wenn er sich wirklich nicht in Gold verwandelt? Ist nicht Idas steinernes Herz auch zu Gold geworden? Rübezahls Geschenk ist ihr hineingerutscht und hat sich dort zu Gold verwandelt. – Versteht ihr das?«

Die Kinder hatten aufmerksam gelauscht. Pommerles Augen leuchteten. »Natürlich, lieber, lieber Harfenkarle, das verstehe ich gut. Ja, die Ida hat ein goldenes Herz gekriegt, nun soll sie auch den Rübezahlstein behalten. Wenn du ihn anguckst, Ida, dann denkst du immer daran, daß man mit einem steinernen Herzen nicht herumlaufen darf.«

Ida legte die Hände über die Augen. Tränen rollten ihr über die Bäckchen.

»Ja, in mir ist es in letzter Zeit so hell und auch so froh geworden, alles ist jetzt so anders als früher. Und nun fahre ich auch froh wieder zurück nach Breslau. Ich werde dort lachen, spielen und singen, und die Mutter darf auch nicht mehr traurig sein. Macht das alles das Gold, das ich jetzt in mir habe?«

»Ja, mein kleines Mädchen«, sagte der Harfenkarle gerührt, »von innen heraus kommt alles Gute und Schöne, was die Erde uns schenkt. Man sieht dann alles mit froheren Augen an. Schaut nur immer hoffnungsvoll in die Zukunft, bleibt gute und brave Kinder, wachst heran zu prächtigen Jungfrauen, auf die wir stolz sein dürfen. Ich werde es nicht erleben, daß ein jeder sein Gold im Innern fühlt. Aber das Hoffen habe ich bis in meine alten Tage nicht verlernt. Das ist mein Gold, das ich mir im Herzen gespart habe. Ich habe große Zeiten mit angesehen, bin als junger Bursche hinausgezogen in den Krieg und habe ein freies, starkes Vaterland gehabt. Das sind Erinnerungen, die mir niemand nehmen kann, davon singe ich so gern. Aber auch ihr, die ihr nicht in solch einer glücklichen Zeit heranwachsen dürft, ihr könnt trotzdem mit hellen Augen um euch sehen, denn euch wird der Weg auch wieder aufwärts führen.«

»Harfenkarle«, sagte Pommerle bittend, »sing uns eins, singe etwas recht Schönes, das die Ida mitnehmen kann nach Breslau, damit sie auch ihren kleinen Geschwistern etwas Goldenes bringt.«

»So will ich euch etwas singen, das die Ida auch bald auf ihrer Mandoline spielen kann. Ein Lied, das uns Jungen schon lieb und teuer war, ein Lied, unter dem wir kämpften und siegten, das uns in schweren Tagen erhob. Ein heiliges Lied, ihr Kinder, das ihr in euch ernst verarbeiten müßt. Das Lied stehe über eurem Leben wie ein Leitstern, wie etwas Goldenes, das euch strahlt. Der alte Harfenkarle, der über neunzig Jahre alt ist, gibt es euch mit auf den Weg, und ihr mögt es dermaleinst auch euren Kindern weitergeben.«

Er holte die Harfe aus der Ecke, setzte sich mit andächtiger Miene nieder, und dann griffen die dünnen Finger in die Saiten. Es war ein Lied, das den Kindern nicht neu war, sie hatten es alle schon in der Schule gesungen. Doch heute schienen die Worte eine ganz wundersame Bedeutung zu haben. Stumm und andächtig lauschten alle, als der Harfenkarle mit zitternder Stimme sang:

»Ich hab' mich ergeben mit Herz und mit Hand

Dir, Land voll Lieb und Leben, mein deutsches Vaterland.

Mein Herz ist entglommen, dir treu zugewandt,

Du Land der Frei'n und Frommen,

Du herrlich Hermannsland.

Will halten und glauben an Gott fromm und frei,

Will, Vaterland, dir bleiben auf ewig fest und treu.

Laß Kraft mich erwerben in Herz und in Hand,

Zu leben und zu sterben fürs heilge Vaterland.«

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