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Torshov, Donnerstag, 18.30 Uhr

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Die Musik schlug ihr entgegen, als sie die Wohnungstür öffnete. Bis zum Anschlag aufgedreht. Und kein Mensch zu sehen. Tone steuerte auf die Stereoanlage zu und drehte die Lautstärke herunter. Da tauchte Emma aus dem Bad auf. »Ist es verboten, Musik zu hören?«, fragte sie wütend.

»Es ist wohl kaum nötig, sie so laut zu stellen, dass du die Vögel draußen vertreibst«, sagte Tone und versuchte, ruhig zu bleiben.

Das war Wasser auf Emmas Mühlen. »Was für Vögel? Möwen? In dem Fall wäre es ein gutes Werk.« Sie stand mit nassem Haar in der kleinen Diele. Aus dem Bad dampfte es. »Ich wusste nicht, dass du heute kommst«, sagte sie. »Wolltest du nicht über das Wochenende in Budal bleiben?«

»Ich hatte einen Interviewtermin«, sagte Tone. Als müsste sie sich verteidigen. »Ich habe dir doch auf den Anrufbeantworter gesprochen.«

»Da müssen wir uns missverstanden haben«, sagte Emma und ging ins Wohnzimmer. Nicht dass sie selbst etwas missverstanden hatte. Nein, bestenfalls wurde die Schuld gleich verteilt.

»Ich habe nicht vor, das Wochenende über hier zu bleiben«, sagte Tone, obwohl sie genau das am liebsten getan hätte. Sie war enttäuscht, dass es ihnen so schwer fiel, normal miteinander zu reden. Im Grunde genommen war Emma ein liebes Mädchen. Tone war stolz auf sie. Sie war immer gut zurechtgekommen, in der Schule und mit Freunden. Sozial und in vieler Hinsicht gut geraten. Aber offensichtlich hatte sie es im Moment nicht leicht mit sich. Zu diesem Schluss war Tone gekommen. Nur aus diesem Grund klappte es zurzeit nicht zwischen ihnen.

»Sehr gut, ich erwarte nämlich Besuch«, sagte Emma. Ein wenig milder. Sie trug einen türkisfarbenen Bademantel. Eigentlich war ihr Haar blond wie das der Mutter. Aber seit einiger Zeit färbte sie es dunkel. Dunkelbraun mit roten Strähnen. Ihr Gesicht ist zu blass für so eine Haarfarbe, dachte Tone, war aber klug genug, dazu und zu einigen anderen Dingen ihre Meinung für sich zu behalten.

»Großmutter hat übrigens heute Nachmittag angerufen«, erklärte Emma.

»Wollte sie etwas Bestimmtes?«, fragte Tone. Immer auf der Hut, wenn es um die Eltern ging.

»Ich hatte den Eindruck, dass sie lange nichts mehr von dir gehört hat.«

»So lange ist das nun auch wieder nicht her«, sagte Tone und rechnete nach. Eine Woche. Oder eher zwei. Die Zeit verging so schnell. Seit sie pensioniert waren, waren ihre Eltern erheblich kontaktbedürftiger geworden. Sie nahm das schnurlose Telefon und wählte die Nummer der Eltern in Elverum. Pensionierte Lehrer, alle beide. Der Vater war vierundsiebzig, die Mutter einundsiebzig. Die Mutter nahm ab. Wie gewöhnlich. Die Redseligere der beiden. Sie begann über alles Mögliche zu reden. Über die restliche Familie. Was sie die letzten Tage gemacht hatten. Nach einer Weile folgten die zur Genüge bekannten Themen: dass die Zeit ihnen lang wurde. Dass nur noch Schrott im Fernsehen lief. Dass nur selten jemand vorbeikam. Tone versuchte einzuwenden, dass es doch genug anderes gab, womit man sich beschäftigen konnte. Alles eine Wiederholung früherer Gespräche. Tone versprach, bald vorbeizukommen. Sie mussten Vaters Fünfundsiebzigsten planen, sagte sie. Die Mutter antwortete, dass sie gar nicht so sicher sei, ob er eine Feier wolle. Das Gespräch endete damit, dass Tone sagte, sie müsse sich fertig machen. Sie wolle mit Irene und Liv-Helle, an die die Mutter sich doch bestimmt erinnere, ausgehen.

»Mir schlottern richtig die Knie«, sagte Tone. »Seit ich die Leiche gefunden habe, sind ein paar Dinge passiert, die ich mir nicht erklären kann.« Sie saß zusammen mit ihren Freundinnen Irene Eikeli und Liv-Helle Bardal in einer Kneipe in Tostrup. Nach ihrem Journalistikstudium hatten die drei Kontakt zueinander gehalten. Tone erzählte einen Teil dessen, was sie seit ihrem letzten Gespräch mit Irene erlebt hatte.

»Glaubst du, dass das Auto heute Nachmittag etwas mit dem Mord zu tun hat?«, fragte Liv-Helle skeptisch.

»Es kann auch mit dem Besuch bei Marta Kristiansen zu tun haben«, antwortete Tone. »Oder es ist einfach nur der Beweis, dass ich langsam paranoid werde.«

»Aber die offene Schuppentür und die fremde Restaurantquittung ... Vielleicht war an dem Tag, an dem der Mord in Lillehammer passiert ist, ein Fremder in Budal – oder in der Nacht«, sagte Irene. Sie dachte kurz nach. »Und gestern Abend hat jemand bei dir an die Tür geklopft?«

»Man sollte auch nicht überdramatisieren«, sagte Liv-Helle. »Aber du musst der Polizei alles sagen. Es besteht kein Grund, die Mutige zu spielen. Du kannst bestimmt eine Überfallmeldeanlage oder so etwas bekommen.« Sie klang wie eine Mutter. »Und deine Internetaktivitäten sind sicher auch nicht das Klügste«, fügte sie hinzu.

Der moralische Seitenhieb ärgerte Tone und ließ sie sich albern vorkommen. »Dabei geht es um eine Idee für eine Sendereihe«, sagte sie.

»Ich weiß, dass es damit angefangen hat, aber inzwischen ist doch wohl ein bisschen mehr daraus geworden«, wandte Liv-Helle ein. »Ich weiß nicht, was du damit bezweckst. Vielleicht bist du ja nur auf Sex aus?« Sie hatte es spaßig gemeint, ein Versuch, die Stimmung aufzulockern.

»Nicht eine der vier Verabredungen, die ich bis jetzt hatte, hat mit Sex geendet«, sagte Tone und ging auf den Spaß ein. »Aber einige Briefe sind schon ein bisschen heiß«, fügte sie hinzu.

»Heißt das, du hast mit Briefsex angefangen?«, fragte Liv-Helle trocken.

»Das wäre bestimmt nicht das Dümmste«, sagte Irene. »Jedenfalls ist das Safersex.« Sie lachte über ihren eigenen Kommentar.

»Sich durch das Schreiben und Lesen von Sexgeschichten befriedigen?«, Liv-Helle ließ den Gedanken auf sich wirken. »Na ja, kann mir schließlich egal sein«, sagte sie.

»Aber du hast Recht«, sagte Tone und sah Liv-Helle an. »Es ist nicht ungefährlich. Ich weiß schließlich nichts über die Männer, mit denen ich mich treffe. Fast nichts. Alles, was sie vor oder während der Verabredung erzählen, kann erfunden sein. Wir treffen uns als unbeschriebene Blätter und geben einander die Chance, als ganz andere Persönlichkeiten aufzutreten als die, die wir sind. Håkon Arfoss machte einen sympathischen Eindruck. Wir konnten gut miteinander reden. Aber dann habe ich herausgefunden, dass er vielleicht ein ganz anderer ist. Vielleicht sogar ein Mörder.«

»Und du bist sicher, dass jetzt nicht deine Paranoia mit dir durchgeht«, warf Liv-Helle ein.

»Genau das weiß ich nicht.«

Die dritte Flasche Wein kam auf den Tisch, Irene musste zur Toilette und Tone stellte fest, dass ihr Handy seit dem Besuch bei Marta Kristiansen ausgeschaltet war. Die Polizei in Lillehammer hatte eine Nachricht hinterlassen: »Jon Ruud, Polizei Lillehammer. Ich würde gerne mit Ihnen reden. Können Sie mich anrufen, sobald Sie diese Nachricht bekommen. Es ist Donnerstagnachmittag, zwanzig nach fünf.« Kurz und bündig. Was wollte er von ihr? Aber es war zu spät, um zurückzurufen.

Es war nach eins, als Tone vor der Wohnung in Torshov aus dem Taxi stieg. Sie hielt den Türschlüssel in der rechten Hand bereit. In dem Moment, als das Taxi wieder auf die Straße bog, spürte sie die gleiche Angst wie am Nachmittag. Ein Auto parkte ein Stück weiter auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Die Scheinwerfer waren ausgeschaltet, aber der Motor lief. Die Meter bis zum Hauseingang wurden ihr lang. Folgte ihr jemand? Sie wollte den Schlüssel ins Schloss stecken, aber er passte nicht. Der Schlüssel passte nicht mehr zu der Tür! Das Gefühl, verfolgt zu werden, nahm ihr den Atem. Sie versuchte es noch einmal. Nichts. Sekunden verstrichen. Endlich. Der Schlüssel steckte, sie konnte ihn umdrehen und hineinschlüpfen.

Als sie drinnen hinter der geschlossenen Tür stand und durchatmete, begriff sie, dass niemand sie verfolgt hatte. Der Hinterhof war menschenleer.

In der Wohnung waren fast alle Lampen aus. Emma schlief bestimmt, dachte sie. Auf dem Sofa im Wohnzimmer war ein Bett für sie gemacht. Sie ging zum Fenster und spähte durch einen Schlitz in der Gardine hinaus, sah, wie das Auto gerade anfuhr. Hätte sie sich mit Autos besser ausgekannt, hätte sie vielleicht die Marke erkennen können. Sie musste sich schlau machen, was Automarken anging.

Als Tone unter der Bettdecke lag, starrte sie in den dunklen Raum. War sie jetzt völlig paranoid oder beobachtete sie wirklich jemand?

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