Читать книгу Letztes Blind Date - Norwegen-Krimi - Magnhild Bruheim - Страница 8

Budal Mesnali, Dienstag, 23.55 Uhr

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Der Kiesweg war von gelbem, nassem Laub bedeckt. Tone bat den Fahrer, sie bis vor die Tür zu fahren, und bezahlte teuer für die lange Fahrt. Bis er wieder auf der Hauptstraße war, hatte sie aufgeschlossen und war im Haus.

Das grüne Lämpchen des Anrufbeantworters blinkte nervös im Halbdunkel. Sie warf ihre Tasche auf den Boden und hängte ihre Jacke über einen Küchenstuhl. Nachdem sie zwanzig Minuten auf ein Taxi gewartet hatte, war sie völlig durchgeweicht. Dann ging sie zum Anrufbeantworter und drückte die Wiedergabetaste.

Die Stimme, die aus dem Anrufbeantworter kam, klang hektisch: »Marta Kristiansen hier ... Ich möchte die Verabredung absagen. Es passt mir doch nicht so gut. Es ist mir einfach zu heikel.« Es folgte eine Pause. Dann beendete sie das Gespräch mit: »Ja, das wollte ich Ihnen nur sagen ... Tschüss.«

Tone wartete auf die nächste Mitteilung. Es kam nichts, der Anrufer hatte einfach aufgelegt. Dann folgte ein weiterer anonymer Anruf. Und das war alles. Das Band spulte zurück. Hatte Marta Kristiansen noch einmal versucht, sie zu erreichen? Tone sah auf das Display des ISDN-Telefons im Arbeitszimmer. Der letzte Anruf war von einem unbekannten Teilnehmer. Genau wie die beiden Anrufe davor. Vielleicht hatte Marta sie ursprünglich anrufen wollen, um zu reden. Tone spielte die Mitteilung noch einmal ab. Täuschte sie sich oder hörte sich die Frau wirklich ein wenig ängstlich an? Auf jeden Fall war es zu spät, um zurückzurufen.

Marta Kristiansen. Sie war eine der Frauen, mit denen sie sich im Rahmen einer neuen Dokumentarreihe verabredet hatte. Sie wollte die Eltern oder andere Angehörige von Mördern interviewen. Der vorläufige Titel der Sendereihe war inspiriert von der einzigen Person, mit der sie bisher gesprochen hatte: ›Ist es meine Schuld?‹, fragt sich die Mutter eines Mörders. Tone hatte ungefähr zwanzig Personen angeschrieben. Zwölf hatten geantwortet und sieben sich zu einem Interview bereit erklärt. Menschen, die bereit waren, darüber zu sprechen, wie sie es erlebten, dass ihr Sohn oder ihre Tochter zum Mörder oder zur Mörderin geworden war. Wie sie den Gedanken aushielten, einem Menschen das Leben geschenkt zu haben, der einen anderen umgebracht hatte.

Jetzt wollte eine der Mütter einen Rückzieher machen. Das konnte sie nicht zulassen. Ich muss sie morgen früh anrufen und überreden, dachte Tone. Sie hatte ja schon zugesagt, deshalb dürfte es nicht so schwierig sein. Oder Tone könnte so tun, als hätte sie die Nachricht gar nicht bekommen, und Frau Kristiansen zum vereinbarten Termin aufsuchen.

Die Notizen zu der Reihe lagen in einer Mappe auf dem Schreibtisch. Auf einem gelben Merkzettel stand, dass Tone sich für Donnerstagnachmittag mit Marta Kristiansen in Tøyen verabredet hatte. Ihr Sohn war wegen Mordes an seiner Ehefrau verurteilt worden. Er hatte sie mit einem Messer erstochen. Das Motiv: Eifersucht. Der Mord war vor gut neun Jahren geschehen. Und der Mann zu dreizehn Jahren Gefängnis ohne Bewährung verurteilt worden. Soweit Tone wusste, konnte er inzwischen wieder draußen sein. Bei dem Gedanken machte ihr Herz einen Satz. Sie drehte eine schnelle Runde durch das Zimmer und zog alle Vorhänge zu. Sie waren dick und versperrten den Blick ins Haus.

Sie wollte nichts mehr lesen. Für heute war ihr Bedarf an Todesfällen gedeckt. Die Frau im Wald war bestimmt ermordet worden. Håkon Arfoss’ Bild tauchte vor ihrem inneren Auge auf.

Wen konnte sie so spät noch anrufen? Sie entschied sich für Irene Eikeli, die auch allein lebte.

Das Telefon schellte lange, bevor eine verschlafene Stimme antwortete. Tone entschuldigte sich vielmals und erklärte, dass sie einfach mit jemandem reden müsse. »Ich habe einen schrecklichen Tag hinter mir«, begann sie. Dann strömten die Worte aus ihr heraus, sie redete mehrere Minuten ohne Unterbrechung. Über den Fund der Leiche, den Mord, die Verabredung. Die Freundin am anderen Ende wurde allmählich wach und bat um Details. Doch als Tone ihren Verdacht äußerte, mit dem Mörder zu Abend gegessen zu haben, schlug Irene ihr vor, sich vielleicht doch erst einmal auszuruhen. Es konnte der Schock sein, der sie die Eindrücke durcheinander bringen ließ, sagte sie. Tone hatte da ihre Zweifel.

»Bist du sicher, dass es richtig ist, jetzt alleine zu sein?«, fragte Irene.

»Und mit wem sollte ich zusammen sein?«

»Du hast doch bestimmt Freunde in Lillehammer.«

»Aber niemanden, der mitten in der Nacht hierher kommen kann.«

»Sicher.« Die Freundin kam mit weiteren wohlmeinenden Worten und guten Ratschlägen und war klug genug, ihr nicht vorzuschlagen, das Gespräch zu beenden. Es war Tone, die sich nach einer Stunde hilfreichen Telefonierens verabschiedete. Da hatte sie sich leer geredet und beide gähnten nach jedem zweiten Satz. Die Uhr zeigte halb zwei. In fünfeinhalb Stunden würde das Telefon sie wecken.

Ganz richtig. Das Telefon weckte sie. Aber nicht um sieben Uhr morgens, sondern um halb drei in der Nacht, wie ihr die roten Zahlen des Radioweckers anzeigten. Tone musste gerade eingeschlafen sein. Das Telefon fiel beinahe auf den Boden, als sie nach dem Hörer tastete und sich mit ihrem Namen meldete. Am anderen Ende war es still. »Wer ist da?«, fragte sie. Sie hörte jemanden atmen, dann wurde aufgelegt. Der Apparat im Schlafzimmer hatte kein Display, sodass sie nicht sehen konnte, von welcher Nummer aus angerufen worden war. Hatte sich jemand verwählt? Dann hätte er sich zumindest entschuldigen können. Sie dachte an die beiden anderen anonymen Anrufe. Konnte das Marta Kristiansen sein, die erneut versuchte, Kontakt zu ihr aufzunehmen? In dem Fall musste sie total verzweifelt sein. Tone dachte an die Männer, die sie im Internet kennen gelernt hatte, aber sie wusste nicht mehr über sie, als sie ihr erzählt hatten. War ein Verrückter unter ihnen? Einer, der ihr Angst einjagen oder sie auf diese Weise terrorisieren wollte? Håkon Arfoss? Was für ein Mann war er?

An Schlafen war nicht mehr zu denken. Die Nacht draußen war schwarz und aufdringlich. Das Schlafzimmer lag glücklicherweise im Obergeschoss, sodass der Gedanke, dass jemand draußen vor dem Fenster stehen könnte, gar nicht erst aufkam. Ohne das Licht im Schlafzimmer anzumachen, ging sie ins Bad und holte sich ein Glas Wasser.

Fröstelnd lag sie in ihrem Bett und rührte sich nicht. Der leuchtende rote Digitalanzeiger zeigte das Fortschreiten der Nacht an. Sie versuchte, an Ideen für neue Sendereihen zu denken. Doch die Wirklichkeit drängte sich brutal in ihr Bewusstsein. Der Telefonanruf. Die Leiche im Wald. Der rote Fleck am Hinterkopf. Ein Mörder, der frei herumlief. Arfoss, der im Wald gewesen war.

Die Dokumentarreihe schob sich wieder in den Vordergrund. Nach dem ersten Interview hatte sie große Erwartungen in sie gesetzt. Lief der Rest ebenso gut, hatte sie Stoff für mehr. Für ein Buch. Sie hatte bereits einen Verlag angeschrieben und die Idee unterbreitet. Aber vielleicht war es doch nicht so einfach. Eine der Quellen, in die sie die größten Hoffnungen gesetzt hatte, machte einen Rückzieher. Warum hatte Marta Kristiansen sich anders entschieden?

Letztes Blind Date - Norwegen-Krimi

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