Читать книгу Tausche Pumps für ein Stück Himmel - Maja Christ - Страница 7
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ОглавлениеIn den letzten Wochen hatten die Termine sich aneinander gereiht. Aber jetzt hatten die Kinder sechs Wochen Schulferien und damit würde es ruhiger werden. Bis zum Urlaub der Eltern dauerte es allerdings noch. Wieso konnte man nicht einfach auch immer dann Urlaub haben, wenn die Kinder Ferien hatten? Immerhin war nun Wochenende.
Am Freitagnachmittag hatte Kerstin sich Leon und Nele geschnappt und war mit ihnen zum Einkaufen gefahren. Irgendwie hatte sie es geschafft, dass Jonas in der Zeit einmal mit dem Staubsauger durch die Zimmer geflitzt war. Wenn man genau hinsah, merkte man zwar, dass er es mit der Gründlichkeit nicht so genau genommen hatte und abends hatte Kerstin etliche Legosteine von Leon aus dem Beutel retten müssen. Aber sie war ihrem »Großen« dankbar, dass er diese Aufgabe übernommen hatte.
Martin war über das Wochenende dienstlich in der Schweiz. Er war am Freitag mit seinen Kollegen direkt von Nürnberg aufgebrochen und würde erst am Sonntag wiederkommen.
Der Rest der Familie saß jetzt beim ausgedehnten Wochenend-Frühstück. Sogar Nele hatte ein Brötchen gegessen.
»Hast du meine schwarze Leggins noch gewaschen, Mama?«, fragte sie kauend.
»Ich habe sie sogar getrocknet. Sie liegt auf deiner Sporttasche. Eine Brotdose habe ich dir auch dazu gelegt«, antwortete Kerstin.
»Ach, Mama, brauche ich doch nicht. Auf dem Sportplatz gibt es immer was. Gibst du mir lieber 10 Euro?«
Kerstin seufzte. Nele hatte heute einen Wettkampf. Zum Glück war es nicht so heiß. »Creme dich bitte gut ein und nimm deinen Sonnenhut mit.«
Nele verdrehte die Augen: »Ach, Mama!«
»Nix da, ohne Sonnencreme kommt mir heute niemand aus dem Haus!«
Es klingelte an der Tür. Leon und Nele sprangen beide auf und wären fast zusammengestoßen, weil jeder von ihnen versuchte, als erster an der Tür zu sein.
»Das ist Judith!«, rief Leon.
»Nee, das ist Marie! Ciao, Mama!« Nele drückte ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange, schnappte sich ihre Sporttasche und flitzte aus der Tür.
Kerstin rief hinterher: »Nele, Sonnenschutz!«
Maries Vater tauchte in der Tür auf, begrüßte die restliche Familie und lachte: »Moin, Kerstin. Keine Sorge, wir haben alles dabei. Wir sorgen schon dafür, dass sich die Mädels eincremen und genügend Schatten und Wasser bekommen. Wann sollen wir Nele zurückbringen?«
»Hallo, Karsten. Meine Schwester kommt gleich, wir wollen zum Klettern und kommen sicher erst heute Abend zurück. Aber Nele hat ja einen Schlüssel.«
Da kam Nele noch einmal zurückgeschossen. »Mama, kann ich bei Marie übernachten? Bittebittebitte.«
Kerstin sah Maries Vater fragend an, aber der nickte sofort: »Also, unseretwegen gerne. Was meinst Du, Kerstin? Wenn deine Schwester zu Besuch ist?«
»Passt schon, Judith bleibt die ganze Woche. Also«, wandte sie sich an ihre Tochter, »dann brauchst du aber noch Zahnputzsachen, Schlafanzug und frische Unterwäsche.«
Nele flitzte nach oben, um ihre Sachen zusammenzusuchen. Diesmal wäre sie fast mit Judith zusammengestoßen, die gerade ebenfalls zur Tür hereinkam.
»Ja hallo, so viele Leute! Und ich dachte, wir sind heute mit der kleinen Mannschaft am Fels?«, lachte sie in die Runde. Sie begrüßte Maries Vater, Kerstin und die Jungs, die noch am Frühstückstisch saßen.
»Nele wird gerade abgeholt und bleibt über Nacht bei ihrer Freundin. Wir bleiben bei der kleinen Mannschaft«, erwiderte Kerstin. »Wie war die Fahrt? Noch einen Kaffee, bevor wir uns auch auf den Weg machen?«
Judith strahlte: »Du weiß genau, wie du mich glücklich machen kannst!«
Kerstin ging in die Küche, um eine zweite Tasse zu holen. Sie hörte gerade noch, wie ihre Tochter den Cousin mit einem »Hallo-Luis-und-tschüss« begrüßte.
»Ciao, Nele, viel Erfolg und vor allem: viel Spaß!« rief Kerstin, aber sie war nicht sicher, ob Nele es noch gehört hatte – so schnell, wie sie im Auto bei der Freundin saß. »Mach’s gut, Karsten, bis morgen dann. Oder willst du auch noch einen Kaffee?«
Karsten wehrte ab: »Nein, danke, die Mädels wollen los, die sollte ich nicht warten lassen. Und am Sportplatz gibt es immer genug. Viel Spaß beim Klettern. Wo geht es für euch hin?«
Judith und Kerstin sahen sich an. »Spies?«
»Ja, da in der Hohen Reute habe ich noch ein Projekt offen. Das wird heute hoffentlich geknackt!«, sagte Judith.
»Na dann, euch auch viel Erfolg! Bis morgen«, verabschiedete Karsten sich.
Judith nahm dankbar den Kaffee entgegen, trank einen Schluck und fragte: »Wollen wir dann auch gleich los? Von der Fahrt ausruhen kann ich mich bei dir im Auto oder am Fels, wenn du erst einmal die Jungs sicherst. Gepackt habt ihr schon?«
Kerstin nickte: »Klettersachen, Proviant, alles schon im Bulli. Ich muss nur noch meine Kamera einpacken. Da oben kann man immer tolle Bilder machen. Vielleicht ergibt sich ja ein schönes Motiv von den Kindern – oder von dir, wenn du an der Schlüsselstelle scheiterst und den Abflug machst.«
»Hey, das ist gemein. Außerdem kannst du mich dann zum Glück gar nicht fotografieren, weil du nämlich sichern musst!«, lachte Judith. »Willst du wieder ein Bild bei irgendeinem Hobbyfotografen-Wettbewerb einreichen?«
»Ja, warum nicht? Da gibt es gerade einen Wettbewerb von einem der lokalen Sportartikelhersteller. Es gibt verschiedene Ausrüstungsgutscheine zu gewinnen. So etwas kann ich immer gebrauchen.«
Kerstin fotografierte gerne und nahm seit einigen Jahren regelmäßig an verschiedenen Fotowettbewerben teil. Zweimal hatte eines ihrer Bilder schon den dritten oder vierten Platz belegt – einmal bei dem Wettbewerb eines Herstellers für Sport- und Outdoor-Bekleidung, ein andermal bei einer Zeitschrift für Fotografie. Wenn es sich ergab, dass eines ihrer Fotos thematisch passte und sie das Gefühl hatte, dass es gelungen war, warum sollte sie es dann nicht einreichen?
Als sie am Fels ankamen, spannten sie sich zunächst wie immer eine Hängematte zwischen die Bäume. Leon und Luis wollten als erste hineinspringen, aber Jonas kam ihnen zuvor, legte sich quer in die Matte und schloss den Stoff über sich.
»Ey! Mammmaaa!«, riefen Leon und Luis gleichzeitig. »Jonas lässt uns nicht in die Hängematte!«
Jonas grinste, aber nur kurz, dann lag er auch schon auf dem Boden. Sein Bruder und der Cousin hatten gemeinsam die Hängematte herumgedreht, sodass er kopfüber hing und herausfiel. »Ey, ihr Ärsche!«, schimpfte er, während Leon und Luis sich angrinsten und abklatschten.
Die Schwestern sahen sich an, rollten die Augen und schüttelten die Köpfe. Zu den Kindern gewannt zischte Kerstin: »Hört sofort auf, euch zu kabbeln! Und vor allem, hier so herumzuschreien!« Sie konnte es überhaupt nicht leiden, wenn ihre Kinder im Wald so laut wurden und sich gleich streiten mussten.
Jonas rappelte sich schimpfend auf und wollte nun seinerseits die beiden Störenfriede auf den Boden drehen. Die zwei waren schnell in die Hängematte gekrabbelt und streckten ihm nun die Zungen heraus.
Judith ging dazwischen: »Komm, Jonas, lass die beiden, du darfst die erste Route einhängen, wenn du willst.«
Das ließ Jonas sich nicht zweimal sagen. Er kletterte beinahe so lange wie er laufen konnte. »Wo? Da?«, fragte er.
Kerstin nickte: »Die ist doch genau richtig zum Warmwerden.«
Also schlüpften Jonas, Kerstin und Judith in ihre Klettergurte. Jonas zog seine Kletterschuhe an, sammelte sein Material zusammen und band das Ende des Kletterseils an seinem Gurt fest. Kerstin sicherte ihn.
»Fertig?«, fragte sie. »Dann mal los.«
Jonas kletterte in einem Affenzahn die Wand hoch. Nacheinander kletterten die drei eine Route nach der anderen, bis Judith sagte: »Ich bin warm. Einen Schluck Wasser und dann mache ich mich an mein Projekt.«
Das »Projekt« war eine Route, bei der Judith seit zwei Jahren ständig an der gleichen Stelle scheiterte. »Die mag mich einfach nicht!«, schimpfte sie immer wieder.
Kerstin wusste genau, dass sie die Route gar nicht erst ausprobieren musste. »Also, ich brauch das heute nicht. Ich bin nicht mehr so masochistisch veranlagt wie früher, und so etwas komme ich sowieso nicht mehr hoch, ohne ewig zu üben«, sagte sie lachend.
Judith kämpfte sich langsam, aber sicher bis zu ihrer Schlüsselstelle vor. Sie war die Route schon ein paar Mal geklettert, aber nie am Stück. Immer wieder war sie an der gleichen Stelle abgefallen, weil sie den kleinen Griff nicht hatte halten können. Kerstin schaute nach oben, ihr tat schon der Nacken weh. Judith hatte gerade die letzte Sicherung vor dem schweren Stück gesetzt, biss nun die Zähne zusammen und kämpfte sich weiter.
»Judith, du schaffst das. Prima. Jetzt nicht zögern. Komm!«, feuerte Kerstin ihre Schwester an. Am liebsten hätte sie noch gerufen, Judith höre sich so an, als läge sie in den Presswehen, aber dann hätte die Schwester sicher anfangen müssen zu lachen und wäre erst recht abgerutscht. Diesmal schien sie es tatsächlich zu schaffen.
»Klinken nicht vergessen!«, rief Kerstin.
Aber Judith ignorierte sie, überkletterte den Haken und sicherte ihr Seil erst wieder im nächsten Haken. Kerstin schüttelte den Kopf. Wäre die Schwester vor dem Klinken des Seils gefallen, wäre es ein weiter Flug geworden. Wahrscheinlich nicht bis auf den Boden, aber klug war das nicht gewesen. Doch nun klinkte sie tatsächlich ihr Seil durch den letzten Karabiner und ließ ein Tarzan-Geheul durch den Wald schallen. Einige andere Kletterer schauten amüsiert zu Judith.
Wieder am Boden, ließ Judith sich, ohne das Seil vom Gurt zu knoten, in die freie Hängematte fallen und begutachtete ihre geschundenen Finger. Und dann musste sie sich von Kerstin gleich einige Vorwürfe wegen der ausgelassenen Sicherung anhören.
»Ist doch nichts passiert. Es wäre viel gefährlicher gewesen, wenn ich versucht hätte, da noch zu klinken«, versuchte sie, sich zu verteidigen. Aber sie wusste auch, dass ihre Schwester recht hatte.
»Na ja, ist ja gut gegangen. Jetzt hast du das geschafft und liegst mir die nächsten Jahre immerhin nicht mehr mit dieser Route in den Ohren«, sagte Kerstin versöhnlich. »Wenn du dich ausgeruht hast, kannst du mich in der Route da drüben sichern. Wenn eines der Kinder noch Lust hat, kann es den Pfeiler klettern, dann kann ich vielleicht auch noch ein paar Fotos schießen.«
Erst einmal war Judith jedoch nicht dazu zu bewegen, die Hängematte wieder zu verlassen. Während sie die jungen Männer beobachtete, die in einer der Nachbarroute die Wand hoch tanzten, sicherte Kerstin abwechselnd Söhne und Neffen in den leichteren Touren.
Nach einer Weile kämpfte Judith sich wieder aus der Hängematte und bot an, Kerstin zu sichern. Die kletterte ihre Route – zusammen mit ihrer Kamera, seilte sich dann ein Stück ab und sicherte sich an einem Haken.
Judith ließ in der Zeit wieder die Jungs klettern, während Kerstin in der Wand hängend ein paar Fotos schoss. Hinter Leon, der gerade abgeseilt wurde, türmten sich wunderschöne Wattewolken auf.
»Halt mal!«, rief Kerstin. Erschrocken schaute Judith hoch, verstand dann aber, dass Kerstin nur eine Idee für ein Motiv hatte.
»Leon, streck mal die Beine gegen den Fels und lehn dich zurück. Und dann halt die Hand nach vorne – mit der Handfläche nach oben. Ein bisschen höher, etwas weiter rechts, tiefer, ja, genauso!«
Leon sah seine Mutter irritiert an, tat dann aber das, was sie gesagt hatte.
»Und jetzt puste mal doll, so wie bei Kerzen auf dem Geburtstagskuchen!«
Judith, Jonas und Luis schauten interessiert nach oben, konnten sich aber zunächst keinen Reim darauf machen, was gerade in Kerstins Kopf vor sich ging. Die hatte inzwischen entdeckt, dass hinter Leon ein Segelflugzeug von einem Motorflugzeug in die Lüfte geschleppt wurde, nun mit reichlich Höhe ausgeklinkt hatte und Kunstflugmanöver flog. Also ließ Kerstin ihren Sohn noch weitere Handbewegungen machen und kommandierte ihn solange herum, bis er seine Hände so platziert hatte, dass es aussah, als würde er mit einem Miniaturflugzeug spielen.
»So, vielen Dank, da ist bestimmt was dabei. Jetzt kannst du runter, wenn du willst.«
»Na, danke«, rief Judith nach oben. »Ich dachte schon, ihr braucht mich nicht mehr. Ich wollte gerade das Seil am Baum festbinden und mich in die Hängematte hauen.«
Als Leon und Kerstin wieder am Boden waren, wurde das Mysterium aufgeklärt.
»Da hinten flog ein Segelflugzeug Loopings. Das hat Leon gerade balanciert, am Flügel gehalten oder weggepustet. Je nachdem, ob die Bilder tatsächlich so geworden sind, wie ich mir das vorgestellt hatte«, erklärte Kerstin und zeigte die Bilder am Display der Kamera.
»Man sieht das Flugzeug kaum!«, maulte Leon, dem das Ganze viel zu lange gedauert hatte.
»Musste rein zoomen«, meinte Jonas. »Wow, das ist echt geil geworden, Mama!«
»Mal sehen, wie es später am Computer aussieht«, sagte Kerstin. »Also, ich bin durch, was ist mit euch? Sollen wir uns einen Platz zum Picknicken suchen?«
Sie packten ihre Sachen zusammen, verstauten alles im Auto und machten sich auf den Weg.