Читать книгу Tausche Pumps für ein Stück Himmel - Maja Christ - Страница 8

4

Оглавление

Kerstin fuhr nicht über die Autobahn zurück nach Erlangen, sondern mitten durch die Fränkische Schweiz. Judith hielt Ausschau nach einem gemütlichen Platz für eine Essenspause.

»Guck mal«, rief Leon plötzlich. »Da sind noch viel mehr Flugzeuge in der Luft, die fliegen in einer Reihe.«

Alle guckten aus dem Fenster, sogar Kerstin spickte kurz in die Luft, obwohl sie sich auf die enge Straße konzentrieren musste.

»Die landen da hinten!«, rief Luis. »Da ist ein Flughafen!«

»Stimmt, da gibt es einen Flugplatz«, sagte Kerstin.

»Und wenn ich das Schild richtig interpretiere, an dem wir eben vorbeigefahren sind, ist heute ein Fliegerfest oder Flugtag oder so«, meinte Judith. »Das wäre doch was, oder? Da gibt es sicher Kaffee und Kuchen und Wurst. Ich sterbe für eine Wurst und ein kühles Bier!«

Ihr Vorschlag fand allgemeine Zustimmung und Kerstin bog auf die Straße zum Flugplatz ab. Bald hatten sie einen Parkplatz gefunden. Ausgerüstet mit Sonnenhüten und Kamera machten sie sich auf den Weg zum Platz. Hier waren sie nicht geschützt wie im Wald und merkten schnell, dass die Julisonne ihrem Namen alle Ehre machte.

Am Flugplatz waren bereits viele Zuschauer unterwegs. Am Rand des Platzes hinter einer Absperrung standen verschiedene Flugzeuge, mit und ohne Motor, moderne und fast schon historisch anmutende Maschinen. Kinder warfen jauchzend kleine Flugzeugmodelle aus Schaumstoff durch die Luft.

Luis und Leon riefen wie aus einem Mund: »So einen wollen wir auch haben! Wo gibt’s die denn?«, und rannten los.

Kerstin und Judith versuchten erst einmal, sich einen Überblick zu verschaffen. Sie ergatterten einen Platz mit Schatten und Kerstin zog los, um für alle etwas zum Essen und Trinken zu organisieren.

Nachdem Kerstin die Kinder wieder eingesammelt hatte und sich alle mit Würsten, Pommes frites und Schorle und Judith mit einem Radler gestärkt hatten, machten sie sich auf den Weg, die Flugzeuge genauer anzusehen.

»Können wir da rein?«, riefen Luis und Leon.

»Mal sehen, fragen wir doch einfach«, erwiderte Judith. Sie winkte einem der Piloten hinter der Absperrung. Hinter dem startete gerade wieder ein Segelflugzeug hinter einem Motorflugzeug.

Kerstin erklärte den Kindern, dass es sich dabei um einen Flugzeugschlepp handelte: »Das Segelflugzeug hat keinen Motor. Es gibt zwar auch Motorsegler, aber das hier benötigt Hilfe, um in die Luft zu kommen. Entweder wird es von einer Winde hochgezogen, die steht da hinten am anderen Ende des Platzes. Oder, wenn der Pilot höher möchte, kann auch ein Motorflugzeug das Segelflugzeug an einem Seil hochziehen. Wenn der Segler hoch genug ist, klinkt er das Seil aus und das Motorflugzeug landet wieder. Heute wollen die sicher eine gute Höhe bekommen, weil sie Kunstflug machen.«

Tatsächlich vollführte das Segelflugzeug nach dem Ausklinken einige Loopings, schoss kerzengerade in die Luft, blieb fast stehen und kippte dann über den Flügel nach links ab und raste nun Richtung Boden. Die Zuschauer riefen »Ah« und »Oh« und klatschen.

Das Motorflugzeug war wieder gelandet, an die Seite gerollt und der Pilot ließ eine Familie für einen Rundflug einsteigen. Dann schoss das Segelflugzeug auf die Landebahn zu.

»Guck, der landet schon wieder!«, rief Luis.

»Nee, der ist noch viel zu schnell. Außerdem fliegt er mit dem Wind. Pass mal auf, was der jetzt macht«, sagte Kerstin.

In der Tat: Das Flugzeug raste in geringer Höhe über die Landebahn, stieg wieder ein Stück, machte eine elegante Kehrtwende und landete kurze Zeit später gegen den Wind.

Judith hatte inzwischen mit einem der Piloten gesprochen und winkte nun die Kinder zu sich. »Alles klar, ihr könnt zwar heute nicht mehr mitfliegen, weil es eine sehr lange Warteschlange gibt. Aber in diesen Oldtimer hier könnt ihr euch nacheinander mal reinsetzen.«

»Aber vorsichtig, wartet auf mich. Einer nach dem anderen, die Lady ist schon etwas in die Jahre gekommen«, lachte der Mann den Kindern zu, als er sah wie sie sofort zum Flugzeug sprinteten.

Judith sah ihre Schwester an und grinste. Die trottete langsam hinter ihnen her und schaute zu, wie der Pilot alle Fragen der Kinder geduldig beantwortete.

»Unsere Mutter ist auch mal geflogen«, erklärte Jonas. »Aber Segelflugzeuge. Ganz früher, so vor 100 Jahren.«

»Hey!«, lachte Kerstin. »So alt bin nun auch wieder nicht!«

Der Pilot schaute Kerstin interessiert an: »Ach, eine Segelfliegerin? Wie schön. Und wieso jetzt nicht mehr?«

Kerstin überlegte. Wieso eigentlich nicht? Warum hatte sie nicht irgendwann wieder angefangen? »Ach, ich hatte einfach keine Zeit mehr dafür«, antwortete sie.

»Ja, ja, die Zeit. Deshalb fliege ich ja auch die alte Lady hier. Die kostet zwar auch viel Zeit für Reparaturen, aber dafür kann ich mir das selbst einteilen.«

***

»Vermisst du das Fliegen?« Judith sah Kerstin fragend an. Die beiden Schwestern hatten es sich auf Kerstins Terrasse gemütlich gemacht. Es wurde langsam dunkel und Kerstin hatte ein paar Kerzen angezündet. Die Flammen tanzten sanft im Abendwind.

Gerade hatten sie sich noch am Computer Kerstin Fotos angesehen. Sie hatte viel Glück mit dem Licht gehabt und es waren einige sehr schöne Aufnahmen dabei. Daraus sollte sich etwas machen lassen. Nun lagen Leon und Luis friedlich schlafend in ihren Betten. Der Tag im Wald, klettern, Flugzeuge – sie waren vollkommen erledigt gewesen. Bei Jonas brannte noch Licht. Er las oder chattete mit seinen Freunden.

Auf der Rückfahrt war Kerstin ungewöhnlich still gewesen. Das war Judith sofort aufgefallen. Nun nahm sie einen Schluck von ihrem Bier und fügte hinzu: »Du hast seit heute Nachmittag so einen verklärten Blick.«

Kerstin überlegte, was sie antworten sollte. Tatsächlich hatte sie seit dem Nachmittag viel an ihre Jugend gedacht. An die Tage auf dem Flugplatz, die Abende am Lagerfeuer hinterm Clubheim, die Jungs. Im Sommer hatten sie ein paar Mal die Flugzeuge und die Winde nicht in den Hangar gebracht, sondern stattdessen alles draußen stehen lassen und unter den Tragflächen ihre Schlafsäcke ausgerollt. Dann waren sie ganz früh morgens mit der aufgehenden Sonne gestartet, um den Tag zu begrüßen. Es war eine schöne, unbeschwerte Zeit gewesen. Und sie hatte viel zu kurz angedauert. Sie vermisste ja nicht direkt ihre Jugend. Sie war zufrieden, wie es jetzt war. Meistens. Jedenfalls machte es ihr nichts aus, inzwischen keine 20 oder 30 mehr zu sein. Alt fühlte sie sich noch nicht. Nur manchmal unglaublich müde.

Kerstin nippte an ihrem Wein und antwortete endlich auf die Frage ihrer Schwester: »Ach, vielleicht manchmal. Es war toll damals. Aber sieh es mal realistisch: Segelfliegen ist ein Gemeinschaftssport. Man muss am Wochenende morgens mit dem Öffnen der Hallentore da sein. Bis abends, wenn die Flieger gewaschen wieder in der Halle stehen. Windendienst, Startleiterdienst, Seile zurückholen. Und im Winter Arbeitsstunden. Wie hätte ich das denn in den letzten Jahren schaffen sollen? Ich bin schließlich keine Lehrerin und habe ständig frei«, fügte sie mit einem Augenzwinkern hinzu.

»Vorsicht!«, konterte die Schwester. »Lehrer haben es auch nicht leicht!«

Ja, Judith hatte es wirklich nicht leicht. Sie war Lehrerin mit Herzblut, saß oft abends noch lange am Schreibtisch und entwarf neue, spannende Unterrichtsstunden für ihre Schüler. Und sie war alleinerziehend.

»Ich wollte dich nicht verletzen«, entschuldigte Kerstin sich sofort. »Aber du weißt, was ich meine. Segelfliegen ist vielleicht nicht so teuer, wie man denken könnte. Aber wenn man es im Verein macht – wo es am meisten Spaß macht – braucht man Zeit. Ich wüsste nicht, woher ich die in den letzten Jahren hätte nehmen können. Und Martin dürfte wahrscheinlich gar nicht selbst fliegen mit seiner Sehschwäche. Was sollte ich denn mit einem Hobby, das ich nicht mit meinem Mann teilen kann?«

Judith nickte. Kerstin und Martin waren schon ein tolles Paar. Sie hatten drei aufgeweckte Kinder, seit fast sechs Jahren ein eigenes Haus, gute Jobs und sogar gemeinsame Hobbys.

»Vermisst du Manolo eigentlich noch sehr?«, fragte Kerstin plötzlich. Manolo war der Vater von Luis und Judiths Lebensgefährte gewesen. Der Spanier war bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als Luis drei Jahre alt gewesen war. Luis war ihm inzwischen wie aus dem Gesicht geschnitten. Seit Manolos Tod tat Judith sich schwer mit neuen Partnern. Kerstin vermutete, dass sie Angst davor hatte, noch einmal einen geliebten Menschen zu verlieren.

Judith schaute sie erstaunt an. Mit der Frage hatte sie nicht gerechnet. »Na ja, schon. Es tut nicht mehr so weh, dass er nicht mehr da ist, aber ja: Ich vermisse ihn ziemlich.« Sie schwieg und drehte nachdenklich ihre Flasche in der Hand hin und her. »Und wie geht es mit Martin? Seid ihr glücklich?«, wechselte sie das Thema.

»Was für eine Frage. Klar sind wir glücklich.« Nach einer Pause fügte Kerstin allerdings hinzu: »Trotzdem habe ich manchmal das Gefühl, dass irgendetwas fehlt.«

»Hm«, machte Judith. »Und im Bett? Wie ist das nach so vielen Jahren?«, wollte sie dann wissen.

Kerstin gab ihrer Schwester einen Stups. »Also, wirklich, Schwesterherz! Mach dir da mal keine Sorgen.« Sie nippte an ihrem Wein und überlegte einen Moment, ehe sie weitersprach. »Weißt du … Einerseits ist es schön, wenn man genau weiß, was der andere mag und nicht mag. Jeden Wunsch von den Augen ablesen kann, weil man sich so gut kennt. Andererseits vermisse ich manchmal dieses Kribbeln vom Anfang. Wenn du das Gefühl hast, dass dir Brausepulver durch die Adern fließt, nur weil du kurz an den anderen gedacht hast.«

»Du meinst, wie bei Ina Deter?«, entgegnete Judith. »Ja, das kenne ich. Dunkel …«

»Pe Werner«, wollte Kerstin korrigieren, aber sie schwieg.

Tausche Pumps für ein Stück Himmel

Подняться наверх