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Kapitel 8

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Melba und Claudio saßen auf der Terrasse des Restaurants „Paisa“ in Santa Martha und blickten über die langgezogene Bucht. Sie hatten frischen Fisch gegessen und widmeten sich nun einer Flasche mit argentinischem Rotwein. Die Marilu hatte am frühen Morgen in der kolumbianischen Hafenstadt, nördlich von Cartagena festgemacht. Danach waren die Passagiere von Bord gegangen. Unter ihnen hatten sich auch Melba und Claudio befunden. Luis hatte es vorgezogen noch einen Tag in der Nähe eines Arztes zu verbringen. Die ganze Nacht hatte er ruhig geschlafen und Komplikationen waren glücklicherweise keine aufgetreten.

Am Nachmittag hatte das Kreuzfahrtschiff einige, fremde Besucher an Bord gehabt. Einheimische, die sich das prachtvolle Schiff einmal aus nächster Nähe ansehen wollten. Gegen Eigenwerbung hatte die Reederei niemals etwas einzuwenden.

Claudios Verhältnis zu Melba trat auf der Stelle. Es bot sich kaum eine Gelegenheit, ihr näher zu kommen. Allerdings ließ sie ihn irgendwie auch nicht richtig an sich heran. Es war eindeutig, dass sie mehr an dem Kapitän interessiert war, als an ihren beiden Reisebegleitern. Trotzdem setzte er noch auf die Faszination der Karibik und erhoffte sich insgeheim, spätestens in der Dominikanischen Republik bei ihr landen zu können.

Obwohl sie im Freien saßen, waren sie geschützt vor den lästigen Insekten, weil die komplette Terrasse des Restaurants mit Moskitonetze ausgestattet war, die durch Bambussprossen auf Spannung gehalten wurden. Neben dem positiven Schutzeffekt, wirkte dies zudem rustikal und sehr exotisch. Hier genossen die Touristen die beeindruckende Aussicht auf die endlose Fläche des Meeres, auf der sich das grelle Licht der langsam untergehenden Sonne widerspiegelte.

„Es ist wunderschön hier“, sagte Melba, während sie die würzig, sanfte Meeresluft einatmete. „Und so ausgewogen, verstehst du was ich meine?“

Claudio nickte ihr zustimmend zu, obwohl er ihr nicht genau zugehört hatte. Das Stadtzentrum mit den vielen, hell erleuchteten Straßen und Plätzen, auf denen das Leben pulsierte, lag weit von ihnen entfernt. Und genau, das war es auch: Kein Telefonanruf, kein Lärm und keine Menschen, die dauernd etwas von einem wollten. Keine Probleme von gestern und auch keine neuen, die für den kommenden Tag drohten. Sie saßen einfach nur da und genossen den Augenblick.

„So muss die viel zitierte heile Welt ausschauen, oder was meinst du?“ fragte Claudio nach einiger Zeit.

„Nennen wir es lieber einen heilen Moment in dieser sonst so kaputten Welt“, antwortete Melba. „Das trifft eher den Punkt. Manchmal werden diese Momente in unserem Leben immer seltener, bis es sie dann gar nicht mehr gibt. Und das ist dann der Anfang vom Ende. Sie müssen da sein und gehören zum Leben wie Essen und Trinken. Ansonsten kann man nicht existieren!“

Diesmal glaubte er zu wissen, was sie meinte. Dennoch fragte er: „Sprichst du von deiner Beziehung zu Javier?“

„Ganz genau. Wir kennen uns schon so lange und dachten ans Heiraten, aber dann wurde unsere Beziehung mehr und mehr von seiner Arbeit in der Anwaltskanzlei bestimmt. Es ging einfach nicht mehr, und genau aus diesem Grund bin ich jetzt hier. In diesem Restaurant und auf der Marilu, und aus demselben Grund werde ich später mit euch durch die Karibik reisen. Ich bin auf der Suche, nach diesem speziellen Gefühl der Ausgeglichenheit.“

„Und, wirst Du es finden?“

„Ja, ich denke schon. Jetzt zum Beispiel und selbst auf der Marilu, unter mehr als tausend Passagieren hat es schon solche Augenblicke gegeben.“

Mit Genugtuung bemerkte er, wie sehr sie die Reise, mit allem Drum und Dran doch zu beeindrucken schien und Santa Martha war ein elektrisierender Ort. Besser konnte die Sache gar nicht laufen. Claudio beschloss noch in der kommenden Nacht die Festung im Sturm zu erobern. Ohne Zweifel, sie würde sich nach dem Abendessen bald in ihre Kabine zurückziehen wollen, ein Umstand, der ihm entgegenkam. Er wollte versuchen, sie unter einem Vorwand in ihrer Kabine zu besuchen und befand er sich erst einmal dort..., würde sie ihn kaum mehr zurückweisen können.

Denn wozu habe ich sie schließlich eingeladen? Damit sie sich den ganzen Tag mit Luis unterhält, oder den Kapitän anhimmelt…? Ganz sicher nicht.

Aber noch war es nicht soweit. Vorerst saßen sie auf der Terrasse des Restaurants Paisa und blickten auf das Meer und die Stadt hinab.


An einem anderen Ort hatten Efraim und Luis fast den ganzen Nachmittag zusammengesessen und über dieses und jenes geplaudert. Nur ab und zu war der Kapitän zu einem der neugierigen Besucher gerufen worden, der unbedingt eine dringende Frage über das Innenleben des beeindruckenden Schiffes beantwortet haben musste. So etwas nannte die Reederei dann Öffentlichkeitsarbeit. Ansonsten waren Luis und er, zusammen mit ein paar Männern von der Besatzung, an diesem Nachmittag die einzigen Personen an Bord der Marilu.

Efraim zeigte seinem Besucher die Brücke. Schon beim Eintreten in die Kommandozentrale, erkannte Luis, dass sie ihren Namen zu Recht trug. Er bestaunte die riesigen Schalttafeln mit einer unzähligen Menge an Knöpfen und Schaltern, dazu die großen Monitore, sowie Radar,-und Navigationsgeräte, die eine kontinuierliche oder diskrete Überwachung der geplanten Schiffsroute gewährleisteten. Dabei war besonders das ECDIS System, eine elektronische Seekarte die viele funktionale Möglichkeiten bot, eine große Hilfe. Die Stirnseite der Brücke, bestand aus einem einzigen, riesigen Panoramafenster, von dem aus man jetzt die ganze Bucht von Santa Martha überschauen konnte.

„Trotz neuster Techniken bietet mir der Blick aus dem Fenster nach wie vor die wichtigsten Informationen“, erklärte Efraim. Durch das Fenster kann ich Zustand und Positionen anderer Schiffe, Seezeichen, Küstenlinien sowie die Bewegungen meines eigenen Schiffes beobachten. Es liefert mir direkte Informationen, ganz ohne mechanische oder elektronische Vermittlung.“

Desweiteren lernte Luis die Manövriereinrichtung des Schiffes kennen und begutachtete das große Steuerrad, welches neben dem eigentlichen Ruder auch Anzeigen für den Soll und Ist Kurs des Schiffes, sowie für den Ruderwinkel und die Drehgeschwindigkeit beherbergte. Daneben befand sich der Autopilot, mit dessen Hilfe man einen ganz bestimmten Kurs eingeben konnte.

„Und das hier wollen Sie wirklich alles aufgeben?“ fragte Luis, nachdem er genug gesehen hatte. Efraim hatte ihm am Nachmittag kurz von seinen Plänen erzählt.

„Weißt du, ich finde, dass ich lange genug zur See gefahren bin. Manchmal genügt hier an Bord schon eine Kleinigkeit, etwas Belangloses, um ein großes Chaos zu entfachen. Dazu die Horden von Passagieren, oftmals undankbar und schlecht gelaunt, obwohl wir alle versuchen, unser Bestes zu geben. Früher, als ich noch Lastschiffe gefahren habe, war es anders gewesen. Ich hatte nur meine Mannschaft und eine Ladung, die zu einer bestimmten Zeit an einem vorgegebenen Ort sein musste. Das war alles. Heute muss ich den ganzen Tag gut gelaunt sein, unzählige Fototermine über mich ergehen lassen und mich mit einer Herde unzufriedener und verwöhnter Passagiere auseinandersetzten. Mit Abenteuer und Freiheit auf den großen, weiten Weltmeeren hat das schon lange nichts mehr zu tun. Ich möchte einfach mein Leben ändern und noch etwas anderes versuchen.“

Luis verstand sofort, was der Kapitän ihm mitteilen wollte. Im Grunde war er der gleichen Meinung. Er erzählte dem Kapitän von seinen eigenen Reiseplänen quer durch die Karibik und was Claudio und er sich erhofften, dort zu finden.

„Fahrt doch mal nach Kuba“, schlug Efraim vor. „Ich persönlich kenne nur Havanna und Santiago. Für uns Besucher mit den richtigen Devisen, lässt es sich dort ganz gut leben, auch wenn... aber da sprichst du am besten mit Rubén, unserem Bordmusiker. Der ist Kubaner und kann dir einiges über seine Heimat erzählen. So, genug gequatscht! Nun muss ich zusehen, dass ich mein Schiff klar bekomme. Bis zum Auslaufen verbleiben mir gerade noch zwei Stunden und mittlerweile dürften auch die ersten Passagiere wieder zurückgekehrt sein...“


Genauso war es auch. Zum Abendessen saßen wieder alle glücklich vereint im unteren Teil des McBeths Speisesaals und erfreuten sich an der exquisiten Menüauswahl, die ihnen Francisco Orlando wie an jedem Abend offerierte. Fast schon übermütig berichteten sie von ihren gelungenen Landausflügen nach Santa Martha. Einige hatten es sogar bis zum indianischen Tairona Nationalpark geschafft. Melba war wieder ganz sie selbst und sah, wie Claudio fand, noch hinreißender aus als sonst. Sie hatte nach ihrer Rückkehr ausgiebig geduscht und sich dann für den Abend in Schale geschmissen. Sie wirkte so anders als noch am Nachmittag. Irgendwie noch weiblicher und verführerischer. Alles stimmte an ihr, selbst die kleinsten Details: Von den sanften Bewegungen ihrer Hüften, in dem engen, körperbetonten Samtkleid, bis über die Höhe ihrer Absätze zu den perfekten Konturen ihres Gesichtes, mit den feinen Formen von Kinn, Stirn und Augen. Die wirkten durch die kunstvolle Anwendung von Lidschatten und Eye Liner noch größer als sonst, dazu kamen die langen Wimpern und ihre aufgesteckte, volle Haarpracht.

Soweit zu den Gefühlen der Ausgeglichenheit, dachte Claudio und fand, dass es an der Zeit war einen Schlachtplan zu entwerfen. Der einfachste Weg wäre an ihre Kabinentür zu klopfen und um Einlass zu bitten. Aber nein, das ist irgendwie zu plump. Ich muss mir schon etwas Besseres einfallen lassen.

So saß er bei der Vorspeise und grübelte vor sich hin. Francesco Orlando servierte Shrimpssalat auf einer silbernen Platte, und noch während Claudio den italienischen Oberkellner bei seiner eleganten Ausführung beobachtete kam ihm die entscheidende Idee. Er musste nur noch ein Wörtchen mit dem Zimmerservice reden, aber dass würde er mit Sicherheit hinbekommen…

Erlöst und in voller Vorfreude auf den „lebendigen Nachtisch“, widmete er sich seinem Abendessen und bestellte vorab für sich und Melba einen französischen Rotwein. Der weitere Abend verlief zunächst ähnlich wie die vorherigen. Melba wollte noch ein wenig Nachtleben auf der Marilu genießen. Seiner Ansicht nach waren die Akteure auf der Marilu nicht gerade die Creme de la Creme. Nur der kubanische Gitarrist bildete eine einsame Ausnahme. Im Theater versprach eine Celine Dion Imitation angenehme Unterhaltung, doch Claudio wäre Rubéns Rockmusik wesentlich lieber gewesen.

„Sei doch nicht immer so kritisch! Jede andere Person scheint sich hier bestens zu vergnügen“, maulte Melba und erteilte seinen Bemühungen bezüglich dem „lebendigen Nachtisch“, bereits vorab einen leichten Dämpfer.

„Über Geschmack lässt sich nun mal nicht streiten“, antwortete er ein wenig kleinlaut. Celine Dion sang weiter, was auch nicht gerade zu einem Stimmungswechsel beitrug. Schließlich sagte Melba bestimmt: „Es war ein langer Tag heute, begleitest du mich bitte noch an meine Kabine?“

Das sah ganz und gar nicht gut aus. Es wurde nichts, mit seinem schönen Plan, dabei hatte er sich alles so wundervoll ausgemalt. Roberto, vom Roomservice hatte sich bereit erklärt, ihm für einen kurzen Augenblick seine Arbeitsuniform zur Verfügung zu stellen und in diesem Outfit hatte er Melba quasi als neuen Servicemitarbeiter überraschen wollen. So ein Mist, dachte er. Aber aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben. Vielleicht ergibt sich in der kommenden Nacht eine bessere Gelegenheit...

Zurück in seiner eigenen Kabine, sah er, dass Roberto das gedämpfte Dämmerlicht hatte brennen lassen. Die Bettdecke war etwas zurückgeschoben und auf seinem Kopfkissen lag ein Stück Schokolade, während ein Handtuch diesmal zu einem Tintenfisch zusammengelegt worden war und den unteren Teil seines Bettes schmückte. Alles kleine Aufmerksamkeiten die das zu erwartende Trinkgeld erhöhen sollen. Aber was nützt einem schon die romantischste Kabine, wenn man sie nicht mit einer schönen Frau teilen kann? Genau daran dachte er, bevor er einschlief.

Endstation Sehnsucht

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