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Kapitel 1
ОглавлениеClaudio Guerrero schaute nach Westen in einen frühen Abendhimmel dessen Farbe gerade von türkis blau zu einem satten, rotgestreiften Gelb wechselte. Die Sonne stand schräg über den hohen Pinien, welche sich auf der gegenüberliegenden Seite des Jalontals wie in Öl gemalt aneinanderreihten. Das beruhigende Grün der Landschaft bildete einen reizvollen Kontrast zu dem intensiven Farbenspiel des Himmels. Weiße Fassaden und rote Ziegeldächer bäuerlicher Fincas und großzügige Landhäuser mischten sich wie bunte Farbkleckse darunter und belebten ihre Umgebung, die bereits von den ersten Schatten überdeckt wurde. Nur weiter unten lag das Flussbett noch voll in der Sonne, die sich auf der Oberfläche des klaren Wassers widerspiegelte. Claudio hatte vor einer halben Stunde Benidorm, einer der größten Touristenorte an der Costa Blanca, verlassen und fuhr jetzt auf der anderen Seite des Tals über die Serpentinen zu der kleinen, in die Jahre gekommene Holzbrücke hinab, welche das Flussbett überspannte. Seit er sich den alten, klassischen MG gegönnt hatte, war für ihn diese Route schon längst zu einer privaten Rennstrecke geworden. „El Zapo, der Frosch“, wie er den Wagen wegen seiner Lackierung in Britisch Racing Grün, liebevoll nannte, war als echter Oldtimer bereits durch viele Hände gegangen. Dennoch konnte man seinen allgemeinen Zustand als bestens bezeichnen, was nicht zuletzt mit der sorgsamen Pflege zusammenhing, die Claudio ihm angedeihen ließ. Der Roadster bedeutete für ihn einen besonderen Genuss und er spürte eine innere Erregung, wie bei einer schönen Frau, wenn er die Kurven eng an der steilen Böschung oder knapp am Abhang nahm, oder wenn es der Verkehr erlaubte, wie die Rennfahrer auf der Ideallinie manövrierte. Diesmal allerdings fuhr er bei offenem Verdeck eher bedächtig, wie um Zeit zu gewinnen, und das hatte einen besonderen Grund: Melba.
Drüben in der Finca am Ende seiner Rennstrecke, wartete sein Freund und langjähriger Weggefährte Luis ungeduldig darauf, dass er ihm jene Dame vorstellte, die er mit auf ihre geplante Kreuzfahrt in die Karibik nehmen wollte. Es war das erste Mal, dass Luis geneigt war, seinem Freund die Mitnahme einer neuen Eroberung auf eine ihrer Abenteuerreisen zu gestatten. Dabei war ihm die Entscheidung gar nicht leicht gefallen, denn er hielt im Allgemeinen nicht viel von Claudios weiblichen Bekanntschaften. Seine endgültige Zustimmung machte er daher auch von der eigenen Begutachtung der „Prinzessin“, wie Claudio seine neue Flamme nannte, abhängig. Er dachte nämlich nicht im Entferntesten daran, sich eine Emanze oder Mitbewohnerin irgendeiner Kommune an den Hals hängen zu lassen und sich damit die lang ersehnte Reise zu verderben. Wenn sie mir nicht gefällt, dann soll er seine „Prinzessin“ in den „Frosch“ verfrachten und mit ihr weiß Gott wohin fahren, dachte er ein wenig erzürnt über die unverhohlene Vorgehensweise seines Freundes. Bisher waren sie auf ihren gemeinsamen Reisen immer bestens ohne Frauen ausgekommen, auch wenn es hier und da Abenteuer gegeben hatte.
Luis war dreiundvierzig. Ein Alter, in dem sich viele Männer wünschten, ganz einfach stehen zubleiben und nicht mehr zu altern, aber sie wollten auch keinen Tag jünger sein, an Erfahrung und Reife. Er war recht groß, schlank und sportlich, hatte dichtes, schwarzes Haar und seine großen, dunklen Augen verrieten Klugheit und Energie. Im Gegensatz zu seinem Freund Claudio wirkte er meistens besonnen und zurückhaltend. Die kleine Ausnahme bildete das goldene Kreuz, welches er an einem Kettchen gut sichtbar durch die beiden oberen geöffneten Knöpfe seines Polohemdes auf seiner Brust baumeln ließ. Das trug man jetzt gerade so in Spanien, ob in der Hauptstadt Madrid, irgendwo am Strand oder im Landesinneren, wo er sich jetzt gerade befand.
Claudio hatte Melba zwei Wochen zuvor in einer kleinen Taverne in Benidorm kennengelernt. Sie war dort zusammen mit einer Freundin aufgetaucht und es war ihm so vorgekommen, als hätte sie sich etwas fehl am Platz gefühlt, unter all den aufgedonnerten älteren Damen, die überwiegend aus England stammten. Vom ersten Augenblick an war er von ihrer Schönheit und von der überlegenen Art, mit der sie sich ihre drängenden Verehrer vom Leibe hielt, fasziniert gewesen. Er hatte sie eine Zeit lang beobachtet, aber kaum gewagt, sie zum Tanz aufzufordern. Später war er umso überraschter, als sie seiner Aufforderung tatsächlich entgegenkam. Sie hatten dem Musiker zugehört und Bier getrunken. Danach hatte sie sich von ihm nach Hause fahren lassen. Nur bis vor die Haustür, wohl gemerkt. Sie wohnte in La Nucia, einem Provinzort von Alicante, ca. 8 km von Benidorm entfernt. Ihre Telefonnummer hatte sie ihm zwar lächelnd verweigert, aber es war nicht schwierig für ihn gewesen, sich die entsprechenden Daten zu verschaffen. Er hatte schließlich das Licht gesehen, welches ein wenig später hinter einem der Fenster eines Wohnblocks in der Neubausiedlung Montebello aufgeleuchtet war, und sich beim Portero nach ihrem Nachnamen erkundigt. Auf seinen Anruf, nur einen Tag später, hatte sie nicht einmal überrascht reagiert und sich sogar bereit erklärt sich wieder mit ihm zu treffen. Wenn auch nur auf einen Kaffee am Nachmittag und dann für eine knappe Stunde. Aber dabei war es nicht geblieben. Sie trafen sich noch weitere Male, zuletzt sogar an einem Abend, wo sie eine Tanzveranstaltung in einem Lokal in der Altstadt von Alicante besuchten. Sie hatten ausgiebig getanzt und sie hatte sich sogar von ihm küssen lassen, aber damit war die Grenze erreicht. Bei den nächsten Treffen kam er nicht mehr voran und es wurde ihm schnell klar, dass er sich bei dieser Klassefrau schon etwas ganz Besonders einfallen lassen musste. Eine Einladung zu ihm nach Hause hatte freundlich aber entschieden abgelehnt.
Von da an hatte er davon abgesehen, sie weiter zu bedrängen. Auf gar keinen Fall wollte er sich wie ein dummer Junge auf die Finger klopfen lassen. Aber andererseits drängte die Zeit. In Kürze wollte er zusammen mit seinem Freund Luis per Kreuzfahrtschiff in die Karibik reisen. Und dann war ihm bei dem Gedanken an die Karibik eine schon beinahe abenteuerliche Idee gekommen:
Was, wenn ich Melba einfach dazu brächte, mit uns zusammen zu verreisen? Natürlich nicht als meine Geliebte, wenigstens nicht sofort, sondern quasi als Reisebegleiterin! Auf den tropischen Inseln werden sich die Dinge dann wie von selbst ergeben. Die atemberaubende Landschaft mit den fröhlichen Menschen, die rhythmische Musik, das besondere Klima und vielleicht eine verträumte Unterkunft werden sie bestimmt einfach umwerfen und dann habe ich leichtes Spiel...
Nachdem Melba sich von Miguel Angel, ihrem Langzeit Verlobten getrennt hatte, um einer überstürzten Heirat zu entkommen, war sie entschlossen, zunächst an ihre eigene Karriere zu denken und sich ganz ihrem Beruf als Computerfachfrau zu widmen. Als Heimchen am Herd an der Seite eines namhaften Rechtsanwaltes zu versauern erschien ihr als nicht gerade erstrebenswert. Allerdings leicht war ihr der Entschluss dann doch nicht leicht gefallen. Sie mochte Miguel Angel noch immer, denn sie hatten viele schöne Jahre miteinander verbracht. Und dann war sie mit Pilar in diese Taverne gegangen und hatte Claudio kennengelernt. Den fand sie interessant und am besten gefiel ihr die Tatsache, dass er sie nicht bedrängte. Dazu regte sie die Hoffnung, dass ihr in seiner Gesellschaft die Loslösung von Miguel Angel leichter fallen würde. Sie wusste, Claudio wollte keine feste Bindung, höchstens mal mit ihr ins Bett steigen, aber dazu gehörten immer noch zwei…
Als er ihr dann überraschenderweise vorgeschlagen hatte, zusammen mit seinem Freund in die Karibik zu reisen, hatte sie zunächst an einen Scherz geglaubt, war aber dann, als sie merkte, dass er es ernst meinte, doch nachdenklich geworden. Er hatte ihr von Luis erzählt und als er dann die Worte: „ganz unverbindlich“ und „rein freundschaftlich“ in den Mund nahm, war für sie der Bann gebrochen.
Hier bietet sich vielleicht die Gelegenheit, mich endgültig von Miguel Angel zu lösen. Außerdem werde ich mich auf dem großen Schiff selbstständig bewegen können und muss so den beiden Jungs nicht immer auf der Pelle hängen, dachte sie.
Und wenn das Ganze eine Falle war? So etwas konnte man niemals ausschließen, jedenfalls nicht bei erwachsenen Männern. Auch egal, Claudio scheint ein prima Kerl zu sein und diesen Luis werde ich mir noch genau anschauen und wenn er mir nicht gefällt... na, dann kommt mir eben etwas dazwischen…
Und so war es gekommen, dass sie und Claudio jetzt nach Xalo fuhren, wo sie jenem Luis vorgestellt werden sollte.
„Jetzt dürften sie aber langsam kommen“, sprach Luis in Gedanken zu sich selbst. Ich möchte endlich diese „Prinzessin“ kennenlernen, die mir voraussichtlich die Reise vermasseln wird, denn letztendlich wird wieder alles an mir hängen bleiben, nämlich dann, wenn Claudio seiner neuen Eroberung abtrünnig geworden ist. Noch während ihm diese Gedanken durch den Kopf gingen, hörte er auf der anderen Seite seines Hauses den Wagenschlag des MGs. Aber diesmal war es anders als sonst, wenn sein Freund ihn zu besuchen pflegte, und man schon von weitem den Motor aufheulen und die Reifen in den Kurven quietschen hörte. Auch der laute Hupton, der normalerweise seine Ankunft verkündete war diesmal ausgeblieben. Luis überlegte laut, während er auf die Eingangstür zuschritt: „Hat sie ihm womöglich im letzten Moment noch einen Korb gegeben?“
Doch da standen sie bereits schon in seinem Foyer. Einander eingehakt, lachend, und je mehr sie sich der sonnenüberfluteten Terrasse näherten, umso mehr wuchs seine Verblüffung. Mit offenem Mund starrte er Melba an. Das ist ja unglaublich, dachte er. Sie ist keine Prinzessin, sondern eine Göttin!
Er dachte aber auch: Wie zum Teufel kommt Claudio an so einer Frau?
Natürlich war besagtem der gewisse Ausdruck in den Augen seines Freundes nicht entgangen. Welcher Mann konnte beim Anblick eines so zauberhaften Geschöpfes unbeeindruckt bleiben.
„Das ist Melba Gonzales Martinez“ stellte Claudio die Dame vor. Und zu ihr sagte er: „Melba, das ist mein Freund Luis.“
Sie trat mit einem strahlenden Lächeln auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen. „Freut mich sehr, Sie kennenzulernen.“
Luis erwiderte ihr Lächeln, während seine Hand einen Tick zu lang auf der ihren ruhte. Eine leichte Röte huschte über ihre Wangen als sie ihre Hand der seinigen entzog.
„Roger hat mir viel von Ihnen erzählt“, log sie, um die Spannung, welche sich spürbar ausgebreitet hatte, zu überspielen. In Wahrheit hatte Roger nur sehr wenig über seinen Freund gesprochen.
„Wir sagen hier alle Du“, erwiderte Luis. „Du möchtest also mit uns in die Karibik reisen?“
„Claudio hat mir die Reise vorgeschlagen und ich habe zugesagt. Natürlich nur unter der Voraussetzung, dass Du einverstanden bist und ich Euch nicht zur Last falle“, entgegnete sie. Das besondere Arrangement, welches sie mit Claudio getroffen hatte, erwähnte sie nicht. Sie würde erst darauf zurückkommen, wenn Claudio sie durch sein Verhalten dazu zwang. Und obgleich sie zuvor nicht ganz sicher war, ob sie ihm nicht doch nachgeben würde, wenn sie erste einmal in der Karibik waren, jetzt rückte dieser Gedanke mit einem mal in weite Ferne…
Claudio wusste, dass er sein Ziel erreicht hatte. Allein die Frage seines Freundes an Melba war schon so gut wie eine Zustimmung. Dennoch aber war ihm nicht mehr ganz wohl bei der Sache. Ihm war ihre leichtes Erröten nicht entgangen, als ihre Hand in der von Luis gelegen hatte. Warum bloß habe ich Melba nicht einfach angeboten, mit mir allein irgendwohin hin zu fahren? Auf die Kanaren zum Beispiel. Da gibt es jede Menge einsame Strände und Buchten. Dort wäre ein Doppelzimmer selbstverständlich gewesen, stattdessen muss ich mir nun das Zimmer an Bord des Kreuzfahrtschiffes mit Luis teilen.
Während letzterer mehrere Flaschen gut gekühltes Mahon Bier aus dem Kühlschrank der Hausbar fischte, waren Melba und er für einen Moment allein auf der Terrasse zurückgeblieben.
„Na, wie gefällt er Dir?“ fragte Claudio mit unüberhörbarem Unterton. Dabei vergrub er die Daumen wie zufällig im Bund seiner Jeans und neigte seinen Kopf leicht zur Seite. Um seine Lippen spielte ein ironisches Lächeln und in den Augen lag etwas Lauerndes.
„Ganz in Ordnung“, sagte Melba kurz und knapp. Sie gab sich den Anschein, als bemerkte sie die Fangfrage überhaupt nicht. Trotzdem huschte erneut eine feine Röte über ihre Wangen, was Claudio abermals nicht entging. In diesem Augenblick kam Luis mit einem Tablett voller Bierflaschen und Gläser zurück auf die Terrasse.
„Lasst uns auf die Karibik anstoßen“, sagte er nachdem er die Getränke vom Tablett genommen hatte. Ein wenig lustlos prostete Claudio seinem Freund und seiner neuen Eroberung zu. Die gesamte Vorfreude war ihm irgendwie vergangen. Was folgte war eine belanglose Konversation, in der sich Luis nach ihren beruflichen Plänen erkundigte.
„Ich bin Computerspezialistin und möchte noch Informatik studieren, oder aber etwas mit Mode machen, dass hat mich schon immer interessiert“, erklärte Melba.
„Da stehen Dir mit ziemlicher Sicherheit überall die Türen offen…“ sagte Luis und dachte an ihr Aussehen und an ihre atemberaubende Figur. Danach wechselte er das Thema und kam auf die Kreuzfahrt zu sprechen. Er erzählte von den Reiseplänen, die er gemeinsam mit Claudio ausgearbeitet hatte. Sie beabsichtigten in der Dominikanischen Republik von Bord zugehen und wollten danach einige der kleineren Inseln besuchen. Antigua, St. Johns, St. Lucia, Barbados, Guadelupe und Tobago. Irgendwann, wenn sie es leid waren, würden sie dann wieder zurück nach Europa fliegen.
Später schlug Luis vor, zum Abendessen ins Restaurant Las Terrazitas zu fahren und obwohl sie alle in seinem geräumigem SUV Platz gefunden hätten, bestand Claudio darauf, zusammen mit Melba den MG zu nehmen. Er wollte wenigstens diesen kurzen Augenblick mit ihr alleine sein.
„Du bist mir vorhin ausgewichen, als ich von dir wissen wollte, wie er Dir gefällt“, sagte er, während sie noch vor dem SUV die alte Holzbrücke erreichten.
„Ich habe dir doch schon gesagt, dass er in Ordnung ist“, erwiderte sie zynisch. „Wolltest Du etwas anderes hören?“
„Glaubst Du, ich habe nicht bemerkt, wie interessiert Du ihn angesehen hast, während er von der Karibik erzählt hat?“
„Lieber Himmel, Du bist vielleicht kindisch! Soll ich vielleicht wegschauen, wenn Dein Freund mit mir spricht?
Es war ihnen anzusehen, dass sie sich gestritten hatten, als sie auf den Parkplatz des Restaurants fuhren und auf Luis warteten. Es war noch verhältnismäßig früh und so konnten sie unter den besten Plätzen auswählen. Der Tisch, den sie sich ausgesucht hatten, bot einen herrlichen Blick über das anliegende Schwimmbad. In der Ferne konnten sie die Berge und sogar das Dach von der Finca sehen. Luis hatte das Grundstück auf dem sie stand vor langer Zeit für kleines Geld erworben und aus dem alten Haus und dem verwilderten Garten mit Liebe und viel Geschick das gemacht, was es heute war: Ein wunderschönes Anwesen, wie es nur wenige im Jalontal zu sehen gab. Aber an all dem konnte sich Claudio an diesem warmen Sommerabend nicht mehr so richtig erfreuen. Das Abendessen fiel mehr als üppig aus und Luis ließ sich nicht lumpen. Überhaupt hatte Claudio seinen Freund selten in einer so ausgelassenen Stimmung erlebt. Was die Anwesenheit einer hübschen Dame nicht alles bewirken konnte…
Melba versuchte die ganze Zeit hinüber sich bewusst unbeteiligt zu zeigen. Was gingen ihr die Eifersüchteleien der beiden Freunde an? Sie dachte an die zaghaften Flirts von Miguel Angel, die ihr nicht wirklich unter die Haut gegangen waren. Sicher, er war damals irgendwie männlicher und reifer gewesen als die gleichaltrigen Jungs in ihrer Klasse und beim ersten Mal hatte sie eigentlich nur herausfinden wollen, wie es war und was sie dabei und danach empfinden würde.
Schon bald merkte sie, dass dies nicht alles gewesen sein konnte. Es war keinesfalls die großartige Erfüllung gewesen, wovon immer in den Liebesromanen, die sie heimlich gelesen hatte, die Rede war. Auf jeden Fall nicht mit Miguel Angel. Und nun war sie an diese beiden Freunde geraten und war im Begriff ein ungewisses Abenteuer einzugehen.
„Wir bringen Dich selbstverständlich nach Hause“, sagte Luis und riss sie damit aus den obigen Gedanken. Der Protest seines Freundes und dessen Angebot, Melba in seinem kleinen Sportwagen heim zu fahren, schmetterte er entschieden ab.
„Du hast mehr getrunken als es für dich gut ist und Melba würde es sicher nicht gut bekommen, wenn Du mit dem tiefliegenden Wagen über die Schlaglöcher donnerst!“
Damit war die Transportfrage geklärt.
„Hast Du Lust morgen wieder vorbeizukommen“, fragte Luis beim Abschied. „Eigentlich wollte ich mit Claudio nach Benidorm fahren“, stammelte sie, „aber wenn Du meinst…?“
„Ihr wollt doch wohl nicht wie all die anderen am morgigen Feiertag in einer langen Blechlawine dahin kriechen, wo ich hier die schönste Naturlandschaft direkt vor der Haustür habe!“
Kurzum, Melba stimmte seinem Plan zu, obgleich sie wusste, dass es nicht in Claudios Interesse war. Er wollte viel lieber mit ihr alleine sein, mit ihr ausgehen und sich beneiden lassen. Mit einer Wut sondergleichen im Bauch versuchte er am späten Abend seinen Oldtimer in die Garage seines Freundes zu fahren und dabei geschah es dann: Auf der sandigen Auffahrt rutschte der „Frosch“ hinten weg und prallte mit dem hinteren Kotflügel gegen die Garagenmauer. Diesmal hatte er es zu weit getrieben.
„So ein verdammter Mist!“ fluchte er laut vor sich hin. „Das hat mir gerade noch gefehlt!“ Er brachte den abgewürgten Motor wieder in Gang und setzte den Wagen ein paar Meter zurück um von der Mauer freizukommen. Danach sah er sich den entstandenen Schaden an, murmelte etwas von ein paar hundert Euro und stellte den geschundenen MG so dicht an die linke Wand, dass man die Blessuren nicht auf den ersten Anhieb erkennen konnte. Jetzt war es aber wirklich Zeit für ein kühles Bier. Genervt legte er sich in die große Hängematte die Luis über seine Veranda gespannt hatte und sagte noch zu seinem Freund: „ So ein Scheißtag heute! Ich bin müde und komme mir reichlich überflüssig vor.“
Ohne eine Antwort abzuwarten schlief er augenblicklich ein.
Als Melba die Wohnung betrat, schliefen ihre Eltern bereits. Es war schon nach Elf. Die Stunden mit Claudio und Luis waren ihr wie im Flug vergangen. Auf ihrem Nachttisch lag eine Notiz ihrer Mutter: „Miguel Angel hat angerufen. Er erwartet deinen Rückruf in der Kanzlei. Schlaf gut!
Was kann der so spät in der Nacht noch von mir wollen?, fragte sie sich und wieso ist er überhaupt noch in seinem Büro? Zudem habe ich ihm doch deutlich zu verstehen gegeben, dass es vorbei ist! Instinktiv wählte sie die Nummer der Kanzlei. Miguel Angel meldete sich bereits nach dem ersten Freizeichen. Er schien auf ihren Anruf gewartet zu haben.
„Hola, hier ist Melba, bitte entschuldige meinen späten Anruf, aber ich bin gerade erst nach Hause gekommen. Was gibt es denn?“
Sie bemerkte das Zögern in seiner Stimme.
„Eigentlich wollte ich dir nur etwas sagen, aber sicher ist es dafür jetzt viel zu spät?“
„Ach Miguel Angel“, sagte sie mit gähnender Stimme. „Hast du denn alles vergessen, was ich dir beim letzten Mal gesagt habe?“
Ist ja schon gut. Ich denke es ist besser, wenn wir ein andermal darüber reden“, und damit hatte er auch schon aufgelegt. Melba hielt verblüfft den Hörer in der Hand. Was war denn das jetzt? Dann eben nicht! Damit war das Thema Miguel Angel wenigstens für diese Nacht für sie erledigt. Und trotzdem lag sie noch lange wach ohne den erlösenden Schlaf zu finden. Der Gedanke an die bevorstehende Reise hatte sie aufgewühlt und dazu spürte sie noch immer die sanfte Berührung der männlichen Hand, die mehr gesagt hatte als viele Worte….
Ist es wirklich richtig, dass ich Claudios Einladung angenommen habe? Immerhin scheint er ebenfalls große Erwartungen an unser Zusammensein zu hegen.
Noch ehe sie eine Antwort auf ihre Frage gefunden hatte, war sie eingeschlafen.
„Hast Du schon mit Miguel Angel gesprochen?“, lautete die neugierige Frage ihrer Mutter am nächsten Morgen beim Frühstück.
„Ja, das habe ich in der Tat…“ Melbas Antwort klang gelangweilt. „Allerdings habe ich nicht herausbekommen was er eigentlich von mir wollte und ehrlich gesagt, es ist mir auch ziemlich egal. Ich fahre heute wieder nach Xalon.“
„Zu diesem Abenteurer? Willst Du mir Deinen neuen Freund nicht endlich vorstellen?“
Darauf war Virginia vorbereitet.
„Den Eltern stellt man nur jemanden vor, wenn sich aus einer Freundschaft etwas Ernstes entwickelt, oder etwa nicht? Das ist aber zwischen mir und Claudio nicht der Fall. Wir sind nur gute Freunde. Bist Du nun zufrieden?“
Ihre Mutter wollte etwas erwidern, doch mitten in ihren Kommentar fiel das Läuten der Haustürglocke. Mit einem Blick aus dem Fenster überzeugte sich Melba davon, das es Roger war, der allerdings in völlig ungewohnter Weise in einem SUV auf sie wartete.
Ihre Mutter ging dicht genug an das Fenster heran um den Neuankömmling beobachten zu können. Bisher hatte er stets in der Seitenstraße geparkt, wo sie ihn nicht sehen konnte. Im Grunde gefiel ihr der Mann gar nicht schlecht, obwohl er für ihre Tochter natürlich zu alt war. Er trug hautenge, ausgeblichene Jeans und ein frisches, gelbes Polohemd. In dem SUV schien er sich allerdings nicht sehr wohl zu fühlen. Miguel Angel hingegen war zweiunddreißig und besaß bereits ein eigenes Büro in der größten Anwaltskanzlei der Stadt. Er war für sie immer so etwas wie der perfekte Schwiegersohn gewesen und jetzt schien alles wieder aus dem Lot zu fallen.
„Warum kommst Du mit dem SUV?“ fragte Melba überrascht, als sie einen Augenblick später neben Claudio in dem großen Wagen Platz nahm.
„Der MG ist heute morgen nicht angesprungen“, erzählte der ihr die gleiche Geschichte die er bereits am frühen morgen seinem Freund aufgetischt hatte.
„War das eigentlich Deine Idee, nicht nach Benidorm zu fahren?“ fragte er, obgleich er wusste, dass Luis dahintersteckte. Als sie vor dessen Finca angekommen waren, betätigte er gewohnheitsgemäß die Hupe. Es klang allerdings anders wie aus seinem MG. Irgendwie modern und leblos. Auf der Terrasse kam ihnen der Hausherr entgegen. Er trug ein buntes T-Shirt und modische Boxershorts. Dazu baumelte wieder diese Kette mit dem goldenen Kreuz auf seiner Brust. Sie verbrachten den langen Nachmittag mit Tischtennisspielen und am kleinen Pool bei eisgekühlten Erfrischungsgetränken. Melba hatte eindrucksvoll bewiesen, dass ihr spielerisches Können zu weit mehr taugte als nur für den Hausgebrauch. Claudio ärgerte es, dass sie ihn hatte weitgehend schlecht aussehen lassen, während sie Luis den entscheidenden Satz geschenkt hatte, weil der ansonsten ebenfalls gewaltig unter die Räder gekommen wäre. Später präsentierte sie ihre aufregende Figur in einem knappen, weißen Bikini. Claudio trank bereits seine dritte Flasche Bier an diesem Nachmittag, während Melba lässig ihre langen Beine im Bassin des Pools baumeln ließ.
„Freust du dich auf die Karibik?“ suchte Luis wieder das Gespräch mit ihr.
„Ja und wie!“, antwortete sie und wieder erschien eine feine Röte auf ihren Wangen. Claudio wurmte es mächtig, dass sein Freund schon wieder bei Melba herum hockte. Und dass, obwohl die Reise noch nicht einmal begonnen hatte. Das konnte ja heiter werden. Nach Tapas und Gazpacho brachten die beiden Freunde die Dame nach Hause. Irgendwie lag eine unerklärliche Spannung in der Luft.
Bei ihrer Rückkehr in ihr Haus in Montebello vernahm Melba Stimmen aus dem Wohnzimmer. Sie verharrte eine Weile in der dunklen Diele, dann öffnete sich die Tür zum Wohnzimmer und ihre Mutter stand mit fragendem Blick vor ihr.
„Miguel Angel ist da“, sagte sie, als ob sie ihrer Tochter damit eine freudige Überraschung bereiten wollte. Ihr Ex wirkte etwas verunsichert.
„DU bist hier?“ Melba begrüßte ihn kühl.
„Das überrascht Dich, nicht wahr? Wie war es denn in Benidorm?“ setzte er schnell nach.
„Ich war nicht in Benidorm. Wir sind in Xalo geblieben.“
„Ah, Du gehst im Haus deiner neuen Freunde bereits ein und aus“, sagte er mit einem ironischem Unterton. Melba ließ sich nichts anmerken und ergänzte: „…und danach waren wir noch im Terrazitas.“
„Nobel, nobel“, erwiderte Miguel Angel beeindruckt, knabberte an seiner Unterlippe und schaute hilflos auf ihre Mutter.
„Es ist wohl besser wenn ich jetzt gehe. Ich rufe in den nächsten Tagen mal an“, sagte er und war schon bei der Tür.
„Es würde uns freuen“, rief die alte Dame hinter ihm her, auch stellvertretend für ihre Tochter.
„Wie soll das nun weitergehen?“ fragte sie kurze Zeit später, ohne zu ahnen, dass sie damit eine Antwort heraufbeschwor, welche sie wie ein Peitschenschlag treffen sollte.
„Ganz einfach, ich werde mit meinen neuen Freunden in die Karibik reisen.“
„Du hast…., du willst…?“ kam es statt einer Antwort wie ein ersticktes Röcheln aus dem Mund ihrer Mutter.
„Ja, warum denn nicht?“ Melba lächelte gequält. „Ich brauche dringend eine Luftveränderung und die beiden sind sehr umgänglich.“
„….und was soll aus Miguel Angel werden…? Kind, hast du dir das auch gut überlegt? Immerhin kennst du die beiden ja erst seit ein paar Wochen.“
„Mutter, las das bitte meine Sorge sein!“
Es war ihr einfach nicht danach ihrer Mutter alles noch einmal zu erklären um dann immer die gleichen Antworten zu erhalten. Das was sie in diesem Moment am meisten beschäftigte, konnte sie sowieso nicht mit ihr besprechen.
Die nächsten sieben Tage verliefen im Zeichen des großen Aufbruchs in die Karibik. Claudio hatte noch seinen „Frosch in die Werkstatt gebracht während Melba und Luis langsam ihre Koffer packten.
Dann kam der große Tag. Zunächst mussten sie nach Malaga. Von dort aus sollte sie ein Kreuzfahrtschiff in die Karibik bringen.
Melbas Abschied von ihren Eltern war mit vielen Tränen verbunden, aber auch gespickt mit Ratschlägen, Ermahnungen und versteckten Vorwürfen, so dass es beinahe zuletzt noch zu Missstimmungen zwischen Eltern und Tochter gekommen wäre. Doch das alles lag jetzt hinter ihr. Sie befand sich auf dem Weg nach Malaga...