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Kapitel 6
ОглавлениеLuis fand keinen Schlaf. Trotz der Gewaltmärsche durch die Altstadt von Cartagena wollte sich bei ihm keine rechte Müdigkeit einstellen.
„Kommst du noch mit auf ein Bier?“ fragte er Claudio. Als Antwort gähnte der ihn an. „Nein Danke, ich bin völlig groggy! Geh nur alleine an die Bar. Ich werde dir heute Abend kein guter Gesprächspartner mehr sein.“
„Auch gut, vielleicht treffe ich George, den Weltenbummler noch irgendwo und kann ihn zu einem Drink überreden. Bin aber bald zurück.“ Sprach es und verließ kurz darauf die gemeinsame Kabine in Richtung der Aufzüge, die ihn hinauf auf das Außendeck befördern sollten. Er ließ sich ein Bier einschenken und begab sich mit dem Glas in der Hand nach achtern, ganz in die hintere Ecke des Schiffes. Dort, so war er sich sicher, würden sich zu diesem Zeitpunkt keine Passagiere mehr aufhalten. Die verweilten zumeist bei den Tischtennisplatten auf halber Strecke.
Die Marilu machte ruhige Fahrt und im Zwielicht des scheidenden Tages genoss Luis den ruhigen Platz. Langsam fing die Reise an Spaß zu machen. Überhaupt erschien ihm Seemann gar kein übler Job zu sein. Immerhin schien die Seefahrt jegliche Art von Beziehung jung und interessant zu halten. Man konnte sich nach einer langen Reise wieder auf den Partner freuen und würde sich jedes Mal viel zu erzählen haben. Vielleicht war der Beruf des Seemanns sogar einer der wenigen, die einem Mann erlaubten, eine Familie zu gründen und gleichzeitig frei zu sein.
Oh Mann, das hätte auch gut von Claudio stammen können, dachte Luis und lächelte im Stillen vor sich hin. Mit der Treue ist das sowieso so eine Sache für sich. Schließlich kann man auch nicht jeden Tag nur Eintopf essen. Aber wieso gerade Eintopf? Jetzt denke ich wirklich schon beinahe wie Roger. Hat der mir nicht immer ausführlich von den Vorzügen gertenschlanker und kaffeebrauner Frauenkörper erzählt und von langen, schwarzen Haaren, dunklen, großen Augen mit viel Leidenschaft und Hingabe?
Zuletzt dachte Luis an Melba. Mit ihr würde sicher selbst die normale, tägliche Form einer Ehe etwas Besonderes sein. Sie ist einfach eine klasse Frau.
Die frische Luft und der Alkohol machten ihn müde. Er lehnte sich gegen die Reling und spürte, wie ihm die Augen zufielen. Ein in der Nähe arbeitender Arbeiter, der mit dem Säubern des Decks beschäftigt war, entdeckte eine leere Cola-Dose und kickte sie mit voller Wucht gegen die Reling.
Mit einem plötzlichen Reflex schreckte Luis zusammen. Die instabile Position, in der er sich jetzt befand, machte es ihm unmöglich den Schwung der heftigen Bewegung abzubremsen. Und der war so stark, dass er sein Gleichgewicht verlor und Hals über Kopf über die Reling kippte. Dummerweise hatte er genau an jener Stelle gestanden, wo sich gerade kein Rettungsboot befand. Er versuchte sich an der glatten Bugwand festzuklammern, doch das war unmöglich. Er rutschte ab und glitt ins Wasser.
Die Schiffsschraube, kam ihm in den Sinn. Ich muss mich von dem verdammten Teil fernhalten.
Zum ersten Mal durchbrach sein Kopf die Wasseroberfläche. Freilich nur für einen kurzen Moment, doch der genügte, um das langgezogene, dumpfe Signal wahrzunehmen. Er wusste, das Signal galt ihm. Man hatte begriffen, dass er über Bord gegangen war.
Oben an Deck, gestikulierten Matrosen wild mit den Armen. Dann bemerkte sie ihn und warfen einen roten Rettungsring ins Meer. Luis schnappte danach. Die Berührung mit dem kalten Kunststoff beruhigte ihn ein wenig. Die Chancen zu Überleben hatten sich erhöht.
Trotz des Deliriums in dem er sich befand, hatte auch Efraim das Alarmsignal vernommen. Er raffte sich auf und torkelte aus seiner Kabine. An Deck schüttelte er sich wie ein kleiner Hund und rannte ohne Schuhe, nur im Bademantel, auf die Kommandobrücke, die sich bereits mit Zuschauern gut gefüllt hatte.
„Los! Alle Mann, die nicht zur Besatzung gehören, runter von der Brücke“, rief er in die Menge. „Was ist eigentlich geschehen?“
Sofort klärte man ihn auf. „Alle Maschinen Stopp!“, befahl er und ordnete gleichzeitig an, eine Notmeldung durchzugeben.
„Was ist eine Notmeldung?“ Plötzlich war Melba an seiner Seite. Eigentlich hatte sie auf der Kommandobrücke gar nichts zu suchen. Er wollte sie zurückschicken, tat es aber dann doch nicht.
„Eine Notmeldung ist eine Warnung an alle sich nahenden Schiffe“, erklärte er schnell. Damit ließ er sie stehen und wandte sich seinen Offizieren zu. „Werft noch einen weiteren Rettungsring hinterher, dann schnell die Scheinwerfer in Stellung bringen und ein Rettungsboot klarmachen.“ Er schien die Situation im Griff zu haben.
Melba beobachtete ihn, wie er da stand, in seinem langen Bademantel und Befehle erteilte. Großer Gott, wie elend er aussieht, dachte sie erschrocken. Hoffentlich macht er keinen Fehler.
Er machte keinen. „Ist die Mannschaft auf ihrem Posten?“ hörte sie ihn ausrufen.
„Alles Okay“, bekam er zu hören. Als nächstes befahl er einem Matrosen die direkte Kurslinie mit einer Rettungslampe zu markieren, während sie das Rettungsboot zu Wasser ließen. „Langsame Fahrt und ab jetzt absolute Stille“, ordnete Efraim an.
Mittlerweile war es draußen dunkle Nacht geworden. Efraim ging unruhig zwischen Steuerbord und Backbord hin und her. Die Warterei war am schlimmsten, schließlich trug er die volle Verantwortung für die Passagiere.
Melba sorgte sich um Luis und um den Kapitän, oder hatte sich dessen Befinden auf wundersame Weise gebessert? Er bemerkte ihren forschenden Blick, nickte ihr zu und sagte: „Ich bin wieder okay! Der Doc hat mir so ein Wundermittel gegeben. Bitte seien sie doch so gut und richten dem Steward aus, er möge für alle Kaffee machen, für mich sogar einen ganz besonders starken.“ Sie tat wie ihr geheißen.
In der Zwischenzeit hatte Luis den Rettungsring angelegt und harrte in seiner misslichen Lage aus. Zu seinem Glück war das Wasser in diesen Breitengraden angenehm warm. Von dieser Seite drohte ihm keine Gefahr. Er hatte das heftige Ausschlagen mit Armen und Beinen aufgegeben und ertrug das Warten auf seine Rettung mit gespielter Geduld. Er versuchte erst gar nicht an Haifische zu denken, spürte aber instinktiv, dass sie da waren. Sie müssen ja nicht unbedingt gefährlich werden, redete er sich ein und dachte an die Erzählungen des Weltenbummlers, der sich schon oftmals beim Tauchen in der Nähe jener Riesenfische aufgehalten hatte. Gerade, als er meinte, seine Kräfte würden zunehmend schwinden, traf der Schein eines Suchscheinwerfers genau auf sein Gesicht.
„Mann gesichtet! Einhundert Meter steuerbord“, rief jemand ganz in seiner Nähe. Sie hatten ihn gefunden. Die anschließende Bergung ließ er gerne über sich ergehen. Das Rettungsboot der Marilu konnte wegen des ruhigen Wassers dicht an ihn heranfahren. Die Seeleute nahmen ihn auf und hüllten ihn behutsam in eine Decke. An Bord der Marilu löste sein Anblick überschwängliche Beifallsbekundungen aus. Zur Sicherheit brachte man ihn umgehend auf die Krankenstation, währenddessen die Marilu ihre Reise fort setzte.
Melba und Claudio saßen an seiner Bettkante und lauschten seinen Schilderungen. Claudio war das Verschwinden seines Freundes zunächst gar nicht aufgefallen. Erschöpft von den langen Wanderungen in der Hitze von Cartagena war er sofort eingeschlafen und hatte selbst beim Ertönen des Alarmsignals kaum reagiert. Erst die daraufhin einsetzende Unruhe an Bord, hatte ihn doch noch aus dem Schlaf gerissen. Danach war er auf das Oberdeck gegangen, um nachzusehen, was geschehen war. Zu jenem Zeitpunkt hatte sich das Schiff allerdings schon nicht mehr bewegt. Dann war er Melba begegnet, die ihm aufgeregt etwas zugerufen hatte, was er jedoch bei all dem Durcheinander nicht richtig verstehen konnte. Dass es allerdings um Luis gehen musste, war ihm dann schlagartig klargeworden. Daraufhin war er zur Kommandobrücke gelaufen und hatte dort die erlösenden Worte: „Mann gesichtet“, vernommen. In Zukunft jedenfalls würde er besser auf seinen Freund aufpassen.
Später ging Efraim noch einmal auf die Krankenstation um nach dem Patienten zu schauen. Doch weder er, noch Luis, konnten ahnen, dass ihr kurzes Gespräch schon bald ein besonderes Gewicht bekommen sollte.
„War das mit der Rolle an der Reling auf achtern wirklich notwendig?“, wollte Efraim wissen.
„Die Cola Dose war an allem schuld, Herr Kapitän. Ansonsten hätte ich nicht mit solch einer Wucht reagiert. Gott sei Dank ist nun alles überstanden, aber ich bin ihnen zu großem Dank verpflichtet!“
„Ach was, das sind sie nicht, Luis. Ich trage nun mal die Verantwortung auf diesem Schiff und im Gegensatz zu manch voreiliger Meinung, liegt mir das Wohl der Passagiere ungemein am Herzen.“
„Trotzdem, sie haben mich gerettet und ich stehe tief in ihrer Schuld. Sie sollen wissen, dass sie immer auf mich zählen können, egal, wann und wo!“
„Ist schon gut Luis. Schlafen sie sich erst einmal richtig aus. Der Schlaf wird ihnen wieder Kraft geben und morgen sind sie über´m Berg.“
„Na ja, wenn das ein Befehl ist..., aber vergessen sie nicht, was ich vorhin gesagt habe. Man kann schließlich niemals wissen…“
„Ich weiß Bescheid, Luis. Träumen sie was Schönes und gehen sie zukünftig Cola Dosen aus dem Weg!“