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Kapitel 5

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„So kann man es aushalten, nicht wahr?“ sagte Luis scherzend zu Claudio, nachdem er angehäuft mit neuem Wissen über Raubfische, Schiffwracks und Motorbootmodelle den Weltenbummler auf dem Außendeck zurückgelassen hatte. Er fand seinen Freund über einer Straßenkarte von Cartagena gebeugt in einem Liegestuhl sitzend auf dem Oberdeck vor.

„Wo ist eigentlich Melba?“ fügte er dann eher ernsthaft hinzu.

„Unser „Playmate“ habe ich heute noch nicht zu Gesicht bekommen“, entgegnete Claudio etwas brummig, denn wie gerne hätte er das hübsche Mädchen selbst an seiner Seite gewusst.

„Na ja, alt genug ist sie ja und sicher wird sie bestens auf sich aufpassen können. Morgen erreichen wir Kolumbien. Sieh dir lieber die Karte von Cartagena an. Die Altstadt ist wirklich eine Wucht. Es existieren noch viele gut erhaltene Gebäude aus der Kolonialzeit. Die Stadt muss einmal ein wichtiger Handelsplatz der Spanier gewesen sein. Auf jeden Fall freue ich mich sehr auf den Landausflug und denke, wir sollten morgen frühzeitig aufbrechen. Im Cruise Kompass steht, dass wir bereits um sechs Uhr in Cartagena anlegen.“

„Mir ist alles recht Claudio, aber was ist mit Melba?“

„Keine Ahnung. Lass uns sie suchen gehen. Weit kann sie ja nicht sein. In ihrer Kabine ist sie jedenfalls nicht. Ich habe bereits mehrere Male an ihre Tür geklopft.“

Sie fanden Melba in der Viking-Lounge Bar. Sie hockte mit dem Kapitän zusammen und hörte konzentriert seinen Erzählungen zu. In der Tat schien sie derart von seiner Geschichte beeindruckt zu sein, dass sie nicht einmal Notiz von ihren beiden Reisebegleitern nahm, die sich auf die freien Barhocker neben dem schwarzen Piano niederließen, welches in ihrer unmittelbaren Nähe stand.

„…nicht auf der Marilu, aber auf einem anderen Schiff“, hörten sie die Stimme des Kapitäns sagen.

„Wir fanden ihn eines Morgens an Deck neben dem Kesselschacht. Er lag bewusstlos da und keiner kannte ihn. Wir brachten den Unbekannten auf die Krankenstation und versuchten einen Helikopter oder ein anderes Schiff zu erreichen. Es dauerte aber viel zu lange. Der Mann starb uns sozusagen unter den Händen weg. Vielleicht an inneren Blutungen den er hatte keinerlei äußere Verletzungen. Jedenfalls konnten wir nichts mehr für ihn tun, als ihn in eine Decke einzuwickeln, und ohne großes Aufsehen zu erregen in Puerto Rico abzugeben. Dort war unser nächster Halt. Das groteske war nur eine Quittung, die mir ausgestellt wurde.

„Eine Quittung?“ riefen Luis und Claudio fast gleichzeitig aus und machten so auf sich aufmerksam. Doch Efraim ließ sich nicht beirren.

„Ja, es war tatsächlich eine Quittung. Über eine männliche Leiche, kaukasisch und unbeschädigt, können sie sich das vorstellen?“

Melba hatte die Anwesenheit von Claudio und Luis kaum wahrgenommen. Zu sehr hing sie an den Lippen des Kapitäns. Dazu kam noch, dass sie sich während seiner Erzählung in ihn verliebt hatte. Anfangs noch hatte sie ihm einfach nur zugehört, etwa wie bei einer Vorlesung, aber bald schon war nicht mehr die Geschichte als vielmehr der Mann, der sie erzählte, in den Vordergrund gerückt.

Sie hatte Efraim beobachtet, hatte seinen Gesichtsausdruck wahrgenommen, während er erzählte. Die Nuancen und die blauen, von Melancholie überschatteten Augen, sowie der schmalen, fast schon strenge Mund, hatten sie in ihren Bann gezogen. Auch seine Hände hatte sie nicht aus den Augen gelassen. Sie hatte gesehen, wie sie mit feinen Bewegungen seinen Bericht begleiteten. Von da an war ihr klar geworden, dass sie ihn liebte, auch wenn er gut und gerne ihr Vater hätte sein können. Geduldig beantwortete er die Fragen der weiteren Passagiere und erzählte von seinem Leben, bis er es für angemessen hielt, ihre kleine Zusammenkunft zu beenden.

Claudio und Luis bestellten sich noch einen letzten Absacker. Der durfte allerdings nicht zu lange dauern, denn man wollte ja am kommenden Morgen frühzeitig aufstehen. Der Kapitän ließ es sich nicht nehmen die etwas beschwipste Melba zu ihrer Kabine zu führen. An ihrer Tür kam es dann noch zu einem kurzen, aber folgenschweren Dialog:

„Haben sie bitte Mitleid mit mir Herr Kapitän. Es ist etwas spät geworden und ich habe zu viel getrunken!“

Sie stand gegen ihn gelehnt, mit dem Kopf an seiner Brust. Er hielt sie an den Schultern. Dann nahm er ihren Kopf in beide Hände und küsste sie sanft auf ihren Mund. „Gute Nacht Melba.“

„Gute Nacht Efraim, ...äh Herr Kapitän.“

„Ach ja, ehe ich es vergesse, wissen sie schon, wie es nach der Karibikreise mit ihnen weiter gehen soll?“

Melba sah ihn an. Sie verstand nicht ganz. „Wie meinen Sie dass?“, fragte sie.

„Zeit“, sagte er nur und wiederholte dann seine Frage: „Haben sie Zeit?“

„Wann denn und wofür?“ fragte Melba etwas verwirrt.

„Sagen wir Ende März?“

Melba verstand immer noch nicht. „Und welchen Monat haben wir jetzt?“, wollte sie wissen. Efraim erklärte es ihr. Er sagte: „Jetzt haben wir Anfang Februar. Ende März fahre ich für einige Wochen nach Costa Rica. Hätten sie vielleicht Lust mich dort zu besuchen?“

„C...Costa Rica? Das hört sich g...gut an, und Ende März, sagen sie?“

„ Ja, Ende März!“

„Ich dachte, sie müssten zurück nach Spanien?“

„Ja, das stimmt auch, aber dort liefere ich nur das Schiff ab. Danach fliege ich nach Costa Rica.“

„Also gut, i...ich auch“, stammelte Melba beschwipst.

„Efraim hatte bemerkt, dass sie sich kaum mehr auf den Beinen halten konnte. Also öffnete er die Kabinentür und lies sie auf das Bett gleiten. Beim hinausgehen sagte er noch: „Also, dann Ende bis März, in Quepos, Costa Rica, in einem Zimmer mit Balkon und Blick direkt aufs Meer.“

Er küsste sie ein zweites Mal, diesmal wesentlich länger und ging dann hinaus auf den Gang und zu den Aufzügen. Seine Kabine lag zwei Stockwerke höher.

Dort lag er lange wach, konnte nicht einschlafen und musste nachdenken: Vom Timing her würde es wahrscheinlich noch klappen. Aber spielt auch mein Gesundheitszustand mit? Sie war genau der Typ Frau, die ihm gefiel. Eine junge Dame, grazil und dunkelhaarig aber mit reifem Kopf und ohne jegliches, alberne Getue. Ein wenig erinnerte sie ihn an seine frühere Geliebte aus dem Norden. Nur diesmal bleibt mir nicht mehr viel Zeit und vielleicht ist es sogar die letzte Frau, die ich besitzen möchte...

Über dem weiten Horizont fing es schon leicht an zu dämmern, bevor ihn endlich die Müdigkeit einholte.


Der nächste Tag war so, wie Tage nach einem ausgiebigen Feiern oftmals waren: Träge, bequem und langsam. Die Crew hatte Mühe, den Zeitplan einzuhalten. Bereits in aller Frühe hatten die kolumbianischen Behörden das Kreuzfahrtschiff freigegeben und wer wollte konnte nach dem Vorzeigen des Seepasses einfach von Bord gehen.

Efraim hatte sich nach einer Tasse Kaffee wieder hingelegt. Mit der Menge an alkoholischen Getränken am gestrigen Abend, hatte er seinem Körper zu viel zugemutet. Diesmal hatte ihn das Leiden anfallartig überfallen. Daraufhin hatte er schnell nach seiner Beruhigungsspritze gegriffen und war danach sofort wieder eingeschlafen.

Melba hatte zeitig in ihrer Kabine gefrühstückt. Allerdings nur das Notwendigste: Eine Scheibe Toast, Früchte und starken Kaffee. Ein Blick in den Spiegel über der Kirschbaumkommode zeigte ihr ein blasses, verschlafenes Gesicht.

„Cartagena hin oder her“, dachte sie, aber dann hatte sie sich wieder in ihre Decke eingewickelt und war eingeschlafen.

Weibsbilder, dachten Luis und Roger fast gleichzeitig in diesem Augenblick, während sie von der Reling hinunter auf die Skyline von Cartagena blickten. Können die denn niemals pünktlich sein?

Das weiße Schiff lag in der Nähe der Playa Blanca vor Anker und eigentlich wollten die beiden Freunde schon längst durch die Altstadt gestreift sein, warteten aber noch geduldig auf Melba, die sich bisher noch nicht hatte blicken lassen.

„Jetzt reicht es mir aber“ , sagte Claudio verärgert. „Wenn du meinst, ich lasse mir durch unsere Prinzessin den ganzen Tag verderben... Lass uns gehen, sie wird schon nachkommen, wenn es ihr passt.“

Glücklicherweise verfügte der Hafen von Cartagena über ausreichend Anlegestellen für Kreuzfahrtschiffe. Im gegenteiligen Fall, hätte ihr Kreuzfahrtschiff weit außerhalb der Halbinsel vor Anker gehen müssen und dann wären die Landausflügler mit Hilfe von Bei,- und Rettungsbooten in einer Art Fährbetrieb von Bord des Kreuzfahrtschiffes an Land befördert worden. Dieser Aufwand blieb den über Tausend Passagieren an diesem Tag zum Glück erspart.

Obwohl es noch früh am Morgen war, lag eine drückende, tropische Hitze über der kolumbianischen Hafenstadt, die noch viel aus jenen Zeiten in sich trug, als sie den Belagerungen der englischen Freibeuter standhalten musste. Ein Taxi brachte die beiden Freunde zum Castillo San Felipe. Sie hatten die ehemalige Festung als Ausgangspunkt für ihre Erkundigungstour auserkoren und schon bald nahm sie die unvergleichliche Atmosphäre des historischen Viertels vollends in Beschlag.

Beeindruckt, schlenderten sie durch die Straßen von Cartagena, und das bei glühender Hitze. Mehr als einmal legten sie eine Pause ein und bestaunten die einmaligen, historischen Gebäude, tranken den wohlschmeckenden, kolumbianischen Kaffee und beobachteten die bildhübschen Mädchen, welche Melba in Wirklichkeit in nichts nachstanden. Zum Schluss besuchten sie eine folkloristische Tanzveranstaltung im Park Simon Bolivar, bevor sie an den Arkaden der Klöster und Herrenhäuser vorbei Richtung Hafen schlenderten. Die unbarmherzige Sonne forderte ihren Tribut. Die beiden Freunde waren platt wie eine Flunder, als sie zur Marilu zurückkehrten. Ein kurzer Blick zurück, und die atemberaubende Altstadt verabschiedete sich im Schein unzähliger romantischer Straßenlaternen. Sie konnten nicht begreifen, wie sich Melba diesen Anblick hatte entgehen lassen können.

Ein müdes Schwanken über die große Gangway, das Vorzeigen der Seepasses und schon tauchten sie wieder in die vollkommene Welt des Kreuzfahrtschiffes ein.

Jene Crewmitglieder, die keinen Freigang hatten, schliefen am Vormittag oder am Nachmittag, je nachdem, wann man sie für ihren Dienst eingeteilt hatte. Gegen Abend schien sich das Leben an Bord wieder zu normalisieren. Diesmal erfolgte das Abendessen unter freiem, karibischem Sternenhimmel, auf den oberen Decks und mündete in eine anschließende Abschiedsparty für Cartagena. Melba und Efraim hatten das Abendessen bereits um eine halbe Stunde überzogen, als sie sich ebenfalls unter die tanzenden Passagiere bei den Pools mischten. Dabei begab sich Efraim an die offene Bar, um „Stabilisatoren“ zu holen, wie er die alkoholischen Getränke nannte.

Eigentlich hätte er aus dem schmerzhaften Nachspiel der nächtigen Unmäßigkeit etwas lernen müssen und wenigstens für diesen Tag harte Drinks meiden sollen. Doch er machte seine eigene Rechnung auf und versuchte der ganzen Tragödie noch etwas Positives abzuringen, aber sein Körper ließ sich diesen neuerlichen Angriff nicht bieten. Nach dem dritten Glas Tequilla bemerkte Melba plötzlich wie er seine Fäuste zusammenpresste und sein Gesicht eine aschgraue Farbe annahm.

Blitzschnell packte sie ihn beim Arm: „Mein Gott Efraim, was ist mit ihnen?“

„Nichts ist mit mir“, versuchte er zu antworten, während er sich von seinem Hocker erhob. „Bitte lassen sie mich…“

„Aber sie müssen…“

„Ich bin der Kapitän an Bord dieses Schiffes! Bitte seien sie ein folgsames Mädchen und genießen einfach weiter ihren Tequilla.“

Melba sah ihn ungläubig an.

„Glauben sie mir, ich weiß damit umzugehen. Es ist schnell wieder vorbei!“

Er verließ das Oberdeck und ging in Richtung der Aufzüge. Im Gang blieb er stehen, presste sich die Hände gegen seinen Unterleib. Kalter Schweiß bildete sich auf seiner Stirn. Diesmal kam es noch schlimmer. Er spürte wie ihm übel wurde. Verzweifelt rannte er den Gang entlang und die Treppen hinauf. Er wusste, er würde es nicht mehr schaffen können, aber er riss sich noch einmal zusammen und rannte weiter, bis er seine Kabine erreicht hatte. Hastig öffnete er die Tür und stürzte hinein, jedoch bis zum Bad schaffte er es nicht mehr…

Nach mehreren Versuchen richtete er sich wieder auf aber es war noch nicht zu Ende. Wie in Trance fingerte er nach der erlösenden Spritze, die er wie immer „einsatzbereit“ in der obersten Schublade seines Schreibtisches vermutete. Mit zitternder Hand stand er vor dem Waschbecken und versuchte die Nadel anzusetzen.

Er rutschte ab: einmal, zweimal, dreimal, dann spürte er endlich die honigfarbene Flüssigkeit in sich eindringen. Doch noch wollte der Schmerz nicht nachlassen.

„Verdammt! So lange hatte es bisher noch nie gedauert!“

Wieder spürte er den Brechreiz in sich aufsteigen. Jetzt schienen die Beschwerden sogar noch an Heftigkeit zuzunehmen. Mit Schrecken bemerkte er die leichte rote Verfärbung in seinem Erbrochenen. Es war Blut. Er fröstelte und zog sich einen Bademantel über. Für einen Moment erwog er sich eine weitere Spritze zu setzen, aber dann dachte er an dieses Schiff, dass er ja eigentlich führen sollte. Während er noch zögerte, ließ die nächste Attacke nicht lange auf sich warten. Diesmal riss es ihn von den Beinen. Er wurde ohnmächtig, brach zusammen und blieb auf dem Boden des Badezimmers liegen.

Endstation Sehnsucht

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