Читать книгу Dass im Herzen die Sonne wieder scheint - Malie Griebe - Страница 13
ОглавлениеKapitel 7
Es ist der Tag vor der Konfirmation meines kleinen Bruders. Um 18 Uhr findet daher ein Abendmahlsgottesdienst statt. Mama ist mit dabei. Sie ist tatsächlich in der Lage mitzukommen, worüber sich jeder freut. All ihre Kraft hat sie zusammengenommen und nimmt nun mit Rollstuhl und Sauerstoffgerät an diesem Gottesdienst teil.
Auf einmal kommt der Pastor mit Oblate und Krug bis zu unserer Bankreihe in der Kirche, um Mama auch die Möglichkeit zu geben, am Abendmahl teilzunehmen. Trotz der vielen zu uns gerichteten Blicke, finde ich die Geste des Pastors sehr umsichtig und barmherzig. Allerdings wird mir dadurch schlagartig wieder vor Augen geführt, was diese Krankheit für uns alle bedeutet. Mal wieder realisiere ich, wie schlimm es schon ist. In diesem Moment kämpfe ich demzufolge sehr stark mit dem Zurückhalten des plötzlich aufsteigenden Kloßes im Hals.
05.05.2019
Gestern noch der Abendmahlsgottesdienst, heute um 11:15 Uhr der Beginn des Gottesdienstes für die Konfirmation. Auch dieses Mal kam Mama mit zur Kirche. Es war schließlich ihr noch letztes Ziel im Leben, bei allen Konfirmationen ihrer Kinder und damit auch bei der meines kleinen Bruders mit dabei gewesen zu sein. Dieses Ziel hat sie nun erreicht. Von gestern fühlte sich Mama allerdings geschwächt, weshalb sie ihr Sauerstoffgerät von Anfang an in Benutzung hatte.
So verlief der Gottesdienst für sie insgesamt noch recht aushaltbar, zu Hause bekam sie hingegen nur schwer Luft. Aufgrund dessen befand sie sich mit Papa und einer Freundin von meinen Eltern in der Küche, die sich bemühten, etwas für sie zu tun. Teils vergebens schnappte sie nach Luft.
Ich durfte nicht in die Küche kommen. Stattdessen fantasierten meine Gedanken unweigerlich die Szene, die sich hinter der Küchentür abspielte. Ich sah Mamas Zittern, ihr Husten, ihr Japsen, ihre Tränen und spürte meine Panik. Es war grauenvoll, sich wieder so hilflos zu fühlen.
Was hätte ich denn aber auch tun können? Ich hatte nur noch die starke Bitte: Nicht heute, nicht jetzt! Nicht ausgerechnet an dem Tag, wo sich die Gesellschaft in Feierstimmung befindet. Es wäre eine zu katastrophale Erinnerung an diesen Tag für alle Anwesenden.
Mit der Zeit schafften die beiden es zum Glück, dass es Mama ein wenig besser ging. Nur leider bekam sie danach nicht mehr viel von der Konfirmation mit, weil sie sich erholte und viel schlief.
Dennoch war es ansonsten ein schöner Tag und es herrschte eine heitere Stimmung. Tatsächlich ging es Mama am Nachmittag auch schon deutlich besser.
07.05.2019
Nach dem Klavierunterricht verbrachte ich die meiste Zeit bei meinem großen Bruder in seinem Zimmer. Wir hörten laut Musik, plauderten ununterbrochen und amüsierten uns. Aus diesem Grund, nämlich glücklich Zeit mit meinem Bruder verbracht zu haben, möchte ich auch nicht bereuen, dass wir nicht mitkriegten, wie in dieser Zeit der Notarzt kam und Mama ins Krankenhaus fuhr. Wieder erlangte sie sehr schwer Luft und zitterte erheblich am ganzen Körper. Außerdem erlitt sie einen Kreislaufzusammenbruch, weil sie nur noch so wenig Nahrung zu sich nimmt.
Es ist nicht zu übersehen, wie sehr sie in den letzten Monaten abgenommen hat und schrecklich dünn ist. Sie will kaum noch essen, weil sie vieles nicht mehr verträgt und sich davon übergeben muss. Außerdem habe das meiste entweder keinen Geschmack, nur einen abscheulichen oder einen wie Pappe.
Während ich diese Zeilen liegend im Bett verfasse, verbringt Papa noch den ganzen späten Abend bei Mama. Ich hingegen weine und kann nicht einschlafen. Mir geht so viel Schmerzliches durch den Kopf. Was ist, wenn sie gerade stirbt? Ich muss mir selbst eindringlich ins Gedächtnis rufen, dass sie noch am Leben ist. Dies ist zurzeit meine einzige Aufmunterung, damit ich nicht noch stärker in Tränen ausbreche. Dass ich diese Aufmunterung eines Tages nicht mehr haben werde, will ich mir nicht vorstellen.
Schwerlich fallen mir nach diesem Eintrag meine verweinten Augen zu. Am nächsten Tag erfahre ich, dass sich im Krankenhaus herausstellte, dass sie eine Kaliumunterversorgung hat. Zudem entdeckte man, dass sie sich eine Lungenentzündung zugezogen hat. Dies erklärt ihr häufiges Husten.
Nach den Hausaufgaben begebe ich mich demnach zu Mama ins Krankenhaus. Für mich steht am nächsten Tag zwar eine Arbeit an, aber das ist nur Deutsch. Dafür kann ich auch noch abends lernen. Außerdem ist es mir wichtiger, mir die Zeit zu nehmen, um bei meiner Mutter zu sein.
Der intensive Geruch von Desinfektionsmitteln sticht mir beim Betreten der Eingangshalle in die Nase. Ich bahne mir den Weg durch die schlichten Gänge zum Krankenzimmer. Mama befindet sich auf Station 18, Zimmer 6.
Als ich in den Raum hineingehe, freut sie sich sehr, mich zu sehen. Ihr Gesicht trägt ein warmherziges Lächeln. Ich trauere jedoch schon jetzt. Leider bin ich keineswegs so psychisch stabil wie sie. Doch es ist äußerst schön zu sehen, welche mentale Kraft sie entwickelt hat.
Mittlerweile sind beide ihrer Beine aufgrund einer Thrombose dick. Zudem befinden sich eine Infusion von Antibiotika sowie natürlich das Sauerstoffgerät an ihr.
Ich setze mich zu ihr ans Krankenbett.
»Mila. Glaub mir, ich habe alles Mögliche getan, was meine Gesundheit hätte verbessern können. Alle Ärzte haben mir geholfen und haben mit mir gegen den Krebs angekämpft. So gut wie wir alle konnten.«
Dieser zu Ende gehende Kampf zeigt mir, dass sie begonnen hat, den Gedanken, bald sterben zu müssen, zu akzeptieren. Nichtsdestotrotz zeichnen sich Tränen in ihren Augen.
»Ich muss noch mindestens eine Woche im Krankenhaus bleiben, weil die Lungenentzündung vollständig verheilen soll.«
»Oh… Ja… Das verstehe ich. … Wenigstens ist dein Ausblick aus dem Zimmer verglichen mit anderen Krankenzimmerausblicken recht gut. Findest du nicht auch? Denn, wenn du willst, könntest du alle Leute beobachten, die ins Krankenhaus gehen oder dieses verlassen. Das heißt, du musst nicht die ganze Zeit dieselbe Wiese anstarren… Sicherlich sorgt das für Abwechslung und gestaltet den Krankenhausaufenthalt ein wenig interessanter. So stelle ich es mir zumindest vor.«
» … Ja, vielleicht hast du recht… Aber ich wäre so viel lieber bei euch zu Hause. So gern würde ich mich frei bewegen können. Ein Spaziergang im Park wäre etwas erfüllend Schönes. Ich sehne mich danach, einfach mal raus in die Natur zu gehen. Ich möchte nicht den ganzen Tag nur fade im Krankenhausbett liegen.«
Diese Wünsche kann ich nur zu gut nachvollziehen. Nur leider bin ich nicht imstande, etwas ausrichten zu können. Diese Machtlosigkeit, nichts tun zu können, sondern das Leid hinnehmen zu müssen, belastet mich. Es tut mir so weh. Ich kann mir kaum vorstellen, wie weh es meiner Mutter tut.
Als ich mich später verabschieden möchte, vereinbaren wir, dass wir uns einander zuwinken, sobald ich vor dem Ausgang des Krankenhauses stehe. Auf dem Rückweg blicke ich demnach von der Straße aus hoch zu ihrem Zimmerfenster. Sie steht bereits dort und winkt mir zu. Ich lächle und winke zurück.