Читать книгу Dass im Herzen die Sonne wieder scheint - Malie Griebe - Страница 7

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Kapitel 1

Das Schloss fällt hinter mir in den Türrahmen, als ich mich von zu Hause entferne. Meine Beine tragen mich immer weiter fort. Immer tiefer in den Wald. Sonnenstrahlen blitzen vermehrt durch die Baumkronen. Vögel zwitschern und die ersten Blumen blühen. Es ist März. Der Frühling beginnt.

Beim Spazierengehen erklingen zarte Klaviertöne über Kopfhörer in meinen Ohren. Es ist ein fließendes Auf und Ab voller beruhigender Klänge. Wie eine friedvolle Melodie, die mein Herz erhellt und mein Ohr bezirzt. Ich lasse meine Gedanken schweben und verliere mich im Tagträumen.

Nach einiger Zeit haben mich meine Füße so weit getragen, dass ich mich vor einem riesigen Feld am Waldrand befinde. Hindurch bahnt sich ein schmaler Schotterweg, der bei meinem Lieblingsladen endet.

Es ist ein kleiner okkulter Buchladen am Rande der Stadt. Weil ich viel und gerne lese, bin ich dementsprechend häufig bereits in diesem Geschäft gewesen. Mir gefällt es, dort hin und wieder nach neuen Romanen zu stöbern. Auch heute begebe ich mich dorthin, um mir als Ablenkung von den Alltagssorgen eine neue Lektüre zu kaufen.

Die freundliche Ladenbesitzerin Frau Harper kennt mich mittlerweile sogar beim Namen. In einem Gespräch berichtete sie mir einmal, wie sie damals in jungen Jahren ihren Traum wahr werden ließ, indem sie ihre eigene Buchhandlung eröffnete.

Ein paar Mal schon schlug sie mir Romane vor und überzeugte mich allein aus dem Grund zum Kauf, weil sie die präzisen – jedoch noch nicht zu viel verratenden – Inhaltsangaben dieser Lektüren überaus mitreißend schilderte. Frau Harper erzählte sie so, als wäre sie selbst ein Teil der Geschichte und hätte die Handlung eigenständig miterlebt. Und dies mit Eloquenz und Worten voller Bedacht. Bemerkenswert.

Als ich den Laden betrete, weht mir ein herrlicher Duft der Bücher entgegen. Durch die Schaufenster strahlt die Sonne und erwärmt das bunte Geschäft. Die Atmosphäre zwischen den vielen kleineren Pflanzen, den ausgefallenen Dekorationen und den zahlreichen Büchern wirkt jedes Mal wieder gemütlich.

Ich grüße Frau Harper und gehe zielstrebig zu den verschiedenen Abteilungen. Hier mache ich mich auf die Suche nach einem interessanten Roman.

Gerade lese ich den Klappentext eines Romans aus dem Beginn des 19. Jahrhunderts und bin überzeugt, mir diesen zu kaufen, während ich plötzlich bemerke, wie Frau Harper zu mir kommt.

»Oh, das ist aber selten, dich junge Dame in der Klassikabteilung vorzufinden!«, sagt sie lächelnd zu mir. Natürlich stets gefolgt mit ihrem Begleiter der Ironie, denn sie weiß, dass ich bereits einiges aus diesem Bereich gelesen habe. Daher lächle ich als Antwort etwas verlegen und schmunzle.

Mit sowohl farbenfroher als auch eleganter Kleidung steht mir Frau Harper gegenüber. Wie gewöhnlich trägt sie einen einfachen Dutt, der ihre lieblichen Gesichtszüge schmückt. Auch verzieren Kreolen dieses Gesicht. Ihre Augen offenbaren eine magische Tiefe, aus der man Frau Harpers Warmherzigkeit lesen kann. Hinter ihrem schlanken Körper hält sie mit ihren Armen etwas versteckt. Dann fährt sie zögernd fort:

»Mila, ich habe von dem Gesundheitszustand deiner Mutter erfahren. Es tut mir so leid! Mir ist etwas eingefallen, um wenigstens etwas in dieser schweren Zeit für dich tun zu können.«

Sie zieht ihre Hand hervor und präsentiert mir ein grün verpacktes Geschenk mit Schleife. Ich kann meinen Augen kaum glauben, so positiv überrascht bin ich. Den Roman lege ich zur Seite, um Frau Harpers Geschenk entgegennehmen zu können. Im Anschluss beginne ich dieses zu öffnen und erblicke ein wunderschönes Notizbuch, auf dessen Cover zahlreiche Ginkgoblätter abgebildet sind. Zwischen all diesen steht in goldener Schrift Journal. Mein Gesicht verliert sich in einem Strahlen. Immer wieder bedanke ich mich und kann mein Glück kaum fassen.

»Schreiben ist eine hilfreiche Methode, um sich zu erden, sich zu sortieren oder Erinnerungen zu konservieren. Es entlastet Herz und Hirn. Das hat mich auf die Idee gebracht, dir eine Möglichkeit dazu zu verschaffen!«, begründet sie.

Ich allerdings weiß gar nicht mehr, was ich sagen soll. Wenn sie nur wüsste, wie treffend sie bei mir mit dieser Geschenkidee liegt. Ihr Mitgefühl zu meiner privaten Situation rührt mich so sehr, dass ich sie schon jetzt immer mehr mag.

Am Abend sitze ich auf meinem Bett und blicke sehnsüchtig nach draußen. Dort ist bereits alles dunkel. Nur noch die Sterne und meine kleine heranwachsende Kastanie auf dem Balkon sind durch das Mondlicht zu erkennen. Mir ist nicht nach schlafen. Stattdessen versinke ich immer weiter in meine Gedanken. Bald schlägt die Uhr Mitternacht und noch immer gebe ich mich der aufkeimenden Melancholie hin.

Vor ein paar Tagen erst habe ich versucht, meine Freundin Jane in ihrem Kummer zu trösten. Um ihr Leid zu besänftigen, habe ich ihr spontan alles erzählt, was mir selber hilft, gedanklich nicht allzu sehr in dieses dunkle, ja tiefschwarze Loch zu fallen. Genauso wie ihr an jenem Abend ergeht es mir selbst noch viel öfter, als alle um mich herum zu denken vermögen. Keiner sieht das Leid, geschweige denn die Qualen. Tag täglich. Man ist zwar da, man existiert. Und das auch mit Freude, keine Zweifel daran, dass das Leben durchaus auch zu Schönem in der Lage ist. Aber, wieso ist das ausgerechnet so selten zu spüren? Denn hin und wieder, immer öfter überfallen mich Dämonen. Es sind Gedanken, die ich nur schwerlich stoppen kann und in mir schmerzende Gefühle auslösen.

Wie sehr ich mich danach sehne, einmal alles loszulassen! Und das am besten ohne Druck und Zwang von außen, den man ständig verzweifelt versucht standzuhalten. Zu oft schon bin ich an dessen Last zusammengebrochen. Es ist einer meiner größten Wünsche, auf Dauer wieder glücklich fühlen zu können.

Mein Bett ist gemütlich und so weich, dass sich die Matratze an meinen Körper anschmiegt. Sie ist perfekt, um darin zu versinken. Schnell wird mir bewusst, ich brauche laute und stimmungsaufhellende Musik, um meine erschreckend traurigen Gedanken zu übertönen und zu zügeln.

Oder ich greife zu Stift und Papier. Neben dem Musikhören ist es das Schreiben, das ich für mich als Methode gegen seelischen Schmerz entdeckt habe. Es hilft mir, alles besser zu verarbeiten, dies in Worte zu schmücken und noch dazu, einige entzückende Details aus meiner Vorstellungskraft hinzuzudichten. Ich genieße es, der eigenen Fantasie freien Lauf zu lassen und mich der schriftstellerischen Freiheit hinzugeben. Insbesondere beim Tagebuchschreiben reflektiert man sowohl das Verhalten anderer als auch sein eigenes. Oft lernt man sich auf diese Weise noch ein bisschen besser selbst kennen, wie man eigentlich genau denkt. Man lernt, was einem im Unterbewusstsein wirklich beschäftigt.

Plötzlich fällt mein durchs Zimmer streifender Blick auf ein verziertes Büchlein. Mein neues Tagebuch. Genau das hat Frau Harper unter all den Notizbüchern aus ihrem Buchladen ausgewählt und mir geschenkt.

Eifrig überfällt mich die Energie, aufzustehen und mit diesem Buch und einem Kugelschreiber in der Hand ins Bett zurückzukehren. Das Geschenk soll schließlich nicht außer Acht gelassen werden, sondern seinen Zweck erfüllen. Daher fasse ich den Entschluss, mit dem Tagebuchschreiben zu beginnen. Ich wünsche mir so sehr, dass es als Hilfe dient. Es soll mir eine seelische Stütze sein, indem ich in Zukunft all das, was ich erlebe, was mich berührt oder verletzt, aufschreiben und verarbeiten werde.

Kurz rücke ich mich in meinem Bett zurecht und schreibe los. Ich bin motiviert. Mein Ehrgeiz ist entfacht. Mit einer anfangs noch zögerlichen Hand bewege ich den Stift übers Papier und schreibe die ersten Zeilen.

Der Beginn einer langen Reise.

19.03.2019

Liebes Tagebuch,

wie fange ich bloß an, gewisse Dinge niederzuschreiben? Es ist schier unmöglich, meine exakten Empfindungen auszudrücken und niederzulegen, ja für immer abzulegen. Aber ganz einfach, ich fasse mich kurz: Mein Leben dreht sich zu schnell und ich sitze drin und werde nahezu hinausgeschleudert. Doch lass mich von vorne beginnen: Ich bin Mila, 15 Jahre alt und ich erlebe zurzeit die letzten gemeinsamen Wochen mit meiner Mutter.

Außerdem bin ich der Meinung, dass wir Menschen uns häufiger fragen sollten, ob wir wirklich wissen, wie es den anderen um uns geht. Alles scheint auf den ersten Blick so lieblich, harmonisch und naja, so gut wie perfekt. Aber sind wir ehrlich. Was ist schon perfekt? Oft erwägen wir erst gar keine Zweifel, dass das Meiste nur Fassade sein könnte. Doch, wenn einem schließlich Einblick ins tiefe Innere gewährleistet wird, bemerkt man, dass es eben doch einige gibt, die zu häufig zu viele besorgte, angsterfüllte oder auch traurige Gedankenschleifen besitzen. Ich kenne es selbst zu gut von mir. Man lächelt durch den Schmerz. Ganz ohne Acht, ob dies einem überhaupt guttut. Daher ist es auch so wichtig, mit anderen freundlich umzugehen und sie nicht zu verurteilen. Schließlich wissen wir nicht, was gerade wirklich in ihnen vorgeht, welches Päckchen sie zu tragen haben. Nur selten kennen wir die wahre und vor allem vollständige Geschichte.

Mein Lieblingszitat lautet:

»Dass uns eine Sache fehlt, sollte uns nicht davon abhalten, alles andere zu genießen.«

Dieses exquisite Zitat von Jane Austen soll in meinem Tagebuch nicht fehlen, denn es erinnert mich daran, dass man sich für all die Dinge, die einem gegeben sind, immer dankbar und glücklich schätzen sollte. Auch wenn uns etwas fehlt, sollten wir den Moment genießen, weil uns dafür so viel Weiteres umgibt, das keine Selbstverständlichkeit ist.

Lerne das zu lieben, was du hast. Konzentriere dich nicht auf das, was du nicht hast. Wirf einen Blick auf all die Dinge, die du sonst genießen kannst. Glücklichsein ist so viel mehr, als sich über das zu erfreuen, was man sich aktiv wünscht.

Sei dankbar für all das Schöne, das dich umgibt. Sei dankbar auch für Kleinigkeiten. Begegne diesen kleinen Momenten mit Achtsamkeit, denn oftmals sind sie es, die dir am liebsten in Erinnerung bleiben und mit denen du am meisten verbindest. Es sind die Augenblicke, die du vor allem vermissen wirst, wenn es heißt, dass es nie wieder möglich sein wird.

Kurz lege ich das Buch zur Seite und beschließe, noch etwas über das Geschriebene nachzudenken. Wie oft habe ich mir dieses Zitat schon ins Gedächtnis gerufen? Zu oft, um es noch zählen zu können.

Als ich nach draußen spähe, sehe ich nicht viel mehr als die nahezu pechschwarze Dunkelheit. Der Himmel? Gesprenkelt voller Sterne. Mir fällt ein, was ich als nächstes schreiben könnte:

Ich liebe den mit glänzenden Sternen besäten Nachthimmel. Es ist ein so zärtlicher Anblick, dass man seine Augen gar nicht mehr abwenden möchte. Die Sterne sehen in der Dunkelheit wunderschön aus. Alles fühlt sich besonders an. Dieser Blick gen Himmel lässt mich in eine Träumerei versinken. Ich denke über all die positiven und fernen Emotionen aus der Vergangenheit nach. Manchmal verliere ich mich so sehr in diesen schwärmenden und vermissenden Gedanken, dass mir mit der Zeit die erste Träne meine Wange entlang kullert. Auch die folgenden kann ich nicht aufhalten. Um ehrlich zu sein, möchte ich es auch gar nicht. Fließende Tränen befreien und sorgen dafür, dass ich mich von dem Schmerz ein wenig loslösen kann. Als würde jede Träne für eine schmerzende Sorge stehen und mit dem Zerfließen ihre verbundene Last und Schwere verlieren.

Wieder blicke ich vom Tagebuch hoch. Dabei sehe ich aus dem Fenster deutlich den grauweiß leuchtenden Mond.

Die Schönheit des Mondes lässt mich dahinschmelzen. Sie regt mich oft zum Nachdenken an. Zumal der Mond vor allem in der Nacht sichtbar ist und man in dieser Zeit sowieso philosophischer denkt. Oder ist das nur bei mir so? Es gibt so vieles, das mir plötzlich durch den Kopf geht, wenn ich den Mond betrachte. Zuallererst denke ich jedoch an eine bestimmte Person. Nämlich an die, die mir folgenden Satz anvertraute:

»Denk immer dran, wir sehen denselben Mond!«

Es ist ein einfacher, mir dennoch bedeutungsvoller Satz meiner Freundin Grace für den Fall, dass ich sie vermisse oder mich einsam fühle.

Ja, wir sehen denselben Mond. Gerade schaue ich in den Himmel und erblicke ihn. Du auch?

Dass im Herzen die Sonne wieder scheint

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