Читать книгу Rufmord auf Wangerooge - Malte Goosmann - Страница 12

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Als Lars Petersen die Vorhänge in seiner Dienstwohnung beiseiteschob, sah er nur blauen Himmel. Es würde ein toller Sommertag werden. Abends hatte er einen Termin mit Sönke Meiners, um die Schlagerrevue um das Haus Fresena vorzubereiten. Meiners hatte ja inzwischen Kontakt mit Petersens Kumpel Merti aus Bremen aufgenommen. Er war gespannt, was die beiden ausgeheckt hatten. Der Ärger des gestrigen Tages war verflogen, wenn auch nicht vergessen. Mit Manfred Jessen hatte er noch eine Rechnung offen, daran gab es nicht zu deuteln, aber er musste kühlen Kopf bewahren. Gut gelaunt betrat er das Dienstzimmer. Nur Onno und Anwärter Bernhard waren anwesend. Kollege Naumann hatte Nachtbereitschaft gehabt und durfte länger ausschlafen. Bernhard hatte Brötchen geholt, die Kaffeemaschine lief. Kurz ließen die drei den gestrigen Einsatz Revue passieren, ohne dass neue Gesichtspunkte auftauchten. Der Bericht war an die Staatsanwaltschaft Oldenburg gegangen und diese würde nun entscheiden, was mit Jessen passieren sollte. Eine Vorladung nach Oldenburg würde es in jedem Falle geben, da war sich Petersen sicher. Er wollte gerade in das zweite Brötchen beißen, als das Telefon sich meldete. Da Petersen nah am Apparat saß, nahm er ab.

„Polizeiposten Wangerooge, Petersen am Apparat.“

„Moin Herr Petersen, hier ist Dr. Meyerdierks. Ich hatte gestern am frühen Morgen einen Notfalleinsatz, hilflose Person mit Kopfverletzung vor der Teestube.“

„Wieso wissen wir davon nichts?“, unterbrach Petersen den Inselarzt, „in unserem Tagebuch ist kein Vermerk.“

„Immer mit der Ruhe, erst mal war das ja nur ein normaler Getränkeunfall, wie er leider so häufig auf unserer Insel vorkommt. Sturz, Kopfverletzung, nicht ansprechbar. Gott sei Dank hat ein Zimmermädchen, das sehr früh auf dem Weg zur Arbeit war, den Rettungswagen gerufen. Da wir auf der Insel nicht röntgen können, hab ich einen Transport per Hubschrauber nach Sanderbusch veranlasst. So weit, so gut. Heute Morgen ruft mich der behandelnde Arzt an, dass der Patient Rippenprellungen hat, die unmöglich von seinem Sturz stammen können.“

Wieder schaltete sich Petersen ein.

„Also ist der getreten worden, oder?“

„Genau das ist unsere Vermutung. Ich hab‘ das heute Morgen bei der Erstversorgung noch nicht feststellen können, deshalb gab es noch keine Meldung an Sie.“

„Wer ist die Person?“ wollte Petersen wissen.

„Nicht ganz unbekannt auf der Insel, es ist der Magister.“

Petersen rutschte die Kinnlade runter. Sorgenvoll wurde er von Onno gemustert.

„Sind Sie noch dran Petersen?“,meldete sich Doc Meyerdierks

„Ja, Entschuldigung, ich war gestern noch bei ihm, da war er noch gut drauf.“

„Ich faxe Ihnen jetzt den Bericht aus Sanderbusch, und dann sind Sie dran. Schönen Tag noch.“

Noch etwas verstört schilderte Petersen seinen Kollegen den Vorfall.

Onno ergriff als erster nach Petersen Ausführungen das Wort.

„Also ich fasse zusammen. Sturz im Suff, jemand kommt vorbei und tritt nochmal ordentlich nach.“

„Wer macht denn so was?“, schaltete sich Anwärter Bernhard ein.

„Na ja, der Magister hat ein loses Mundwerk, da hat vielleicht der eine oder andere noch ‘ne Rechnung offen, oder, Lars? Du kennst ihn besser als ich.“

„Das stimmt schon, aber auf eine liegende, hilflose Person einzutreten, ist schon eine harte Nummer. Verletzende Sprüche okay, aber das hier hat eine andere Qualität. Wir müssen ihn befragen. Vielleicht hat er was mitgekriegt.“

„Das glaubst du doch selbst nicht, im Suffkoma kriegst du gar nichts mehr mit.“

„Hast du da Erfahrungen?“, grinste Petersen Onno an.

„Hallo, wer im Glashaus sitzt, sollte sich jetzt nicht ereifern, aber Spaß bei Seite. Lars, du fliegst sofort rüber, versuchst in Sanderbusch was zu erreichen. Ermitteln müssen wir in jedem Fall. Ich ruf beim Flughafen an und buche dir auch gleich einen Flug zurück für heute Nachmittag.“

Petersen nickte. Schnell suchte er seine Sachen zusammen.

„In zehn Minuten kannst du fliegen, beeil dich, nimm das E-Bike“, rief ihm Onno zu.

Die Maschine war schon abflugbereit, als Petersen mit seinem Dienst-E-Bike eintraf.

Seine Lieblingsflughafenangestellte stellte ihm ein Ticket aus.

„Heute in Uniform aufs Festland? Du willst sicher zum Magister.“

„Woher weißt du das denn schon wieder?“, fragte Petersen erstaunt.

„Wir sind auf einer Insel, das ist schon Tagesgespräch.“

Er schüttelte nur mit dem Kopf und bestieg dann den Flieger.

Als er mit seinem Auto auf den Parkplatz des Krankenhauses einbog, hatte er ein ungutes Gefühl im Bauch. Es war erst einige Monate her, dass er hier mit einer schweren Schussverletzung gelegen hatte. Im Eingangsbereich schlug ihm sofort der Krankenhausgeruch auf den Magen. Kurzzeitig glaubte er, sich übergeben zu müssen. Die Dame an der Information sorgte für Ablenkung, als sie ihm die Zimmernummer des Magisters raussuchte. Beruhigend war schon mal, dass der Kneipenwirt nicht auf der Intensivstation lag. Das Pflegepersonal auf den Fluren musterte ihn neugierig. Vielleicht war es doch keine gute Idee gewesen, hier in Uniform aufzulaufen. Vorsichtig klopfte er an die Zimmertür. Keine Reaktion. Langsam öffnete Petersen die Tür. Das Zweibettzimmer war nur mit dem Magister belegt, der einen Kopfverband trug, ihn aber noch nicht bemerkt hatte.

Petersen räusperte und fing leise an zu singen.

Alkohol ist dein Sanitäter in der Not Alkohol ist dein Fallschirm und dein Rettungsboot Alkohol ist das Drahtseil, auf dem du stehst Alkohol ist das Schiff mit dem du untergehst (Herbert Grönemeyer)

„Nee, das fehlt mir hier noch, der Sheriff mit deutscher Betroffenheitslyrik“, prustete es aus ihm heraus, als er Petersen bemerkte. Nach der Begrüßung, die kurz und knapp ausfiel, kam Petersen gleich zur Sache.

„Was ist passiert?“

„Ist das hier eine Vernehmung?“

„Erzähl mir bitte einfach, an was du dich erinnerst?“

„Da gibt’s nichts zu erzählen. Ich war schon fast zu Hause, da war ich mir nicht sicher, ob ich die Kneipe abgeschlossen hatte. Ich also wieder zurück und das war’s, Filmriss.“

„Du hast Rippenverletzungen, jemand muss dich getreten haben, keine Erinnerungen? Hat dich jemand verfolgt?“

„Ich sagte doch Filmriss.“

„Ich muss die Anzeige aufnehmen.“

„Sag mal spinnst du“, wurde Petersen vom Magister unterbrochen, „ich erstatte keine Anzeige, basta.“

„Wer hat denn so einen Brass auf dich, dass der dich im Liegen tritt?“

„Hör doch auf jetzt zu bohren, ihr habt doch den Wirbel mit eurer bescheuerten Aktion gegen Manni Jessen gemacht.“

Petersen wurde hellhörig.

„Was hat das denn damit zu tun?“

„Nichts, das ist ja das Problem. So, jetzt ist Schluss. Ich sag‘ nichts mehr. Schicht im Schacht. Wenn du gleich wieder zurückfährst, mach bitte ein Schild an die Kneipe, wegen Krankheit geschlossen.“

„Okay, mach‘ ich, aber ermitteln werden wir trotzdem, auch wenn du keine Anzeige stellst. Ich werte den Angriff auf eine hilflose, am Boden liegende Person, als gefährliche Körperverletzung, und dann ist das ein Offizialdelikt und muss von Amts wegen verfolgt werden.“

„Lass mich bloß mit deinem juristischen Gelaber zufrieden. Kann es sein, dass du als kleiner Inselpolizist unterfordert bist und jetzt einen auf dicke Hose machst?“

Das hatte gesessen. Petersen war seine Verärgerung anzusehen, aber er war bereit zu kontern.

„Kleiner Inselwirt ist aber auch unterfordert und vor allem unterhopft und macht einen auf Hobbypsychologe, hat gerade seinen Magister geschafft.“

„So heißt das heute nicht mehr, du Klugscheisser, Bachelor nennt man das jetzt, ganz schön schlau dein Inselwirt.“

In der Tat war Petersen erstaunt. Der Magister war immer wieder für eine Überraschung gut.

„Okay, ich hau jetzt ab. Ich brauch‘ noch dein T-Shirt, falls wir da einen Fußabdruck oder andere Spuren finden.“

„Ich bin ein Mann wie eine Teflonpfanne, da bleibt nichts haften.“

Und dann ertönte es, das röhrende, für den Magister so typische Lachen. Für Petersen ein deutliches Zeichen für eine baldige Genesung des Patienten.

Auf der Rückfahrt nach Harle ließ ihn eine Bemerkung des Magisters nicht mehr los.

„Ich habe nichts damit zu tun, das ist ja das Problem.“

Was sollte das bedeuten? Oder war das nur so da hingesagt. Petersen verließ die Autobahn am Wilhelmshavener Kreuz und fädelte sich auf die Bundestrasse nach Wittmund ein. Machte jemand den Magister für die Aktion gegen Jessen verantwortlich? Irgendjemandem war die Nähe des Magisters zu ihm augenscheinlich ein Dorn im Auge. Die Entdeckung der Indoor-Plantage war reiner Zufall gewesen. Der Magister hatte ihm nie einen Hinweis über die Kifferszene auf der Insel gegeben, aber wie konnte man zu dieser Schlussfolgerung kommen? Im „Störtebeker“ war er nie allein mit dem Magister. Petersen schreckte auf. Fast hätte er die Abfahrt nach Carolinensiel verpasst. Das war es! Der Nachteinsatz, bei dem er den Magister aus einer misslichen Lage befreit hatte. Jemand hatte einen Werbereiter unter die Türklinke der Kneipe geschoben. Nachdem er während seiner Nachtbereitschaft den Magister befreit hatte, hatten beide noch ein sogenanntes „Befreiungsbier“ getrunken. Für Außenstehende ein verdächtiges Szenario. Uniformierter Polizist trinkt mit Wirt in den frühen Morgenstunden ein Bier. In der Tat, von diesem Bild konnte man die falschen Schlüsse ziehen. Aber war das wirklich so oder hatte er sich in wilden Spekulationen verfangen? Zum Glück war er bei den Harle-Garagen angekommen, wo er seinen Privatwagen abzustellen pflegte, da er ihn nicht mit auf die Insel nehmen konnte, denn Wangerooge war ja bekanntlich autofrei. Nachdem das in bewährter Routine erledigt war, musste er sich jetzt aber sputen, um den Flieger noch zu bekommen.

Auf dem Revier waren noch alle Beamten anwesend und warteten gespannt auf Petersens Bericht. Onno war der erste, der sich äußerte.

„Nehmen wir mal an, Jessen hat den Magister zusammengetreten, wie willst du denn an irgendwelches Vergleichsmaterial kommen, um die Spuren mit denen des T-Shirts abzugleichen?“

Petersen war klar, dass Onno den wunden Punkt getroffen hatte.

„Keine Ahnung, weiß ich auch nicht.“

„Vielleicht ist das auch alles Fantasie.“

„Der hat schon mit so vielen Leuten auf der Insel mal Ärger gehabt“, schaltete Onno sich wieder ein, „da gibt es viele, die vielleicht ein Motiv hätten.“

Petersen nickte und legte das verschmutzte T-Shirt in den Aktenschrank. Sein Schädel brummte. Es war Zeit, Feierabend zu machen, zumal Sönke Meiners ihn zu einem musikalischen Treffen erwartete.

Nachdem Petersen sich umgezogen hatte, schlenderte er in Richtung Dorfgroden. Vor dem Bahnhofskiosk saß Rita Kolbow und trank einen Kaffee. Es war zu spät, um so zu tun, als hätte er sie nicht gesehen. Ihre beidseitigen Annäherungsversuche im Frühjahr dieses Jahres waren irgendwie schiefgelaufen, danach hatten sie es vermieden, wieder miteinander Kontakt aufzunehmen, zudem nach wie vor Mona in seinem Kopf rumspukte.

„Na, Feierabend?“, versuchte er sie freundlich anzusprechen.

Rita nickte.

„Willst du dich nicht auf einen Kaffee setzen?“

„Vielleicht ein andermal, ich habe einen Termin mit Sönke“, antwortete Petersen recht knapp und zog weiter. Im nächsten Augenblick ärgerte er sich schon über sich selbst und sein unnahbares Verhalten. Das hatte Rita nicht verdient, so knapp abgefertigt zu werden. Er würde sich demnächst dafür entschuldigen.

Sönke Meiners saß wieder im Garten und hatte einen Stapel Notenblätter vor sich liegen.

„Du kommst gerade richtig, dein Freund Merti ist `ne Wucht. Wenn der so gut Musik machen kann, wie der ein Programm plant, dann wird unser Fresena-Abend ein voller Erfolg“, begrüßte Sönke Meiners seinen Band-Kollegen.

„Der kann alles spielen, du wirst begeistert sein“, lachte Petersen, „der spielt dir auf Zuruf jeden Titel, den du hören willst.“

Nachdem Meiners Bier geholt hatte, erläuterte er Petersen den geplanten Programmablauf.

„Also ich suche alte Bilder aus der Fresena Zeit raus. Da gibt es tolle Fotos mit Heinz Erhardt, Zarah Leander und anderen. Diese Fotos projizieren wir auf auf eine Leinwand, dazu machen Merti und ich kleine musikalische Einlagen und Sketche mit der Theatergruppe. In diesem Teil bist du noch nicht gefragt. Du brauchst also nicht Ich kauf mir lieber einen Tiroler Hut von Billy Mo zu spielen.“

„Da bin ich aber froh, danke, aber, was ist mein Part?“

„Im zweiten Teil spitzen wir die Sache dann zu. Die Leute sollen tanzen und feiern. Dazu ist Zarah Leanders Kann denn Liebe Sünde sein nicht geeignet. Wir bringen in voller Besetzung Rock ‘n Roll Nummern aus den Fünfzigern und Anfang Sechzigern, also Peter Kraus, Ted Herold, Benni Quick.“

„Ooooh, Motorbiene“, sang Petersen.

„Ich merke schon, du hast es erfasst. Hier ist eine Liste der Titel, die wir spielen wollen, mit Texten und Harmonien. Von dir erwarten wir ausschweifende Gitarrensoli, da hast du alle Freiheit der Welt.“

Petersen grinste, als er die Liste mit den Titeln las.

„Kein Problem, das kriege ich hin.“

„Das haben wir nicht anders erwartet. Merti kommt ein paar Tage früher. Wir müssen nur den Transport seiner Instrumente organisieren.“

Die beiden Musiker unterhielten sich noch den ganzen Abend angeregt über die geplante Nostalgie-Show. Beschwingt trat Petersen gegen 23 Uhr den Rückweg über den Deich an. Als er die Treppe zur Deichkrone hinter sich hatte, sang er laut:

Am Sonntag fahr‘ ich mit dir zum Rummelplatz

und du nimmst auf dem Sozius Platz!

Dann fahren wir schnell in jede Kurve rein,

und du bist froh mit mir allein zu sein.

Oh – oh, Motorbiene.

(Musik und Text Jerome Landis)

Rufmord auf Wangerooge

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