Читать книгу Rufmord auf Wangerooge - Malte Goosmann - Страница 8

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Petersen hatte es sich gerade auf einer Bank am Wattenmeer Deich gemütlich gemacht, als sein Privathandy sich meldete.

„Hallo Lars, hier ist Sönke, können wir uns heute noch treffen. Ich muss dringend was mit dir besprechen. Keine Angst, es ist nichts Dienstliches, es geht um Musik.“

„Okay, ich sitze gerade auf dem Deich am Dorfgroden. Bin in einer halben Stunde bei dir.“ Sönke Meiners war der Musiklehrer der Inselschule, mit dem Petersen das ein oder andere Mal Musik gemacht hatte. Petersen hatte den damaligen Shantychor mit seiner Gitarre unterstützt oder auch in einer kleinen Combo Musik auf einer Geburtstagsfete gemacht. Für seine kreativen Ideen war der umtriebige Lehrer auf der Insel bekannt. Was hat der jetzt bloß wieder ausgeheckt? Das Fragezeichen stand auf Petersens zerfurchter Stirn geschrieben.

Vom Deich in der Höhe des Flughafens hörte er die Geräusche der Planierraupen, die den vom Festland herangebrachten Kleiboden bewegten. Die Deiche von Wangerooge mussten erhöht werden, da ging kein Weg dran vorbei. Das gesamte Unternehmen gestaltete sich aber recht aufwendig. Mit Schiffen transportierte man den Kleiboden zu einem im Wattenmeer liegenden Ponton. Von dort wurde der Boden bei Niedrigwasser auf einer provisorischen Fahrstraße zu einer Sammelstelle in Höhe Pumpwerk gebracht. Der Bau war in zwei Bauabschnitte unterteilt. Jetzt arbeitete man im Bereich Neudeich-Richthofenstraße.

Petersen genoss den milden Sommerabend auf der Bank. Die Sonne stand glutrot über dem Westturm. Es war fast windstill, was ja bekanntlich auf der Insel eine Seltenheit war. Nachdem er sein Fernglas verstaut hatte, schlenderte er gemütlich zur Deichtreppe, von wo aus er dann in den Dorfgroden zum Haus von Sönke Meiners ging. Wie es sich für einen Lehrer gehörte, saß dieser im Garten und korrigierte Aufsätze.

„Gib zu, das ist doch jetzt ein Fake. Du willst doch nur vor deinen Nachbarn so tun, als ob Lehrer nachmittags arbeiten würden“, versuchte Petersen den Pädagogen zu provozieren.

„Hallo, guck dich mal an! Inselpolizist in Bermuda-Shorts und Rolling Stones-T-Shirt schlendert am späten Nachmittag über die Insel. Nach Arbeit sieht das auch nicht gerade aus.“

Nach dem kurzen Schlagabtausch brachte Meiners seinem Gast ein kühles Bier. Da er selbst keinen Alkohol trank, beließ er es für sich bei einem Glas Wasser. Auf dem Gartentisch lag neben den Schüleraufsätzen eine kleine Broschüre. Meiners schob diese in Richtung Petersen.

„Ich muss jetzt ein bisschen in die Geschichte Wangerooges abtauchen. Es geht um die Geschichte des Hauses Fresena.“

Ungläubig blickte Petersen ihn an.

„Du kennst es. Es ist das große Haus in der Zedeliusstraße, wo der Drogeriemarkt drin ist. Gleich daneben ist das „Café Treibsand“. Ich kürz das jetzt mal ab. 1912 wurde das „Hotel Fresena“ eröffnet und war lange Zeit das erste Hotel am Platz. Glanzzeit war die Periode vor dem 2. Weltkrieg. Aber auch nach dem Krieg war das Hotel ein Wahrzeichen für den Aufschwung in den 50er Jahren. Legendär waren die Tanz-Veranstaltungen im Rahmen der sogenannten Bädertourneen. Du wirst es kaum glauben. Hier sind Leute wie Heinz Erhardt, Heinz Schenk, Vico Torriani, Billy Mo, Dieter Thomas Heck und sogar Zarah Leander aufgetreten. Ich möchte nun mit einer Veranstaltung an diese Zeit erinnern.“

Petersen wurde langsam unruhig. Ihm schwante, worauf Meiners hinaus wollte.

„Du willst jetzt aber nicht, dass ich Billy Mo‘s Ich kauf mir lieber einen Tiroler Hut spielen soll, oder?“

Meiners grinste verlegen.

„Nun warte doch mal ab. Mir schwebt so eine Art Revue vor. Bilder aus der alten Zeit und natürlich auch Musik aus dieser Periode. Welche Lieder wir spielen, müssen wir gemeinsam besprechen.“

„Mensch Sönke“, grummelte Petersen, „ich bin Rock-Gitarrist und kein Tanz-Mucker.“

„Ja, weiß ich, aber es soll so eine Art lebendige Geschichtsrevue werden. Für Geschichte bist du doch auch immer zu haben, oder?“

„Ja schon, aber wie willst du das musikalisch umsetzen? Mit deinem Schlagzeuger aus der 10. Klasse geht das nicht. Der kann nur harte Beats trommeln. Aber hier ist Foxtrott, Beguine oder auch Rumba gefragt. Das kann der nicht und will er auch sicher nicht, was ich ja auch verstehen kann.“

Meiners lächelte schelmisch.

„Alles richtig. Deshalb bist du ja hier. Ich will das ja mit dir besprechen und ich freue mich, dass du schon eingestiegen bist.“

„Alter Rattenfänger“, prustete es aus Petersen raus, „das Ganze geht nur, wenn wir noch einen Musiker an Bord holen, der damit Erfahrung hat.“

Die Anspannung hatte sich jetzt bei Meiners gelöst. Er wusste, Petersen würde mitmachen. Er hatte sich nicht getäuscht.

„Kennst du jemanden? Für Unterbringung würde ich sorgen. Vielleicht kann man da auch finanziell was über die Kurverwaltung drehen.“

Petersen nickte.

„Ich kenn‘ nur einen, der dafür infrage käme, meinen Freund Merti aus Bremen, der ist Berufsmusiker, der lebt davon.“

Das Eis war gebrochen. Meiners stand auf und holte noch ein Bier. Als er zurückkam, fing Petersen an zu schunkeln und er sang dazu: „Es gibt kein Bier auf Hawaii, es gibt kein Bier, drum fahr ich nicht nach Hawaii, drum bleib ich hier.“

„Ich merk‘ schon, du bist schon voll im Geschäft.“

Petersen wurde jetzt aber wieder ernst.

„So schnell kommst du mir nicht davon. Ich habe eine Bedingung bei der Sache. Wenn Merti tatsächlich mitmacht, dann machen wir in der Sommersaison auch noch einen Rockabend, wo wir so richtig losfetzen.“

Petersen Augen leuchteten.

Meiners grinste.

„Du Erpresser, wenn ich musikalisch mithalten kann, bin ich dabei.“

Noch geschlagene zwei Stunden besprachen die beiden Musiker ihre Vorhaben und teilten die Vorbereitungsarbeiten untereinander auf. Gut gelaunt trat Petersen den Heimweg an. Einen Absacker beim Magister schloss er für sich aus. Die Biere bei Meiners im Garten hatten bei ihm schon einen leichten Glimmer erzeugt.

Die frische Abendluft tat ihm gut und er beschloss, noch einen kleinen Umweg über den Deich zu machen. Er passierte den Deichschart, auch dieser sollte im 2. Bauabschnitt vergrößert werden. Die Dämmerung hatte eingesetzt. Das rote Leuchtfeuer des neuen Leuchtturms blitzte in einem bestimmten Abstand. Petersen schätzte den Abstand zwischen den Blitzen auf fünf Sekunden. Für Nautiker auf See war diese Taktung eine wichtige Orientierungshilfe. Kurz vor dem Abzweig zur Saline verließ er den Deich und trat über die Straße zum Westen den Rückweg an. Hinter dem Inselfriedhof bog er in das kleine Wäldchen ein. Jetzt war es richtig dunkel geworden. Rechts lagen eine Reihe von Kleingärten. Da es mitten in der Woche war, schien niemand zu grillen. Im hinteren Teil eines sehr lang gezogenen Gartens meinte er ein sehr schwaches Licht zu beobachten. Petersen kniff seine Augen zusammen. Das Gartentor war mit zwei Vorhängeschlössern gut gesichert. Er verwarf den Gedanken, über den Zaun zu klettern. Das hätte nur wieder Ärger gegeben. Zum Glück hatte er sein Fernglas dabei. Während er es auspackte, überkamen ihn Zweifel. Was tat er hier? War das nicht auch schon spannerhaftes Verhalten, hier Kleingärtner auszuspionieren? Gut, aber vielleicht wurde da eingebrochen. Mit dieser Überlegung rechtfertigte er sein Verhalten und setzte sein Fernglas an. Es war nichts Aufregendes zu entdecken. Das Licht kam augenscheinlich aus einem Gewächshaus, das ganz hinten im Garten, etwas verdeckt durch eine Kiefer, stand. Er drehte an seinem Feldstecher, um noch mehr Schärfe zu bekommen. Das Licht war deshalb so schwach, weil die Fenster des Gewächshauses abgeklebt waren. Warum sollte da nicht jemand noch in seinem Garten bei Licht arbeiten? Ein Einbruch schien nicht vorzuliegen, beruhigte sich Petersen. Aber diese abgeklebten Scheiben kamen ihm recht merkwürdig vor. Kurz überlegte er, erneut das Grundstück zu betreten, verwarf diesen Gedanken aber wieder. Gefahr im Vollzug war wirklich nicht auszumachen. Das Gewächshaus würde ihm nicht weglaufen. Er würde seine Beobachtung am Morgen mit seinen Kollegen besprechen. Mit seinem Smartphone fotografierte er den Eingang zum Garten und trat den Heimweg an.

Rufmord auf Wangerooge

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