Читать книгу Rufmord auf Wangerooge - Malte Goosmann - Страница 9

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Am nächsten Morgen hatten sich die drei Beamten des Reviers plus Anwärter um 10 Uhr zu einer Lagebesprechung verabredet. Petersen empfand diesen Begriff als etwas hochtrabend für den kleinen Polizeiposten. Er hatte ganz andere Lagebesprechungen im Polizeipräsidium Bremen erlebt. Der späte Termin war aus Rücksicht auf Günter Naumann so gelegt worden, da dieser Nachtbereitschaft gehabt hatte. So wie es laut Tagebuch aussah, musste der arme Kollege zweimal wegen Ruhestörung ausrücken. Vor dem „Störtebeker“ und der „Düne 17“ hatten wohl einzelne Gruppen von Gästen laut Lieder gesungen. Im Sommer gehörte diese Art von Einsätzen zur nächtlichen Routine. Diese Nacht war Petersen dran. Als er die Tagebucheinträge von Naumann las, bangte er um seine Nachtruhe. Wie sollte das erst werden, wenn die Sommerferien beginnen würden.

Pünktlich um 10 Uhr kam auch Naumann ins Dienstzimmer. Onno hatte frischen Kaffee aufgebrüht, während er für sich als geborenen Ostfriesen eine „Tass Tee‘“ aufgegossen hatte.

Naumann berichtete kurz über seine beiden nächtlichen Einsätze. In beiden Fällen hatte er Verwarnungen ausgesprochen und sich die Personalien der Ruhestörer notiert. Danach ergriff Petersen das Wort und erzählte von seiner Beobachtung mit dem beleuchteten Gewächshaus. Onno Siebelts schüttelte mit dem Kopf.

„Was willst du uns eigentlich damit sagen, mit dieser Beobachtung?“

„Indoor Plantage“, fiel ihm Anwärter Bernhard ins Wort. Petersen empfand diesen Einwurf zwar inhaltlich als richtig, aber gegenüber dem Revierleiter doch als etwas vorlaut. Siebelts ließ sich seine Verärgerung nicht anmerken. Petersen kannte seinen Kollegen aber inzwischen so gut, dass er zu spüren glaubte, wie Siebelts diesen vorwitzigen Zwischenruf des Polizeianwärters empfand. Naumann versuchte sachlich zu reagieren.

„Es ist doch nicht verboten, abends oder nachts in sein Gewächshaus zu gehen, oder?“

„Natürlich nicht, ich bin deswegen ja auch unsicher und möchte Schnellschüsse vermeiden.“

Er warf dabei dem Polizeianwärter Bernhard einen strengen Blick zu.

„Von Kleppe haben wir aber den Tipp bekommen, dass auf der Insel was mit Marihuana läuft und ich habe keinen Anlass an dem Wahrheitsgehalt dieses Tipps zu zweifeln.“

Er wandte sich an Onno.

„Onno, du hast selbst gesagt, dass hier im Sommer großes Kifferpotential ist. Also lässt sich mit dem Anbau auf der Insel sehr viel Kohle machen.“

Onno nickte.

„Aber das Gras lässt sich doch schnell aus Amsterdam beschaffen, oder?“, warf er ein.

„Okay, aber vielleicht will da einer mitverdienen. Der illegale Anbau ist nach wie vor ein lukratives Geschäft. Für ein Gramm kannst du aktuell einen Verkaufspreis von zehn Euro erzielen. Pro Blüte kannst du mit einem Ertrag von 25 bis 45 Gramm rechnen. Bei guten Bedingungen kannst du schon nach sechs bis acht Wochen ernten. Also sind sogar mehrere Ernten möglich.“

Petersens Ausführungen hatten spürbar Eindruck auf seine Kollegen gemacht. Seine Fachkenntnis überraschte sie. Onno nickte bewundernd.

„Man merkt, dass du vom Fach kommst. Was schlägst du vor?“

„Ich kann mich fürchterlich irren“, nahm Petersen den Faden wieder auf, „wir können uns dabei richtig blamieren, wenn ich falsch liege. Bevor wir überhaupt eine richterliche Anordnung für eine Durchsuchung bekommen, müssen wir Verdachtsmomente sammeln. Also ist Vorsicht angesagt. Onno, dich würde ich bitten mal rauszukriegen, wem der Garten gehört. Ich hab‘ hier auf meinem Handy ein Foto von der Eingangstür, aber bitte diskret.“

„Hallo, großer Bremer Drogenfahnder, ich bin auch kein Anfänger“, warf Onno verärgert ein.

„Geschenkt, ich geh‘ heute Nachmittag mal in Zivil zur Rückseite des Gartens und versuch ein paar Fotos zu machen.“

„Aber bitte diskret“, äffte Onno jetzt Petersen nach. Die Runde löste sich nun im allgemeinen Gelächter auf. Petersen griff sich Anwärter Bernhard.

„So, um 15 Uhr treffen wir uns hier. Sie ziehen sich bitte freizeitmäßig an, damit wir nicht gleich auffallen.“

Voller Respekt kam ein aufgeregtes „zu Befehl, Chef“ zurück. Petersen musste grinsen.

Onno Siebelts und Günter Naumann konnten ihr Lachen nicht unterdrücken, als Petersen und Simon Bernhard in Freizeitkleidung um 15 Uhr das Dienstzimmer betraten. Petersen in Bermudashorts und Werder Bremen T-Shirt, daneben Anwärter Bernhard in dreiviertel

Jeans und Muskelshirt.

„Auf zum Ballermann, viel Spaß beim Komasaufen im Bierkönig“, prustete es aus Onno Siebelts heraus. Petersen, dem das ganze sichtlich peinlich war, verschwand mit seinem Azubi in Richtung Müllpressstation. Bernhard, dem die Aufregung anzumerken war, versuchte es vorsichtig mit einer Frage.

„Wie soll das jetzt ablaufen, was soll ich machen?“

„Ich versuche ein paar brauchbare Fotos von dem Gewächshaus zu machen. Die Kamera hier hat ein schönes Teleobjektiv. Vielleicht kann man damit Sachen ranholen, die auf eine Indoorplantage hindeuten.“

„Und was wäre das?“

„Später, hier müssen wir ab.“

Kurz hinter der neuen Feuerwache ging ein Fußweg in die Dünen ab. Petersen versuchte, sich zu orientieren. Wo war ungefähr die Rückseite des Gartens? Um an die Rückseite zu gelangen, würde er in das Unterholz eindringen müssen.

„Sie verhalten sich jetzt möglichst unauffällig und bleiben hier stehen“, wies er den Polizeianwärter an.

„Ich gehe jetzt hier in das Gebüsch, wenn jemand kommt, pfeifen Sie kurz. Falls mich jemand sieht und Sie angesprochen werden, sagen Sie einfach, Ihr Vater hätte eine Durchfallattacke bekommen.“

Bernhard musste sich zusammenreißen, um nicht laut loszulachen. Auch über Petersens Gesicht huschte ein schelmisches Lächeln. Die Sache war ihm gerade spontan eingefallen. Langsam versuchte er sich einen Weg durch das Gestrüpp zu bahnen, was nicht ganz einfach war. Immer wieder schnellten ihm Äste ins Gesicht. Er hörte einen kurzen Pfiff. Das musste Bernhard sein. Sehen konnte er ihn nicht mehr. Petersen kauerte sich in die Hocke, erst einmal abwarten. Nach etwa zwei Minuten richtete er sich wieder auf und setzte seinen beschwerlichen Weg fort. Die Gärten lagen unterhalb der Dünen, was den Zugang deutlich erschwerte. Fast wäre er den Abhang heruntergestürzt. Ein etwas dorniger Busch fing ihn gerade noch auf. Dann kam endlich das Gewächshaus in sein Blickfeld. Ein relativ hoher Zaun versperrte ihm den Weg. Die Scheiben des ausnehmend großen Gebäudes waren, so wie er es gestern Abend vermutet hatte, zugeklebt. An der ihm zugewandten Stirnseite war eine Tür. Neben der Tür stand ein Sack mit der Aufschrift Kokossubstrat. Petersen pfiff leise durch die Zähne. Typischer Dünger für Cannabispflanzen, dachte er. Schnell photografierte er den Sack. Nun kam es drauf an, eine Lücke in den abgeklebten Scheiben zu entdecken, um einen Blick ins Innere des Gewächshauses zu werfen. An der Grenze des Rahmens der Eingangstür zu der benachbarten Scheibe war eine Lücke zu erkennen. Er konnte an die Decke der Plantage blicken. Leider sah er nicht, was auf dem Boden war. An der Decke hingen, und das reichte, um seinen Verdacht zu erhärten, Natriumdampflampen, die typischerweise für den Cannabisanbau benutzt wurden. Er beugte sich vor, um mit dem Teleobjektiv wenigstens eine Lampe zu erwischen. Von der Seite hörte er ein Knacken. War Bernhard ihm gefolgt, der blutige Anfänger? In diesem Moment bekam er einen dumpfen Schlag auf den Kopf, Dunkelheit machte sich breit.

Mit rasenden Kopfschmerzen wachte Petersen auf. Über ihn gebeugt, sah er in das Gesicht von Simon Bernhard.

„Gott sei Dank, Chef, dass Sie wieder da sind. Ich hab‘ mir schon große Sorgen gemacht. Sie sind einfach nicht wiedergekommen, da bin ich Ihnen nachgegangen. Sie lagen da, mit einer Platzwunde am Kopf.“

Jetzt erst merkte Petersen, dass Bernhard mit einem Tempotaschentuch seine schmerzende Wunde bedeckte. Es sah so aus, als ob Bernhard ihn aus dem Unterholz gezogen hätte.

„Wo ist die Kamera?“ murmelte Petersen.

„Zertreten. Ich hab‘ die Reste aufgesammelt. Die Bilder können wir vergessen. Aber wichtiger ist, dass Sie zum Arzt müssen. Ich habe noch gezögert, den Rettungswagen zu rufen. Sie sind dann auch grade wach geworden.“

„Genau richtig. Bloß jetzt kein Aufsehen erregen.“

Bernhard half Petersen langsam auf. Seine Wunde auf dem Kopf hatte aufgehört zu bluten.

Auf der Wache herrschte Entsetzen, als Petersen und Bernhard eintrafen.

„Du musst sofort zum Doc, das muss genäht werden“, sorgte sich Onno Siebelts. Petersen war schon wieder ganz der Alte.

„Gemach, jetzt keinen Wirbel, sonst baut der da sein Gewächshaus ab.“

In knappen Worten berichtete er über das, was er gesehen hatte. Anwärter Bernhard ergänzte seine Ausführungen. Onno Siebelts schaltete sofort.

„Du gehst zum Arzt, der unterliegt der Schweigepflicht. Wir drei hier fertigen einen Bericht für die Staatsanwaltschaft an. Ich hoffe, dass es dann einen richterlichen Beschluss auf Durchsuchung gibt.“

Alle waren mit diesem Vorschlag einverstanden.

„Ach so, ich hab‘ da noch ‘ne Frage, Lars. Du bist doch wohl nicht auf dem Grundstück gewesen, oder?“

Petersen konnte Onnos Frage nachvollziehen. Wenn er auf dem Grundstück widerrechtlich gewesen wäre, hätten sie einen richterlichen Beschluss vergessen können.

„Keine Angst, ich hab‘ nur am Zaun gestanden. Weißt du eigentlich jetzt, wem der Garten gehört?“

„Ja, der heißt Manfred Jessen, muss wohl so um die 30 sein und er arbeitet bei so einer Firma, die Ferienwohnungen verwaltet und putzt.“

Nach dieser Information machte Petersen sich auf den Weg zu Doktor Meyerdierks, dem Inselarzt. Glücklicherweise musste die Wunde nicht genäht werden. Nach einer halben Stunde war Petersen wieder im Revier. Den Vorschlag, auf seine Nachtbereitschaft heute zu verzichten, lehnte er ab. Er warf noch kurz einen Blick auf den Bericht für die Staatsanwaltschaft. Danach zog er sich in seine Dienstwohnung zurück.

Ausführlich telefonierte er am Nachmittag mit seinem Freund Merti in Bremen. Dieser war recht angetan von dem Musikprojekt des Insel-Musiklehrers. Er selbst hatte bereits bei einer Schlagerrevue als Begleitmusiker mitgewirkt. Petersen gab ihm die Telefonnummer von Sönke Meiners, damit beide eine Stückeauswahl treffen konnten.

Den Abend verbrachte er mit seiner Gitarre. In der Hoffnung auf keinen Nachteinsatz, ging er recht früh zu Bett.

Gegen 2:30 Uhr schreckte er benommen hoch. Jemand hatte die Nummer des Reviers, also nicht die Notrufnummer 110, gewählt. Völlig schlaftrunken meldete er sich:

„Petersen, Polizeiposten Wangerooge.“

Was er dann hörte, trieb ihm die Zornesröte ins Gesicht. Am Apparat war der Magister, der Wirt vom „Störtebeker“.

„Sheriff, du musst mir helfen. Ich komm nicht mehr raus.“

„Wie, du kommst nicht raus, ich glaube, du bist breit wie `ne Autobahn. So ein Scherzanruf bei der Polizei ist kostenpflichtig und eine Straftat. Ich glaub‘, ich spinne!“

„Nun komm‘ mal runter, ich bin weder grün, noch ist das hier ein Scherz. Ich komm‘ nicht aus der Kneipe raus. Jemand hat was unter die Türklinke gestellt.“

Langsam begriff Petersen, dass das kein Scherz war. Der Magister hörte sich tatsächlich nüchtern an.

„Ich komme.“

Langsam zog er seine Uniform an, nahm eine große Taschenlampe mit und machte sich auf den Weg zum „Störtebeker“. Als er um die Ecke in die Friedrich-August-Str. bog, sah er schon die Bescherung. Jemand hatte einen Werbereiter des gegenüberliegenden Lokals unter die Türklinke des „Störtebekers“ geschoben.

Nachdem er das Schild entfernt hatte und in die Kneipe eintrat, raunzte er den Magister an.

„Du solltest mal darüber nachdenken, ob du nicht zu viele Feinde auf der Insel hast. Wen hast du denn nun schon wieder verärgert?“

„Da war überhaupt nichts, glaube mir. Zum Schluss saßen da noch zwei Frauen aus Bremen. Wir haben uns nett unterhalten und dann war Feierabend. Bin noch kurz nach unten in den Kühlraum gegangen und als ich nach oben kam, war die Tür schon blockiert.“

Ungläubig blickte Petersen den Magister an.

„Und du hast die Damen nicht angemacht, sexistische Sprüche, das ganze Programm?“

„Hallo, du weißt doch, ich bin der Frauenversteher von der Insel. Aber im Ernst da war gar nichts.“

Petersen begann ihm zu glauben und wechselte das Thema.

„Sag‘ mal, ich hab‘ da was läuten gehört, dass hier jemand auf der Insel im großen Stil Gras vertickt. Weißt du was darüber?“

„Sheriff, bei aller Liebe, da werd‘ ich jetzt gar nichts zu sagen. Das ist hier schon anders als damals im Steintor in Bremen. Hier habe ich mir jetzt eine Existenz mit der Kneipe aufgebaut. Wenn das ruchbar wird, dass ich dir hier was einflüstere, kann ich den Laden zumachen.“

Petersen nickte. Irgendwie konnte er ihn verstehen. Aber es war einen Versuch wert gewesen. Nach einem Absackerbier gingen beide nach Hause in die Charlottenstraße.

Rufmord auf Wangerooge

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