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A. Kritik an dem Kriterium der Handlungsherrschaft als Tatherrschaftsmerkmal des unmittelbaren Täters

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Zunächst wird kritisiert, das Kriterium der Handlungsherrschaft sei ungeeignet, um unmittelbare Täterschaft hinreichend sicher bestimmen zu können. Die Handlungsherrschaft ist der Grundtypus der Tatherrschaftslehre.[1] Wer eine Tatbestandshandlung eigenhändig vornimmt, soll nach Auffassung Roxins unmittelbarer Täter kraft Handlungsherrschaft sein.[2] Die Richtigkeit dieser Grundthese ist in einfach gelagerten Fällen scheinbar evident. Wer einem anderen einen Faustschlag versetzt, ist Täter einer Körperverletzung, und wer eine Steuererklärung wissentlich falsch ausfüllt und diese beim Finanzamt einreicht, ist Täter einer Steuerhinterziehung.[3] Jenseits dieser einfach gelagerten Fälle ist die Zuordnung hingegen schwieriger und es ergeben sich nachhaltige Abgrenzungsschwierigkeiten. Wer hat beispielsweise Handlungsherrschaft, wenn A den B anschießt, diesen dadurch in der Nähe der Hauptschlagader lebensgefährlich verletzt und Arzt C bei dem Versuch, B das Leben zu retten, die Hauptschlagader vollständig durchtrennt und so letztlich den Tod des B verursacht?[4] Dies ist der Ansatzpunkt der Kritik an dem Kriterium der Handlungsherrschaft, an deren Ende das Ergebnis steht, das Kriterium der Handlungsherrschaft sei aufgrund seiner Unbestimmtheit gänzlich ungeeignet, die Täterschaft des unmittelbaren Täters zu bestimmen.[5] Anknüpfungspunkt dieser These ist der Begriff der Tatbestandshandlung.[6] Bei einer Vielzahl von Straftatbeständen sei es aufgrund ihrer Tatbestandsstruktur nicht möglich, abstrakt eine konkrete Handlung zu definieren, die zwingend zu einer täterschaftlichen Verantwortung führe. Vielmehr bestehe bei derartigen Delikten das tatbestandliche Verhalten allein in der – irgendwie gearteten – Verursachung des tatbestandlichen Erfolges. Solche Tatbestände müssten deshalb als reine Verursachungsdelikte charakterisiert werden.[7] Bei Verursachungsdelikten – genannt werden beispielhaft etwa die Körperverletzung und der Totschlag[8]– seien verschiedenste Verhaltensweisen denkbar, die sich abstrakt dazu eigneten, den tatbestandlichen Erfolg herbeizuführen. Es komme im Rahmen solcher Delikte daher lediglich auf die Verursachung des tatbestandlichen Erfolges, nicht dagegen auf die Art und Weise der Herbeiführung dieses Erfolges an.[9] Dieser Umstand stehe einer Anwendung des Kriteriums der Handlungsherrschaft als der eigenhändigen Vornahme der Tatbestandshandlung zwingend im Wege. Dies verdeutliche sich, wenn man sich vergegenwärtige, dass die Äquivalenztheorie von der Gleichwertigkeit aller Bedingungen ausgehe.[10] Auf der Basis der Äquivalenztheorie verursachten Teilnehmer den Erfolg im gleichen Maße wie Täter, denn es gelte die Lehre von der Gleichwertigkeit aller Bedingungen. Wenn somit im Rahmen eines Verursachungsdeliktes nicht geklärt sei, worin genau die Tatbestandshandlung bestehe, die ein Beteiligter eigenhändig ausgeführt haben müsse, um unmittelbarer Täter zu sein, sei die These, Täter kraft Handlungsherrschaft sei derjenige, der die Tatbestandshandlung eigenhändig vorgenommen habe, ein untaugliches Kriterium zur Bestimmung von Täterschaft, weil eben nicht klar sei, welcher der verschiedenen denkbaren Verursachungsbeiträge die Tatbestandshandlung im Sinne der Handlungsherrschaft sei.[11] Aufgrund dieses Befundes wird vertreten, die Definition von Handlungsherrschaft bedürfe der Konkretisierung, um klar festlegen zu können, welches Verhalten[12] die Tatbestandshandlung im Sinne der Handlungsherrschaft sei und deshalb zu einer täterschaftlichen Verantwortung führe.[13] Am Ende der diesbezüglichen Untersuchung steht jedoch die Erkenntnis, dass keine irgendwie geartete Konkretisierung in Betracht komme, die eine sichere Abgrenzung von Täter- und Teilnehmerverhalten ermögliche, was zu einer generellen Untauglichkeit des Kriteriums der Handlungsherrschaft führe.[14]

Für die vorliegende Untersuchung wirft dieser Einwand gegen die Tatherrschaftslehre die Frage nach der Tauglichkeit der Roxinschen Definition von Handlungsherrschaft als der eigenhändigen Vornahme der Tatbestandshandlung für die Herleitung von unmittelbarer Täterschaft im Rahmen der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO auf. Hierbei bedarf es insbesondere einer Klärung der Frage, ob es sich bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO um ein Verursachungsdelikt im oben verdeutlichten Sinne handelt, oder ob sich für die Steuerhinterziehung eine konkrete Handlungsbeschreibung definieren lässt, die bereits auf objektiver Tatbestandsebene eine Unterscheidung von unmittelbarer Täterschaft und Teilnahme zulässt. Sollte dies nicht möglich sein und müsste die Steuerhinterziehung deshalb als Verursachungsdelikt eingeordnet werden, würde sich die von Roxin vertretene Definition von Handlungsherrschaft tatsächlich nicht dazu eignen, unmittelbare Täterschaft für § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO dogmatisch herzuleiten. In diesem Fall wäre es für die Anwendbarkeit der Tatherrschaftslehre auf die Steuerhinterziehung in der Tat notwendig, nach Konkretisierungsmöglichkeiten für die Definition von Handlungsherrschaft zu suchen und – sollten sich derartige Konkretisierungsmöglichkeiten nicht finden lassen – das Kriterium der Handlungsherrschaft als für die Herleitung von unmittelbarer Täterschaft untauglich einzustufen.

Tatherrschaft im Rahmen der Steuerhinterziehung

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