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Das Prinzip der Körperausschaltung
ОглавлениеAlsbergs Dilemma stellt sich also folgendermaßen dar: Wie kann eine stringente Entwicklung des Menschen gedacht werden, die ihn mit all seinen Fähigkeiten als primus erklärlich werden lässt, ohne dass der naturwissenschaftliche Gattungsbegriff nach Linné gesprengt wird, und der Mensch ein Lebewesen unter anderen Lebewesen, als inter pares, bleibt? In seiner eigenen Frageversion schreibt er: „Was ist es mit dem Menschen, der aus dem Tiere hervorgegangen ist und offensichtlich doch kein Tier ist?“1, bei Erhalt einer gemeinsamen Substanz von Mensch und Tier die differentia specifica erklärlich werden zu lassen. Er löst diese Frage, indem er den Ursprung der Verschiedenheit in den Ursprung einer gemeinsamen Gattung zurückverlegt und Tier wie Mensch unterschiedlichen Entwicklungsprinzipien unterwirft. Er konstatiert, dass die menschliche Entwicklung „unter einem besonderen, einheitlichen Prinzip, welches in den beiden korrespondierenden Symptomen des körperlichen Rückganges und des technisch-geistigen Wachstums seinen greifbaren Ausdruck findet.“2 Er bestimmt dann weiterhin, dass die tierische Entwicklung auf den Körper, „die menschliche Entwicklung auf das künstliche Werkzeug gestellt“3 sei.
Das Entwicklungsprinzip des Tieres ist das Prinzip der Körperanpassung (Körperfortbildung), das Entwicklungsprinzip des Menschen ist das Prinzip der Körperausschaltung vermittelst künstlicher Werkzeuge.4
Die Antwort des Tieres auf Anpassungszwänge der Umwelt ist die organische Anpassung, die Antwort des Menschen auf das Andrängen der Umwelt ist die Entwicklung entsprechender Werkzeuge bei grundsätzlicher Beibehaltung seiner physischen Verfassung. Somit ist die Entwicklung des Menschen keine Steigerung der tierischen, sondern ein echtes „Novum“5 und der Mensch vom Tiere als wesensverschieden6 bestimmt.
Alsberg versteht unter Organ „jedes anatomisch und funktionell zusammengehörige Teilgebilde des Körpers“7 und unter Werkzeug „ein jedes außerkörperliche (künstliche) Mittel, mit welchem eine Ausschaltung des Körpers bewirkt wird.“8 Diese Unterscheidung ermöglicht es ihm zwischen „Überorganischem“ und „Außerorganischem“9 zu unterscheiden und auch den Tieren Tradition im Sinne überorganischer Weitergabe von Verhalten zu konzedieren, ohne dass der Triebmotor des Entwicklungsprinzip des Menschen, die Körperausschaltung per Werkzeug, dabei in Anschlag gebracht werden muss.
In Anwendung seines Werkzeugbegriffs führt Alsberg stringent auch Sprache und Begriff, sowie weiterhin Moral und Ästhetik seinem Menschheitsprinzip der Körperausschaltung zu. Im Wort erkennt er das lautliche oder sprachliche Werkzeug10, dessen Stoff geistiger Natur ist und schließt:
Wie das stoffliche Werkzeug, so ist auch das Wort ein absolut selbständiges Gebilde, es führt ein Leben für sich und ist in seinem Dasein allein an den Gegenstand gebunden, als dessen Symbol es auftritt.11
Er präzisiert die Sprache als ein „außerkörperliches (künstliches) Werkzeug, mit welchem der Mensch die Ausschaltung seiner Sinnesorgane bewerkstelligt und damit das Prinzip der Körperausschaltung befolgt.“12
Als gegenstandsgebundenes Werkzeug, welches außerkörperliche Wahrnehmung vertritt, sei es ebenfalls ein Novum und keine Steigerung von Bisherigem13.
An dieser Stelle konstatiert er jedoch einen „Drang nach Vervollkommnung“14, den er der Technik wie der Sprache zuspricht. Allein die Einführung eines Telos, um Entwicklungen bei Technik und Sprache zu begründen, scheint mir eine überflüssige Zutat, finden wir doch schon beim täglichen Umgang und der Anwendung beider Arten genügend Motive, um diese entsprechend den Notwendigkeiten des Augenblicks weiter zu entwickeln. Hier reicht das Spektrum von zwingender Notwendigkeit bis zum Zufall. Ein wie auch immer geartetes inhärentes Telos dabei scheint mir deshalb entbehrlich.