Читать книгу Nach dem Ende der Zukunft - Manfred Kopfer - Страница 4
ОглавлениеKapitel 4
Zum Glück, dachte sich der Jungschmied, wurde nicht auch der Kessel begraben und auch das Surrabengehirn gab weiterhin sein Leuchten von sich.
Nachdem er sich wieder gefasst hatte, kroch jedoch die Verzweiflung in seinem Körper nach oben.
Was geschieht mir nur, fragte er sich, was nur soll ich jetzt machen?
Er nahm den Kessel wieder zu sich und beleuchtete die Blockade aus Stein, die sich neu vor ihm auftürmte. Große Brocken waren es, die ineinander verkeilt eine unüberwindbare Wand darstellten.
Bis an die Decke reichten die Brocken. An ein Durchkommen war nicht zu denken.
Noch einmal fühlte er die Gesteinsbrocken ab. Doch es war sinnlos.
Zur Verzweiflung gesellte sich Nervosität. Seine Gedanken begannen zu rasen auf der Suche nach einem Ausweg. Mit fiebrigem Blick ging er die Schemen ab, die sich rings um ihn herum in der Höhle abzeichneten.
Da stolperte der Jungschmied über eine der Eisenadern. Sie hatte er völlig vergessen. Kerzengerade und parallel zueinander lagen die Adern noch immer da und liefen tief in die Höhle hinein.
Vielleicht, dachte sich der Jungschmied in seiner Verzweiflung, vielleicht gibt es noch einen anderen Ausweg aus der Höhle heraus. Denn wenn jemand die Höhle gegraben hat, um den Eisenadern nachzuspüren, dann musste es fast schon eine zweite Öffnung nach außen existieren.
Vom alten Schmied lernte er, dass der Mensch stets frische Luft zum Atmen benötigt. Nie darf man auch eine Schmiede mit einer frischen Glut von der Frischluft abschneiden. Feuer und Mensch brauchen beide stets einen den Zustrom an frischer Luft. Mit einer so tief in den Berg getriebenen Höhle kann es gar nicht anders sein, als dass für den Zustrom an Frischluft noch ein zweiter Weg nach draußen gegraben wurde.
Es war nicht mehr als ein fiebrig phantasierter Gedankengang. Womöglich versuchte ihm sein Unterbewusstsein die Gewissheit des Schicksals als lebendig Begrabenem lediglich mit einem Ausweg zu kaschieren. Doch für den Jungschmied ergab die Vorstellung einer zweiten Öffnung sehr viel Sinn in diesem Moment.
Neue Hoffnung kam in ihm auf und er war bereit, sich der Höhle zu stellen und machte sich ein zweites Mal auf in das Innere.
Schnellen Schrittes ging er voran, um der Kälte etwas entgegenzusetzen. Dennoch konnte er seine neue Umgebung nun endlich etwas genauer betrachten. Die Wände waren aus Stein, aber glatt und gemauert und sie beherbergten allerlei Getier.
Es gibt also Leben, stellte er fest. Die Höhle war nicht tot.
Zur Not hätte er sogar eine Nahrungsquelle, die ihm sicherlich schmecken würde, wenn der Hunger nur stark genug wird. Aber auch daran wollte der Jungschmied zunächst nicht denken.
Bald hatte er den Punkt passiert, den er das erste Mal erreichte. Noch immer ging die Höhle weiter ohne jegliche Anzeichen, dass sie gleich zu Ende sein würde. Er ging weiter ohne dort eine Pause zu machen.
Irgendwann blieb erstehen und fragte sich, ob vielleicht doch nur eine sehr tiefe Sackgasse war, in die er gerade lief.
Frische Zweifel stiegen in seinen Kopf.
Die nagenden Gedanken darüber, wo er sich befand und was ihn dorthin führte, drängten immer mehr durch. Mit noch schnelleren Schritten versuchte seine Realität zu verdrängen. Aber alles half nichts.
Noch einmal machte er Halt.
Ist das mein Ende, ist das mein Tod?
Er horchte in sich hinein. Eine Antwort aber bekam er nicht.
Hastig begann er wieder zu gehen, doch der Gedanke ließ ihn nicht mehr los.
Er kannte die Geschichten, die man sich darüber erzählte, was passiert nach dem Tod. Schauergeschichten für Kinder waren es, und doch stets relevant. Der Tod war auch im Dorf ein fester Bestandteil des Lebens und so gab es Trauer und Riten, wenn ein Einwohner verstarb.
Gutes den Guten und Böses verboten, lernte er als Regel fürs Leben, und wer stirbt, dessen Lebenslicht erlischt, aber der Geist wird erhellt. Nach dem Ableben in tiefe Dunkelheit getaucht schwebt dieser in Richtung des ewigen Lichts.
Da blieb der Jungschmied abrupt stehen.
Was, wenn das die Dunkelheit nach dem Tod ist und am Ende das Licht auf mich wartet?
Was, wenn ich bereits tot bin?
Es war das erste Mal, dass der Jungschmied diesen Zustand für sich erwog. Das machte ihm Angst, aber es würde durchaus zu seiner Lage passen. Der Angriff der Surraben, die dunkle und kalte Höhle, seine Verletzungen, der Schmerz.
Ja, ich könnte schon tot sein, schloss der Jungschmied sein Grübeln ab über den größeren Sinn seiner Situation.
Nur das ewige Licht fehlt jetzt noch. Auch fühlte er nicht, dass er am schweben sei. Vielmehr quälte er sich voller Schmerz und zitternd weiter in die Höhle hinein.
Bin ich doch nicht tot?
Er wusste es nicht. Für weitere Gedanken war es aber zu kalt und so machte er sich in unverminderter Geschwindigkeit weiter in die Höhle hinein.
Die Schmerzen und die Auszehrung beschäftigten ihn so sehr, dass er erst gar nicht bemerkte, wie irgendwann die Kälte der Höhle verschwand. Dann fiel es ihm aber doch auf, wie die Zähne sich wieder beruhigt hatten und auch Arme und Beine sich nur noch bewegten, wie er es wollte.
Plötzlich hörte er etwas.
Zuerst hielt er es für ein neues Geräusch, das von seinen Schritten herrührte. Als er dann aber stehen blieb, da hörte das Geräusch nicht mehr auf. Es war ein tiefes, leises und rhythmisches Grummeln.
Ist es der Surrabe?
Er lauschte am Kessel, doch von da kam es nicht. Ein weiterer Felssturz konnte es kaum sein, wäre dieser doch irgendwann wieder zu Ende.
Vielleicht war es ein Fluss.
Aber im Berg?
Nun war es Neugierde, die ihn weiter vorantrieb. Alles könnte es sein und alles durfte es sein, Hauptsache, der ewige Tunnel ist bald überwunden. So lief er geschwind weiter, hielt aber ein ums andere Mal kurz an und vergewisserte sich um den zunehmenden Lärm.
Dann plötzlich kam er ein weiteres Mal in abrupter Weise zum stehen. Was war das da vorne, fragte er sich und kniff beide Augen zusammen.
Der Dunkelheit zum Trotz musste er sich konzentrieren auf einen Punkt weit in der Ferne. Ihm war, als sei da gerade ein heller Lichtpunkt zu sehen gewesen.
War das der Ausgang? Oder waren es doch nur seine Sinne, die nicht mehr wollten?
Zur Sicherheit hielt er das Dämmerlicht des Surraben nach hinten und blinzelte ein weiteres Mal konzentriert in die dunkle Ferne vor sich.
Wieder nichts.
Dennoch keimte neue Hoffnung auf im Jungschmied auf, die seinen Gang merklich beflügelte.
Da sah er einen weiteren Lichtblitz weit in der Ferne.
Also doch!
Erneut hielt er inne und suchte angestrengt das Loch vor ihm ab. Tatsächlich, da ist etwas, freute er sich. Da war ein heller Punkt weit in der Ferne.
Sofort lief er weiter und das noch einmal um einen Zacken schneller als zuvor. Die Schmerzen waren nun weg, das Zittern war es schon lange und die Angst wich Euphorie über den Sieg gegen die Widrigkeiten der Welt. Er schwebte geradezu den Weg entlang, den ihm die Eisenadern zu folgen vorgaben.
Nicht lange danach wuchs der ätherische Anschein von Helle an zu einem konkreten Lichtpunkt am tief liegenden Horizont. Nicht weniger verstärkte das leise Grummeln um ihn herum mit jedem Schritt seine Intensität.
„Gleich bin ich da“, sagte der Jungschmied laut zu sich selbst.
Den Schraubenschlüssel hielt er noch immer in der einen Hand, den Kessel mit dem Surraben klemmte unter dem anderen Arm. Dessen gedämpftes Leuchten in allen Farben brauchte er nun nicht mehr. Der Lichtpunkt wies ihm den Weg. Dieser war jetzt so stark, dass er von der Wand reflektiert wurde.
Als überaus warm empfand er das Licht. Es leuchtete einem Regenbogen gleich in den unterschiedlichsten Tönen.
Da rann dem Jungschmied eine Träne über die Wange. Er nahm sie er gar nicht wahr. Noch eine Minute gehen, dachte er sich und genoss in kindlicher Freude die Wärme des bunten Vorhangs aus Licht. Die Schmerzen und Mühe waren längst vergessen für ihn.
Nur noch wenige Schritte trennten ihn vom Durchschreiten der Grenze vom Dunkel ins Licht, als ihn das letzte Mal ein Gedanke zum stehen brachte.
Was, wenn es das war?
Plötzlich begriff der Jungschmied, wie ihm geschah. Das war der Tod, den er gerade erlebte. Es war genau wie erzählt.
Neue Zweifel überkamen ihn.
Bin ich darauf überhaupt vorbereitet? Was wird es bedeuten und wird alles gut? Die Nervosität und ein Hauch von Angst drängte sich in sein Bewusstsein zurück. War es doch etwas völlig neues für ihn und mit einer kaum schätzbaren Bedeutung.
Die Unvermeidlichkeit seiner Lage drängte ihn ganz langsam weiter. Mit jedem Schritt wurde das rhythmische Trommeln lauter und intensiver, und auch die Temperatur stieg an zu einer wohligen Wärme, wie man sie nur abends aus der Stube kannte. Der Vorhang aus Licht wiederum leuchtete ebenso warm und farbenfroh und wirkte in keinster Weise bedrohlich auf ihn.
Der Jungschmied stand nun unmittelbar am Übergang und stellte fest, dass es wirklich ein Vorhang war. Dieser bestand aus einem bunten und lichtdurchlässigen Material, wie er es zuvor noch nie gesehen hatte. Ebenso sah er, dass es von der anderen Seite beschienen wurde. Auch das rhythmische Geräusch konnte er nun besser einordnen. Es müssen Trommeln sein, wusste er nun, sehr viele Trommeln sogar, und er meinte auch einige Stimmen darin zu vernehmen.
Ein letztes Mal atmete der Jungschmied tief durch.
Wenn, dann schreite ich in Ruhe und aufrecht in den Tod, dachte er sich in einen letzten Akt der Selbstvergewisserung.
Noch immer trug er er den Schraubenschlüssel auf der einen Seite und den verstummten Surraben im Kessel auf der anderen. Doch an all das dachte er in seinem letzten Momenten ebenso wenig wie daran, dass er am ganzen Körper mit Blut und Dreck überschmiert war.
Es hatte aber auch keine Bedeutung mehr für ihn. So schob er schließlich in voller Vergewisserung seiner Selbst den Vorhang zur Seite und nahm den finalen Schritt hinaus aus seinem alten Leben und hinein in das Licht.