Читать книгу Planet der Magie - Manfred Rehor - Страница 7
ОглавлениеJäger und Opfer
Die Hütten der Iyllas mit ihren grasbedeckten Dächern waren schon aus ein paar Hundert Schritten Entfernung nicht mehr von grünen Hügeln zu unterscheiden. Ihre Tarnung war fast perfekt. Nur der Weg, der zwischen ihnen hindurchführte, verriet den Zweck dieser Erhebungen in der Landschaft.
„Jetzt verstehe ich, warum wir das Dorf bei unserem Flug mit dem Beiboot nicht entdeckt haben“, sagte Macay. „So robust die Iyllas körperlich sind, so ängstlich scheinen sie darauf bedacht zu sein, sich zu verbergen.“
„Eine seltsame Rasse“, stimmte Zzorg zu. „Als sie uns die Waffen mitgaben, schienen sie froh zu sein. Sie wollten diese Werkzeuge des Tötens so schnell wie möglich aus ihrem Dorf weghaben.“
„Und doch haben sie den alten Mann ohne Bedenken ermordet. Dabei war er nach der Explosion unter einem Baumstamm eingeklemmt. Er war bewusstlos und folglich ohne jede Chance, sich zu wehren.“ Macay war nicht von der Friedfertigkeit der Iyllas überzeugt. „Auch mich hätten sie getötet.“
„Das ist sicherlich eine Folge ihrer übergroßen Furchtsamkeit“, argumentierte Rall. „Der Herrscher im Norden muss ihnen eine enorme Angst einflößen.“
„Wir sollten nicht zu leichtgläubig sein. Alles, was wir über diesen angeblich so bösartigen Herrscher wissen, haben wir von den Iyllas gehört.“
„Ich vertraue ihnen“, sagte Zzorg mit Überzeugung in der Stimme.
„Nun gut, streiten wir uns nicht. Was liegt jetzt vor uns?“ Macay sah den Weg entlang, der sich nach Süden hinzog.
„Zunächst müssen wir dieses Gebiet durchqueren“, sagte Rall. „Außer vereinzelten Iylla-Dörfern gibt es hier keine weiteren Siedlungen. Wir meiden die Dörfer aus den bekannten Gründen. Deshalb werden wir diesen Weg an der nächsten Biegung verlassen und querfeldein gehen. Am vierten Tag erreichen wir die Grenze des von Iyllas bewohnten Gebietes. Dahinter soll eine Rasse namens Karaquz leben.“
„Was sind das für Leute?“
„Die Beschreibung, die mir Ifili von ihnen gegeben hat, konnte ich nicht richtig verstehen. Die Karaquz sollen größer sein als Menschen und in Städten leben. Die Iyllas reden nur ungerne über diese Wesen. Wann immer ich nachgefragt habe, versuchte die Dorfvorsteherin, das Thema zu wechseln.“
Sie marschierten durch eine schöne Landschaft aus kleinen Wäldern und Wiesen. Es gab weder Felder noch andere Anzeichen einer Nutzung oder Besiedlung.
Macay war nicht mehr ohne weiteres als Mensch zu erkennen. Ifili hatte eine Maske für ihn angefertigt. Sie bestand aus einer Schnauze aus biegsamen Ästchen und Stoff und war an der Kapuze seines Umhangs befestigt. Sicherheitshalber trug er diese Kapuze ständig über den Kopf gezogen. Zumindest aus einer gewissen Entfernung sah er damit aus, als habe er eine Art Mäusegesicht mit kleinen, spitzen Ohren.
Am Abend fanden sie einen geschützten Rastplatz. Es war die Quelle eines Baches, der zwischen Büschen am Fuß eines Hügels entsprang. Oben auf dem Hügel wuchsen niedrige Bäume mit dichtem, grünem Blattwerk. Sie versprachen Schutz, falls die drei Wanderer sich von der Quelle zurückziehen mussten. Auf ein Feuer verzichteten sie, das Wetter war sommerlich warm.
Wie sie es von den vielen abenteuerlichen Reisen auf ihrer Heimatwelt gewohnt waren, teilten sie sich abwechselnd zur Wache ein.
Es war Zzorg, der während der Nacht seine beiden schlafenden Gefährten weckte. „Etwas nähert sich. Ein seltsames Geräusch geht davon aus. Wir verlassen unser Lager besser.“
„Warum?“, fragte Macay verschlafen.
„Vielleicht nutzen andere Wesen diese Quelle auch gerne als Lagerplatz. Wir haben es in der Abenddämmerung versäumt, gründlich nach Spuren zu suchen.“
Während sie sich noch flüsternd unterhielten, begann Rall, die Vorräte zurück in die Stofftaschen zu packen. Macay half ihm. Sie rollten ihre Schlafdecken zusammen, verwischten die Spuren ihrer Rast so gut es ging und schlichen den Hügel hinauf unter die Bäume.
Das Geräusch kam näher. Es war ein rhythmisches Knacken, als würden Muschelschalen gegeneinander schlagen. Was auch immer die Ursache sein mochte, es war besser, ihr auf dieser fremden Welt zunächst aus dem Weg zu gehen. Die Waffen der Iyllas - Dolche und ein Kurzbogen mit fünf Pfeilen - nützten den Dreien möglicherweise nichts gegen die Unbekannten.
Der kleine Mond Bundaras stand in dieser Nacht nicht am Himmel. Nur das Licht der Sterne half ihnen, sich zu orientieren. Sie suchten sich einen Platz zwischen Bäumen und Büschen, von dem aus sie hinunter auf die Quelle sehen konnten. Sollte es sich bei den näherkommenden Wesen um Intelligenzen handeln, so würden sie vermutlich ein Feuer machen. Dann war es möglich, sie zu beobachten.
Das Knacken hörte auf. Nach mehreren Minuten atemlosen Wartens sah Macay unten tatsächlich einen Feuerschein. Schattenhafte Kreaturen entzündeten ein Lagerfeuer und bemühten sich, es mit trockenem Holz schnell größer werden zu lassen.
Die Wesen waren von länglicher Gestalt und hager. Ihre ovalen Köpfe waren groß und schienen wie in die Länge gezogen. Das Geräusch, das sie schon aus der Ferne angekündigt hatte, entstand, wenn sie sich bewegten. Je größer der Schritt, den eines der Wesen machte, desto lauter das Knacken. Doch gelegentlich bewegte sich auch eines von ihnen, ohne den verräterischen Ton zu verursachen. Vielleicht war es anstrengend für sie, lautlos zu gehen, so dass sie das Knacken normalerweise hinnahmen.
Das Feuer wuchs an und beleuchtete eine immer größere Fläche. Nun sah Macay, dass die Wesen sackartige Kleidungsstücke trugen, aus denen ihre dürren Arme herausragten. Sie waren mit Speeren bewaffnet und verfügten außerdem über lange Dolche. Die steckten in einer Art Schärpe, die sie schräg über ihren Oberkörper hängen hatten.
Acht Individuen zählte Macay. Es bewegte sich allerdings auch noch jemand außerhalb des Feuerscheins.
„Das müssen Karaquz sein“, flüsterte Rall. „Insektenwesen, die in der großen Stadt südlich von hier leben. Die Iyllas haben aber nichts davon gesagt, dass die Karaquz auch in ihrem Siedlungsgebiet unterwegs sind.“
„Sollen wir uns zu erkennen geben?“, fragte Macay ebenso leise.
„Keinesfalls. Wir beobachten weiter.“
Es schien, als warteten die Karaquz auf etwas, während sie um das Feuer saßen. Sie unterhielten sich nicht miteinander und machten auch keine Anstalten, Vorräte auszupacken und etwas zu essen. Stattdessen legten sie immer mehr Holz in das Feuer, bis es einen Durchmesser von über einem Meter hatte. Die Flammen loderten hoch in den Himmel.
Nach weiteren Minuten tat sich etwas abseits des Lichtscheins. Schattenhafte, hastige Bewegungen waren zu erkennen. Dann ein greller, kreischender Schrei.
„Ein Iylla!“, zischte Zzorg.
„Ich glaube, er ruft um Hilfe“, sagte Rall. Unruhig nahm er den Kurzbogen in die Hand und legte einen Pfeil bereit.
„Lass das!“, sagte Macay. „Es sind zu viele Karaquz dort unten. Mit denen werden wir nicht fertig.“
Sie beobachteten weiter. Noch einmal drang ein gellender Schrei zu ihnen, der in ein leises Fiepen überging.
Zwei Karaquz kamen aus der Dunkelheit. Sie zerrten einen offenbar noch jungen Iylla ins Licht des Lagerfeuers.
„Sie haben ihn gefangen genommen“, flüsterte Macay. „Führen sie Krieg gegen die Iyllas?“
Das Geschehen unten auf dem Lagerplatz an der Quelle beantwortete seine Frage auf furchtbare Weise. Einer der Karaquz zog seinen Dolch aus der Schärpe und führte mit einer schnellen Bewegung einen Schnitt unterhalb des Kopfes seines Gefangenen durch. Der junge Iylla zappelte kurz, dann war er tot. Blut floss pulsierend aus der Halswunde.
Doch der Mörder war damit nicht zufrieden. Er stach sein Messer noch an mehreren Stellen zwischen die festen Bänder an Bauch und Rücken, wobei er den Körper auf dem Boden hin und her wälzte. Die Blutlache wurde schnell größer. Der Dolch war nicht scharf genug, um die Panzerbänder des Iyllas zu zerschneiden. Macay sah, wie das Messer mehrmals an ihnen abglitt. Die Natur hatten die kleinen Wesen fast perfekt geschützt. Aber eben nur fast.
Macay musste Rall festhalten, um zu verhindern, dass der Katzer den Mörder mit einem Pfeil bedachte.
Zwei der Karaquz packten den toten Iylla und warfen ihn auf das Lagerfeuer. Während die Flammen zischend über dem bluttriefenden Körper zusammenschlugen, saßen die zehn Wesen im Kreis und beobachteten ihr Opfer in den Flammen. Dabei redeten sie miteinander. Ihre Stimmen waren unerwartet tief und knarrend. Die Szene sah aus, als würde eine Gruppe von Jägern fröhlich beisammensitzen und sich über die Erlebnisse des Tages unterhalten.
Macay, Rall und Zzorg blieben bewegungslos in ihrem Versteck oberhalb des Lagerplatzes. Allerdings schloss Macay irgendwann die Augen, um nicht mehr den toten Iylla sehen zu müssen, der im Feuer verbrannte. Schon der Geruch des anbrennenden Fleisches genügte, um ihn vor Ekel würgen zu lassen.
Nach einer Stunde schreckte ihn ein lautes Knallen auf, das aus Richtung des Lagerplatzes kam. Es wiederholte sich mehrere Male. Nun sah Macay wieder hin. Das Lagerfeuer war heruntergebrannt, aber sicherlich immer noch sehr heiß. Zunächst konnte er nicht erkennen, was vor sich ging. Ein Karaquz stocherte mit seinem Speer zwischen der Glut und dem geschwärzten Körper des Iyllas herum.
Rall beugte sich zu Macay und flüsterte ihm ins Ohr: „Das Knallen kam von den gepanzerten Bändern am Körper des Iyllas. Sie sind von der Hitze geplatzt. Der Karaquz prüft mit dem Speer, ob ihr Opfer bereits gar ist. Ich nehme an, sie werden ihn gleich essen.“
Vor Entsetzen schüttelt sich Macay, denn Rall hatte Recht. Mit Hilfe ihrer Speere zogen die Karaquz den Iylla aus dem Feuer heraus. Dann machten sie sich mit ihren Dolchen an ihm zu schaffen. Sie schnitten Stücke aus dem Fleisch, streuten etwas darüber und begannen zu essen.
„Menschenfresser!“, keuchte Macay.
„Weder die Karaquz noch die Iyllas sind Menschen“, flüsterte Rall. „Sieh nicht hin, wenn dir dabei übel wird.“
„Die Iyllas haben uns zur Stadt der Karaquz geschickt - aber das sind offenkundig ihre schlimmsten Feinden“, sagte Zzorg. „Vielleicht sollten wir die Stadt umgehen.“
„Wir wissen nicht, was es sonst noch im Süden gibt“, wandte Macay ein. „Irgendwo müssen wir Hilfe und weitere Informationen herbekommen. Sonst finden wir uns nie auf dieser Welt zurecht. Eine Stadt, von welcher Rasse auch immer bewohnt, bietet da mehr Möglichkeiten als ein Dorf.“
„Warten wir es ab. Schleich ein paar Schritte nach hinten, Macay, und lege dich hin. Zzorg und ich beobachten weiter.“
Als Macay erwachte, schien die Sonne durch das Laub auf sein Gesicht. Sie stand schon ziemlich hoch am Himmel. Er streckte sich und richtete sich auf. Zzorg saß neben ihm und reichte ihm wortlos einen Becher mit Wasser und ein wenig von der Nahrung der Iyllas. Der zähe Brei war portionsweise in große, grüne Blätter eingewickelt. Er schmeckte immer noch so frisch wie im Dorf.
„Danke“, sagte Macay. „Wo ist Rall?“
„Unten beim Lager der Karaquz.“
Da erst fiel Macay wieder ein, was er in der Nacht gesehen hatte. Ihm wurde übel, er legte das Essen beiseite und trank gierig den Becher leer. „Was macht er dort?“, fragte er dann.
„Sich die Spuren ansehen. Die Karaquz sind kurz nach Sonnenaufgang Richtung Südwesten verschwunden.“
„Warum habt ihr mich nicht geweckt?“
„Wir wollen mit dem Weitergehen warten, bis genügend Abstand zwischen uns und der Jagdgruppe ist.“
„Gehen wir weiter nach Süden?“
„Wir beide sind dafür, zumindest bis in die Nähe der Karaquz-Stadt zu gehen. Vielleicht finden wir dort Hinweise, die uns weiterhelfen. Rall und ich können vermutlich die Stadt betreten, ohne gefährdet zu sein. Man erkennt uns nicht als Menschen. Du musst natürlich an einem sicheren Ort außerhalb warten. Aber das entscheiden wir, wenn wir dort sind.“
Rall kam den Hügel hoch und setzte sich zu ihnen. „Die Karaquz haben fast alle Hinweise auf ihre Anwesenheit beseitigt, bevor sie weitergezogen sind“, sagte er.
„Was meinst du mit fast alle?“, fragte Macay.
„Die Reste des großen Lagerfeuers lassen sich kaum verbergen. Die Asche ist noch heiß. Aber sie haben zumindest die erkaltete Asche vom Rand des Feuers in den Bach geschaufelt, wo sie langsam vom Wasser davon getragen wird. Man kann also die wahre Größe des Feuers kaum noch erahnen. Die Überreste des Iyllas haben sie vergraben, und zwar ziemlich tief. Dabei habe ich sie heute Morgen beobachtet. Die Pfütze aus getrocknetem Blut an der Stelle, an der sie den Iylla ermordet haben, wurde dick mit Sand überstreut.“
„Sie haben alle Spuren beseitigt, die auf ihre Tat hinweisen könnten?“
„So ist es. Du hast vermutlich denselben Verdacht wie ich: Sie haben etwas Verbotenes getan, als sie den Iylla getötet und gegessen haben. Da wir uns im Siedlungsgebiet der Iyllas aufhalten, kann es sein, dass sie Angst vor deren Rache haben.“
„Oder sie haben gegen Gesetze ihres eigenen Volkes verstoßen.“
„Wir werden es herausfinden. Bist du bereit, weiterzugehen?“
Sie nahmen ihr Gepäck und machten sich auf den Weg. Da sie nun vorsichtiger waren, kamen sie langsamer voran als bisher. An unübersichtlichen Stellen blieben Macay und Zzorg zurück, während Rall die Umgebung auskundschaftete.
Ob ihre Vorsicht berechtigt war, wussten sie nicht. In den folgenden zwei Tagen begegneten ihnen weder Iyllas noch Karaquz.
Am Morgen des dritten Tages stießen sie auf eine Straße. Sie war nicht gepflastert, sondern bestand nur aus festgetretenem Erdreich. Tiefe Längsrillen zeigten, dass sie häufig von Fuhrwerken genutzt wurde. Die Straße kam aus dem Nordwesten, wo im Dunst ferne Berge zu erahnen waren, und machte hier einen Bogen nach Süden.
„Das dürfte der Weg zur Stadt der Karaquz sein“, sagte Macay. „Was nun?“
„Fragen wir doch diese Leute“, sagte Rall und zeigte nach Südwesten. Dort arbeiteten menschenähnliche Gestalten auf den Feldern.
Rall ging langsam zu diesen Wesen hin, während Zzorg und Macay ein Dutzend Schritte hinter ihm blieben.