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Der Ratsherr

Die Straße war gut sechs Meter breit. Eigentlich handelte es sich eher um einen Stollen, der in die Kegelstadt der Karaquz hineinführte. Die Schritte der Wachen hallten laut. Ebenso das Knacken, das bei jeder Bewegung in ihren unter den Kutten versteckten Beinen entstand. Die Wände und die Decke des Stollens waren ausgekleidet mit einer holzartig gemaserten Substanz, die jedoch eine raue Oberfläche aufwies, ähnlich wie Sandstein.

In regelmäßigen Abständen standen dicke Pfosten am Rande der Straße, auf deren Spitze eine Lampe angebracht war. Dank deren schwachem Licht konnte Macay seine Umgebung betrachten.

Viele der kleineren Karaquz gingen vor und hinter ihnen in die Stadt hinein oder aus ihr heraus. Jeder ohne Ausnahme trug irgendetwas. Als wäre es verboten, mit leeren Händen die Straße zu betreten. Sie würdigten die von speertragenden Wächtern umgebenen Gefangenen keines Blicks. Jedenfalls soweit das an ihren seltsamen Augen erkennbar war.

„Wohin bringt man uns?“, fragte Macay.

„Entweder in den Kerker oder zu einem Vorgesetzten, der über unser Schicksal entscheidet“, antwortete Rall. „Dort vorne macht die Straße eine Biegung. Ich dachte schon, sie führt durch die Stadt hindurch und auf der anderen Seite wieder hinaus.“

„Fast die Hälfte des Durchmessers des Kegels müssen wir inzwischen zurückgelegt haben“, meinte Zzorg.

Nun machte die Straße eine scharfe Rechtskurve. Danach führte sie in einem weiten Halbkreis linksherum. Offenbar umrundete sie den mittleren Bereich der Stadt.

„Der Stadtkern scheint nicht direkt zugänglich zu sein“, sagte Rall. „Vielleicht wohnen dort die wichtigen Karaquz, oder es werden die wertvollsten Güter gelagert.“

„Es könnte sein, dass dort die Königin lebt“, sagte Macay.

„Welche Königin?“

„Insektenstämme haben doch immer eine Königin, deren Nachkommen alle anderen sind. Sie lebt im Zentrum eines Baus, wo sie am besten geschützt ist.“

„Ich hätte sie ganz unten vermutet“, warf Zzorg ein. „In der unteren Spitze des in die Erde reichenden Kegels.“

„Wir wissen nicht, ob die Karaquz überhaupt eine Königin haben“, sagte Rall. „Wir dürfen nicht von ihrer Ähnlichkeit mit Insekten darauf schließen, dass sie nicht mehr sind, als intelligente Riesenameisen.“

„Mag sein. Wir werden es vermutlich nie erfahren. Was ist das dort vorne?“

„Eine Abzweigung zum Zentrum der Stadt bin. Sie ist besonders hell erleuchtet.“

„Und besonders gut bewacht“, sagte Zzorg. „Dort sind Schießscharten in der Wand. Sicherlich stehen dahinter Wachen mit Pfeil und Bogen.“

Die Soldaten konnten sich mit ihren Gefangenen nicht verständigen. Deshalb gaben sie ihnen mit groben Knuffen zu verstehen, in welche Richtung sie gehen sollten. Nun ging es in die hell erleuchtete Abzweigung hinein.

Nach wenigen Schritten standen Macay und seine beiden Freunde vor einem kunstvoll geschmiedeten Gittertor. Es reichte vom Boden bis zur Decke. Die Wachen links und rechts dieses Tores trugen lange Kettenhemden. Ihre Waffen waren Hellebarden mit fein ziselierten Klingen.

Nach einem kurzen, knarrenden Wortwechsel traten die nur mit Speeren bewaffneten Soldaten zurück. Dann geschah mehrere Minuten lang nichts.

„Was nun?“, fragte Macay. „Warten die darauf, dass wir etwas unternehmen?“

„Ich glaube nicht“, sagte Zzorg. „Hinter diesen Scharten wird jemand unsere Ankunft beobachtet haben. Nun ist er unterwegs, um zu erfragen, was mit uns geschehen soll.“

Unerwartet öffnete sich das schmiedeeiserne Tor. Geräuschlos glitten die Flügel beiseite und gaben den Weg frei. Macay sah die Wachen an, doch die rührten sich nicht.

„Wir gehen hindurch“, entschied Macay. „Umbringen wird man uns dafür nicht.“

Auf der anderen Seite kamen ihnen Soldaten entgegen, die Schwerter trugen. Mit diesen Waffen bedrohten sie die drei Neuankömmlinge.

Ein besonders bunt gekleideter Karaquz-Offizier trat vor. Mit Gesten machte er den Gefangenen klar, dass sie ihm folgen sollten. Die Soldaten wichen seitlich aus und bildeten einen Kreis um die Gefangenen und den bunt Gekleideten. In dieser Formation setzten sie sich in Bewegung.

Macay kam aus dem Staunen nicht heraus. Die Straße, auf der sie gingen, war gepflastert. Auf ihr hallten die Schritte der Soldaten und das Knacken ihrer Gelenke genauso, wie draußen. Das war aber die einzige Übereinstimmung. Denn hier drinnen war es hell, fast wie im Sonnenschein. Das Licht kam von der hohen Decke und strahlte gleichmäßig herunter, so dass nichts und niemand Schatten warf.

Die Wände waren aus Ziegeln gemauert und wiesen Glasfenster auf. Manche davon schienen sogar Schaufenster von Geschäften zu sein. In ihnen lagen Waren verschiedenster Art, deren Zweck Macay jedoch nicht erkennen konnte.

Von der breiten Straße, auf der sie gingen, zweigten Nebenstraßen und Gassen ab, wie in einer normalen Stadt. Treppen führten in höher und tiefer gelegene Bereiche. Kleine Karaquz eilten mit Paketen in den Händen hin und her, manche schoben Schubkarren durch die Straßen.

Auch eine weitere Art von Karaquz war nun zu sehen: solche von mittlerer Größe. Sie schienen die eigentliche Einwohnerschaft dieser Innenstadt zu bilden. Bekleidet waren sie nicht mit Kutten, sondern mit einem zweiteiligen Gewand, das man als Rock und Hemd verstehen konnte. Diese Kleidungsstücke waren mit Mustern verziert. Auch sah Macay jetzt zum ersten Mal, dass manche der Insektenwesen Schmuck trugen. Was er nicht erkennen konnte, waren Unterschiede, die eindeutig auf zwei Geschlechter hinwiesen - falls es die bei den Karaquz überhaupt gab. Außerdem sah er nirgends Kinder in den Straßen.

Die Karaquz mittlerer Größe fielen insbesondere dadurch auf, dass sie neugierig waren. Sie blieben stehen, wenn die Soldaten mit ihren Gefangenen vorüberkamen. Oder sie steckten die Köpfe zusammen, als würden sie tuscheln.

Vor einem Bauwerk im Zentrum dieses Bereichs hielten die Soldaten an. Der Offizier öffnete eine Tür und winkte den Gefangenen, ihm zu folgen.

Sie betraten zweifelsohne ein Zentrum der Macht. Der Boden war zwar auch hier gepflastert, doch die Wände hatte man mit farbig bemalten Stoffen behängt. Auf manchen Bildern erkannte Macay stilisierte Karaquz, doch mit den meisten Abbildungen konnte er nichts anfangen. Der Raum war fensterlos, aber hell erleuchtet. Das Licht stammte aus Schalen, die unter der Decke hingen; in ihnen brannten helle, kleine Flammen.

Es gab keine Einrichtungsgegenstände außer einer Art Säule in der Mitte. Die war nur halbmannshoch und bestand aus Steinen mit glasierter Oberfläche. Macay glaubte, einen bläulichen Schimmer davon ausgehen zu sehen.

Der bunt gekleidete Offizier blieb zurück. Vier Soldaten postierten sich hinter den Gefangenen.

Am anderen Ende des Raumes öffnete sich eine Tür und ein Karaquz kam herein, einer von der mittleren Größe.

Dieser Karaquz war alt. Vermutlich sogar sehr alt. Er bewegte sich unsicher mit kleinen Schritten. Sein rechter Arm hing herunter und schien nicht mehr gebrauchsfähig zu sein, sein Kopf war mit einem grünlichen Flaum bewachsen. Das hatte Macay bei keinem anderen Karaquz bisher bemerkt. Als Bekleidung trug er eine reich bestickte Kutte und eine goldene Kette um den Hals. Zunächst ging er zu dem, was Macay für eine Säule gehalten hatte, und blickte darauf. Mit der linken Greifhand hob er eine dünne Tafel auf und betrachtete sie aufmerksam.

Das sind Schriftstücke, dachte Macay, und die Säule ist ein Lesepult; der Karaquz liest etwas, vielleicht einen Bericht über unsere Gefangennahme.

Nun näherte sich der Alte den Gefangenen. Zuerst stellte er sich vor Zzorg hin und schien dessen Gesichtszüge gründlich zu studieren. Dann wandte er sich Rall zu.

Macay schwitzte. Er trug nach wie vor die Maske der Iyllas, damit man ihn nicht als Menschen erkannte. Was, wenn der Alte verlangte, dass er die Maske abnahm? Sollten die Karaquz ebenfalls Angst vor dem Herrscher im Norden haben, so würden sie Macay töten.

Auch Rall und Zzorg schienen auf diesen Gedanken gekommen sein. Macay merkte, wie sich die Körper seiner Freunde anspannten. Sie waren bereit, um ihr - nein: um sein! - Leben zu kämpfen.

Nachdem der Alte Rall gemustert hatte, kam er zu Macay. Wieder betrachtete er lange das Gesicht. Es konnte ihm nicht entgehen, dass dies nur eine schlecht gefertigte Maske war. Schließlich kehrte er zurück zu dem Lesepult und lehnte sich dagegen.

Er öffnete den Mund - und sagte etwas in der menschlichen Sprache! Es klang zwar knarrend und undeutlich, aber das Wesen redete flüssig. Es musste nicht erst nach den richtigen Worten suchen: „Ein Mensch und zwei menschenähnliche Wesen, die neu auf unserer Welt sind. Interessant.“

„Woher kennen Sie unsere Sprache?“, fragte Macay, nachdem er sich von der Überraschung erholt hatte.

„Diese Frage beweist keine sonderlich hohe Intelligenz“, sagte der Alte. Er schien zu kichern. „Selbstverständlich kann ich sie nur von Menschen gelernt haben. Die einzigen Menschen auf unserer Welt waren bisher die mehr als einhundert Raumfahrer, die vor zwei Jahrzehnten unserer Zeitrechnung hier gelandet sind. Daraus ergibt sich, dass ich mit diesen Menschen lange genug zusammen war, um ihre Sprache zu erlernen.“

Diesmal funktionierte Macays Verstand. „Also haben Menschen hier in der Kegelstadt gelebt“, folgerte er. „Sind sie noch hier? Wir müssen mit ihnen reden.“

„Ah, doch ein Funken von Intelligenz, der sich hier zeigt. Nein, sie sind nicht mehr hier. Und nun weg mit dieser lächerlichen Iylla-Maske!“

Macay befolgte diese in ziemlich ungehaltenem Tonfall vorgebrachte Anweisung. Er hob die Maske an und klappte sie mitsamt der Kapuze nach hinten.

Der alte Karaquz nickte zufrieden und fragte: „Wie heißt ihr?“

„Mein Name ist Macay und dies sind meine Freunde Rall und Zzorg.“

„Meinen Namen könnt ihr mit euren Stimmwerkzeugen nicht aussprechen“, sagte der Karaquz. „Also nennt mich den Ratsherrn, wie es die Menschen früher immer getan haben. Ich bin der Regent dieser Stadt, die wir die goldene Kegelstadt nennen. Deshalb habe ich das Privileg, eine goldene Kette zu tragen. Außerdem bin ich der Vorsitzende des Ältestenrats aller Karaquz auf diesem Kontinent. Jedenfalls ist das eine Beschreibung meiner Funktion, die ihr verstehen könnt.“

„Ist nicht die Königin die eigentliche Herrscherin über die Karaquz?“, wagte sich Macay mit einer neugierigen Frage vor.

„Sie steht über allem. Aber wieder muss ich euch sagen, dass ihr nicht verstehen könnt, wie die Zusammenhänge wirklich sind. Außerdem nehme ich an, das ist im Moment nicht euer dringendstes Anliegen.“

„Das stimmt“, sagte Macay. „Wir sind Schiffbrüchige ...“

„Das versteht sich“, unterbrach ihn der Ratsherr. „Die Explosion im Norden konnte nur von einem dieser riesigen, zylinderförmigen Objekte stammen, das von den Sternen zu uns gekommen ist. Da ihr diese gewaltige Explosion überlebt habt, wart ihr zu dem Zeitpunkt nicht mehr an Bord. Also müsst ihr unsere Welt vorher betreten haben. Vielleicht als Erkundungstrupp, um einen geeigneten Ort für die Landung zu finden.“

Die Scharfsinnigkeit des Ratsherrn verblüffte Macay. Er nickte nur.

„Die Maske der Iyllas beweist, dass ihr euch in deren Gebiet aufgehalten habt. Ihr müsst recht umgängliche Wesen sein. Sonst hätten euch die überängstlichen Iyllas nicht geholfen. Schon gar nicht einem Menschen.“

„Das ist alles richtig“, bestätigte Macay.

„Selbstverständlich. Im Norden ist es gefährlich für Menschen. Daher habt ihr euch nach Süden gewandt und seid so in das von uns bewohnte Gebiet gekommen. Ich frage mich jedoch, warum ihr euch nicht einfach bei den Wachen draußen gemeldet habt. Haben euch die Iyllas nicht gesagt, dass die Karaquz Fremden und Verfolgten Schutz gewähren, wenn es sich nicht um Verbrecher handelt?“

Rall antwortete: „Ich konnte in der kurzen Zeit die Sprache der Iyllas nicht gut genug erlernen, um mich ausführlich mit ihnen zu unterhalten. Aber mein Eindruck ist, dass die Iyllas die Karaquz fürchten.“

„Die Iyllas fürchten alles und jeden“, sagte der Ratsherr verächtlich. „Aber ihr müsst in einem sehr abgelegenen Dorf gewesen sein, um Iyllas vorzufinden, die Angst vor uns haben.“

Macay fand den Tonfall des Ratsherrn unerträglich, deshalb platzte er heraus: „Sie fürchten sich zu Recht, denn sie werden von den Karaquz gejagt und gefressen! Wir konnten es selbst beobachten.“

Der Ratsherr schwieg.

Macay bedauerte sofort, was er gesagt hatte. Nun hatte er den Karaquz verärgert.

Es vergingen mehrere Minuten, bevor der Ratsherr sagte: „Berichtet, was ihr gesehen habt.“ Und es klang nicht wie ein Befehl, sondern wie eine Bitte.

Bevor Macay beginnen konnte, sprach Rall. Der warf seinem Freund dabei einen warnenden Blick zu. Lass mich das machen, besagte der Blick. Macay fügte sich. Rall schilderte den Vorfall so neutral wie möglich.

Der Ratsherr hörte zu, ohne ihn zu unterbrechen. Als Rall geendet hatte, sagte er: „Da ihr unsere Rasse nicht kennt, dürfte es euch nicht möglich sein, die Verbrecher zu identifizieren. Aber wir werden auch so herausfinden, um wen es sich handelte. Auf Mord an einem Iylla steht bei uns die Todesstrafe. Die Köpfe der Bande werden in der Eingangshalle zur Schau gestellt. Achtet darauf, wenn ihr unsere Stadt wieder verlasst.“

„Es ist also nicht erlaubt, Iyllas zu töten?“, fragte Macay. Er nahm an, dass der Ratsherr seine Erleichterung aus der Stimme heraushören konnte. „Wir haben das vermutet, weil die Täter die Überreste der Leiche so gründlich verscharrt haben.“

„Wir stammen von kriegerischen Vorfahren ab. Unsere Soldaten sind daher anfällig für solche Vergehen. Aber wie schon gesagt, wir bestrafen das hart. Ich werde außerdem einen Botschafter zu den Iyllas in den abgelegenen Dörfern schicken und ihnen Geschenke überreichen lassen, als Wiedergutmachung.“

„Das ist großzügig von Ihnen.“

Der Ratsherr lachte. „Nein. Die Iyllas stellen einen Puffer nach Norden dar, auf den wir nicht verzichten möchten. Die Geschenke, die wir ihnen machen, sind für die Iyllas wertvoll - Messer, gewebte Stoffe und dergleichen -, aber für uns Kleinigkeiten.“

„Sind die Karaquz so reich?“, fragte Macay.

„Wir verfügen über alles, was an Waren auf dieser Welt gehandelt wird. Das kann man doch aus der Größe und Form unserer Stadt und aus dem erheblichen Warenumschlag vor unseren Toren schlussfolgern.“

„Wir haben es nicht gefolgert“, sagte Macay. „Bitte erzählen Sie uns, was uns bei unseren Beobachtungen sonst noch hätte auffallen müssen.“

„Unsere Stadt ist ein wichtiger Knoten im Netz des Handels auf Bundara. Verschiedenste Waren werden angeliefert und wieder weggebracht. Eine Vielzahl von intelligenten Wesen unterschiedlichster Rassen ist daran beteiligt. Die Größe dieser Kegelstadt sollte euch den Schluss nahelegen, dass sie vor allem eines ist: eine gigantische Ansammlung von Lagerhallen.“

Zzorg sagte: „Sie verdienen Ihr Geld nicht mit dem Handel draußen vor den Toren, sondern mit Gebühren auf die Waren, die hier sicher und gut bewacht lagern.“

„Genauso ist es. Jede Rasse kann zu uns kommen. Jedes beliebige Handelsgut kann uns gebracht werden. Wir lagern es hier ein - gegen einen angemessenen Geldbetrag oder einen Anteil an der Ware. Da wir auf allen Kontinenten vertreten sind und mehrere Dutzend Städte dieser Art bewohnen, ist das eine erhebliche Erleichterung für den Handel.“

Bevor Macay fragen konnte, warum riesige Lagerkapazitäten gut für den Handel seien, sagte Zzorg: „Viele Waren müssen gar nicht mehr oder nicht mehr so weit transportiert werden. Ein Händler, der hier etwas einlagert, bekommt von Ihnen eine Bestätigung. Er reist alleine in eine andere Gegend - das heißt, ohne Ware und ohne Transportkosten. Dort tauscht er den Gutschein über die hier gelagerten Waren gegen einen Gutschein, der ganz andere Waren betrifft. Und den kann er an anderen Orten wieder eintauschen, bis er schließlich das Handelsgut besitzt, das er haben will. Er muss weder die Waren, noch große Geldbeträge bei sich führen.“

„So ist es“, bestätigte der Ratsherr.

Nun warf Macay doch eine Frage dazwischen: „Nehmen wir an, hier werden Nahrungsmittel aus der Umgebung eingelagert, für die es Kunden viele hundert Meilen weiter südlich gibt. Was nützt es dann, diese Nahrungsmittel hier in der Stadt zu haben?“

„Das ist richtig, junger Mensch. Wie könnte die logische Lösung für dieses Problem lauten?“

„Keine Ahnung“, gab Macay zu.

Wieder war es Zzorg, der einsprang: „Die Waren werden zwischen den Städten der Karaquz hin und her transportiert. Vermutlich effektiver und sicherer, als es ein einzelner Händler arrangieren könnte.“

„Zutreffend! Überall auf Bundara werdet ihr den Konvois meiner Rasse begegnen. Um bei dem Beispiel zu blieben: Ein lokaler Händler lagert bei uns drei Wagenladungen Trockenfrüchte ein, die er auf einem Markt mehrere hundert Meilen weiter südlich verkaufen will. Also sorgen wir für den Transport seiner Ware zu der Karaquz-Stadt, die diesem Ort am nächsten liegt. Aber da wir unzählige Waren lagern und transportieren, gehen nicht nur seine drei Wagenladungen auf die Reise, sondern Dutzende von Wagen mit allen möglichen Beladungen. Wir verfügen über die ausdauerndsten Zugtiere und die stabilsten Fahrzeuge und wir kennen die optimalen Streckenführungen. Unsere Konvois werden begleitet von Hunderten unserer Soldaten. Niemand wagt es, so einen Konvoi anzugreifen.“

„Fast niemand!“, warf Rall ein.

„Wie bitte?“

„Ich sagte: fast niemand!“, wiederholte der Katzer. „Die große Anzahl von Soldaten, die Sie eben erwähnt haben, deutet auf eine reale Gefahr hin. Also gibt es jemanden, der schlecht bewaffnete Konvois überfällt.“

„Gut gefolgert“, gab der Ratsherr zu. „Aber bevor wir uns in den Einzelheiten der Wirtschaftsbeziehungen auf Bundara verlieren, möchte ich noch einige Fragen stellen. Zum Beispiel, warum immer wieder versucht wird, Menschen auf diese Welt zu bringen.“

„Die großen, zylinderförmigen Körper sind Forschungsraumschiffe. Sie landen auf fremden Welten, wo sie sich möglichst gut tarnen, um die Einwohner nicht zu stören. Die Menschen in den Raumschiffen versuchen, alles zu lernen, was es auf der jeweiligen Welt Besonderes gibt.“

„Eines dieser Schiffe ist vor zwanzig Jahren auf unserer Welt gelandet“, sagte der Ratsherr. „Aber dasjenige, mit der ihr gekommen seid, ist bereits das vierte, das vor der Landung zerstört wurde. Mich interessiert der Grund für diese Hartnäckigkeit. Wenn es wahr ist, dass es Millionen von Welten dort oben zwischen den Sternen gibt, warum versucht man dann immer wieder, gerade Bundara zu erforschen?“

„Wir wissen es nicht“, behauptete Macay. Ein Gefühl riet ihm, nichts über den Auftrag zu verraten, den sie hatten, nämlich den Ursprung der Magie auf dieser Welt zu erforschen. „Erst, nachdem unser Raumschiff explodiert ist, haben wir von einem Menschen erfahren, dass das schon mehrmals geschehen ist. Der Mensch war ein Überlebender der ersten Expedition, ein alter Mann.“

Der Ratsherr, der die ganze Zeit mit seinem gesunden Arm auf das Lesepult gestützt dagestanden hatte, richtete sich auf. Er machte sogar einen Schritt auf Macay zu. „Ein alter Mann? Wie heißt er?“

„Wir haben es nie erfahren. Nach der Explosion haben die Iyllas ihn getötet.“

„Beschreibe ihn mir.“

Macay erzählte, was er von dem Alten wusste.

„Rounald“, sagte der Ratsherr. „Er hat eine Zeitlang hier in der Stadt gelebt. Dann ist er mit zunehmendem Alter immer seltsamer geworden. Seine Gedanken haben sich verwirrt. Eines Tages ist er losgezogen, um alleine die Rätsel Bundaras zu lösen. Nun ist also auch er tot.“

„Gibt es denn hier so viele Rätsel?“, fragte Macay. „Falls ja, wäre das doch ein Grund, immer wieder Forschungsraumschiffe hierher zu schicken.“

„Woher weiß man dort, wo ihr herkommt, von diesen Rätseln?“, fragte der Ratsherr zurück. „Das einzige je hier gelandete Schiff der Menschen ist nicht mehr in ihrem Besitz. Die Besatzung konnte keine Nachricht über unsere Welt nach Hause schicken.“

Macay nickte betroffen. Darüber hatte er noch nicht nachgedacht. Und woher hatte Commodore Eegenhard von der Trägereinheit eigentlich den Namen dieser Welt gekannt - Bundara -, wenn noch nie jemand von hier zurückgekehrt war?

„Man hat ausgerechnet euch hierher gebracht, obwohl es gefährlich ist, hier zu landen. Dafür gibt es einen Grund“, fuhr der Ratsherr fort. „Welchen?“

Macay sah Rall und Zzorg an. Beide nickten; sie waren bereit, das Geheimnis zu lüften.

„Uns hat man ausgewählt, weil diese Welt eine der wenigen sein soll, auf der es Magie gibt“, begann Macay. „Auf unserer Heimatwelt verfügten Rall und Zzorg über magische Fähigkeiten. Rall war ein Heiler und Zzorg ein Feuermagier, der Flammen gegen seine Gegner schleudern konnte.“

„Und du?“

„Mir sind keine magischen Fähigkeiten bewusst. Aber man sagt mir das Talent nach, Abenteuer zu überstehen, bei denen die meisten Menschen ums Leben kommen würden. Mag sein, dass da eine Spur von Magie mit im Spiel ist. Ich weiß es nicht.“

Der Ratsherr gab ein seltsam schnarrendes Geräusch von sich und schwieg ein paar Minuten. Dann sagte er: „Ihr seid also ein Abenteurer, ein Heiler und ein Feuermagier. Interessant. Man könnte glauben, das Schicksal habe euch genau im richtigen Moment zu uns geführt. Man wird euch in eine menschengerechte Unterkunft bringen. Morgen setzen wir unsere Unterhaltung fort.“

Ein Wink des Ratsherrn und die Soldaten führten Macay und seine Freund hinaus.

Der Ratsherr sah ihnen auf das Lesepult gestützt nach. Als sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte und er alleine im Raum war, sah er nach oben und fragte: „Nun, was hältst du von ihnen?“

Eine menschliche Stimme antwortete: „Perfekt! Wie du schon sagtest: Das Schicksal meint es gut mit uns.“

Planet der Magie

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