Читать книгу Krimi Auswahlband Mordfälle für den Strand 2019 - Manfred Weinland - Страница 51
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BRIAN CONGERS HATTE ein mulmiges Gefühl, als er das Firmengelände an diesem Abend verließ. Begonnen hatte sein Unbehagen, nachdem Trigger ihn angerufen und Auskünfte über einen Klienten namens Jay Bonner verlangt hatte. Congers hatte die erforderlichen Daten aus dem Computer abgerufen und mit einem Boten zum Direktor der Trans Time Co. bringen lassen. Um auf eventuelle Anfechtungen vorbereitet zu sein, hatte er sich die abgespeicherten Angaben zu diesem Bonner selbst noch einmal vorgenommen. Dabei war er auf nichts Ungewöhnliches gestoßen.
Laut PC war Bonner ein alleinstehender Lebenskünstler, der durch Erbschaft an ein mittleres Vermögen gelangt war, dies aber wohl nicht mehr allzu lange genießen konnte. Er war an Blutkrebs erkrankt. Seine weitere Lebenserwartung lag unter der einer gewöhnlichen Stubenfliege.
So weit, so schlecht.
Doch dann war es zu Ungereimtheiten gekommen. Am Ende von Bonners Eintrag fand sich ein Vermerk, der nicht von Congers eingebracht worden war: »Vertrag erloschen«.
Congers wusste es genau - er hatte während seiner gesamten Zeit bei Trans Time noch nie einen solchen Vermerk eingegeben. Vertragsrücktritte gab es praktisch nicht. Die Klauseln sahen bei einer Aufhebung dermaßen horrende Stornokosten vor, dass man den Vertrag auch gleich ohne finanzielle Einbußen erfüllen konnte.
Nein, der Vermerk stammte nicht von ihm ...
Congers kannte Trigger mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass er nichts grundlos tat. Schon gar nicht, einen Computerausdruck mit sensiblen Kundendaten anfordern.
Seltsamerweise hörte er aber bis zum Eintritt seines Feierabends nichts mehr aus der Direktionsetage. Die Angelegenheit - um was auch immer es sich gehandelt haben mochte - schien im Sande verlaufen zu sein.
Congers hatte hin und her überlegt, ob er selbst die Initiative ergreifen und Trigger darauf ansprechen sollte. Aber insgeheim hatte er Angst, einen Fehler begangen zu haben, der zu seinem sofortigen Rausschmiss führen konnte.
Er war von Natur aus immer ein Schwarzseher gewesen. Zudem machte es sich mitunter nachteilig bemerkbar, dass er seine einstige Nervenstärke während seiner fünfjährigen Haft auf Riker’s Island zurückgelassen hatte.
Trans Time gab augenscheinlich nicht nur Schwerkranken oder Toten eine »Chance« - auch Vorbestrafte wussten ein Loblied auf dieses unkonventionelle Unternehmen zu singen.
Congers hatte herausgefunden, dass er nicht der einzige Ex-Sträfling war. Ein Großteil derer, mit denen er täglich verkehrte, gehörten dieser Spezies an, wie er aus den Unterhaltungen herausgefiltert hatte.
Eigentlich hätte er zufrieden sein müssen, einen solchen Arbeitgeber gefunden zu haben.
Eigentlich ...
Doch schon auf der langen Ausfahrtsstraße, die vom Firmengelände am Liberty State Park vorbei nach Jersey City führte, fühlte er sich beobachtet ...
Er machte sich eindringlich klar, dass er Gespenster sah, aber es half nichts. Jedes Fahrzeug, das auf dem Weg zur Innenstadt längere Zeit hinter seinem Caddy verweilte, erschien ihm wie der Wagen eines potentiellen Verfolgers.
Zuletzt blieb ein besonders hartnäckiger Chrysler Transporter übrig, wie sie von Trans Time als Lieferfahrzeuge benutzt wurden. Eine Firmenaufschrift konnte Congers nicht erkennen - aber dafür wäre er auch viel zu nervös gewesen. Mit schweißnassen Händen lenkte er seinen Wagen durch das Verkehrsgewühl.
Sein Verfolgungswahn nahm konkretere Formen an.
Der Feind, von dem Congers nicht einmal ahnte, was er von ihm wollte, saß im Chrysler!
Bullen, dachte er. Vielleicht waren es Bullen, die ihm etwas anhängen wollten.
Oder tatsächlich jemand von der Firma ...
Er verwarf den Gedanken, auf direktem Weg zu seinem kleinen Apartment in der Henderson Street zu fahren. Er machte einen Umweg am J.C. Medical Center vorbei und hielt vor einer Telefonzelle.
Der Chrysler stoppte in respektvollem Abstand am Fahrbahnrand.
Ehe Congers ausstieg, überlegte er, wen er eigentlich anrufen sollte. Die Polizei? Er kannte so gut wie niemanden in der Stadt. In New York schon - aber das waren Kreise, mit denen er nach Möglichkeit keinen Kontakt mehr haben wollte, zumindest nicht, solange seine Bewährung noch lief.
Charlene, dachte er unvermittelt. Charlene Fadden.
Als sie noch bei Trans Time gejobbt hatte, waren sie locker befreundet gewesen. Ein paarmal waren sie zusammen ins Bett geschlüpft und hatten die Grenzen des sexuell Möglichen ausgelotet - wie sie es einmal formuliert hatte. Es waren unvergessliche Episoden geblieben. Ihre Freundschaft hatte darunter nicht merklich gelitten. Aus den Augen verloren hatten sie sich, als Charlene aus »privaten Gründen« - wie sie es entschuldigt hatte - quasi über Nacht bei Trans Time ausgestiegen war.
Congers ahnte natürlich, was unter dieser Umschreibung zu verstehen war. Wahrscheinlich hatte sie einen Lover gefunden, der sie im Bett ebenso wie in der Geldbörse zufriedenstellte. Deshalb zögerte er seinen Anruf hinaus. Im Rückspiegel sah er den wartenden Chrysler, der sich tatsächlich nicht weiterbewegte und damit einen zufälligen gemeinsamen Stopp fast ausschloss.
Die Scheiben des bulligen Transporters waren getönt. Deshalb war nicht zu erkennen, was sich im Innern abspielte und wer sich darin aufhielt.
Nach weiteren fünf Minuten stieg Congers aus seinem Cadillac und betrat mit weichen Knien die Zelle. Das Verfolgungssyndrom, das zunächst bloßer Intuition entsprungen war, verdichtete sich so sehr, dass er Herzstechen bekam. Er stand unter Druck. Ob Bullen oder Trans Time - er wusste nicht, was er verbrochen hatte, aber er wollte weder seinen Job noch seinen Hals verlieren!
Mit fahrigen Bewegungen warf er das Münzgeld ein und kramte Charlenes Nummer aus der Brieftasche. Er hoffte, dass Charlene zu Hause war.
Sie meldete sich beim zweiten oder dritten Klingelzeichen. Im Hintergrund waren Radiostimmen zu hören.
»Ja?« Er hatte ihre Stimme lange nicht mehr gehört. Als sie ging, war der Kontakt völlig abgebrochen.
»Charly?«, fragte Congers unbeholfen.
Das nächste Ja kam zögernd: »Wer spricht da?«
»Brian ... Brian Congers ... Du erinnerst dich?«
»Natürlich. Hallo! Wie geht es dir?« Congers schwitzte. Verstohlen spähte er zum Chrysler hinüber. Dort öffnete sich in diesem Augenblick die Beifahrertür und blieb wie ein Schild vor der aussteigenden Person stehen. Nur Beine und Schuhe waren erkennbar. Aber das genügte, um die »Bedrohungsstufe« in Congers Vorstellung von Gelb auf Rot umspringen zu lassen.
Ein Anflug von Panik färbte seine Stimme. »Ich habe Probleme. Könnten ... wir uns sehen?«
»Probleme?«, echote Charlene und fügte dann nur scheinbar zusammenhanglos hinzu: »Wann?«
»Jetzt«, flüsterte Congers. Er senkte die Stimme, als fürchtete er einen Lauschangriff auf offener Straße. Als es ihm bewusst wurde, dachte er: Sie muss mich für verrückt halten. Für vollkommen durchgedreht ...
»Okay«, sagte sie. »Bei mir. Komm einfach vorbei.«
Um Congers Lippen zeichnete sich ein bitterer Zug. »Ich weiß nicht einmal, wo du jetzt wohnst.«
»Ach ja, tut mir leid.« Sie nannte ihm die Adresse. Es war nicht weit von seinem jetzigen Aufenthaltsort.
Congers legte auf und kehrte zu seinem Caddy zurück. Das Verfolgerfahrzeug war wieder geschlossen; der Mann, dessen Schuhe er gesehen hatte, musste entweder fortgegangen oder wieder zurückgestiegen sein.
Congers startete und ließ den Rückspiegel nicht aus den Augen. Bleib stehen!, dachte er eindringlich. Zur Hölle, bleib wo du bist!
Als er schon glaubte, es geschafft zu haben, setzte sich der dunkle Chrysler doch noch unwiderstehlich in Bewegung und hängte sich wie an einem unsichtbaren Schleppseil hinter ihn ...