Читать книгу Krimi Auswahlband Mordfälle für den Strand 2019 - Manfred Weinland - Страница 52
Оглавление6
CHARLENE ÖFFNETE DIE Tür nach nur einmaligem Klopfen. Als hätte sie dahinter gewartet. Congers drängte sofort an ihr vorbei ins Innere des zweistöckigen Reihenhauses. Ihr provokantes Auftreten erkannte er erst richtig, als er stehen blieb und eindringlich bat: »Tür zu! Bitte schnell!«
Sie stand fragend da, im Aussehen einer Göttin nur geringfügig unterlegen (sofern es Göttinnen in dieser Art Fummel gab). Es schien, als hätte sie zur Feier des Tages ganz tief in der Sentimentalitätskiste gekramt. Der Anblick ihres hinreißenden Körpers war mehr, als Congers im Moment verkraften konnte. Er schluckte. Unter dem schwarzseidenen Hausmantel, der nur locker gegürtet war, blinzelten die Ansätze eines Spitzen-BHs hervor. Charlenes schwere Brüste bei ansonsten fast knabenhaft schlanker Figur füllten das aufregende Dessous zum Bersten. Als sie endlich gehorchte und die Tür schloss, klaffte das feine Tuch im Schritt auseinander und entblößte ihre langen Beine bis hinauf zu den raffinierten Strumpfhaltern.
Congers bekam einen roten Kopf und begann zu schwitzen.
Sie hatte genügend Zeit, sich umzuziehen!, schoss es ihm durch den Sinn. Wenn sie mich in diesem Aufzug empfängt, dann mit voller Absicht.
»Was ist los?«, fragte Charlene. »Du benimmst dich, als wollte dir jemand an die Kehle.«
Sie legte die Sicherheitskette vor und trat auf ihn zu. Ihr exotisches Parfüm brachte ihm die Unwirklichkeit dieser Situation zu Bewusstsein. Offenbar hatte sie keine Ahnung, weshalb er wirklich angerufen hatte. Ganz offensichtlich erwartete sie, dass er alte Betterinnerungen auffrischen wollte.
Es gab nichts, was ihm im Moment ferner lag.
Er packte sie an den Armen.
»Ich brauche Hilfe!«, stieß er hervor. Der Druck seiner Hände musste ihr Schmerzen bereiten. Erst als sie das Gesicht verzog, lockerte er seinen Griff.
»Ich wusste nicht, wohin sonst ich mich wenden sollte. - Sie sind hinter mir her!«
»Wer ist hinter dir hier?«
»Ich weiß es nicht, verdammt. Erst dachte ich, ich spinne nur. Aber als ich eben hier ankam, war er immer noch hinter mir ...!«
»Wer?«
»Der Chrysler ...« Congers schilderte, was passiert war.
Sie ließ ihn ausreden, aber ihre Skepsis war unverkennbar.
»Warum sollte die Firma hinter dir her sein?«
Congers berichtete von dem merkwürdigen Passus, den er über einen Klienten namens Bonner gefunden hatte.
»Du siehst weiße Mäuse«, sagte Charlene daraufhin mit verführerischer Stimme und schmiegte sich an ihn. Dabei rieben ihre gehärteten Brustwarzen über sein dünnes Hemd, das er unter der dicken Parka-Jacke trug. Draußen fiel gerade mal wieder Schnee. Ein eisiger Wind pfiff ums Haus.
Ein anderer Gedanke drängte sich vor: Charlene hatte gar nicht ihn erwartet, sondern den Mann, der sie von Trans Time weggelotst hatte. Ihren »Neuen«.
»Wenn ich ungelegen komme ... Vielleicht kann ich wenigstens kurz telefonieren ...«
Er war entschlossen, nun doch die Polizei zu informieren. Entgegen aller Vorbehalte, die sich aus seinem Lebenslauf ergaben.
»Unsinn!« Sie führte ihn ins Wohnzimmer, wo eine Bettcouch empfangsbereit im Kerzenschimmer wartete. Draußen dämmerte es bereits. Die Nacht kam schnell in dieser Jahreszeit. »Setz dich hin. Vielleicht bist du nur überarbeitet und siehst weiße Mäuse ...«
Sie ging zum Fenster und spähte vorsichtig durch einen Vorhangspalt hinaus auf die Straße.
»Schließ wenigstens die Jalousien«, sagte er.
Danach entspannte er sich etwas.
»Ich konnte nichts entdecken«, sagte sie, als sie sich zu ihm setzte. »Auch keinen Transporter, wie du ihn beschrieben hast.«
Congers schloss kurz die Augen und massierte sich die Stirn. »Sie sind da - ich weiß es.«
»Ich mach’ dir erst mal einen Drink.« Sie erhob sich. Bei dieser Gelegenheit fiel ihm auf, dass sie selbst nervös war. Auch wenn sie es nicht zugab, hatte er sie offensichtlich mit seiner Nervosität angesteckt. »Immer noch dasselbe?«
Er nickte und lehnte sich in den Polstern zurück. Die Wärme und Behaglichkeit des Raumes ließen ihn daran zweifeln, dass er sich wirklich in konkreter Gefahr befand. Bei näherem Nachdenken musste er sich eingestehen, dass all das, was er als Indizien dafür angesehen hatte, eigentlich Lappalien waren.
Kam jetzt der verspätete Knast-Koller?
Sie kehrte zurück und reichte ihm einen Bourbon pur. Statt daran zu nippen, kippte er ihn in einem Zug. Als sie erneut aufstehen wollte, um nachzugießen, hielt er sie fest. »Nein«, sagte er. »Bleib hier.«
Er umarmte sie und schloss die Augen. Dabei hatte er das Gefühl, in einem schwarzen Loch zu versinken. Ohne dagegen anzukämpfen, ließ er sich treiben. Ihr betörender Duft vernebelte seine Sinne, und es gelang ihm, die Angst tatsächlich für einige Zeit zu verdrängen. Als ihre Hand zwischen seine Beine fuhr, ließ er es geschehen.
»Entspann dich«, flüsterte sie. Geschickt öffnete sie seinen Gürtel. Congers hielt die Augen geschlossen und ergab sich ihren Wünschen, die allmählich zu seinen eigenen wurden.
Bis das schwebende Gefühl in seinem Magen einsetzte.
Das behutsame Dahintreiben seines Bewusstseins wurde urplötzlich zu einem rasanten Sturz ins Nichts.
Er riss die Augen auf und stieß Charlene, die ihn nun starr fixierte, von sich.
Zum ersten Mal nahm er die nuttige Kälte in ihrem Blick wahr und kam sich vor wie ein unliebsamer Freier, dem für ein paar Scheine Begehrlichkeit vorgegaukelt wurde.
»Charly!«, keuchte er. »Du ...!«
Jetzt schlich sich Angst in ihre Augen.
Er versuchte, sich zu erheben, und bemerkte die bleierne Schwere, die ihn erfasst hatte. Sein Blick streifte das leere Whiskyglas.
»Ist dir nicht wohl?«, fragte Charlene in falscher Anteilnahme.
Ihr Blick ging an ihm vorbei zur Tür - als erwarte sie jeden Moment das Eintreffen eines anderen. Fast gleichzeitig hörte Congers einen schweren Wagen unmittelbar vor dem Haus halten.
Obwohl er keine Erklärung für Charlenes Verhalten fand, wankte Congers an ihr vorbei zum Fenster. Seine Hand schien Zentnergewichte stemmen zu müssen - dabei war es nur der Zug der Jalousie, die er schwer atmend etwas anhob.
Draußen klackten Schritte auf dem Zuweg zum Haus.
Als Congers den Mann im wehenden Kaschmirmantel erkannte, fuhr es wie ein Blitz durch sein Gehirn.
Marvin Trigger!
Der Direktor der Trans Time Company eilte auf den Hauseingang zu.
Congers ruckte auf dem Absatz herum. Charlene Fadden stand vor einer Schrankkommode und wühlte tief in einer offenen Schublade.
Die Erkenntnis, was hier gespielt wurde, schmetterte ihn fast nieder. Mühsam kämpfte er gegen das Verlangen an, sich auf die Frau zu stürzen, der er vertraut und die ihn verraten hatte. Als er aus dem Wohnzimmer in den Flur taumelte, hörte er, wie ein Schlüssel ins Haustürschloss geschoben wurde. Hinter ihm heulte Charlene auf. Sie schien das, was sie suchte, nicht finden zu können. Zu Congers Glück.
Er hastete weiter, ohne sich aufzuhalten. Die Hintertür des Hauses war abgeschlossen, aber der Schlüssel steckte von innen. Obwohl sich die Welt um ihn herum scheinbar in unzählige Puzzleteile aufzulösen begann, gelang es Congers, aus dem Haus in den Garten zu flüchten.
Draußen fand er zwei Verbündete: Die Dunkelheit und gerade einsetzendes heftiges Schneetreiben. Während hinter ihm Triggers Stimme mit Charlenes Schreien verschmolz.
Congers tappte wie blind durch die eisige Kälte, die das Kunststück fertigbrachte, ihn wieder einigermaßen klar denken zu lassen. Mehrfach stolperte er. Aber immer wieder rappelte er sich auf. Er kletterte über einen niedrigen Zaun zum Nachbargrundstück, das hinter dichtem Tannengehölz verborgen war. Sein Herz klopfte bis zum Hals. Er schleppte sich auch an diesem Haus vorbei über einen neuen Zaun, blieb hängen, befreite sich, schleppte sich weiter.
Sein Zeitgefühl war längst wie vieles andere in seinem Körper erloschen, als er auf eine Seitenstraße gelangte und ein Taxi sah, das sich vorsichtig Über die verschneite Fahrbahn bewegte.
Obwohl Congers zerzaust wie ein Yeti daherkam, hielt der Fahrer des Yellow Cab auf seinen Wink hin.
»Bringen Sie mich ... in ein ... Krankenhaus!«, keuchte Congers. Dann brach er auf dem Rücksitz zusammen.