Читать книгу Krimi Auswahlband Mordfälle für den Strand 2019 - Manfred Weinland - Страница 55
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LAUREEN CRONENBERG war jung, hübsch und erschreckend reich. Und sie hatte Krebs im letzten Stadium. Metastasen wucherten wie Unkraut unter ihrer kosmetisch gebräunten Haut.
»Drei Wochen«, flüsterte der Henker unentwegt in ihrem Kopf. Der Henker trug einen klinisch weißen Kittel und einen Professorentitel. Laureens Vater hatte ihn ausgesucht. Er war immer noch der Meinung, dass man für Geld alles kaufen konnte. Auch das Leben seiner einzigen Tochter. Deshalb saß er auch relativ unangefochten unten im warmen Florida bei seinen Geschäften, während Töchterchen im kalten New York krepierte.
Laureen wanderte wie eine eingesperrte Raubkatze durch ihren Loft. Wo sie hinblickte, begegneten ihr Zeugnisse ihres früheren exzessiven Lebens. Mittlerweile war ihr klar geworden, wie jämmerlich es in Wahrheit um sie bestellt war. Ihr Leben lang hatte sie einen goldenen Käfig gegen einen anderen eingetauscht. Die teuersten Internate in der Schweiz waren gerade gut genug für sie gewesen. Auf dem College war sie dann die Einzige gewesen, die nicht nur eine tolle Wohnung und ein Auto, sondern auch noch eine Art »Leibsklaven« - keinen simplen Butler - gehalten hatte.
Laureen hatte ihn im gleichen Atemzug gefeuert, wie sie mit ihrem Freund Harold Schluss gemacht hatte - kurz nach dem Empfang ihres Todesurteils.
Der »Sklave« hatte ihre Entscheidung nicht verstanden - das konnte sie akzeptieren. Harolds Unverständnis traf sie ungleich härter. Nach allem, was zwischen ihnen gewesen war, hätte sie mehr von ihm erwartet. Sie hatte ihm reinen Wein eingeschenkt, und er hatte mit kühler Anteilnahme reagiert. Ähnlich wie ihr Vater, nur dass sie diesen nicht so einfach loswurde. Beide waren aus ähnlichem Holz geschnitzt. Deshalb hatten sie sich wahrscheinlich auch immer gut verstanden ...
Nun war Laureen jedenfalls allein. Anrufe nahm sie nicht mehr entgegen. Sie verließ das Haus nur noch, um einen Happen essen zu gehen, aber auch das wurde von Tag zu Tag unwichtiger. Von ihrer sexy Figur, der die Kerle stets hinterhergestarrt hatten, war nicht mehr viel übrig. Sie ruinierte ihren Körper mit System. Weil sie ihn hasste. (Warum hatte er ihr das nur angetan?)
An diesem Tag war Laureen spät aufgestanden. Es war schon Mittag, als sie aus dem Bett stieg und ziellos durch die Wohnung geisterte. Durch die Fensterscheiben sah die Stadt aus wie einem Weihnachtsmärchen entsprungen - dabei wusste Laureen nicht einmal, ob sie nächste Weihnachten noch erleben würde.
Dinge, über die sie früher nie nachgedacht hatte, fielen ihr in solchen Situationen ein.
Ein Geräusch an der Tür lenkte sie ab.
Etwas wurde durch den Briefschlitz geworfen.
Welcher Bote kam noch so spät?
Obwohl Post neuerdings zu den vernachlässigbaren Dingen gehörte, schleppte sich Laureen in den Flur.
Werbung, dachte sie abfällig, als sie das großformatige Hochglanzkuvert entdeckte, das auf den Teppich gesegelt war. Papierkorb ...
Aber als sie sich danach bückte, wurde sie von zwei einfachen Wörtern förmlich elektrisiert: Angstfrei sterben, stand in goldenen Lettern quer über dem Adressfeld, in das ihr Name handschriftlich eingetragen war. Der Brief war durch keine Frankiermaschine gesurrt, sondern mit echten Briefmarken beklebt und abgestempelt worden und suggerierte einen Respekt, der längst nicht mehr selbstverständlich war. Es schien, als seien die Empfänger handverlesen worden.
Keine anonyme Massendrucksache.
Angstfrei sterben.
Laureen zitterte, als sie den Umschlag öffnete. Leer, dachte sie im ersten Moment enttäuscht. Dann fand sie doch noch ein einzelnes Blatt. Es war mit Tinte beschrieben, wiederum per Hand, und gab Laureen Rätsel auf.
›Sie sind verzweifelt?‹ stand da. ›Man hat Sie alleingelassen mit Ihren Ängsten? Vergessen Sie alles, was Sie erdrückt. Wir zeigen Ihnen den Ausweg aus Ihrem Dilemma. Der Tod muss nicht das Ende sein ...‹
Laureens erster Gedanke war: Woher, zur Hölle, wissen die von meinem Schicksal? Verkaufen neuerdings bereits Ärzte ihre Schweigepflicht an zahlungskräftige Adressfirmen?
Doch der erste Unmut verflog, je weiter sie in dem Brief las. Eine irrationale Hoffnung machte sich in ihr breit. Sie glaubte, was sie las - weil sie es glauben wollte.
Früher hätte sie andere dafür ausgelacht.
Früher ...
›Nutzen Sie Ihre Chance! Kontakten Sie uns sofort!‹ stand am Ende des Schreibens. Danach folgte eine Telefonnummer, an deren Vorwahl Laureen erkannte, dass es sich um New Jersey handelte.
Bis zum Nachmittag verbrachte sie die Zeit damit, das Für und Wider dieses Angebots abzuwägen.
Innerlich wusste sie jedoch längst, dass sie gar nicht mehr anders konnte, als es zumindest zu probieren und sich näher informieren zu lassen.
Ein paar Gläser Gin spülten die letzten Hemmungen hinweg. Laureen griff zum Hörer ...