Читать книгу Steintränen - Manja Gautschi - Страница 13

10 - Zylin & Dek - Wie in alten Zeiten?

Оглавление

Es war noch immer dunkel die Soldaten das vorbereitete Lager erreichten. Ein einladend heimeliges Flackern eines Feuers im Inneren des Lagerzeltes war durch die Planen hindurch zu erkennen. Deks Leute hatten das Zelt im Wald aber in der Nähe des Waldrandes aufgestellt. Um das Zelt herum standen ein paar Pferde die friedlich Heu frassen, dass jemand vor Ihnen auf den Boden geworfen hatte. Der Vorplatz des Zeltes war von einer einfachen Laterne schwach beleuchtet und eine von drei Wachen stand vor dem Zelteingang. Aus dem Inneren des Zeltes konnte man gedämpftes, aber gut gelauntes Geplauder hören.

Die beiden Soldaten führten Dek und seine Leute direkt zum Zelt „Ihr seid bestimmt hungrig. Wir haben etwas zu essen vorbereitet. Bitte kommt hier lang.“ lud der eine von ihnen den kleinen Trupp zum Essen ein, lief am Wachmann beim Zelteingang vorbei, dem er kurz zunickte und hielt die Zeltplane zurück, damit die hungrigen Neuankömmlinge ungehindert hineintreten konnten.

Im Zeltinnern sassen zwei Soldaten und eine Soldatin, die sofort ihre Unterhaltung unterbrachen, aufstanden Dek und seinen Leuten hastig salutierten, ihnen die Taschen abnahmen und an den dafür vorgesehenen Platz am Rande des Zeltes legten. Auch sie trugen zur Tarnung keine Uniform sondern einfache Zivilkleidung.

In der Mitte des Zeltes brodelte ein Eintopf in einem grossen blechernen Topf über einem Feuer mit grünen Flammen. Sein Duft erfüllte das gesamte Zeltinnere. Die Stimmung glich mehr einem Ferienlagerausflug, denn einem Soldatentrupp bei der Arbeit. Nach der langen Reise im kalten, engen Jagdgleiter freuten sich Dek und seine Leute jetzt auf einen Moment in dieser heimeligen Stimmung und etwas zu Essen, denn sie waren tatsächlich sehr hungrig. Sie liessen sich nicht also nicht zweimal bitten.

Schnell setzten sie sich auf die Baumstämme, die als Sitzgelegenheiten rund um das Feuer herum platziert worden waren. Einer der Soldaten schöpfte den herrlich riechenden Eintopf in Armeeblechschalen und verteilte sie an alle.

Augenblicklich stellte sich eine familiäre Stimmung ein. Ausgelassen plauderten alle in gedämpftem Ton miteinander und füllten sich nach und nach noch mehr Eintopf in die Schalen.

Warum sind denn die Flammen grün?“ fragte Bob schmatzend in die Runde. „Die Holz-, Boden- und Luftzusammensetzungen hier müssen anders sein als bei uns auf der Erde.“ gab ihm die Soldatin, die bereits im Lager gewesen war, zur Antwort. „Steintränen“ meinte Isara mit vollem Mund dazwischen und erhielt einen fragenden Bilck von Bob und der Soldatin zur Antwort. Isara schluckte runter und erklärte „Soviel ich weiss, enthält hier auf Steinwelten alles Steintränen. Deshalb brennt das Feuer grün, die Felsen sind elektrisch geladen und gelb-grün und und und“ „Aha“ sagte Bob und ass weiter.

Zylin war alleine vor dem Zelt stehen geblieben. Er hörte in die Nacht hinein und ausser dem Geplauder im Inneren des Zeltes, hörte er die kauenden Pferde und den feinen Wind, der die Blätter der Bäume zum Rauschen brachte. Mit geschlossenen Augen streckte er seine Nase in die Luft und zog die kühle Nachtluft ein. Sie war klar und frisch, er konnte den Wald riechen: Erdig, etwas feucht, modrig und die Blätter. Es war wunderschön, schon so lange hatte er das vermisst in seiner Zelle auf Sarg. Er blickte zum Waldrand und konnte in weiter Ferne die Steinberge sehen und freute sich auf den Sonnenaufgang, wenn die herrlichen Farben der Bäumen, Bergen und der Wiesen zu sehen sein werden. Schwer atmete er aus und öffnete wieder die Augen.

Einer der drei Wachsoldaten hatte bemerkt, dass Zylin nicht wie die anderen ins Zelt gegangen war und näherte sich ihm von hinten. Zylin hatte denn Mann schon lange gehört und liess diesen nicht einmal seine Schulter berühren. Sofort hatte er sich umgedreht und hielt den armen, völlig überrumpelten Soldaten mit einer Hand an der Kehle in die Höhe. “Nicht anfassen.“ flüsterte Zylin. Wenn dieser Kerl wüsste, wie abstossend es sich anfühlt, wenn er angefasst wurde, würde es ihn wohl selbst davor grausen. Doch niemand konnte wissen, dass sich immer sofort ein Schwall Kopfweh, gepaart mit Übelkeit und einem Gestank nach Verwesung in ihm breit machte, fasste ihn ein Mensch an. Ganz zu schweigen von abertausenden von Gedanken und Erinnerungen, die dabei unkontrolliert auf ihn einprasselten. Das war ohne Berührung schon anstrengend genug. Und offenbar hatte Dek es unterlassen, seine Leute darüber zu informieren. Warum liess es Dek darauf ankommen? Dek kannte doch seine Reaktionen.

„Äh... ich wollte...“ der Mann konnte kaum mehr sprechen „...ich...“ jetzt versuchte er Zylins Griff zu lockern indem er Zylins Arm, der ihn hochhielt, anpackte, es nützte nichts, Zylins Griff war eisern, ebenso wie sein Blick unter der Kapuze mit dem er ihn weiter ansah. Zylin dachte nach, bis eine weitere Stimme sagte „Bitte, lassen Sie den Mann runter, er wollte Ihnen bestimmt nichts antun.“ Zylin war auch jetzt nicht überrascht, denn er hatte schon lange bemerkt, dass Dek das Zelt verlassen hatte und sich in seine Richtung bewegte. Jetzt stand der Captain neben den beiden und blickte Zylin ganz ruhig an, während er sprach. „Zylin, bitte. Es ist alles in Ordnung.“ Langsam drehte Zylin den Kopf, erwiderte Deks Blick, kniff die Augen zusammen und liess den Mann ganz sachte zu Boden. Kaum hatte er seine Hand von dessen Kehle genommen, brach dieser keuchend auf dem Boden zusammen „Danke, ich meine: Entschuldigung.“ hustete er „Ich wollte eigentlich nur fragen ob alles in Ordnung ist.“ Er rieb sich den Hals, dort wo ihn Zylin gehalten hatte.

Wortlos liess Zylin die beiden stehen und ging ins Zelt hinein um etwas zu essen, denn auch er war hungrig, mehr als hungrig. Allerdings hatte er keine Lust auf Gesellschaft dabei. Er konnte dieses „Geselligsein“ nicht ausstehen. Alle waren sie immer so nett miteinander, aber wenn man nicht aufpasst, dann stechen einen genau dieselben, eben noch so netten Leute, drehte man sich um, skrupellos in den Rücken, bildlich gesprochen. Hauptsache es ist zu deren Vorteil. Es ekelte ihn an. Nur selten traf er auf eine Gruppe von Menschen, wo man einfach ehrlich miteinander war, es sorgenlos geniessen konnte und sich nicht ständig fragen musste ‚Meint er es jetzt ehrlich oder nicht? Sagt er das nur um nett zu sein?’. Die lügen einem ohne rot zu werden ins Gesicht. ‚Alles Geheuchel!’ Also Augen zu und durch, beschloss Zylin, es soll sich ihm einfach niemand in den Weg stellen.

Immer noch mit hochgeschlagener Kapuze ging Zylin direkt zum Topf über dem Feuer zu, nahm sich eine Portion von diesem wirklich herrlich duftenden Eintopf, das musste er eingestehen, und setzte sich auf einen freien Platz neben Bob, den Trottel kannte er wenigstens schon. Bob sah seinen neuen Nachbarn dabei misstrauisch an, enthielt sich aber vorerst eines Kommentars.

Draussen vor dem Zelt half Dek dem beinahe erwürgten Soldaten, ein freundlicher, korrekter, junger schwarzhäutiger Mann namens Mike, wieder auf die Beine. „Danke Captain. Wer ist denn dieser Rüppel? Der hat sich ja überhaupt nicht unter Kontrolle. Das ist doch gefährlich!“ keuchte er. Dek sah ihn lächelnd an „Naja, eigentlich finde ich, dass er sich bemerkenswert gut im Griff hat. Für seinen Zustand.“ er begutachtete den Soldaten von oben bis unten „Sie sind nirgends verletzt. Normalerweise blutet es mindestens irgendwo.“ Dek sah den verwirrten Soldaten an „Aber ich sehe nichts. Wenn ich mich täusche, korrigieren Sie mich bitte.“ er lächelte schadenfroh. Mike antwortete nicht. Also ging Dek ebenfalls zurück zum Zelt und liess Mike alleine im Wald stehen. Und da war er wieder, dieser Stolz. Er mochte dieses Machtgefühl als einziger die Kontrolle über diese ‚Waffe’, womit er Zylin meinte, zu besitzen. Dek war zufrieden mit sich selbst und schmunzelte. Er hätte die Leute auch informieren können, dass sich Zylin nicht gerne anfassen lässt, aber so konnte er auch gleich kontrollieren, wie Zylins Form ist: Offenbar wie gewohnt, trotz der jahrelangen Gefangenschaft. Hatte nichts von seinem 'Biss' verloren. 'Sehr gut.'

Mike beobachtete noch eine Weile den Zelteingang ‚Diese Spezialeinheiten sind alle komplett durchgeknallt’ dachte er und schüttelte den Kopf. Für ihn war klar, dass er beim „gewöhnlichen“ Fussvolk bleiben würde, er will nie so werden wie diese Verrückten. Der Gesellschaft komplett verfremdet. Wie konnte man nur?

Zylin hielt sich jeden Löffel voll Eintopf erst unter die Nase und genoss diesen herrlichen Duft. Seit Jahren wurde er in Sarg künstlich ernährt, damit man ihn fixiert lassen konnte. Er ass den Eintopf also ganz langsam und schloss zeitweise sogar die Augen beim Kauen, damit er sich voll und ganz auf den sich im Mund verteilenden Geschmack konzentrieren konnte. Ungewohnt, wieder feste Nahrung zwischen den Zähnen zu spüren. Die Fleischstücke zerbiss er sorgfältig und genoss wie es eigentlich schon alleine zerfiel, kaum dass man darauf biss. Köstlich fand er. Und abgesehen davon war der Eintopf wirklich gut. Allerlei Gemüse, Kartoffeln und Rindfleisch, alles mitgebrachte Produkte von der Erde. Typisch Mensch, halt, ein Gewohnheitstier.

Da er Zylins Gesicht unter der Kapuze von der Seite her nicht erkennen konnte, beugte sich Bob für alle deutlich sichtbar nach vorne um Zylin beobachten zu können und musste Grinsen als er sah, wie dieser ‚ach so harte’ Typ sein Essen, so ein gewöhnlicher Hausmannskost-Eintopf, zu geniessen schien. Prompt musste ihn Bob damit aufziehen, er konnte es sich nicht mehr verkneifen „Na ja, ich finde das Essen auch gut, aber dass es solch hochwertige Kost ist, war mir entgangen. Ich glaube, ich hatte nicht dasselbe, oder?Bob grinste, nein, er lachte schallend und wartete auf eine Reaktion Zylins. Endlich konnte sich Bobs Seele etwas Luft verschaffen, nachdem er sich diesem Kerl gegenüber bisher so hatte verkrampfen müssen.

„Bob“ unterbrach Zylins tiefe, ruhige Stimme Bobs Gelächter überraschenderweise, sodass Bob abrupt aufhörte zu lachen und seinen Nachbarn erstaunt mit grossen Augen ansah, auch wenn er nur an eine Kapuze blickte, sagte aber nichts. „Das ist dein Name, oder?“ sprach Zylin weiter und Bob erwachte aus seiner Starre „Äehm, ja.“ fing er zögernd an. Bob setzte sein freundlichstes Lächeln auf „Natürlich, wir wurden uns noch gar nicht vorgestellt.“ er streckte Zylin jetzt schon strahlend seine Hand hin „Mein Name ist Bob Miller, aber Sie können mich Bob nennen.“ etwas verwirrt und unsicher zog er die Hand schnell wieder zurück als Zylin die Geste nicht entgegnete. „Äehm, wie soll ich Sie denn nennen?“ fragte Bob ganz nett nach, obwohl er eigentlich lieber sagen wollte ‚Du Arschloch. Ich weiss verdammt noch mal nicht, was Du hier zu suchen hast. Ich will nur wissen wer du eigentlich bist.’ Aber Bob behielt seine Haltung und blieb höflich und freundlich, wie es sich gehörte, dachte er. Obwohl ihn dieser Typ bereits erneut beleidigt hatte, indem er ihm seine Hand nicht hatte geben wollen.

Zylin beugte sich vor, stützte seine Ellbogen auf die Knie, in der linken Hand die Schale mit Eintopf, nahm noch einen Löffel voll, schluckte und antwortete „Gar nicht.“

Darauf Bob: „Wie bitte? Wie meinen Sie das?“ „Das hast du schon verstanden.“ „Hein?“ „Du bist doch Deks neuer Schützling, dann hast du genug mit ihm zu tun. Lass mich einfach in Ruhe. Begriffen?“ ‚Nein hatte er nicht’ dachte Zylin weiter, der Bobs Gedanken energisch an den Kopf geknallt bekam. ‚Der Idiot würde in weiter nerven.’

Amüsiert beobachteten einige Bobs offensichtlich ansteigende Wut, die er immer weniger unter seinem aufgesetzten Lächeln zu verbergen mochte. Bob fühlte sich aufs Neue blamiert von diesem unzivilisierten Sträfling, der aus seiner Sicht sämtliche Berechtigung verloren hatte, auch nur irgendwie respektvoll behandelt zu werden. So jemand sollte sich ganz kleinlaut benehmen und sich allen Respekt erst wieder verdienen. Innerlich war Bob bereits völlig fassungslos. Jetzt hatte er sich alle Mühe gegeben und war nett und anständig und freundlich, wie es sich gehört und dieser Abschaum behandelte ihn wie einen kleinen dummen Jungen!! Als wäre er niemand!

Nach einem Blick in die Zuschauerrunde wollte sich Bob also keine Blösse geben „Was glauben Sie eigentlich wer Sie sind?!“ er war wütend, beherrschte sich nur noch so gut es ging „Mit wem ich rede und mit wem nicht geht Sie gar nichts an! Ich nehm doch keine Anweisungen von einem verurteilten Verbrecher, ja Mörder!, ohne Anstand entgegen.“ Bob kochte, wurde aber nicht lauter. Zylin stand indes seelenruhig auf, ging zum Eintopf, schöpfte sich noch eine Portion und als er sich wieder umdrehte, stellte sich ihm Bob zackig in den Weg. „He! Ich rede mit Ihnen. Das ist doch eine Unverschämtheit! Und nehmen Sie endlich diese blöde Kapuze ab, das ist Unhöflich und hier wird es wohl kaum regnen!!“ Zylin blickte dem gut 15cm kleineren Bob von oben herab weiterhin ganz gelassen in die Augen, mit links hielt er die frisch aufgefüllte Schale mit Eintopf, die Situation wirkte irgendwie unwirklich und es wäre schade um den herrlichen Eintopf, fand er. Also kein Handgemenge. 'Bleib ruhig' sagte er sich.

Spätestens jetzt unterbrachen alle ihre Gespräche und sahen den beiden gespannt zu. Für einen Moment sprach niemand. Zylin spürte und hörte wie die einen nach einem unterhaltsamen Kampf lechzten, während die anderen auf ein friedliches Ende hofften. Nur das Feuer knisterte und eine explosive Spannung sondergleichen lag in der Luft. Zylin ermahnte sich erneut ‚Denk an den Eintopf, kein Handgemenge! Es wird schon kommen, wie es soll.’

Zylin senkte seinen Kopf, bis sich ihre Nasenspitzen fast berührten „War doch ganz einfach, oder?“ flüsterte er, hob den Kopf wieder, machte einen Schritt zur Seite und ging an Bob vorbei. Damit entspannte sich die Stimmung vorerst und ein allgemeines Kichern erfüllte das Zelt. Es erhob sich wieder gedämpftes Geplauder und der alleine vor dem Feuer stehende Bob war definitiv komplett bloss gestellt, zum kleinen Jungen deklariert und überrumpelt und überrascht. Alle schienen zu begreifen, was das eben sollte, nur er nicht!

Er drehte sich um und ging Zylin nach „He! Was soll das heissen?“ Zylin hielt inne ‚Der Eintopf, kein Handgemenge’ sagte er sich erneut. Also drehte er sich nicht um „Du magst mich doch gar nicht. Dann kannst du dir deine aufgesetzte Freundlichkeit schenken. Ich respektiere deine Meinung, dass du neugierig bist. Aber sag es direkt. Du hättest nur offen fragen brauchen, ohne mit deinem aufgesetzten Lächeln herum zu heucheln, dann hätte ich dir gleich sagen können: Ja, ich war einmal wie du: Dachte, ich wüsste wie's läuft. Bin Commander geworden, habe Menschen getötet und dann meine Meinung geändert. Und es war nicht meine Entscheidung hier zu sein. Ich sagte das bereits bei unserer ersten Begegnung. Schon vergessen? Also lass mich gefälligst in Ruhe. So einfach.“ Damit machte sich Zylin auf das Zelt zu verlassen um draussen fertig zu essen, bevor er sich nicht mehr unter Kontrolle hatte. Es wäre schade um den herrlichen Eintopf.

„He! Du...Sie...He! können mich doch nicht mitten im Gespräch stehen lassen. Hierbleiben!“ Bob griff nach seiner Tasche und brummelte „Jetzt will mich der über Umgangsformen belehren. Dem zeig ich’s. Na warte! Elender Klugscheisser!“ er nahm den Halsbandfunksender heraus. Da griff ihn Isara an der Schulter und bat ihn „Komm Bob, lass gut sein.“ aber Bob zog gehässig seine Schulter unter Isaras Hand weg und drückte den Knopf. Ein gelbes LED-Lämpchen blinkte auf.

Schadenfroh beobachtete Bob, was Zylin jetzt wohl machen würde. Ganz eindeutig hatte er ihm damit gezeigt, wer hier am längeren Hebel und wer hier der Sträfling ist.

Kurz nach Bobs Knopfdruck spürte Zylin auch prompt, wie sich eine feine Nadel in seinen Hals bohrte und eine Flüssigkeit hineingespritzt wurde. Es betäubte ihn nicht, Bob hatte nur einen Warnstich ausgelöst, aber Zylin spürte es trotzdem, die Stelle schmerzte, wurde heiss und fing an zu brennen. Darauf blieb Zylin nochmals stehen, drehte den Kopf zur Seite und überlegte für einen Moment, ob er nicht doch zurück gehen sollte um diesem Idioten mindestens die Nase zu brechen. Als Bob auch noch stolz „Ha!“ posaunte, viel es ihm wirklich schwer, sich für den Eintopf zu entscheiden und nach endgültig draussen zu gehen. Was hatte eigentlich auch anderes erwartet?

Siegesbewusst setzte sich Bob derweil zurück auf seinen Platz und verstaute den Funksender zurück in seiner Tasche unter Beobachtung aller im Zelt Anwesenden. Mittlerweile hatten nämlich erneut alle aufgehört zu essen und reden, stattdessen blickten sie ihn an. Takwo, Sila und Isara schüttelten die Köpfe. Captain Dek hatte sich hinter Bob gestellt und streckte seine Hand aus. Sein Gesichtsausdruck versprach nichts Gutes.

Gib sofort den Funksender her! Man soll kleine Kinder nicht mit scharfen Gegenständen spielen lassen. Wie alt bist du eigentlich!“ befahl Dek zornig und zog dabei beide Augenbrauen hoch. Seine Augen standen kurz davor Funken zu sprühen, fand Bob. Vorsichtig überreichte er wortlos die Fernbedienung, und Dek gab sie an Takwo weiter. „Du wirst hier abwaschen und aufräumen, alleine. Morgen früh bist du für sämtliche Pferde verantwortlich: Füttern, Striegeln, Putzen. Ich werde dir keine Gelegenheit mehr geben um solchen Mist zu bauen! Und du wirst als Letzter, ich will dich vorerst nicht in meiner Nähe haben.“ Ganz zerknirscht nahm Bob die Anweisung entgegen und nickte. Schockiert hatte Bob zur Kenntnis genommen, dass ihn Dek plötzlich Dutste. Er hatte wohl eine Grenze überschritten, definitiv.

Obwohl die Stimmung angespannt war, mussten sich alle, natürlich alle ausser Bob, das Lachen verkneifen. Bob hatte sich wie ein kleines, tobendes Kind benommen und blickte drein, als hätte er immer noch nicht wirklich verstanden, wie daneben er sich benommen hatte, die Situation war von aussen eigentlich amüsant zu beobachten.

Dek setzte sich wieder hin, abermals drüber fluchend, dass er diesen Bob hatte mitnehmen müssen, nahm sich seine Schale voll Eintopf und wies Isara mit einer Kopfbewegung an, Zylin nach draussen zu folgen, was Isara auch kommentarlos tat. Dieser Bob war unglaublich dämlich und unreif, dachte er sich.

Allerdings beliess es Isara vorerst, sich zu vergewissern, dass Zylin das Lager nicht verliess. Sie sah ihn am Waldrand sitzen, also konnte sie beruhigt im Wald für „kleine Mädchen“ gehen.

Als sie zurück zum Lager kam, sah sie, dass man bereits das erste Sonnenlicht am Horizont erkennen konnte. ‚Wie wunderschön!’ fand sie.

Zylin sass immer noch an einen Baum gelehnt am Waldrand, er hatte die Kapuze nach hinten geschlagen, sodass Isara seinen Kopf und die zusammengebundenen, langen Haare erkennen konnte. Sie ging auf ihn zu „Ich bin’s. Isara“ sagte sie vorsichtshalber, ein paar Meter bevor sie Zylin erreichte. „Ich weiss.“ seine Stimme klang ungewohnt freundlich und warm.

Er war gerade dabei sich seinen Gefängnisbart zu rasieren. Dafür verwendete er einen seiner Dolche, die Isara noch nie zuvor so nahe gesehen hatte: Eine doppelseitige, sehr dünne und feine weisse Klinge mit einem kunstvoll verzierten Griff, der sich um Zylins Hand zu schlingen schien. Aber das Licht war noch nicht sehr hell, also war es wohl eine optische Täuschung. Sie schüttelte den Gedanken ab und konzentrierte sich mehr auf Zylin und fand, dass er ohne Bart sehr viel besser aussah. Sie hatte ihn noch nie ohne Bart gesehen. Sein Gesicht wirkte viel jünger und vornehmer, nicht mehr so wild und angsteinflössend.

„Danke und, ja, gerne.“ Zylin beendete seine Rasur, strich die Klinge an seinem Hosenbein sauber, versorgte den Dolch unter seinem Mantel und reichte Isara seine leere Schale. „Das ist und bleibt einfach unheimlich.“ fing Isara an „Ich nehme an, ‚Danke’ bezog sich auf meine Meinung zur Rasur, also: Gern geschehen. Und ‚Ja, gerne’ ist dann wohl die Antwort auf meine Frage ‚ob ich noch mehr Eintopf holen soll’, die ich gerade im Begriff war zu stellen. Ich kann mir vorstellen, dass das viele nicht verstehen, Angst bekommen und nicht gerade unauffällig ist.“ Zylin blickte erst nach vorne, atmete ganz ruhig und bewusst ein und aus, drehte dann seinen Kopf zu Isara und sagte „Verzeih, ich war in Gedanken und hatte mich nicht geachtet, dass es noch nicht ausgesprochen war.“ Isara nahm die Schale, die er ihr entgegenhielt. „Oh nein. Dafür brauchen Sie sich nicht zu entschuldigen, nicht bei mir. Es tut gut sie hier zu sehen. Mal nicht eingesperrt in einer Zelle. Schön dass Sie mitgekommen sind.“ Damit drehte sie sich um und eilte zurück zum Zelt.

Unaufhaltsam stieg die Sonne hinter dem Horizont empor. Ihr warmer Sonnenstrahl fing an sich über die Steinberge zu verbreiten und versprach einen wunderschöner Spätsommertag. Zylins Augen schmerzten, sie waren das Sonnenlicht nicht mehr gewohnt. Er zog sich die Kapuze wieder über den Kopf, soweit nach vorne wie es ging um die Augen zu beschatten, damit es nicht so anstrengend und schmerzend war. Für einen Moment schloss er die Augen sogar ganz und lauschte nur. Nur langsam öffnete er sie einen Moment später wieder und genoss den Anblick der wunderschönen Landschaft, die sich vor ihm im sanften Morgenlicht der Sonne erstreckte. Wie hatte er das vermisst.

Hier“ Dek hielt Zylin die Schale mit dem Eintopf hin, den Isara vorhin zu holen aufgebrochen war. Dek hatte Isara die Schale im Zelt abgenommen um selbst mit Zylin reden zu können. Ganz zu Zylins Leidwesen, denn Isaras Gesellschaft wäre um Welten angenehmer als die von Dek. Im Gegensatz zu ihm, war Isaras Wesen immer Freundlich und ihre Gedanken ruhig und entsprachen dem was sie jeweils auch aussprach, plus diese gewisse frische Aufgewecktheit. Nebst dem, war es damals auch ihre unverdrossene Zuversicht und Hartnäckigkeit gewesen, die es ihr schlussendlich ermöglicht hatten Zylins Vertrauen zu gewinnen.

Zylin stand auf, nahm die Schale wortlos an sich und fing an zu essen. Dek stellte sich neben ihn und betrachtete ebenfalls den wunderschönen Sonnenaufgang und genoss die erste Wärme der Sonnenstrahlen im Gesicht. Manchmal dachte er, fand er sich zu alt für solche Unternehmungen, irgendwo einen ruhigen, langweiligen Bürotisch zu besetzen, wäre doch auch nicht schlecht, dabei kam ihm Paul, der Gefängnisleiter von Sarg in den Sinn. Aber jetzt eben noch nicht, schnitt er seinen Gedanken selbst ab.

Was meinst du.“ fing Dek das Gespräch an „Wir nehmen diesen Feldweg“ Dek zeigte mit dem Finger auf die vor ihnen liegenden grünen Grasfelder, die von einem einzigen Schotterweg durchteilt wurden „und reiten über diesen Pass dort nach Rupes.“ er schwenkte die Hand zu der niedrigsten Stelle der Berge vor ihnen. Diese Frage ignorierend entgegnete Zylin „John. Was tu ich hier? Hatte ich nicht ‚NEIN’ gesagt?“ Dek tat überrascht „Wie bitte? Was meinst du?“ „Du hast mich verstanden.“ sprach Zylin weiter „Und wozu dieses Theater mit dem Siezen?“ Dek gab keine Antwort. „Was für ein Spiel spielst du hier, John?“ Dek konterte arrogant „Liess doch meine Gedanken.“

Erst jetzt drehte Zylin den Kopf und blickte Dek ins Gesicht „Ich muss schon sagen, im Verbergen deiner Gedanken bist du ein Meister geworden, das können nur Menschen, die von Natur aus gute Lügner sind. Aber ich spüre eine ausgesprochene Zufriedenheit. Ich vermute einer deiner nach Plan laufenden ‚Code 9’ Missionen mit fragwürdiger Geheimdienstbeteiligung, denn die Leute hier wissen nichts. Das bedeutet ein zweites, voll informiertes Team wird später zu euch stossen. Wozu also bin ich hier? Was soll ich nicht wissen?“ „Ich sehe, ganz mein Commander und deine Hausaufgaben hast du auch schon gemacht. Aber woran du wieder denkst. Darf man einem Freund nicht einfach einen Gefallen tun? Ich habe doch noch etwas gut zu machen.“ Zylin blickte Dek weiter an ohne eine Miene zu verziehen. Dek wusste, dass ihm sein alter Freund diese Ausrede wohl kaum abnahm. „Das kannst du nicht wieder ‚gut’ machen, John.“ entgegnete Zylin trocken.

Dek blieb bei seinem Thema und erklärte weiter „Es war reiner Zufall, dass ich dich überhaupt auf Sarg gefunden habe. Hätte ich Isara nicht zufällig getroffen, hätte ich es wohl nie erfahren, denn dein Aufenthaltsort war im System verloren gegangen. Wie Paul sagte: ‚Jemand hat den Schlüssel weg geworfen.’ Verdammtes Bürokratenpack.“ Dek wartete vergeblich auf eine Reaktion von Zylin, der drehte bloss den Kopf in Richtung Berge zurück und ass weiter. Es war zwecklos. Dek hatte etwas vor und Zylin sollte es nicht wissen. Dek selbst hatte von Zylin gelernt seine Gedanken zu schützen und Deks Leute waren nicht informiert. Zylin blieb vorerst also nur übrig, abzuwarten und mitzuspielen.

„Und was hältst du nun von der geplanten Reiseroute?“ nahm Dek sein ursprüngliches Thema auf. „Zylin, bitte.“ bohrte Dek nach. Zylin hob seinen Blick in Richtung Passhöhe und antwortete „Du kannst unmöglich glauben, es sei alles wieder beim Alten und wir machen dort weiter, wo wir aufgehört hatten.“ „Doch, eigentlich schon. Ich habe dir deinen Verrat verziehen, es überwunden. Damals hatte ich überreagiert, dein Team getötet, es dir angelastet und dich dafür im Gefängnis büssen lassen, wofür ich mich wirklich entschuldige. Und jetzt leiste ich Wiedergutmachung. Zumindest fange ich damit an. Also ‚doch’, unsere jahrelange Freundschaft kann nicht einfach verschwunden sein. Meinungsverschiedenheiten und Auseinandersetzungen gehören dazu.“ „Und wozu das Hundehalsband und die Geheimnistuerei? Freundschaft und Vertrauen sehen anders aus.“ fragte Zylin. „Nimm es mir nicht übel, du kennst mich: Kontrolle ist besser. Zudem ist es Vorschrift und es würde zu viele Fragen und Unruhe im Team aufwerfen, würdest du es nicht tragen und sie wüssten über unsere gemeinsame Vergangenheit Bescheid. Sie werden es bei Zeiten erfahren.“

Nochmals sah Zylin Dek ins Gesicht, er schüttelte seinen Kopf „Das ist gelogen. Aber wie du meinst. Und...“ er sah zu den Bergen „...über diesen Pass ist es zu gefährlich. Sicherer wäre der Weg über die kleinen Berge dort.“ „Das ist zu weit, laut Aufsichtskarte würde das einen Umweg von 3 Tagen ausmachen. Dafür haben wir keine Zeit.“ erwiderte Dek, er lächelte „Schön dich wieder dabei zu haben.“ „Wie du meinst.“ mit diesen eher abschätzig gesagten Worten beendete Zylin das Gespräch und lief zum Lagerplatz zurück, wo bereits heftiges Treiben herrschte. Bob hatte alle Hände voll zu tun und alle waren am Packen, Räumen und sich für die bevorstehende Reise vorbereiten. Zylin beobachtete wie alle ruhig aber gezielt ihre Arbeit erledigten. Alle ausser Bob, er war gestresst und hektisch. Seine Nervosität hätte für alle gereicht. Zylin fokusierte sich wieder auf sich, seinen Herzschlag.

Das Gespräch mit Dek liess ihn an die Vergangenheit denken. Es ärgerte ihn, dass er damals so leichtsinnig und unvorsichtig gewesen war. Gegen die Regeln verstossen und Dek gelehrt hatte, seine Gedanken zu verbergen. Viel zu spät hatte er Deks eigene inneren Wunden erkannt.

Sila stand bei ihrem Pferd „Pass auf dich auf.“ sagte sie, Riso gesellte sich zu ihr „Mit wem sprichst du denn? Mit dem Pferd?“ erschrocken drehte sich Sila um „Geht dich nichts an.“ schnauzte sie zurück. „Was schleichst du dich überhaupt so herum?“ gab sie schnäppisch zurück. Riso grinste, legte seine Hand auf ihre Schulter „Wer wird denn hier gleich so zickig sein?“ Sila wischte seine Hand sofort und grob von ihrer Schulter „Was soll das! Nimm deine Pfoten weg, ich bin keine deiner so genannten Freundinnen und werde es auch nie sein.“ Sie schuppste Riso energisch zur Seite und lief an ihm vorbei auf die andere Seite des Pferdes. Riso grinste immer noch und blickte Sila weiter an, wie sie ihn versuchte zu ignorieren. Es amüsierte ihn, sie geneckt zu haben. Er war davon überzeugt, dass sie ihn auch mochte und es aus ihnen beiden schon noch ein Paar geben würde, wenn auch nur für eine Nacht oder so. Riso hatte bisher jede Frau bekommen, die er wollte, an Selbstvertrauen mangelte es ihm jedenfalls nicht.

Sila ärgerte sich über diesen aufdringlichen Macho, der ihr schon lange nachstellte. Sie hielt ihn für einen eingebildeten, muskelbepackten Frauenhelden, so ein richtiges narzisstisches Macho-Ekel-Packet. Und trotzdem hatte er nicht so Unrecht, irgendwie fand ihn Sila auch sexy, zumindest manchmal. Aber sie blieb ihrem Freund treu, da gab es keine Diskussion, denn ihn liebte sie von ganzem Herzen.

An Sila und Riso vorbeigehend suchte sich Zylin eines der bereits von Bob gesattelten Pferde aus. Zärtlich streichelte er mit seiner Hand über dessen Hals. Das Pferd hob den Kopf und blickte seinen neuen Reiter aufmerksam an, es spitzte seine Ohren. Wie gut es doch tat, sich mit einem so faszinierenden, sanftmütigen Wesen abgeben zu können, dachte Zylin, während er das Pferd samt Sattel- und Zaumzeug begutachtete.

Nachdem Isara Zylin einen Moment lang beobachtet hatte, wie er das Pferd streichelte, machte sie sich mit einem Räuspern bemerkbar. Zylin blickte langsam auf und ihr in die Augen. Etwas scheu deutete Isara mit ihrem Finger auf ihren Hals „Soll ich mir das mal ansehen.“ damit meinte sie die Stelle an Zylins Hals, wo letzte Nacht die Halsbandnadel in Zylins Hals gestochen hatte. „Nein.“ sagte er nur, sass auf und ritt weg ohne weiter etwas zu sagen.

Isara blickte ihm enttäuscht hinterher. Einen kurzen Moment später spürte sie, wie sich ein Arm um sie legte „Oje, unsere junge Frau Doktor ist unglücklich verliebt. Aber lass dir von einem alten Mann sagen: Der ist nichts für dich, du hast was ‚Netteres’ verdient.“ schmunzelte Takwo, sehr zum Ärger von Isara. Sie hatte nicht bemerkt, wie er sich ihr genähert hatte. „Ah, lass das.“ schmollte sie verlegen, stiess seinen Arm von ihren Schultern und liess den immer noch lächelnden Takwo alleine stehen. Sie fühlte sich ertappt.


Steintränen

Подняться наверх