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Kapitel 12

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Maree kam aus dem Büro als er aus dem Aufzug trat. Sie trug ein blassrosafarbenes Poloshirt über einer weiten weißen Hose und schien gerade den Lippenstift frisch aufgelegt zu haben.

„Shane, wieso läufst du in der Gegend herum, du solltest Ruhe haben!“

Er winkte ab und humpelte mit seinen Krücken auf die Tür seines Büros zu. Sie eilte vor ihm zur Tür. „Mick Lanski spielt sich ganz schön auf! Er schnüffelt er in allen möglichen Akten herum“, sagte sie wütend und fügte leiser hinzu: „Er war mir schon immer unsympathisch.“

„Haben wir schon was gefunden?“, fragte Shane rasch bevor er sich zu sehr über Lanski aufregte.

„Na ja, alle suchen einen Harry aus dem Drogenmilieu.“ Sie seufzte. „Die Nachforschungen über Darren Martin haben auch nichts gebracht. In dieser Cateringfirma haben sie angeblich nie etwas von Drogen gehört und am Tatort hat niemand hat irgendwas gesehen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ach, es ist alles so fürchterlich.“ Sie wischte sich über die Augen.

„Wir finden den Kerl schon, Maree“, sagte er und versuchte ein aufmunterndes Lächeln.

Tom McGregor blickte erstaunt auf, und Shane sah Jack dort sitzen, wie er sein Schinken-Käse-Sandwich verschlang, mit vollem Mund redete, in Unterlagen blätterte. Es kam ihm vor, als begriffe er jetzt erst wirklich, dass Jack tot war und niemals wieder zurückkäme.

„Shane!“ Tom McGregor sprang auf, wollte ihm helfen, doch Shane machte eine abwehrende Geste, worauf Tom sich wieder auf seinen Sessel sinken ließ, und Shane zum gegenüberstehenden Bürostuhl humpelte und sich langsam setzte. Tom blickte ihn ratlos und befangen an. Er sah grau und abgemagert aus, was nicht allein von seinen Nachtschichten kam, denn daran war er gewöhnt.

„Shane, ich weiß gar nicht... Es ist so unfassbar. Ich mach’ mir solche Vorwürfe! Wir hätten euch doch mitnehmen können! Jacks Wohnung lag sogar auf unserem Weg!“ Er presste die Lippen aufeinander und schüttelte immer wieder den Kopf. Sein sonst so perfekt gebügelter Hemdkragen war zerknittert.

„Ich war es, der die großartige Idee hatte, zu Fuß zu gehen, Tom. Ich habe es gesagt. Wenn einer Schuld hat, dann ich.“

Tom schüttelte noch immer den Kopf.

„Shane, hör’ damit auf.“ Er wischte sich über die Augen. „Ich muss dauernd an Ann denken.“

Shane fiel ein, dass er sie heute noch nicht angerufen und nach Jack gefragt hatte. Die Fahrt an den Tatort hatte ihn so beschäftigt. Doch Tom sagte:

„Ich habe vor einer halben Stunde mit ihr telefoniert. Dem Kleinen geht es heute nicht so gut.“

Welches Schicksal will Gott oder wer auch immer dafür verantwortlich ist, Ann noch aufbürden?“, dachte Shane zornig und fühlte gleich darauf eine niederschmetternde Ohnmacht.

Sie schwiegen eine Weile, jeder in seine persönlichen Erinnerungen an Jack vertieft.

„Die Fahndung läuft auf Hochtouren“, sagte Tom schließlich. „Die ganze Meute macht Jagd auf den Mörder. Auf einen Wichser, der Harry heißt!“ Er ging zur Kaffeemaschine. „Willst du auch einen?“

Shane schüttelte den Kopf. Kaffee würde ihn jetzt völlig umhauen. Tom setzte sich wieder an den Schreibtisch und schlürfte einen Schluck aus der Tasse.

„Tom“, fing Shane an, „ich hätte gern alles gelesen, was in diesem Fall bisher unternommen wurde.“

„Du meinst alle Akten?“

„Ja.“

„Okay, du hast ja Zeit.“ Tom stand auf und legte ihm zwei Ordner auf den Tisch. „Mick Lanski muss ja nichts davon erfahren, was?“

Shane hielt inne. „Was soll das heißen?“

Die Frage war Tom sichtlich unangenehm.

„Ich meine...“

„Was? Hat er dir etwa verboten, mir Informationen zu geben?“

„Nun, ich meine“, Tom zögerte, unsicher, was er sagen sollte, „he, Mick hat, ich meine, Mick hat gar nicht damit gerechnet, dass du hier aufkreuzt, er hat nur allgemein gesagt, dass...“ Er stockte.

„Das was?“

„Na ja, dass du auch Bestandteil des Falles bist.“ Tom machte einen unglücklichen Eindruck. „Ich weiß, das ist totaler Bullshit, aber du kennst Lanski, seinen Ton.“

Shane zählte im Kopf bis fünf. Verdächtigte Mick ihn denn tatsächlich, nur weil er überlebt hatte?

„Hör’ zu“, sagte Tom und machte eine beschwichtigende Handbewegung, „niemand mag Mick besonders. Das weiß er und diesen Frust muss er rauslassen. Das ist alles. Und deshalb ist er gegen dich.“

Auch wenn Tom sicher Recht hatte, war Shane doch wütend. Er atmete tief aus und sagte:

„Danke, Tom. Stört’s dich, wenn ich hier bleibe?“

Tom entspannte sich augenblicklich.

„Du kannst so lang hier sitzen, wie du willst. Du weißt ja, wo der Kaffee ist.“

„Danke“, brummte Shane, zog den ersten Aktenordner heran und schlug ihn auf.

Mehr als sechzig Personen waren vernommen worden, alles Bewohner der Gordon Street. Er blätterte zu den Protokollen der Hausbewohner von Nr. 117. Er verglich die Namen mit denen aus seinem Notizbuch. Stafford, Anderson, das Anwaltsbüro Dr. P.M. Fleer, und das Büro Artconcept.

Mr. und Mrs. Stafford waren am Samstag zu Hause gewesen, die Schüsse überraschten sie im Schlaf, sie waren zum Fenster geeilt, und sahen die Toten dort liegen. Dann verständigten sie die Polizei. Ihnen war kein flüchtender Mann aufgefallen.

Trooper van Leer, ein alleinlebender fünfunddreißigjähriger Bankangestellter war nicht zu Hause. Er hatte das Wochenende bei seiner Freundin in einem anderen Brisbaner Stadtteil verbracht. Der Anwalt Dr. Fleer unterhielt in dem Haus nur sein Büro. Er war zu dieser Zeit mit seiner Frau und einem befreundeten Ehepaar zum Essen gewesen – in einem Restaurant, das zwanzig Minuten Fahrtzeit vom Tatort entfernt lag. Auch das Büro der Firma Artconcept war am Samstagnacht nicht besetzt. Inhaber des Büros, das sich mit Kunstvermittlung beschäftigte, war ein gewisser Tim Wilcox, Rechtsanwalt.

Keiner der anderen Anwohner in der Straße hatte etwas von der Schießerei gesehen, die nur Sekunden gedauert hatte. Und keiner hatte jemanden weglaufen sehen. Vielleicht war der Mörder ja wirklich durch die Toreinfahrten zwischen den Häusern entkommen?

Shane klappte den Ordner zu und zog den nächsten heran. Darren Martin lächelte ihn von einem Passbild an. Darren Martin, das vierte Opfer. Er wurde vor einunddreißig Jahren als Sohn der australischen Staatsbürger Susan und Carl Martin in Manila auf den Philippinen geboren. Carl Martin arbeitete dort als Angestellter einer australischen Textilfirma. Vor zehn Jahren kamen Darren Martins Eltern in Manila bei einem Anschlag ums Leben. Darren kehrte vor zwei Jahren nach Australien zurück und arbeitete seit einem Jahr im Catering Service „Nice & Cool“ an der Sunshine Coast. Shane notierte sich die wichtigsten Punkte und blätterte weiter. Den Bericht der Gerichtsmedizin überflog er, er wollte nicht wissen, wie die Kugeln die Körper zerfetzt hatten. Als er auf die Uhr sah, stellte er fest, dass fast zwei Stunden vergangen waren.

„Hast du alles gefunden?“, fragte Tom, der gerade hereinkam. Shane hatte gar nicht bemerkt, wie er den Raum verlassen hatte.

„Fast alles. Danke.“ Er erhob sich.

Tom wollte ihm die Krücken reichen. „Geht schon!“, sagte Shane, „ich muss mich mal langsam dran gewöhnen, es allein zu schaffen.“

Shane streckte gerade die Hand zum Türgriff aus, als Tom ihn zurückhielt. Tom wirkte nervös.

„Hast du schon mal daran gedacht, dass der Mörder dich suchen könnte?“

Shane spürte die Walther in der Halterung. Tom zog eine Schublade auf und legte Shanes Dienstwaffe, die Glock, auf den Tisch.

„Die Ballistik hat sie zurückgegeben. Du bist zwar krankgeschrieben, aber...“

Shane humpelte zurück und steckte die Waffe unter die Jacke, seitlich in den Hosenbund.

„Danke.“

„Warum fährst du nicht weg, Shane?“, sagte Tom mit Besorgnis in der Stimme. „Lass uns die Sache erledigen. Wir werden den Kerl kriegen.“

„Ja, vielleicht hast du recht. Ich werde es mir überlegen. Wiedersehen Tom.“

„Noch eine Frage, Shane.“

Tom kratzte sich am Kopf. „Sag’ mal – was war das eigentlich für eine Geschichte zwischen dir und Mick Lanski?“

„Tom, ein andermal.“ Shane ging hinaus, die Tür fiel langsam und leise hinter ihm zu. An Lanski wollte er heute nicht mehr denken.

Im Aufzug beschloss er, Ann anzurufen und sie nach einem Trev oder Trevor zu fragen. In der Eingangshalle steuerte er zu einem Stuhl und rief Ann im Krankenhaus an. Es ginge ihm schlechter heute, sagte sie mit gehetzter Stimme. „Die Ärzte behaupteten, das sei normal, es könne morgen wieder ganz anders sein.“

„Sie haben Erfahrung, Ann“, sagte er, „Jack ist kleiner tapferer Kerl.“

„Ja“, sagte sie schluchzend, „ja, das hat er von seinem Vater.“

Schließlich fragte Shane, ob sie einen Harry kenne, er könnte ein Kollege oder ein Bekannter Jacks gewesen sein.

„Nein, tut mir leid, Shane, das hat mich Mick Lanski auch schon tausend mal gefragt, aber ich kenne keinen. Und im Augenblick kann ich eigentlich an gar nichts denken und mich an nichts erinnern. Ich versuche nur irgendwie den Tag zu überstehen, Iris zu versorgen und dem Kleinen meine Kraft zu geben, damit er überlebt. Er ist das Letzte, das mir von Jack geblieben ist. Ich weiß nicht, ob ich es ertragen könnte, wenn...“ Dann brach sie ab.

„Soll ich kommen?“, fragte er.

„Nein - aber danke, Shane.“

„Ruf’ mich an, Ann, egal um welche Zeit.“

„Okay.“

Er wollte auflegen, doch sie sagte: „Brauchst du Jacks Lebenslauf? Vielleicht steht da etwas drin, was dich weiterbringt.“

„Ja, wenn du dazu kommst, aber es ist nicht so wichtig“, log er. Er brachte es nicht über sich, sie mit einer weiteren Aufgabe zu belasten. Als er auflegte, sah er auf dem Parkplatz vor dem Pub Jack vor sich, der in Toms Auto hätte einsteigen können.

„Wie geht’s Ihnen, Detective?“

Shane drehte sich um. Der Pförtner mit dem pechschwarzen Haar und dem gleichfarbigen Schnauzer, winkte ihm von der Empfangstheke aus zu. Shane hob und senkte die Schultern, was so viel hieß wie, es geht irgendwie, Sie sehen ja.

„Mein Gott“, rief der Pförtner herüber und schüttelte dabei den Kopf, „wir können das alle noch nicht fassen. Jeden Tag kamen die doch bei mir vorbei! Hoffentlich schnappt ihr diesen Kerl bald!“

Der Pförtner wünschte ihm noch gute Besserung, dann wurde er ans Telefon gerufen. Shane humpelte hinaus in die schwüler gewordene und abgasgeschwängerte Hitze. Er winkte dem ersten heranfahrenden Taxi und ließ sich, jetzt am Ende seiner Kräfte, nach Hause fahren.

Als sie die Brücke am Breakfast Creek überquert hatten, konnte er auf den Fluss sehen, den das warme Licht des Spätnachmittags tief blau leuchten ließ. Ein blauweißes Wassertaxi, die City Cat, durchschnitt mit ihrem doppelten Bug die seit dem Vormittag noch rauer gewordene Wasseroberfläche. Vier kleine Segelboote kreuzten hintereinander gegen den Wind. Er konnte sehen, wie die Segel ins Flattern gerieten, wenn die Wende oder Halse zu langsam geschah. Auf dem Kingsford Smith Drive verdichtete sich der Verkehr. Glücklicherweise waren es nur noch ein paar hundert Meter zu seinem Apartmenthaus. Der Fahrer setzte ihn auf dem Parkplatz ab und wünschte ihm Gute Besserung. Shane bedankte sich, wie schon so oft in den vergangenen Tagen, humpelte mit den Krücken auf die Haustür zu, und stutzte: Die Haustür des Apartmenthauses stand auf. Normalerweise wurde sie immer geschlossen gehalten. Die Hausbewohner und allen voran der Hausmeister, der unten im Erdgeschoss wohnte, achteten peinlich genau darauf, dass die Tür geschlossen blieb. Jetzt fiel Shane auf, dass auf dem zweiten Platz unter dem Dach, der sonst leer stand, weil die Mieterin schon über achtzig Jahre alt war und seit Jahren kein Auto mehr fuhr, ein blauer, zerbeulter Kadett stand. Als sich die Falttüren des Aufzugs hinter ihm schlossen, tastete er nach seiner Dienstwaffe. Die Türen öffneten sich. Er hinkte zu seinem Apartment. Die Tür war unbeschädigt, und das Schloss auch. In der Wohnung wartete auch niemand auf ihn. Verflucht, wenn ich weiterhin so paranoid bin, sollte ich meinen Job an den Nagel hängen. Er legte die Walther und die Glock auf den Nachttisch. Dann wusch er sich so gut es ging, zog sich mühsam kurze Hosen und ein frisches T-Shirt an, holte sich ein kaltes Bier aus dem Kühlschrank und bemerkte auf dem Weg ins Wohnzimmer die aufblinkende Anzeige des Anrufbeantworters. Er drückte auf Play.

Die atemlose Stimme gehörte Kim, seiner Ex-Frau.

„Um Himmels Willen Shane, ich habe es jetzt erst erfahren, ich war mit Frank ein paar Tage unterwegs. Ich , ich weiß nicht, was... wenn du auch...“ Sie brach ab, das Band schaltete sich aus. Sie hatte gleich noch einmal angerufen. Diesmal klang ihre Stimme kräftiger.

„Shane, vielleicht hältst du es für unangebracht, ich weiß nicht, wie man sich fühlt, wenn man so etwas mitgemacht hat, aber ich dachte – vielleicht wäre es gerade gut, wenn du mal raus kämst und hierher fahren würdest? Pam würde sich natürlich wahnsinnig freuen. Sie war völlig aufgelöst, als ich ihr erzählt habe, was dir passiert ist! Ach ja, Frank hat in Mooloolaba, unserem Nachbarort, ein Apartment, das noch nicht vermietet ist, da könntest du dich eine Weile entspannen. Was hältst du davon?“

Die künstliche Stimme verkündete, dass es keine weiteren Nachrichten gab, und das Gerät schaltete ab. Seitdem Kim mit Frank zusammen war, hatte sie sich verändert. Er tat ihr gut, musste er zugeben. Eigentlich hatte er unter keinen Umständen Kims Hochzeit besuchen wollen. Doch jetzt realisierte er, dass Mooloolaba und Buderim, der Ort, in dem Frank und Kim wohnten, an der Sunshine Coast lagen, dort, wo Darren Martin im Catering Service gearbeitet hatte.

Endlich konnte er etwas unternehmen. Am nächsten Morgen müsste er zum Verbandwechseln ins Krankenhaus. Anschließend würde er an die Sunshine Coast aufbrechen. Wer auch immer Darren Martin gewesen war, er war bis jetzt die einzige Spur, die ihn zum Mörder seines Partners und seiner Kollegen führen könnte.

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