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Kapitel 16
ОглавлениеJosh wusste nicht, ob er sich über den Regen ärgern oder freuen sollte. Bei Regen konnte er nicht arbeiten, das Gras war klumpig und fiel zusammen, Mähen war unmöglich. Doch dann müsste er die Arbeit auf einen anderen Tag verschieben. Schließlich packte er bei den Helmers in Buderim seinen Rasenmäher ein und versprach, in den nächsten zwei Tagen wieder vorbei zu kommen. Der Regen war zu stark geworden.
„Ich brauche Sie wirklich dringend, Josh!“, hatte Mrs. Helmer ihn angefleht, „dringend!“
Kurz vor Weihnachten erfasste die Menschen eine wahre Hysterie: Unter allen Umständen mussten die Gärten hergerichtet sein. Dabei interessierte sich an Weihnachten wahrscheinlich keiner der Partygäste für den Garten, viel zu schnell wären sie betrunken.
Josh fuhr nach Hause und setzte sich auf die von einer Pergola überdachten Terrasse mit dem alten Plastiktisch und den Plastikstühlen, in deren Ritzen Spinnweben hingen, die zu entfernen er nie Zeit hatte, und trank Tee. Er hörte dem Regen zu, der laut aufs Dach trommelte, und beobachtete, wie das Wasser in Strömen an der vorderen Kante hinunter lief und klatschend in den Pfützen auftraf, die sich auf dem Rasen bildeten. Aus den Palmen vor dem Bretterzaun hatte der Wind die alten Äste gefegt, die nun wie die Reste einer primitiven Behausung vor ihm im Gras lagen. Garbo schlief auf seiner Decke, den Kopf auf einem abgenagten Knochen.
„Du bist verrückt, Junge“, hatte sein Vater zu ihm gesagt und dröhnend gelacht, wenn er auf die Frage, was er denn mal werden wolle, geantwortet hatte: Pilot. Seine Mutter hatte sanft gelächelt und weiter gehäkelt. In seiner Erinnerung sah er sie immer weiße, feine Deckchen häkelnd, die dann überall als Untersetzer für Vasen oder Figürchen oder Bilderrahmen auf die Möbel gelegt wurden. Ihre spanische Großmutter habe ihr diese Tradition mitgegeben, und sie, als ihre Enkelin, sei fest dazu entschlossen, dieses Erbe weiterzutragen. So pflegte sie sich zu verteidigen, wenn sich ihr Mann wieder darüber lustig machte.
„Dann muss Josh ja auch sticken lernen“, hatte er darauf erwidert, worauf sie „häkeln“ gemurmelt hatte, und er, Josh, hatte voller Abscheu auf die Häkelnadel und das dünne, weiße Garn gestarrt und entschieden, diese Dinge niemals anzurühren.
Weil er nicht Pilot werden konnte, wollte er gar nichts werden und jobbte in Supermärkten, an Tankstellen, in Pubs – und mähte jetzt Rasen, schnitt Hecken und Bäume.
Als seine Eltern starben, und er das Haus und die, wenn auch bescheidenen Ersparnisse, erbte, dachte er für eine kurze Zeit daran, sich seinen Traum zu erfüllen, und Flugstunden zu nehmen. Doch er zögerte zu lang, und mit jedem Tag erschien ihm sein Vorhaben größer und verrückter, bis er seinen Traum begrub.
Garbo sprang bellend auf und stürzte auf eine Katze zu, die schleunigst das Weite suchte. Draußen auf der Straße fuhr ein Wagen mit lauter Musik heran. Hupen. Wieder so ein Idiot, dachte Josh, der sich das Aussteigen und Klingeln sparen will. Erneutes Hupen, zweimal kurz hintereinander, so dass es klang wie Ha-llo. Das Auto musste vor seinem Haus stehen. Ha-llo, Ha-llo, Ha-llo, Ha-llo…
„Ich komm’ ja schon!“
Er lief zur Tür. In seiner Garageneinfahrt hielt ein blauer Daihatsu, aus dem die Musik wummerte. Das Seitenfenster war heruntergelassen. Chrissy rauchte und grinste ihn an.
„Ich weiß, dass du bei Regen nicht arbeitest!“, schrie sie gegen die Musik an. Ein Gitarrensolo jaulte. „Sorry, gestern ist mir was dazwischen gekommen, steig’ ein!“ Sie klopfte auf den Beifahrersitz.
Er zögerte.
„Na, mach schon! Nur ein Spaziergang. Es hat aufgehört zu regnen, falls du’s noch nicht bemerkt haben solltest.“
Ihr Mund war rot und ihre Augen waren blau - und er stieg ein. Aber als er die Autotür zuzog, war ihm klar, dass er sich auf etwas einließ, was er nicht wollte. Sie stieß rückwärts aus der Einfahrt, und lächelte ihn an. Er stellte fest, dass sie ein ähnliches Strandkleid wie im Supermarkt trug, es war dunkelrot, fast so dunkelrot wie ihr Haar.
„Kannst du das ausmachen?“ Er deutete auf das Radio. Sie drückte die Zigarette im Aschenbecher aus und grinste.
„Entspann’ dich, ja?“
Ihre Antwort ärgerte ihn. Als ob sie mit ihm tun und lassen konnte, was sie wollte. Doch sein Mund war wie zugenäht. Er konnte nicht sagen: Halt’ an, ich steige aus. Und so rückte er von ihr ab an die Tür und sah zum Seitenfenster hinaus, und allmählich versiegte sein Ärger.
Sie fand auf Anhieb den Weg durch das labyrinthische Straßengewirr der Wohnsiedlung und bog auf die Straße zur Esplanade ein. Touristen flanierten unter den Arkaden und saßen in den Cafés. Über dem Meer lag ein vom Regen gewaschener Himmel. Sie fuhr hinunter auf den schmalen, halbvoll besetzten Parkplatz direkt am Strand und stellte den Motor ab.
„Ich hol’ mir einen Kaffee“, sagte sie beim Aussteigen, schloss den Wagen ab, und ohne seine Antwort abzuwarten, überquerte sie die Straße. Er blieb am Auto lehnen und sah ihr nach wie sie in einem der Cafés unter den Arkaden verschwand. Für einen Moment spielte er mit dem Gedanken, einfach die nächste Seitenstraße hinunter und nach Hause zu gehen. Aber ihm fehlte der Mut, es war ihm, als habe sie ihn hypnotisiert. Mutter und Tochter im gleichen Strandkleid gingen an ihm vorbei. Sichtbar unterschieden sich die beiden nur durch das Alter ihrer Haut. Ein junges Paar kam vorbei. Er schob einen behäbigen Kinderwagen vor sich her, und Josh ging rasch aus dem Weg. Chrissy kehrte mit einem großen Plastikbecher zurück. Ein Windstoß fuhr in ihr Kleid. Schmetterlingsflügel dachte er und konnte nichts gegen sein immer heftiger hämmerndes Herz und seine schweißigen Hände und Achseln tun.
Schweigend stiegen sie die Treppe zum Strand hinunter und zogen die Schuhe aus. Vom Regen war der Sand noch feucht und kühl. Sie gingen bis zu dem schmalen Streifen Sand, über den die Wellen ausliefen und ihn härteten. Noch immer sagte Chrissy nichts, ja, sah ihn noch nicht einmal an. Gedankenverloren saugte sie im Gehen am Strohhalm ihres Kaffeebechers, auf dem eine weiße Sahnehaube trohnte. Auf einmal blieb sie stehen.
„Hast du auch schon mal jemanden umbringen wollen?“
Josh klappte der Unterkiefer herunter. Er wusste nicht, ob er lachen oder schockiert sein sollte.
„Sag schon, hast du es schon mal machen wollen?“, wiederholte sie ungerührt.
„Warum fragst du so etwas?“
Sie wirkte enttäuscht, nahm den Strohhalm in den Mund und setzte sich wieder in Bewegung.
„He, Chrissy, verdammt, warum fragst du mich so was?“
„Warum, warum? Warum kannst du mir nicht einfach eine Antwort geben?“
Er versuchte ein Lächeln, obwohl sie ihn gar nicht ansah.
„Natürlich hab’ ich schon jemanden umbringen wollen. Meinen Mathelehrer und einen Typen aus meiner Klasse... und auch mal meinen Vater...“, sagte er.
Sie lächelte, aber es erreichte ihre Augen nicht. In ihrem Blick lag Geringschätzung, da war er ganz sicher. Wellen umspülten ihre Füße, das Wasser war wärmer als der regennasse Sand.
„Ich meine wirklich. Nicht nur so einen Kinderkram“, sagte sie.
Sie trat mit den Füßen ins Wasser, dass es spritzte.
„Wie würdest du es tun?“, fragte sie jetzt.
„Was?“
„Mensch!“ Ihre Augen funkelten, und an der Schläfe bemerkte er eine hervortretende Ader. Was für ein Spiel spielt sie, dachte er und sagte lässig:
„Abknallen.“
„Abknallen?“ Sie beeilte sich, ihm zu folgen, und darüber lächelte er befriedigt. Jetzt drehte er den Spieß um.
„Klar, ist sauber und schnell.“
Nachdenklich, mit gerunzelter Stirn, ging sie neben ihm her und saugte an ihrem Strohhalm.
Er beobachtete zwei Surfer, die weit draußen rittlings auf ihren Bretter saßen und auf die richtige Welle warteten.
„Aber...wo kriegt man einen Revolver her?“ Sie spielte das Spiel verblüffend ernsthaft.
„Na ja, manche Leute haben einfach einen“, sagte er.
Abrupt blieb sie stehen.
„Hast du einen?“
Allmählich war er nicht mehr sicher, ob sie es nicht doch ernst meinte.
„Können wir nicht über was anderes reden?“ Er gab sich Mühe, gelangweilt zu wirken.
Eine Welle brach sich und lief mit einem leisen Knistern auf dem Sand aus.
Da sagte sie:
„Du hast einen, stimmt’s?“
Es war plötzlich still. Da krachte die nächste Welle. Noch nie war ihm der Zeitraum zwischen zwei sich brechenden Wellen so lang vorgekommen.
„Stimmts?“, wiederholte sie.
Ihre beharrliche Ernsthaftigkeit an diesem Thema verdarb ihm die Laune. Und er sagte:
„Also, reden wir jetzt von etwas anderem?“
Sie wandte den Blick ab.
„Ich bin sicher, dass du einen hast.“
Vielleicht wollte sie ihm ja auf diese Weise etwas über sich und ihre Probleme mitteilen?
„He“, sagte er also, „nun rück’ schon raus mit der Sprache: Wen willst du umbringen?“
Sie wandte sich ihm wieder zu. Ihre Augen blitzten. Wieder sich brechende Wellen. Die Stille dazwischen. Keine Antwort.
Nach einer Weile, in der sie stumm nebeneinander hergegangen waren, sagte sie:
„Okay, reden wir über was anderes.“
Obwohl ihr Ton ihn nicht gerade ermutigte, wollte er nun doch nicht kapitulieren und fragte sie nach der Schule, ihren Zukunftsplänen, nach ihrer Mutter, ihrem Vater und ob sie Geschwister habe. Sie antwortete einsilbig, sie wisse nicht, was sie nach der Schule machen wolle, das Geschäft ihrer Mutter wolle sie jedenfalls nicht übernehmen, ihr Vater war vor drei Jahren verstorben, sie habe keine Geschwister und zweimal die Woche jobbe sie im Tea Room an der Promenade. Ihn fragte sie nichts. Es wurde allmählich kühler, die letzten Badegäste verließen den Strand, und er wollte nur noch nach Hause und allein sein.
„Ich muss heim“, sagte er, „mein Hund wartet.“
Sie gingen schweigend zurück. Am Auto angekommen sagte sie:
„He, sorry. Heute war kein guter Tag.“ Sie lächelte ihn plötzlich an.
Er fühlte sich zu erschöpft und beklommen, um etwas zu erwidern. Mit einem Plopp sprang die Zentralverriegelung auf. Er stieg ein. Sie griff unter den Sitz und hielt ein Tütchen in der Hand.
„Auch eine?“
„Was ist das?“
„Was zum Chillen. Würde dir gut tun!“
Er schüttelte den Kopf.
„Ich schenk’ dir eine.“
„Nein, diese Dinger bringen einen um.“
Sie lachte laut.
„Ach, die sind harmlos, Heroin bringt einen um.“
Sie warf eine der weißen Pillen in den Mund, trank aus einer Plastikflasche, die auf dem Rücksitz gelegen hatte, und klebte das Tütchen wieder unter den Sitz. Dann setzte sie ein verführerisches Lächeln auf.
„Kommst du morgen mit in den Surf Club, zur Weihnachtsparty?“ Sie legte ihre Hand auf seinen Arm. Ein angenehmer Schauer überlief ihn.
Er war ein paar Mal im Surf Club unten am Strand gewesen, doch er hatte sich nicht wohl gefühlt, weil er allein gekommen war und niemanden kannte, weil alle viel tranken und tanzten, und er an der Theke stand und sich nicht traute, eine Frau anzusprechen.
„Klar, cool“, hörte er sich sagen.
Sie zog ihre Hand weg und lächelte zufrieden. Als sie ihn vor seinem Haus absetzte, winkte sie sogar, und er glaubte allmählich, sich ihre Ablehnung am Anfang nur eingebildet zu haben.
Beim Essen sah er fern, und als er eine Sendung über einen Postflieger entdeckte, dachte er, dass vielleicht jetzt die Zeit gekommen war, sein eigenes Leben zu leben.
„Das ist ein neuer Anfang, Garbo“, sagte er zu seinem Hund, der auf der Couch an seinen Füßen lag. Er spürte noch immer ihre Hand auf seinem Arm.