Читать книгу Menschen und andere Tiere - Mara-Daria Cojocaru - Страница 16

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„Was ist der Mensch?“ Diese Frage beschäftigt die westliche Philosophie seit der Antike. Sie ist die Frage, in der bei Kant die anderen drei philosophischen Fragen – nach Metaphysik, Moral, und Religion – gipfeln. Sie wird immer wieder neu gestellt, manchmal verhalten, manchmal mit Nachdruck. Dabei steht sie unter dem Eindruck von Debatten wie der um den Poststrukturalismus – der Essenzialismen jeder Art hinterfragt hat – oder der um den Transhumanismus – der die Begrenzungen der menschlichen Natur aus verschiedenen Gründen überschreiten möchte. Menschen haben zudem schon allein aufgrund der Möglichkeit, sich als Art selbst abzuschaffen, die spätestens seit Erfindung der Atombombe real ist, guten Grund, sich intensiv mit sich selbst zu beschäftigen.

Betrachtet man zudem die zahllosen Beziehungen und Verhältnisse, in denen Menschen Tieren auf eine solche Weise gegenübertreten, dass Letztere ihres Lebens nicht oder nur sehr selten froh werden können, so bekommt die Frage nach der Natur des Menschen schnell einen besorgten, primär moralischen, wenn nicht gar misanthropischen Unterton. Was ist der Mensch nur, dass er im Umgang mit Tieren derart grausam, gedankenlos und gefühlsverwirrt sein kann? Und was, wenn überhaupt noch etwas, kann aus ihm werden?

In diesem ersten Teil des Buches beantworte ich die Frage nach dem Menschen und seiner Zukunft – sofern sie denn überhaupt von Menschen abhängt – mit der Behauptung, dass erst die Anerkennung der menschlichen Tierlichkeit, allen voran der Rolle von Emotionen in Moral und Politik, uns in den Stand versetzen wird, wirklich Mensch zu werden. Diese Behauptung hat mehr philosophische Dimensionen als das schon von Darwin in der Abstammung des Menschen ausgegebene Postulat, dass die Humanität, sprich: der Mensch auch in seiner moralischen Entwicklung, auf ihrem Höhepunkt angelangt sein wird, wenn auch die anderen Tiere moralisch berücksichtigt werden. Dennoch nimmt diese Behauptung ihren Ausgangspunkt bei einer Darwin vage entsprechenden, grosso modo naturalistischen Intuition, die ich mit meinen ausgewählten philosophischen Pionier*innen Peirce, Dewey und Midgley teile. Sie alle sind in dem am Schluss der Exposition beschriebenen Sinne nicht szientistische Naturalist*innen. Das heißt, sie sehen Menschen und andere Tiere als Teil einer Natur, die sich durch die Entwicklung ihrer einzelnen Teile entwickelt, und die Art Mensch als einen quantitativ besonders erfolgreich an fast alle möglichen Umwelten angepassten und diese wiederum gestaltenden Teil, der dazu imstande ist, in Maßen auf diese Entwicklung Einfluss zu nehmen. Menschen können dies auch dadurch, dass sie sich zu sich selbst in ein reflexives Verhältnis setzen und das daraus resultierende Selbstverständnis kultivieren. Das können sie als kulturschaffende Tiere in einem weiten Sinne, nämlich mit den Mitteln (oder kulturellen Praktiken) der Wissenschaft, der Kunst, der Moral und der Politik. Die Behauptung ist also folgende: Mit der Anerkennung, dass der Mensch auch ein Tier ist, könnte ein akkurateres Selbstverständnis seiner Art einhergehen: als ein Tier von vielen, das sich lediglich in besonderer Weise die anderen Tiere zu seiner Angelegenheit machen kann. Dieses neue Selbstverständnis ließe sich in den genannten kulturellen Praktiken kultivieren. Es ließe sich aber natürlich auch weiterhin ignorieren. So frei sind Menschen schon immer gewesen.

Um meine Behauptung zu stützen, entwickle ich in den folgenden drei Kapiteln drei Argumente: Erstens: Die Rede vom Menschen, sprich: die Anthropologie, ergibt nur dann einen Sinn, wenn Menschen als Tiere anerkannt werden, und zwar so wie alle anderen Tiere auch – als besondere Tiere mit je besonderen Eigenschaften, von denen sie manche mit anderen Tieren teilen, viele aber auch nicht. Eine mit manchen anderen Tieren geteilte Eigenschaft ist, dass Menschen als sozial lebende Säugetiere über Emotionen verfügen, die in einem gewissen Sinne normative Relevanz für ihre Gemeinschaften haben. Emotionen sind mit Werten verbunden, und wir wissen, dass sie als habitualisierte Wertorientierungen im Falle von Menschen in Moral und Politik eine Rolle spielen. Diese Gemeinschaften teilen Menschen, manchmal bewusst, manchmal unbeabsichtigt, mit Tieren ganz unterschiedlicher Arten und in ganz unterschiedlichen Weisen. Sie reichen von der Hausgemeinschaft bis zur ökologischen Gemeinschaft. Mit der Anerkennung des Menschen als Tier, genauer: als ein politisches Tier unter vielen, ist aber auch ein normatives Projekt verbunden: Menschen sollten sich Tiere moralisch und politisch angelegen sein lassen und ihre Gemeinschaften nicht mehr rein und auch nicht primär anthropozentrisch regeln. Dabei ist es keinesfalls trivial, dass wirkmächtige philosophische Positionen zur Natur des Menschen genau in Abgrenzung von dieser Redeweise vom Menschen als auch einem Tier bezogen worden sind und dass die Relevanz von Mensch-Tier-Beziehungen für das Selbstverständnis des Menschen infrage gestellt wird. Ein solches „humanistisches“ Abgrenzungsbedürfnis lässt sich auch auf ein Gefühl der Kränkung oder Entmündigung zurückführen, an dessen Ursprung eben eine Unaufgeräumtheit im menschlichen Selbstverständnis und ein Unwissen über andere Tiere liegt. Ähnlich unaufgeräumt sind Positionen, die in der Anerkennung der menschlichen Tierlichkeit Entlastung suchen – nicht nur mittels „brutalistischer“ Ausflüchte wie zum Beispiel, dass der Mensch „eben ein Raubtier“ sei. Auch konservativ-quietistischen Sichtweisen auf den Menschen, die seine Natur als eine Begrenzung interpretieren, fehlt es an einer pragmatisch-optimistisch angemessenen Grundstimmung in Bezug auf die Gestaltbarkeit von Mensch-Tier-Gemeinschaften.

Ich denke, dass die beschriebenen Gefühle den Ausschlag geben werden für das Nachdenken von Menschen über andere Tiere. Daher widmet sich mein zweites Argument der Rolle der Leidenschaften im Zusammenleben von sozial organisierten Spezies in Gemeinschaften. In einem ersten Schritt werde ich dabei an strukturelle Gemeinsamkeiten von Menschen und anderen Säugetieren erinnern, um dann darauf einzugehen, wie Vernunft und Leidenschaft in Ethik und Politik zusammenkommen und zusammengehören. Ich zeige dann auf, dass es keinen guten Grund gibt, den Bereich der Angelegenheiten, auf die sich Emotionen in moralischer oder politischer Weise beziehen können, als einen anthropozentrischen auszuweisen. Moralische und politische Gefühle können sich auch auf andere Tiere beziehen, und zwar schon alleine deswegen, weil sie es de facto tun bzw. weil Menschen angesichts tierlicher Schicksale Mitleid haben, sich empören, sich schuldig fühlen, Scham empfinden, Hilfe leisten, Hoffnung auf Änderung haben usw. Damit falle ich keinem naturalistischen Fehlschluss zum Opfer, sondern folge schlicht meinen Pionier*innen. Auch sie machen aus dem moralischen Leben keine artifizielle Angelegenheit, die möglicherweise auf so etwas wie einer rein abstrakten, formalen Vernunft basiert. Da ich Tierethik und -politik nicht als intellektuellen Selbstzweck begreife, liegt eine solche, die Emotionen berücksichtigende Betrachtungsweise nahe. Sie hat aber Konsequenzen für meinen Umgang mit der Vielfalt ethischer Theorien, welche die Relevanz der betreffenden Gefühle unterschiedlich einschätzen.

Obschon ich mich keinem existierenden Paradigma verschreibe, mithin keine deontologische, utilitaristische, tugendethische, kontraktualistische oder sonst eine -istische Ethik für allein überzeugend halte, erlaubt mir genau das, den Pluralismus und die Qualitäten verschiedener Theorieangebote zu würdigen. Mein drittes Argument ist damit folgendes: Es wird vermutlich nicht gelingen, die Systematisierung moralischer Gefühle auf einen ethisch-paradigmatischen Nenner zu bringen. Sprich: Ich halte es nicht für wahrscheinlich, dass sich eine bestimmte Form der Theorie, wie mit moralischen Gefühlen, Intuitionen und Überzeugungen umzugehen sei, vulgo eine bestimmte Ethik als die richtige erweisen wird. Vielmehr halte ich alle ethischen Theorien für die Systematisierung gegebener moralischer Grundstimmungen oder Temperamente, die für verschiedene Menschen verschiedene Gefühle nahelegen, ja, sogar „natürlicher“ erscheinen lassen. Damit reduziere ich die moralische und politische Vielfalt nicht, sondern erhalte sie gerade. Die anderen Wissenschaften, allen voran die Geschichts-, Sozial- und Kulturwissenschaften, legen uns eindrücklich nahe, dass Menschen zu ganz unterschiedlichen Zeiten und unter verschiedensten Umweltbedingungen die Gefühle, die für das soziale Miteinander in Form von Moral und Politik ausschlaggebend sind, mit verschiedenen Akzentuierungen kultiviert haben; dabei weist aber nichts darauf hin, dass sich eine allein utilita-ristische, deontologische oder tugendethische (oder sonstwie paradigmatische) Herangehensweise bewähren würde. Unter diesen Voraussetzungen verstehe ich nicht, wie man der Meinung sein kann, auf einem guten Erkenntnisweg zu sein, wenn man nur eine dieser Herangehensweisen gelten ließe. Vielleicht lässt sich dieser Streit zwischen Monismus und Pluralismus nicht einmal auf der metaphilosophischen Ebene entscheiden. Vielleicht ist auch das ein weiterer Beleg dafür, dass der Mensch nicht ist, was er ist, sondern dass er aus der Vielzahl an Selbstbildern etwas aus sich machen kann. Verkompliziert wird diese Situation aber durch die ungeklärte Rolle professioneller Ethiker*innen und durch die akademischen Professionalisierungsbestrebungen der Ethik. Daher ist mein Projekt letztlich kein ethisches, sondern ein moralpragmatisches. Und in der mithin engen Beziehung zwischen ethischer Theorie und moralischer Praxis geht an der Frage, wie Menschen sich denn bestmöglich als Menschen entwickeln können, kein Weg vorbei, gerade weil sich diese Frage am Umgang mit anderen Tieren und mit der eigenen Tierlichkeit entscheidet.

Manch einem mag die Frage nach der Natur des Menschen allein schon zu hochtrabend erscheinen und überdies völlig verfehlt als Ausgangspunkt für eine tierethische und -politische Erörterung. Eine solche könnte als intellektuelles Luxusanliegen oder gar Kinderei angesehen werden, die nichts mit dem deutlich zentraleren und ernsthafteren Geschäft der philosophischen Anthropologie zu tun hätte. Diese Einschätzung halte ich für eine bestimmte, problematische Form der menschlichen Hybris, der zuallererst begrifflich mit der Klarstellung zu begegnen ist, dass es „den Menschen“ eben nicht gibt, genauso wenig wie „das Tier“. Was es gibt, sind Menschen, viele, unterschiedliche, und Tiere, viele, unterschiedliche, in der Tat, untereinander oft unterschiedlicher als in der Abgrenzung zum Menschen. Und diese vielen verschiedenen Menschen und anderen Tiere müssen sich irgendwie zueinander in ein bestmögliches Verhältnis setzen, wobei die Güte dieses Verhältnisses durch die Güte der Erfahrungen bestimmt wird, die Menschen und andere Tiere in ihm machen können.

Menschen und andere Tiere

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