Читать книгу Menschen und andere Tiere - Mara-Daria Cojocaru - Страница 9

1.1Als ich dachte, ich könnte mich als „Ethikerin“ richtig nützlich machen: Ein Versuch über Tierversuche

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Es ist Sommer 2014: Die Sonne scheint in mein Büro, als ich einen dicken, an den Knickstellen zerschlissenen DIN-A4-Umschlag mit der oberbayerischen Landesregierung als Absenderin von meinem Schreibtisch nehme und in meinen Rucksack schiebe. Der Umschlag enthält die Unterlagen für meine erste Sitzung als Mitglied in den Kommissionen, welche die zuständigen Behörden bei der Beurteilung von Tierversuchsvorhaben nach § 15 des deutschen Tierschutzgesetzes (TierSchG) unterstützen. In Deutschland müssen alle, die für Tierversuche töten müssen, folgende Kenntnisse vorweisen: „Ethik in Bezug auf die Beziehung zwischen Mensch und Tier, intrinsischer Wert des Lebens“8. Alle, die Tierversuche planen und durchführen, müssen darüber hinaus „Argumente für und gegen die Verwendung von Tieren zu wissenschaftlichen Zwecken“9 kennen. Ich bin gespannt auf die Gespräche mit diesen Menschen.

Vor ein paar Wochen bin ich vereidigt worden; mir wurde ein Verschwiegenheitsgelübde abgenommen und auch erklärt, dass diese Kommissionen keine „Tierethikkommissionen“ seien. In der Tierschutz-Versuchstierverordnung werden sie tatsächlich nur „Tierversuchskommissionen“ genannt (TierSch-VersV § 42). Das mag erklären, warum ich in der Liste der Mitglieder aller Kommissionen nur einen einzigen Namen eines philosophischen Kollegen gefunden habe. Und das war die erste Erschütterung des Gefühls, dass ich in einem Kontext, in dem es für Tiere wirklich um etwas geht – nämlich mindestens um Leben, Schmerzen oder Ängste –, aus tierethischer Perspektive etwas bewirken könnte.

Dieses Gefühl hatte ich aber, als ich von der Hochschulleitung der Landesregierung für diese Aufgabe vorgeschlagen worden bin. Immerhin arbeite ich in der Tradition des philosophischen Pragmatismus, die als wissenschaftsfreundlich und praxiszugewandt gelten kann. Also muss man sich auch in eine so Praxis hineindenken und prüfen, ob die ethischen Argumente dort etwas bewirken können. Was das Hineindenken betrifft, so habe ich zu Beginn eifrig bei der Behörde nachgefragt, was ich denn wissen oder lesen müsste, um gut vorbereitet zu sein. Die knappe Antwort hat mich überrascht: Ich „könne“ mir das TierSchG und die TierSchVersV durchlesen. Bis zum heutigen Tag ist übrigens nicht verbindlich geklärt, welche Voraussetzungen genau man für die Kommissionsarbeit mitbringen muss.10 Das hatte mir die Behörde damals aber nicht so gesagt.

Der dicke Brief mit den naturwissenschaftlichen Anträgen passt nicht ganz in meinen Rucksack. Ich schnaufe und lasse die Arme fallen. Ich habe das Wochenende durchgearbeitet und unter anderem einiges über Lebertumore erfahren, über Vorstellungen dazu, wie man Angstlernen in Mäusen modellieren könnte, über bildgebende Verfahren und verschiedenste Tötungsmethoden. Mir ist manchmal schwindelig, manchmal kalt und manchmal schlecht geworden, wenn ich versucht habe zu verstehen, warum man manche Tiere vergasen und anderen das Genick brechen muss, wenn ich versucht habe, mir die Abbruchkriterien richtig vorzustellen, das struppige Fell oder wie der Tumor andere Organe zu quetschen beginnt, wenn ich versucht habe, das Video zum erzwungenen Schwimmtest zu ertragen oder auch überhaupt nur die Tiere hinter ihren Modellnamen und ihr Leid hinter den klinischen Begriffen zu erkennen. Viele Fragezeichen haben sich ergeben, aber in die Anträge etwas hineinzuschreiben habe ich mich nicht getraut. An ethischer Information oder an Informationen, die auch nur irgendwie in die Richtung ethischer Argumentation gingen, war gar nichts enthalten. Da stand immer nur sinngemäß: Weil das Versuchsziel wichtig ist und es keine Alternativen gibt, ist der Tierversuch ethisch gerechtfertigt.11 Ich muss den dicken Brief biegen, um ihn in meinen Rucksack zu kriegen, habe aber darauf geachtet, dass alle Anträge wieder in ihren Plastikhüllen stecken und in der richtigen Reihenfolge sortiert sind. Passt – fast: Da war noch etwas. Wie verstehen die hier eigentlich „Ethik“? Mir schwirrt der Kopf, und ich beschließe, in der ersten Sitzung nur zu beobachten. Ich muss los.

Die Sitzung findet in den Regierungsräumen in der Maximilianstraße in München statt. Ich bin die Jüngste; man begrüßt sich per Handschlag. Es gibt Wasser, Saft und Kaffee, so viel man will, „ad libitum“ würde das in einem Antrag heißen, aber bei Menschen sagt man das natürlich nicht so. Man ist professionell. Man guckt mich interessiert an. Ich sage nicht viel.

Der Vorsitzende stellt den ersten Antrag vor. Das geht sehr schnell. Ich staune. Fragliche Punkte werden suggestiv in den Raum gesprochen, als seien sie schon geklärt. Ich höre kurz Zweifel. Lachen. Überhaupt wird doch viel gelacht. Ich staune weiter, versuche diesen Balanceakt des Gemüts einigermaßen hinzukriegen: zwischen Anspannung im Angesicht des prospektiven Todes Tausender belasteter Tiere und gelöster Kollegialität. Schon sind wir bei der Abstimmung. Trotz einiger Diskussionen sind alle für den Antrag. Aus mir platzt Opposition heraus oder vielleicht einfach nur so etwas wie der Wunsch innezuhalten. Einen Moment. Dann sage ich etwas, das mich als eine Bewegte identifiziert. Man nickt verständnisvoll. Ich versuche etwas aus genuin ethischer Perspektive zu sagen. Jemand anderes wird seinerseits bewegt und verteidigt sich, dass er immerhin auch „eine Moral“ habe. Das war mir klar, sage ich, aber man könne das ja vielleicht etwas systematisieren. Ich habe den Eindruck, darüber haben wir hier noch gar nicht gesprochen. Wir können aber auch gar nicht darüber sprechen, denn es fehlt das ethische Vokabular. Ich bezweifle daher einfach die Vorstellung, dass eine im Labor induzierte Angst einer Maus dabei helfen kann, die mannigfaltigen Ängste des Menschen zu verstehen und auch noch zu beheben. Das funktioniere schon, werde ich belehrt. Depression zum Beispiel sei schon geheilt. Ich staune, fühle mich weit außerhalb meines Kompetenzbereichs. Aber man muss so eine Belehrung nur kühl genug äußern – dann entsteht beim Gegenüber schon die Angst vor dem Nichtwissen, die sich in eine Hemmung übersetzt, überhaupt etwas zu sagen, und wenn es nur eine weitere Frage ist.

Offenbar gibt es auch eine mehr oder weniger klare Rollenverteilung. Ich bin hier wohl diejenige, die gegen Tierversuche ist, oder wie war das? Ich fühle mich in die Rolle derjenigen gedrängt, die nichts wirklich weiß, die von Moral quasselt, also von etwas, bei dem doch jedem das Bauchgefühl reicht, und die die Bedeutung von Forschung geringschätzt. Den Stolz auf die Wissenschaften im Vergleich zur Nutztierhaltung trägt man ostentativ vor sich her. Überlegen Sie mal, wie gut es so ein Versuchsschwein im Vergleich zu dem in der Mast hat. Ist doch so: In einer Gesellschaft, in der 200-mal so viele Tiere gegessen und unter qualvollen Bedingungen und mit weitgehender moralischer Skrupellosigkeit gehalten werden, kann man gegen Tierversuche, für die jedes einzelne Tier genehmigt werden muss, nichts sagen. Wieder Lachen. Ist doch so. Klar.

Apropos Schweine: Ein anderes Mal ist plötzlich der Statistiker gegen einen Versuch an Schweinen; er kann es nicht erklären, bei Schweinen sei das einfach was anderes. Er verzieht den Mund zu einem schiefen Lächeln. Nennen wir das Mitleid oder nicht weiter begründbare Zimperlichkeit? Wir beschließen, den Antragsteller für das nächste Mal persönlich in die Sitzung einzuladen. Ich will fragen, ob er unbedingt ein Dutzend Schweine zur Erforschung einer seltenen Schilddrüsenerkrankung sterben lassen muss oder ob er das, was er da vorhat, nicht mit menschlichen Probanden machen kann. (Nachtrag: Er kann. Könnte. Aber guckt sehr erstaunt. Und tut es nicht, denn der Antrag wird trotzdem bewilligt.)

Mein Staunen ist irgendwann in regelmäßiges Zweifeln übergegangen:

−Was ist mit Flüchtigkeitsfehlern in den Anträgen? Ich halte das für relevant. Wenn es jemand schon mit der Rechtschreibung nicht so genau nimmt, was ist dann in einem Belastungsprotokoll zu erwarten, in dem alle Phänomene nach Schweregraden eingetragen werden, die sich aus für die Tiere belastenden Eingriffen ergeben?

−Was verbirgt sich eigentlich dahinter, wenn jemand ohne Scham aus dem Nähkästchen von Xenotransplantationen und anderem plaudert und sich dabei seiner Sache verdächtig gewiss ist, ja, im Reden immer gewisser wird? So gewiss ist man in der Philosophie schon lange nicht mehr gewesen. Da wird, je länger man redet, desto mehr ungewiss. Hier nicht.

−Wenn diese Kommission nicht dafür bekannt ist, alles durchzuwinken – wie muss man sich das dann andernorts vorstellen? Wo wird überhaupt wirklich ethisch ins Detail gegangen?

−Was ist mit vermeidbaren Krankheiten und Missständen, bei Menschen (man denke an Burnout) und anderen Tieren (man denke an Nutztierhaltung) – wieso sollten dafür weitere Tiere leiden und sterben?

−Was ist mit First-World-Problemen (etwa Kinderwunschmedizin) – gibt es nicht Wichtigeres?

−Wer soll das eigentlich alles wissenschaftlich prüfen können, mit welcher Expertise? Und wird hier nicht eher das, was die Wissenschaft selbst leisten soll („gute“ Anträge schreiben), durch die Verbesserungsvorschläge und Auflagen der Kommissionen erst vollendet?

−Hat eigentlich einmal jemand nachgeprüft, ob all das, was in den Tierversuchen erreicht werden sollte, wirklich eingetreten ist?

Schließlich habe ich allgemeine Zweifel am System der Tierversuchsüberwachung. Das Gefühl, etwas nicht Erwünschtes zu tun, habe ich erstmals, als ich im Winter 2015 Informationen zu einer Diskussion über die Tierversuchskommissionen mit allen anderen Kommissionsmitgliedern über den (damals noch offenen) Verteiler verschicke. Die Diskussion findet statt am Münchner Kompetenzzentrum Ethik (MKE), das Teil der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) ist. (Vom MKE war meines Wissens übrigens niemand in den Kommissionen.) Als von der Landesregierung per E-Mail gemahnt wird, dass „nur für die Kommissionsarbeit relevante Informationen“ geteilt werden dürfen, bin ich noch einmal erstaunt. Aber dann ärgere ich mich, dass mein Gefühl mich nicht getrogen hat. Die Behörde will tatsächlich nicht, dass man das tut: einen wirklich offenen Dialog anregen.

Bei allem Zweifel habe ich aber auch und grundsätzlich Respekt davor, wenn jemand seine Meinung ändert oder dazu zumindest bereit scheint. Das ist auch passiert. Das ist auch mir passiert. Ich würde nicht sagen, dass es besonders ausgeklügelte ethische Argumente gewesen sind, die dazu geführt haben. Insofern erscheint mir die ethische Debatte über Tierversuche auf sonderbare Weise von der Praxis entkoppelt. Diese Debatte hat die moderne Tierethik mitgeprägt, und das Thema ist seit jeher emotional stark besetzt. Es könnte nun wieder als Ausweis moralischen Fortschritts gelten, dass sich die Sichtweise, dass Tiere zweifellos für jedweden menschlichen Zweck in Versuchen eingesetzt werden dürfen, erübrigt zu haben scheint. Allerdings gibt es niemanden – keine Ethikerin, aber auch keine Wissenschaftlerin oder Fachgesellschaft –, der oder die eine prinzipielle moralische Sorglosigkeit im Umgang mit Tieren an den Tag legen würde.12 Ob dem so ist, weil das mittlerweile in Europa schlicht strafbar wäre, oder nicht, sei dahingestellt. Tatsächlich dominieren Diskussionen über Güterabwägungen und vorgebliche Dilemmata einerseits und Forderungen nach der kompletten Abschaffung von Tierversuchen andererseits. Die wissenschaftliche Praxis hingegen wird dominiert von dem Prinzip der 3R, bei dem es um den Ersatz von Tieren (replacement), die Reduktion von Tierzahlen (reduction) und die Verfeinerung von Versuchsmethoden (refinement) geht. Dazu später mehr.

Hier ist nur wichtig zu sagen, dass wir für die genuin ethischen Fragen in der Kommissionsarbeit keine Zeit hatten. Wenn sich in den Sitzungen Meinungen ein Stück weit zu verändern schienen oder Fragen akzeptiert wurden, dann hatte das meistens mehr damit zu tun, dass genau hingeschaut wurde, auch und gerade in Bezug auf die Empirie, dass Fragen gestellt wurden und Zweifel artikuliert, die zeigten, dass es um mehr als diese 3R geht. Klar ist aber: Ich habe in diesen Kommissionen mit meiner Arbeit nicht viel bewirken können, schon gar nicht als Ethikerin.13 Über die laut TierSchVersV angenommene Voraussetzung von Kenntnissen über den intrinsischen Wert des Lebens und von ethischen Argumentationen bei allen, die Tierversuche planen, durchführen oder für sie töten, kann ich, auch eingedenk der Vielfalt der akademischen Ethik, nur staunen.

Vier Jahre später: Die Sonne scheint erneut in mein Münchner Büro und ich bereite zusammen mit zwei Kolleginnen aus Veterinärmedizin und Kognitionswissenschaft einen Workshop zum Thema Tierversuche vor, wieder am MKE. Es soll auch darum gehen, wie der (gesetzlich übrigens angestrebte) Paradigmenwechsel, völlig auf sie zu verzichten, umgesetzt werden kann. Meines Wissens arbeitet von den Kolleginnen an der LMU immer noch niemand in den Kommissionen mit, und in dort stattfindenden öffentlichen Vorträgen wird „der Veganer“ (dazu gleich mehr) gerne als Beispiel für zeitgenössischen Moralismus eingeführt und abgestempelt. Aber der Geschäftsführer des MKE bietet mir zumindest immer wieder kollegial an, über Tierversuchsthemen zu diskutieren. Tierethik als ein in der Philosophie marginalisiertes Fach ist auch auf solch ein Extra-Engagement angewiesen. Aber so bin ich guter Dinge. Ich glaube daran, dass sich der Diskurs vernünftig voranbringen lässt, und bin mittlerweile zu der Ansicht gekommen, dass man lange noch gar nicht über Ethik sprechen muss, um Tierversuche problematisch zu finden. Allein aus wissenschaftlicher Perspektive kommen da viele Zweifel auf. Ich habe die Hoffnung, dass der Workshop eine sehr gute Veranstaltung wird, weil wir kompetente Leute im Programm haben und sich überwiegend Veterinärmediziner*innen, Forscher*innen usw. angemeldet haben. Bei der aufgeheizten Debatte, die im Hintergrund stattfindet, könnte uns auch Angst und Bange werden, dass die Veranstaltung aus dem Ruder läuft. Aber das glaube ich nicht. Ich traue uns zu, dass wir einen von wechselseitigem Respekt geprägten Diskurs führen werden, und ich empfinde es auch schlicht nicht so, als stünden die Diskursteilnehmer*innen grundsätzlich auf verschiedenen Seiten.

Selbstverständlich sind „wir“ (vom Tierschutz? für die Tiere? Zweifelnden?) für gute Wissenschaft. Selbstverständlich sind „die“ (vom Tierverbrauch? gegen die Tiere? Überzeugten?) für Ethik. Das Verhältnis zwischen diesen beiden Großbegriffen ist aber denkbar schlecht bestimmt und so muss man, so denke ich, lange und detailliert miteinander über spezifische Probleme reden und sich nicht in Gemeinplätzen und wohlfeilen Slogans verlieren. Bei den Problemen handelt es sich um die Fragen, wie Wissenschaft funktioniert und wie Ethik dazu passt – uralte Themen für den Pragmatismus. Für einen Moment bin ich regelrecht beseelt und denke, wir werden die Zweifel auf allen Seiten nach allen Regeln der Kunst bzw. unter Einhaltung der empfohlenen intellektuellen Tugenden klären können. Zu diesen Tugenden zählt zumindest der Glaube daran, dass ein gemeinschaftlicher, methodischer, ergebnisoffener und redlicher Austausch wirklich belastbare Ergebnisse zeitigen kann. Ein Grund, aus dem bei dem Workshop nicht alle Zweifel geklärt werden konnten und ich jetzt doch auch zum Beispiel dieses Buch schreibe, liegt darin, dass ich das Politische an der Debatte vergessen hatte, die Wissenschaftspolitik, um genauer zu sein.

Kurz vor der Tagung schickt mir jemand den Link zu einem Mitschnitt einer Veranstaltung der European Animal Research Association (EARA) am Max-Delbrück-Centrum.14 Es sollte darum gehen, wie die Offenheit im Umgang mit Tierversuchen in Deutschland verbessert werden kann. Bei der Veranstaltung wurden tierverbrauchende Forscher*innen dazu beraten, wie sie mit Kritik umgehen können, einer Kritik, die immerhin zunehmend geäußert wird.15 Für jemanden wie mich, die Emotionen in der Erkenntnis ernst nimmt, ist es – ich kann das nicht anders sagen – zutiefst beunruhigend, wenn ein instrumenteller Umgang damit expressis verbis empfohlen wird, um die Emotionen der Bevölkerung ohne eine offene und vor allem faire Debatte zu beeinflussen. In seinem Vortrag „An emotional affair. Animal research and journalism“ schildert Volker Stollorz, der CEO des Science Media Center (SMC), wie etwa ein Laie, der mit einem Hund lebt, Empathie für Laborhunde entwickeln könnte, und erklärt dann: „Ich glaube, es ist sehr wirkungsvoll […], wenn man den Leuten erzählt, was man fühlte, als man anfing, Tierversuche zu machen. Dass man vielleicht auch Probleme damit hat, aber damit angefangen hat, weil man wusste, dass es für das Eexperiment notwendig ist, es zu tun; das ist sehr glaubwürdig.“ Man solle lieber verschweigen, wenn man während der Versuche Musik hört. Die Implikation ist an dieser Stelle wohl auch, dass solch eine Art „laienhafte“ Empathie klarerweise fehl am Platz sei.

Bei so einem Kommentar mag es sich um einen vergleichsweise zynischen Ausrutscher eines Funktionärs handeln, der einfach im Eifer des Gefechts vergessen hat, dass der Paradigmenwechsel weg vom Tierversuch vom Gesetzgeber gewünscht ist und dass damit die – zu Recht! – kritische oder zumindest skeptische Bevölkerung in Bezug auf dieses Thema auf einem guten Weg ist. Gleichzeitig gibt es eine ganze Reihe von „Charmeoffensiven“ der Wissenschaft, welche die breitere Bevölkerung und dabei auch und besonders junge Leute früh „für das System“ gewinnen möchten.

Dabei sind viele Menschen, die (noch) Tierversuche durchführen müssen, meinem Eindruck nach vielfach nicht so dogmatisch. So haben mir die Rückmeldungen zu besagtem Workshop Recht gegeben oder zumindest Grund zur Hoffnung. Insbesondere der offene und respektvolle Umgang miteinander und das hohe Niveau der Diskussionen wurden gelobt. Es ist schlicht nicht richtig, dass die Kritik an Tierversuchen primär von emotional verblendeten, wissenschaftsfeindlichen Neo-Luddit*innen und Geistheiler*innen kommen würde. Vielfach werden in der Forschung auch tierfreie Studien mit „tierverbrauchenden“ kombiniert.

Es war allerdings, gelinde gesagt, ein völlig unterfinanzierter und an jeglichen anderen Ressourcen ziemlich zehrender Kraftakt, mit dem dieser Workshop überhaupt realisiert werden konnte. Dass sich nun aber just diejenige Seite in der Tierversuchsdebatte, die außer durchgearbeiteten Wochenenden und idealistischer Fleißarbeit nichts von solch einem Engagement hat, für das normativ Geforderte einsetzt, sollte nicht nur die breitere Bevölkerung, sondern gerade auch die Institutionen nachdenklich machen.

Von Scham und Trauer möchte ich an dieser Stelle nicht wieder sprechen. Aber in einem derart politisierten System wie dem in diesem Fall erfahrenen muss man sich, so denke ich, ethisch nicht viel vormachen. Es gehört kein Politikstudium dazu zu erkennen, dass es auch eine politische Frage ist, welche Veranstaltungen mit welchen Inhalten für wen zugänglich gemacht werden. Hier besteht grundsätzlich die Gefahr, dass nur gehört wird, was gehört werden soll. In Anbetracht des Pluralismus in der Ethik und ihrer Schwierigkeiten, sich als Wissenschaft zu behaupten, mag es bisweilen zu reizvoll sein, eben nur diejenigen Ethiker*innen dazuzubitten, die das jeweilige System gerade noch verkraften kann. Diese Auswahl hat nicht zuletzt mit gefühlten Eindrücken und Berührungsängsten zu tun. So habe ich etwa bei jemandem promoviert, der sich auf der besagten Podiumsdiskussion zu den Kommissionen am MKE vor vielen Jahren klar für Grundrechte für Tiere ausgesprochen hat, der aber gleichzeitig und immer wieder gerne von Rationalität und von Wahrscheinlichkeiten spricht. Wenn er mir nun eine Anfrage für einen Beitrag zu der Frage weiterleitet, wie die „ethische Vertretbarkeit“, die in den Anträgen begründet werden muss, „operationalisiert“ werden kann, und zwar „befriedigender als bislang“, und wenn er die Person, die nach solchen Verbesserungsmöglichkeiten sucht, an mich weiterempfiehlt, dann freue ich mich. Ich wundere mich aber nicht mehr, wenn diese Person, die sich auch „im System“ befindet, sich bei mir dann doch nicht meldet – nicht einmal, um herauszufinden, ob meine „systemkritischen“ Vorstellungen und Erfahrungen dazu, wie ethische Urteile in einem solchen Prozess gebildet werden, geschweige denn, wie sie sich bewähren können, so vernachlässigbar sind, wie diese Person aus welchen Gründen auch immer meint.

Sagte ich, ein solches Engagement sei geprägt von durchgearbeiteten Wochenenden und idealistischer Fleißarbeit? Ich vergaß zu erwähnen: den potenziellen Reputationsverlust. Dabei ist meine individuelle Reputation im Kontext des großen Ganzen gewiss nicht zentral. Aber es gibt die Geschichten der Abwertung von engagierten, selbstlosen Kolleg*innen, die das mit den Tieren, mit der Wissenschaft und mit dem gesetzlichen Auftrag der Überwachung und, ja, auch der Abschaffung von Tierversuchen ernst nehmen. Es gibt aber auch die Geschichten von denen, die Biologie oder (Tier-)Medizin studieren wollten, ohne Tierversuche durchführen zu müssen, und die dann das Fach gewechselt oder eben die Sensibilität verloren haben. Und manche Karrieren gehen aufgrund mangelnder Finanzierung irgendwann eben nicht weiter … Dass es all diese Geschichten auch gibt, ahnen Sie sicher selbst, und das ist hier nicht mein Thema.

Was ich hier aber offen anprangere, was mich philosophisch umtreibt, ärgert und betrübt, ist eine pseudo-pragmatische Ethik der Bequemlichkeit. Wenn man institutionell (und das ist immer auch politisch) nur gerade so viel moralischen Zweifel, so viel Kritik zulässt, dass das existierende System gerade nicht wirklich ins Nachdenken, in Bewegung versetzt wird, dann können sich andere so sehr hineingedacht haben, wie sie mögen – bewirkt wird dadurch nichts oder nur sehr wenig. Das aber ist Pragmatismus im schlechten Sinne, vielleicht mit Methode, aber ohne das Spektrum an Perspektiven, die notwendig sind, um zu guten, weil nachhaltigen und intelligenten Lösungen zu kommen. Diese Perspektiven aber werden auch durch Emotionen eröffnet, das hoffe ich, nahegelegt zu haben und zeigen zu können. Vor allem aber werden mit einer solchen Bequemlichkeit Probleme tangiert, die tiefer liegen als die einer irgendwie „angewandten“ Ethik. So zum Beispiel auch das Problem, was es heißt, im Umgang mit Tieren wirklich Mensch und menschlich zu sein – und was sich gemeinschaftlich dafür tun lässt.

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