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3.1Wider die selbst verschuldete Entmündigung verkappter Darwinist*innen!

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Viele Menschen empfinden es als eine Herabsetzung, wenn Menschen und Tiere auf einer Stufe und in ein und demselben Vokabular verhandelt werden. Die Aussage, dass Menschen „wie Tiere“ behandelt würden, ist meistens ein Ausdruck der Empörung darüber, dass Menschen den gleichen oder ähnlichen Handlungen unterworfen werden wie Tiere, und kein Ausdruck etwa der Wertschätzung einer „artgerechten Haltung“. Ähnlich wird auf die Redeweise von „Menschen und anderen Tieren“ reagiert, die manchen beispielsweise zu suggerieren scheint, dass Menschen „auch nur Tiere“ seien, wobei die Betonung auf „nur“ liegt. In solchen Reaktionen wirkt ein kulturgeschichtlicher Dualismus nach, der nicht nur klar zwischen Menschen und Tieren differenziert, sondern auch mit „dem Tier“ und „dem Tierischen“ alles Weitere abwertet, das irgendwie „naturnah“ begriffen wird.15 Unter diesen diffusen Begriff von Natur können Frauen ebenso fallen wie die eigenen Körperfunktionen. Diese Abwertung des „Tierischen“ geht einher mit einer Aufwertung des Menschen bzw. dessen, was von ihm übrig ist, und findet sich auch in der philosophischen Tradition in Gegenüberstellungen wieder, die mal mehr, mal weniger akzeptierte Teile welterschließender Mythen im Sinne Midgleys geworden sind. Dann wird geredet von „Moral“ einerseits und „Instinkt“ andererseits, von „Geist“ hier und „Materie“ dort, von „Vernunft“ gegenüber dem „Triebhaften“ und von der „Seele“ gegenüber dem „Körper“ usw. Das, was Menschen an sich selbst auszeichnen wollen, steht dann immer im Gegensatz zu der anderen Seite, und obschon der Mensch unter aufgeklärten Menschen natürlich auch Tier ist, biologisch, beeilt man sich hinzuzufügen, dass er aber nicht richtig oder jedenfalls nicht nur Tier ist.

Zu der Belastbarkeit dieser – vergleichsweise durchsichtigen – Mythenbildung und ihrer Wirkmacht in der Produktion exkludierender moralischer und politischer Ordnungen komme ich in Kapitel 5. Ich habe diesen philosophischkulturellen Hintergrund hier erwähnt, um im Folgenden einer Sorge zu begegnen, die sich auf die Redeweise von „Menschen und anderen Tieren“ bezieht. Sie findet sich zum Beispiel bei Kritiker*innen dieser Redeweise wie Peter Janich oder Cora Diamond.

Diesen Kritiker*innen geht es selbstverständlich nicht darum, hinter Darwin und die Erkenntnisse biologischer Verwandtschaft zwischen Menschen und Tieren zurückzufallen. Sie fürchten allerdings eine Art Brutalisierung der normativen Sicht auf den Menschen, bei der moralische Errungenschaften, die Menschen in einen Abstand zu sich selbst als „bloßen“ Naturwesen brächten, gefährdet würden. Der Begriff der „Würde“ ist hierbei zentral, aber auch derjenige der „Verantwortung“ (Janich). Oder es wird schlicht behauptet, dass mit dem Begriff „Mensch“ eine normative Praxis verbunden sei (Diamond). Diese humanistischen Impulse verstehen sich im Gegensatz zu naturalistischen Ansätzen, und so werde ich im Folgenden von humanistischen Kritiker*innen sprechen, auch wenn sich Janich und Diamond in ihren philosophischen Traditionen voneinander unterscheiden.

Humanistische Kritiker*innen der naturalisierenden Redeweise von Menschen und anderen Tieren wehren sich gegen die Einordnung des Menschen mit seinen kulturellen Praktiken in die Sphäre der Natur. Sie wollen entweder das Erbe der Aufklärung (Janich) oder einen spezifisch praktisch gewachsenen Begriff vom Menschen (Diamond) verteidigen. Kultur soll sich dadurch auszeichnen, dass sie gegen die Widrigkeiten des bloßen Lebens Sinnzusammenhänge artikuliert und durchsetzt, auch und gerade im vom Umgang zwischen Menschen unterschiedenen Umgang mit Tieren. Hier wird eine klare Abgrenzung von Menschen und anderen Tieren vorgenommen und zur Begründung auf kulturelle Praxis verwiesen. Zwei Beispiele machen dies deutlich. So erläutert etwa Janich: „Bei einer Expedition erlaubt der Gnadenschuß für ein verletztes Transporttier nicht den Gnadenschuß für den verletzten Sherpa. Die Weihe des Friedhofs wird nicht auf die neuerdings entstehenden Haustierfriedhöfe übertragen. Und wenn bei einem Katastropheneinsatz Leben in Gefahr sind, wird die Feuerwehr immer zuerst die Menschen und erst dann die Tiere retten.“16

Und Diamond schreibt, nachdem sie kurz zuvor erklärt hat, dass es angemessen sei, ein zwei Tage altes Kind zu beerdigen, nicht aber einen Welpen:

Alle diese Dinge wirken an der Bestimmung des Begriffs „Mensch“ mit. Ähnlich im Falle der Pflichten gegenüber anderen Menschen. Das ist keine Konsequenz daraus, was Menschen sind, es ist nicht gerechtfertigt durch das, was Menschen sind: Es ist selbst eines der Dinge, die unsere Vorstellung von Menschen konstituieren. Und so – genau so – auch die Vorstellung vom Unterschied zwischen Menschen und Tieren. Was ein Mensch ist, lernen wir unter anderem, indem wir an einem Tisch sitzen, an dem WIR SIE essen. Wir sitzen um den Tisch herum, sie liegen darauf.17

Mich interessieren hier nicht die inhaltlichen Stellungnahmen dazu, ob man Transporttiere nun erschießen, Haustiere beerdigen oder irgendein weiteres Tier aus einem brennenden Haus oder dem Schlachthof retten sollte oder nicht. Auch nicht diejenigen dazu, ob man gegenüber Menschen Gnadenakte vollziehen darf, und noch weniger dazu, ob das Gebot, dass Menschen andere Menschen nicht essen dürfen, Bestand haben sollte – obwohl fraglich ist, ob es so sehr viel aussagt, wenn man all das berücksichtigt, was Menschen einander sonst noch antun.

Wichtig ist, dass die humanistischen Kritiker*innen ihr normatives (!) Verständnis vom Menschen aus einer kulturellen Praxis gewinnen, die sicher viele Menschen teilen. Kulturelle Praxis ist aber beständig im Wandel. Dass der hier zugrunde gelegte normative Konsens nicht zweifellos und verbindlich gilt, wird schlicht dadurch nahegelegt, dass es Menschen gibt, die die Dinge anders handhaben. Dass „Gnadenschüsse“ umstritten sind, dass Gnadenakte in Situationen extremen Leidens von Menschen nicht mehr indiskutabel sind, dass sich Disziplinen wie etwa die Zootheologie ausbilden, dass das Internet voll ist mit spektakulären Rettungsaktionen zugunsten einzelner Tiere und ganzer Tiergruppen – auch in Situationen, in denen Menschen zugleich gefährdet sind – und dass Menschen es nicht mehr normal finden, Stücke von toten Tieren auf dem Tisch zu haben, sofern sie das entsprechende „Lebensmittel“ denn als ein solches erkannt haben. Wer seine Normativität aus der Praxis gewinnt, darf diese Pluralität nicht unterschlagen.

Mit der humanistischen Emphase für das Kulturwesen Mensch wird das Anliegen, das in der Redeweise vom Menschen und anderen Tieren zum Ausdruck kommt, zu Unrecht und für mein Empfinden zu aufgeregt vom Tisch genommen. Es geht nicht um ein Nullsummenspiel, wenn menschliche und tierliche Schicksale gemeinsam verhandelt werden müssen. Midgley weist darauf hin, dass in diesen Fällen die bei Philosoph*innen so beliebten Rettungsboot-Dilemmata so gut wie nie die Problematik der Praxis hilfreich rekonstruieren.18 Wann stand denn das letzte Mal eine Feuerwehrfrau vor einem brennenden Haus mit einem Hund und einer alten Frau darin, die beide gleichermaßen ihre Hilfe brauchten? Und wie passt diese Situation als Blaupause zu alltäglichen Situationen, in denen „normale“ Menschen Tieren gegenüber direkt oder indirekt handeln müssen? Außerdem wird mit dem Plädoyer für mehr Kulturmenschlichkeit vor dem Hintergrund einer „unkultivierten Natur“ das Gespräch darüber, ob das, was sich als kulturelle Praxis herauskristallisiert hat, noch weiterhin Zustimmung finden sollte, nicht bereichert. Genau über solch vermeintlich kultivierten Selbstverständlichkeiten möchten jene Kritiker*innen ja diskutieren, die sich auch insofern von dem, was so üblich ist, distanzieren, als sie sich mit Tieren auf eine Ebene begeben – selbst, wenn sie damit, auch sprachlich, irritieren. (Mit der Funktion von Sprache in diesem Kontext beschäftige ich mich in Kapitel 9.)

Hier möchte ich Folgendes festhalten: Wenn gesagt wird, dass „Tiernutzung“ per se, „bei kompetenter Behandlung der Tiere, nichts Anrüchiges“19 habe, oder wenn behauptet wird, dass erst aus einer wie auch immer kontingenterweise wichtigen menschlichen Perspektive die Ressourcen gewonnen werden könnten, um Tieren als anderen, aber nicht gleichwertigen Mitgeschöpfen zu begegnen, dann wirkt eben jene kulturgeschichtlich tradierte Abwertung von Tieren weiter, die diese Denker*innen vielleicht theoretisch angreifen wollten – jedenfalls bei Diamond ist das wohl so –, aber praktisch akzeptieren. Das aber heißt letztlich, einer Praxis, welche die Theoriebildung auch über Tiere beeinflussen soll, nur in denjenigen Ausschnitten, die einem passen, zu viel zuzugestehen und die vielen Zweifel zu ignorieren, die in ganz unterschiedlichen Sprechweisen und Ausdrucksformen geäußert werden. Zu dieser „Methode der Beharrlichkeit“ und ihrer emotionalen Dimension werde ich in Kapitel 6 aus pragmatischer Sicht noch mehr sagen.

An dieser Stelle will ich auf ein Problem derer hinweisen, die sich gegen die mehrdeutige Rede von Menschen und anderen Tieren, die immer auch die menschliche Tierlichkeit betonen will, wehren, gewissermaßen als Ausdruck einer selbst verschuldeten Entmündigung verkappter Darwinist*innen: Dass das, was in einer Kultur oder Praxis für gut befunden wird, auch für gut gehalten wird, entspricht einer Spielart des naturalistischen Fehlschlusses, der zumindest dann als Vorwurf akzeptiert werden muss, wenn man sich nicht dazu bekennt, warum diese Kultur oder Praxis gut und auch besser als ihre Alternativen ist. So kann nicht nur ein humanistischer Konservatismus angesichts der immensen Pluralität und eklatanten Widersprüchlichkeit von Kulturen und Deutungen dessen, was wann und wo als „human“ empfunden wird, zu interkulturellen und historischen Peinlichkeiten führen. Vor allem wird damit auch zu schnell über die eigenen, kulturell tradierten, aber keinesfalls akzeptierten Widersprüche hinweggegangen. Dass man „bei uns“ Tiere eben nicht nur isst, sondern sie auch systematisch ausbeutet, in ihren Bedürfnissen frustriert und mit einer Erbarmungslosigkeit zerstört, die nur brutal genannt werden kann, „ist dann wohl so“ – und nicht etwa Grund dafür, dass seit Beginn der krassesten Formen dieser Ausbeutung dezidiert antikulturalistische und eben universalistische Kritik geübt wird, zum Teil auch sehr erfolgreich. An diesem Projekt universalistischer Kritik kann man einiges aussetzen.20 Und ein pragmatischer Fokus, wie ich ihn für sinnvoll erachte, vermag die Defizite auszugleichen, die ein universalistischer Fokus auf Individuen, monistische Konzeptionen moralischer Berücksichtigung und theoretische Abstraktionen verursacht. Aber gerade kulturalistisch argumentierende und dabei doch kulturblinde Humanist*innen bereiten mit ihrer reflexiven Eingeschränktheit auch denjenigen den Boden, die sich auf einen kultivierten Brutalismus oder Quietismus herausreden möchten. Damit komme ich zum nächsten Punkt.

Menschen und andere Tiere

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