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Kapitel 9

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Auch am Tag der Hochzeit war es wieder drückend heiß, so richtig »tüppig«, wie man hierzulande sagt. Alle hätten sich über ein erfrischendes Sommergewitter gefreut, außer Linus, der bis zum Schluss keine gute Strategie gefunden hatte, im Fall eines Wolkenbruchs den Apéro schnell genug in die Innenräume zu verlegen.

Was seine Rolle als Tätschmeister anging, machte er allerdings keine halben Sachen. Jeder Programmpunkt war perfekt durchorganisiert: die Gäste vom Apéro in den Speisesaal dirigieren und platzieren, für Aufmerksamkeit sorgen, wenn eine Produktion anstand, mit der Küche die einzelnen Gänge koordinieren – als hätte er in seinem Leben nie etwas anderes gemacht. So minutiös alles auch durchdacht war, so wenig duldete er es, wenn sich jemand nicht an sein Skript halten wollte. Beispielsweise wenn jemand kurz stehen blieb, obwohl er weitersollte, oder gar eine Rede oder eine kleine musikalische Produktion anbringen wollte, die nicht angemeldet war. Für Ermahnungen, er solle das Ganze nicht so ernst nehmen, hatte Linus kein Gehör. Solche Dinge ließe er sich nur von Meret sagen, die aber so von ihrer Rolle als Braut absorbiert war, dass sie von den kleinen Zänkereien am Rande nichts mitbekam.

Die meisten Gäste waren Freunde von Meret und Jan, sportliche junge Männer in Maßanzügen und sportliche junge Frauen in eleganter Abendgarderobe. Man hätte meinen können, versehentlich ins Zürcher Filmfestival geraten zu sein.

Nicht nur deswegen wurde Felber den ganzen Tag über das Gefühl nicht los, in einem Film mitzuspielen, wo er allerdings nur eine Statistenrolle hatte, ohne die Handlung richtig zu begreifen. Im Stadthaus auf dem Zivilstandsamt war es noch gegangen, aber jetzt gegen Abend im Belvoirpark fühlte er sich immer unwohler. Sara nahm ihn hoch und meinte, es sei die Hochzeit seiner Tochter, nicht seine Hinrichtung. Er führte die obligaten Gespräche, stieß brav an und versuchte sich nicht aufzuregen, als ihn Jans Mutter auf sein Burn-out ansprach. Stattdessen erklärte er ihr ruhig, es sei kein Burn-out, die Suspendierung habe mit der Untersuchung von Deborahs Tod zu tun. Im gleichen Moment bereute er schon, das Thema an diesem Tag und ihr gegenüber erwähnt zu haben.

Auch dass ihn Merets Patentante und ihr Mann kritisch musterten und zwischendurch bemerkten, sie hätten gar nicht gewusst, dass er wieder zu rauchen angefangen habe, ließ er ohne Kommentar. Er war froh, Sara an seiner Seite zu haben, die ihm mit ihrer lockeren Art durch den Tag half, ihn wegzog, wenn sie merkte, dass ihm etwas unangenehm war, ihn in unverfängliche Gespräche verwickelte oder ihm zulachte, wenn er, etwa angesichts des Drehorgel-Auftritts von Jans Vater, mehr oder weniger unauffällig die Augen verdrehte oder sich bei peinlichen Spielen ein Kopfschütteln nicht verkneifen konnte.

Meret sah hinreißend aus, aber inmitten der Schar ihrer Freunde und Brautjungfern wirkte sie weit weg, unnahbar. Natürlich kam sie immer wieder zu ihrem Vater, hängte sich bei ihm ein, stellte ihn diesen und jenen Freunden vor. Und doch fühlte er sich völlig fehl am Platz, innerlich leer. Für Meret und Jan schien es tatsächlich der schönste Tag im Leben zu sein, wie man so sagte, zumindest strahlten sie das aus. Felber dachte an seine eigene Hochzeit zurück, damals im Restaurant Grünwald oberhalb von Höngg.

Da kam ihm die erste Trauerfeier für Deborah in den Sinn, im November, nachdem sie aufgrund des zugestellten Fingers die Gewissheit erhalten hatten, dass sie tot war. Aus unerfindlichen Gründen hatte er diese idiotische Feier ebenfalls im Grünwald abhalten wollen. Deborahs Vater war durchgedreht und hatte am Schluss einen Herzinfarkt erlitten. Er hatte ihn überlebt, aber heute waren er und seine Frau nicht da. Sie hatten gesundheitliche Gründe vorgeschoben und sich, so hatte Meret erzählt, mit einem überaus großzügigen Geschenk freigekauft.

Beim Nachtessen saßen Brautpaar, Brautführer und Eltern an einem Tisch, was ein bisschen mehr Nähe schaffte. Auch Linus fand kurz Zeit, etwas zu essen, bevor er wieder davonsprang. Zwischendurch stellten sich die Raucher auf den Balkon, von dem aus man auf den Zürichsee und die Lichter des gegenüberliegenden Ufers blicken konnte. Felber unterhielt sich eine Weile mit jungen Leuten, die sich, das Weinglas in der einen Hand, eine Zigarette in der anderen, auch für einen Augenblick aus der hitzigen Versammlung geschlichen hatten.

Mit Trinken hielt sich Felber zurück. Er wusste: Wenn er sein Unwohlsein mit Alkohol zu kompensieren versuchte, würde es übel enden. Überhaupt war er Biertrinker, Wein bekam ihm schlecht. Vom Rotwein schnarchte er, Weißwein hielt ihn wach, und von den Schnäpsen, die irgendwann auch angeboten wurden, wäre er bald sturzbesoffen gewesen. Na ja, schlafen würde er vermutlich diese Nacht ohnehin nicht können und noch lange auf der Terrasse am Hadlaubsteig sitzen, unter den schwarzen Baumkronen, die sanft im Wind schaukelten.

Linus hatte nach dem Nachtisch seinen Auftritt. Er hatte aus unzähligen Fotos aus Merets Kindheit eine Trickfilm-Collage gebastelt, die für viel Gelächter und langen Applaus sorgte. Felber wusste, dass er für das Werk von wenigen Minuten seit Wochen fast jeden Abend ein, zwei Stunden in seinem Zimmer gearbeitet hatte. Das Resultat war ziemlich skurril, sehr eigenwillig, ganz Linus – und damit ein wunderbar individueller Farbtupfer auf das Fest, das durch gutes Essen und gute Organisation, aber bestimmt nicht durch Originalität und Kreativität glänzte. Linus’ Collage war wunderbar lustig und wunderbar traurig. Sara, die bemerkte, wie Felber sich krampfhaft auf die Lippen biss, stupste ihn an, gab ihm einen Kuss und drückte einen Moment ihren Kopf an seine Schulter.

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