Читать книгу Tag der Nacht - Marcel Fenske-Pogrzeba - Страница 12

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Als Maras Mutter nach Hause kam fand sie ein verängstigtes kleines Mäuschen zusammengekauert auf dem Sessel. Der Rucksack stand noch immer ungeleert auf dem Boden daneben und hatte inzwischen eine große Pfütze gebildet. Viola umarmte ihre Tochter mit sorgenvollem Blick.

»Was ist passiert, Prinzessin?«

»Bin ins Wasser gefallen. Nichts weiter«, sagte Mara kurz angebunden.

Viola war von dieser Antwort ganz und gar nicht überzeugt, doch sie hielt es für das Beste, Mara etwas Zeit zu geben. So räumte sie die Sachen zusammen, trocknete das Wohnzimmer und machte ihnen beiden Abendessen, ohne weitere Fragen zu stellen oder Erklärungen zu bekommen. Mara war froh darüber. Vielleicht hatte ihre Mutter auch einfach ein schlechtes Gewissen, weil sie sie ohne ihre Zustimmung nach Schweden gebracht hatte. Um sich von dem Mann mit Zylinder etwas abzulenken begann Mara irgendwann beim Kochen zu helfen. Es gab Kartoffelauflauf mit Schinken, doch Mara aß mit nur wenig Appetit. Irgendwann gegen acht klingelte es an der Haustür und der Nachbar stand vor der Tür. Er wechselte ein paar Worte auf Schwedisch mit Maras Mutter und kam dann herein.

»Everything alright?«, fragte er Mara, die zaghaft nickte.

Ihr war klar, dass der Nachbar hier war, um ihrer Mutter haarklein von dem Vorfall zu erzählen und das gefiel ihr überhaupt nicht. Die beiden Erwachsenen setzten sich ins Wohnzimmer und unterhielten sich auf Schwedisch, wobei sie immer wieder Blicke auf Mara warfen, die noch dabei war ihren Teller zu leeren. Es dauerte nur ein paar Sätze, bis ihr die Lust am Essen vollkommen vergangen war. Lautstark verschwand sie so schnell sie konnte auf ihr Zimmer. Nicht lange danach hörte sie Abschiedsworte an der Tür und Viola, die die Treppe hinaufkam und anklopfte.

»Nein«, murmelte Mara und drückte ihren Plüschhasen fester an sich.

Ihre Mutter trat trotzdem ein, blieb aber auf der Türschwelle stehen, als wollte sie ihr die Fluchtmöglichkeit nehmen.

»Wieso wolltest du nichts von heute Nachmittag erzählen?«

Mara stand auf und begann ihre Kisten auszuräumen.

»Es war ja nichts.«

»Es war ja nichts? Du standst mit einem Messer in Panik vor der Tür unseres Nachbarn und erzählst etwas von einem Mann, der auf unserem Grundstück steht. Das hört sich für mich nach etwas mehr als Nichts an. Was ist passiert?«

»Na was du schon gesagt hast«, gab Mara zurück und verstaute ihr Sommerkleidchen weit hinten im Schrank.

»Hör auf damit. Wenn hier ein Mann umherläuft und meine Tochter verfolgt, dann will ich das wissen und nicht, dass du mir so etwas verschweigst. Weißt du, was für Sorgen ich mir mache?«

»Ich bin kein Kind mehr.«

»Und ob du eins bist. Ich hätte dich gar nicht allein lassen sollen.«

»Du hättest mich nicht hierher holen sollen«, wurde Mara laut.

»Das reicht jetzt!«

Wütend schnaubend brüllte ihre Mutter in derselben Tonlage.

»Wenn du mir nicht sofort erzählst, was heute vorgefallen ist, dann gibt es die ganzen Ferien Hausarrest!«

»Na und!«

Viola hielt es nicht mehr aus und knallte die Tür zu. Auf der Treppe konnte Mara sie fluchen und poltern hören. Sie selbst brach in Tränen aus und warf sich aufs Bett, obwohl sie gar nicht genau wusste, warum. Immerhin glaubte ihr ihre Mutter und machte sich offensichtlich genauso viele Sorgen über den Mann mit Zylinder. Aber Mara fand, dass Viola ihr Vertrauen verspielt hatte. Sie würde sich allein darum kümmern.


Der nächste Morgen verlief ohne viele Worte. Ihre Mutter hatte Frühstück gemacht und sich bereits fein angezogen, wahrscheinlich um zu Vorstellungsgesprächen zu fahren. Mara ging davon aus wieder einen Tag für sich zu haben und dem Geheimnis des Mannes mit Zylinder auf den Grund gehen zu können. Doch als ihre Mutter gehen wollte klingelte es an der Tür und ihr Nachbar stand davor. Er begrüßte Viola fröhlich und dann Mara, die ihn fragend anblickte.

»So Mara, ich muss los. Henning hat sich bereit erklärt heute auf dich aufzupassen, bis du dich von deinem Schreck erholt hast.«

»Was?«, Mara fuhr auf.

»Das ist doch nicht dein Ernst.«

»Ich wünsche euch beiden viel Spaß«, flötete ihre Mutter und schloss die Tür.

Damit war Mara allein mit ihrem Aufpasser. Ihr Nachbar sah aus wie ein Bilderbuchschwede. Strahlend blondes Haar und leuchtend blaue Augen, dazu leicht gebräunte Haut. Er trug ein kariertes Hemd in rotgrün und eine schwarze Jeans dazu. Sein rechter Arm hing wie am Vortag in einer Schlinge. Henning lächelte sie an und begann sich einen Tee zu kochen. Das Mädchen verdrehte die Augen und wollte auf ihr Zimmer gehen.

»Willst du Karten spielen?«, fragte Henning ihr hinterher.

Verwundert blieb sie stehen.

»Sie sprechen Deutsch?«

Die Sie-Form erschien Mara angebracht, auch wenn sie eine instinktive Abneigung dagegen hegte. Aber sie wollte nicht gleich zu unhöflich sein. Henning führte Daumen und Zeigefinger sehr nah zusammen.

»Ein wenig.«

Mara war immer noch nicht davon angetan, Zeit mit ihm zu verbringen, allerdings interessierte sie schon, weshalb ein Schwede Deutsch lernen sollte. Also setzte sie sich wieder und schenkte sich Kaffee nach.

»Wie lange sprechen Sie schon Deutsch?«

»Zwei Jahre.«

»Können Sie noch andere Sprachen?«

»Englisch.«

»Ach so… ja klar. Sonst hätten sie mich ja gestern nicht verstehen können.«

»That's right.«

»Moment mal, dann hätte ich mir gestern ja gar nicht die Mühe machen müssen Englisch zu sprechen. Warum haben sie nichts gesagt?«

»I thought it would be faster that way. You looked quiet scared.«

Das war Mara unangenehm und sie versuchte das Thema zu wechseln.

»Wieso haben sie denn Deutsch gelernt?«, fragte Mara neugierig.

Henning schenkte sich das heiße Wasser in die Tasse und setzte sich zu ihr. Der Geruch von Earl Grey breitete sich im Esszimmer aus.

»Ähm… wegen der Arbeit… Touristen.«

»Sie arbeiten in einem Reisebüro?«

Er lachte auf und schüttelte den Kopf.

»Nej, nej. Polizei.«

Mara riss die Augen auf.

»Sie sind Polizist?«

Er nickte und wies lächelnd auf seinen Arm.

»Ich mache Urlaub. Du kannst gerne du sagen.«

»Mmmh… Hast du die Verletzung von einer Schießerei?«

Er schüttelte den Kopf, »Ein Messer. The boy didn't want to let it go, so I had to make him do it. Nichts besonderes, wirklich.«

»Wie cool.«, Mara versuchte sich ihre Begeisterung nicht anmerken zu lassen.

Es verging einige Zeit, in der Henning Mara von seiner Arbeit als Polizist erzählte. Eigentlich war er nicht nur einfacher Streifenpolizist, sondern leitender Kommissar für das Gebiet Orust. Das bedeutete, dass er für so gut wie alles, was auf der Insel vorging zuständig war. Außerdem hatte er bei größeren Einsätzen so gut wie immer die Leitung, da er in diesem Gebiet die höchste aktive Position bekleidete. Über ihm standen nur noch die Bürohengste, wie er sie nannte. Momentan übernahm die Aufgabe sein Kollege, aber Henning hatte vor nicht mehr lange zu Hause zu hocken.

Beeindruckt ließ sich Mara seine aufregendsten Fälle berichten, wie er eine Gruppe von Fälschern dingfest gemacht hatte und eine Bande von Taschendieben fasste. Sie bemerkte gar nicht, wie die Mittagszeit nahte, bis Henning auf die Uhr sah.

Da nichts im Haus war, was ihn zufrieden stellte, schlug er vor Mara zum Essen im Ort einzuladen. Eigentlich war sie nicht davon begeistert ein mit Krabben und Soße gefülltes Brötchen zu essen, doch da Henning Stein und Bein auf den überragenden Geschmack schwor ließ sie sich überreden. So machten sie sich auf den Weg.

Sie kamen am Hafen vorbei, der Mara vom Vortag noch gut in Erinnerung war. Die Männer fanden sich allerdings nicht an, denn ihr Boot war fertig gestrichen. Sie folgten der Straße hinauf, an ein paar weißen Häusern vorbei und erreichten etwas, das Henning das Geschäftszentrum nannte. Mara betrachtete es mit äußerst skeptischem Blick. Es gab einen Fahrradladen, einen Discounter namens Hemköp, eine Bank, einen Kleidungsladen, dessen Stil ihr bei Weitem nicht zusagte, ein Bistro, ein Café und eine winzige Buchhandlung. Damit waren so gut wie alle Geschäfte aufgezählt und Mara hielt verzweifelt Ausblick nach weiteren. Neben dem Café befand sich das kleine Bistro, welches allerlei Fischsorten verkaufte. Der markante Geruch stieg ihr sofort in die Nase und sie blieb am Eingang stehen. Henning zog sie jedoch hinein und ließ keine Widerworte zu. Hinter dem Tresen stand eine hübsche, junge Schwedin mit weißblondem Haar und lächelte sie an.

»Hej, hej«, grüßte sie und beide grüßten zurück.

Das »Hallo« war wenigstens schnell und einfach zu lernen. Der Laden war schlicht eingerichtet und es gab Nichts, was Mara besonders interessierte. Hinter dem Glas blickten jede Menge tote Fischaugen zu Mara auf, als würden sie sie persönlich für ihr Schicksal verantwortlich machen. Das junge Mädchen wandte sich ab und sah nach draußen. Dort stand der Mann mit dem Zylinder und winkte ihr zu. Mara zerrte an Hennings Arm.

»Da ist er«, sagte sie und wies auf den Regenmantel.

Henning drehte sich um und sah hinaus, »Wo?«, fragte er angespannt.

Der Zylinderträger war verschwunden. Mara hatte eine Sekunde nicht aufgepasst und schon war er weg. Was ist das für ein Kerl?

»Er war genau dort drüben«, sagte sie mit heiserer Stimme.

Henning bestellte zwei Krabbenbrötchen und eine Cola und setzte sich mit ihr an einen Tisch am Fenster. Der Kommissar setzte eine ernste Miene auf und betrachtete Mara eine Weile. Dann fragte er, »Der Kerl ist echt, ja?«

»Was soll das heißen? Ich denke mir das nicht aus«, pflaumte Mara zurück.

»Dann ist gut. Ich kümmere mich darum. Jetzt essen wir erst einmal.«

Damit schien für ihn die Sache vorerst aus der Welt geschafft und er biss in sein Brötchen. Mara warf noch einmal einen Blick hinaus und versuchte sich dann auf das Krabbenbrot zu konzentrieren. Vorsichtig biss sie hinein, um nicht zu viel auf einmal im Mund zu haben. Allerdings musste sie zugeben, dass ihr die Krabben gar nicht schlecht schmeckten und mit der Cola zusammen ergaben sie ein recht akzeptables Mittagessen.

Henning gab ihr noch eine kleine Rundtour durch Svanesund, stellte Mara einigen Leuten vor, die alle freundlich grüßten und zeigte ihr eine alte Grabstelle im Wald. Auf der Lichtung türmte sich verwittertes Gestein zu seltsamen Formationen. Die Felsengräber waren selbst bei Tageslicht unheimlich. Mara konnte die Blicke der Toten regelrecht spüren und wollte so schnell wie möglich weg.

Bis ihre Mutter wieder nach Hause kam vertrieben sich die beiden die Zeit mit Karten spielen, wobei Mara zugeben musste, dass Henning gar nicht so unpassabel war. Als Viola durch die Tür trat wollte sich Henning verabschieden, doch Maras Mutter ließ das nicht zu. Sie hatte Essen eingekauft und beschlossen, als Dank für seine Mühen zu kochen. Da er alleine wohnte, hätte er ihrer Meinung nach sowieso nichts weiter zu tun und könne ruhig noch zum Essen bleiben. Wie so viele Männer gab sich auch Henning Maras Mutter geschlagen und so aßen sie zu dritt. Es gab Kjöttbullar mit Kartoffeln, einer würzigen, hellen Soße und Preiselbeermarmelade. Mara stellte fest, dass Kjöttbullar eigentlich nichts weiter als kleine Hackbällchen waren, nur dass es niedlicher klang. Als der Kommissar dann gegangen war fragte ihre Mutter, wie der Tag mit Henning gewesen sei.

»Joa. Er ist ganz nett. Wusstest du, dass er Polizist ist?«

»Ach echt?«

Und so ließ sich Maras Mutter die Geschichten über Henning von ihrer Tochter erzählen, obwohl sie sie schon längst aus erster Hand kannte.

Tag der Nacht

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