Читать книгу Tag der Nacht - Marcel Fenske-Pogrzeba - Страница 20

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Das Gerät gab ein dahinsiechendes, blechernes Gurgeln von sich, während Dampf an zwei kleinen Röhrchen austrat und den Raum mit der Vorfreude auf Kaffee erfüllte. Die braune Brühe, die Osols Maschine produzierte, war nicht besser geworden, allerdings hatte Mara etwas gefunden, das man als Süßungsmittel missbrauchen konnte. Eine Dose voller kleiner, gelber Blätter. Es war zwar nicht das, was sie gewohnt war, aber in Anbetracht dessen, was ihr in nur wenigen Stunden bevor stand brauchte sie unbedingt Kaffee. Sie füllte sich den großen Krug bis zum Rand und setzte sich dem Troll gegenüber.

Er hatte sich den Schal fest umgewickelt, sodass nur noch die Spitzen seiner Lippen zum Vorschein kamen und den Zylinder auf den Tisch gelegt. Unter dem Hut versteckte er zwei lange Ohren, die jetzt seitlich abstanden. Eines davon hatte einen Riss in der Mitte. Osol seufzte und starrte betrübt auf die Linien des Tisches, während eine seiner Krallen sie nachzeichnete. Man hatte sie nach dem Urteil des hohen Rates wieder zurück in seine Wohnung gebracht, um ihnen Zeit zu geben sich auf die Prüfung vorzubereiten. Anders formuliert war Osols Wohnung das perfekte Gefängnis.

Da Mara allerdings keinerlei Ahnung hatte, worum es in dieser Prüfung ging, wusste sie auch nicht, worauf sie sich vorbereiten sollte. Betrübt saß sie ebenfalls am Tisch und dachte an ihre Mutter. Ob sie bereits ihren Vater angerufen hatte um ihm mitzuteilen, dass sie verschwunden war. Sie dachte daran, wie gemein sie zu ihrer Mutter gewesen war und wie leid ihr das jetzt tat. Sie musste irgendwie wieder nach Hause kommen. Irgendwie.

»Osol.«

Der Troll blickte auf. Sie konnte sehen, wie sie sich in seinen dunklen, pupillenlosen Augen spiegelte und wie viel Angst sie hatte.

»Ich will wieder nach Hause.«

»Es tut mir leid, kleine Lady. Ich weiß nicht, ob ihr das könnt.«

»Und wenn wir diese komische Prüfung bestehen?«

Er zuckte mit seinen übergroßen Schultern.

»Im Laufe der Jahrhunderte habe ich diese Prüfung schon unzählige Male absolviert. Ich habe es nie geschafft.«

Mara versuchte den Fakt zu ignorieren, dass er Jahrhunderte gesagt hatte.

»Aber du weißt, worum es in dieser Prüfung geht und was wir tun müssen.«

Osol nickte. Langsam schien er aufzuwachen, »Es ist die Nachstellung der Leitung einer verlorenen Seele. Sie werden uns irgendwo in die Menschenwelt schicken. Zu einer Seele, die in Panik ist. Und wir sollen sie ins Reich der Toten geleiten.«

»Die Menschenwelt? Aber dann bin ich doch bereits zu Hause. Ich mache mich einfach heimlich davon… und du… du kommst mit mir.«

Osol schüttelte den Kopf.

»Einerseits können sie uns jederzeit, überall finden. Und andererseits werden sie uns in einem begrenzten Gebiet einsperren. Es wird jede Menge Hexenrunen geben, die uns davon abhalten uns von der Seele zu entfernen.«

Sie schnipste mit den Fingern, »Es wäre wohl auch zu einfach gewesen.«

Ihr Blick wanderte durch das Zimmer, von dem fünf Türen abgingen. Eine führte in die Kammer, in der sie erwacht war, eine nach draußen und eine in den Keller. Von den anderen beiden wusste sie noch nicht, wohin sie führten. Allerdings hatte sie jetzt Wichtigeres zu tun, als eine Erkundungstour durch Osols Wohnung zu unternehmen.

»Und warum hast du es nie geschafft?«

»Ich bin nicht sehr gut im Umgang mit anderen, wie ihr vielleicht schon bemerkt habt. Bisher konnte ich die Seele nie beruhigen und sie… naja. Ihr werdet heute Abend ja sehen, was dann geschieht.«

Diese Aussage gefiel Mara ganz und gar nicht. Abgesehen davon, dass sie noch nicht begriff, dass sie hier über Geister, Seelen und das Reich der Toten mit einem Troll, der in einer Schlucht hauste, sprach. Sie nahm einen kräftigen Schluck von der Brühe, die nun zur Hälfte aus den gelben Blättern bestand und sagte sich, dass sie sich auf das Wesentliche konzentrieren musste, wenn sie zurück nach Hause wollte.

»Aber wenn ich versuche die Seele zu beruhigen, dann haben wir doch eine Chance.«

Wieder schüttelte der Troll den Kopf.

»Das Problem ist wohl, dass ihr nicht fähig seid Geister zu sehen.«

Jetzt wo sie darüber nachdachte, hatte sie ja tatsächlich noch nie Geister gesehen. Vor nicht einmal vierundzwanzig Stunden hatte sie nicht einmal daran gedacht, dass so etwas tatsächlich existieren könnte. Warum sollte sie jetzt plötzlich dazu fähig sein. Dabei fiel ihr ein, dass sie scheinbar die einzige gewesen war, die Osol hatte sehen können.

»Moment mal. Also fangen wir von vorne an. Wie funktioniert das überhaupt. Warum konnte ich dich sehen und die anderen nicht.«

»Wir verstecken uns schon sehr lange vor den Menschen. Seitdem ihr uns betrogen habt, haben die Hexen uns mit einem Zauber versehen, der uns vor euren Augen verbirgt. Es sei denn, wir entscheiden uns dazu uns zu offenbaren. Bei Seelen verhält es sich ein wenig anders. Nur wenige unter euch waren jemals fähig Seelen zu erblicken, es sei denn diese wollten sich euch zeigen. Doch das sich eine verlorene Seele dazu entscheidet sich einem Menschen zu offenbaren ist sehr selten.«

»Okay. Also… Seelen kann ich nicht sehen. Und dich eigentlich auch nicht. Also wolltest du, dass ich dich sehe.«

»Ich hatte gehofft, dass wir Freundschaft schließen können, doch diese Hoffnung ist wohl jetzt gestorben.«

Mara blickte Osol tief in die Augen und in diesem Moment fand sie den hässlichen Troll irgendwie sehr sympathisch.

»Wer weiß«, sagte sie und lächelte.

Sie konnte sehen, wie er unter seinem Schal ebenfalls lächelte.

»Aber wieso kann ich hier alle anderen sehen?«

»Es ist lange her, dass das letzte Mal Menschen nach Jotunheim kamen. Aber wie es scheint verhält es sich hier anders, als in Gaia. Wir brauchen uns euch nicht zu zeigen, damit ihr uns sehen könnt. Es scheint in der Natur der Welten zu liegen.«

Mara war nicht ganz sicher, ob sie eindeutig verstand, wovon der Troll sprach. Aber sie hatte nicht genug Zeit, um über alles genau nachzudenken.

»Was machen wir?«, fragte sie.

»Ich weiß es nicht. Der hohe Rat glaubt, dass ihr ein Mensch aus der Mitte seid und noch die Fähigkeit besitzt uns zu sehen, so wie die alten Menschen. Ihr habt diese Fähigkeit allerdings nicht.«

»Woher willst du das wissen?«, gab Mara pampig zurück.

»Ihr habt Heinrich, Gregor und Frederique die gesamte Zeit ignoriert, während ihr hier wart.«

»Wen?«

Er zeigte in die Runde. Mara sah sich um, doch sie waren allein. Sie nahm einen großen Schluck Kaffee und blickte ihm tief in die Augen.

»Ich sehe nichts.«

Er nickte und erhob sich. Langsam schlenderte er an ihr vorbei und blickte aus dem Fenster.

»Ich glaube, dann sind wir verloren.«

Enttäuscht legte er seine Klaue auf ihre Schulter und gab ein Geräusch von sich, das ein wenig nach einem Jammern klang. Ein Jammern aus einer Gegensprechanlage.

Im selben Augenblick, als seine Klaue ihre Schulter berührte, flackerte es vor Maras Augen und vor ihr saßen drei in grünen Nebel gehüllte Gestalten, die sie traurig anblickten. Mara schrie auf und fiel rücklings vom Stuhl, wobei sie den heißen Kaffee über sich verschüttete. Nochmals schrie sie auf und fluchte. Verwirrt blinzelte Osol sie an, was extrem gruselig wirkte, denn er schien zwei Lider zu besitzen, genau wie ein Hai.

»Da, da. Da sind Leute«, japste sie und richtete sich auf.

Ihr Pullover war völlig durchtränkt mit Kaffee, doch das war ihr im Moment reichlich egal.

»Ich habe Leute gesehen«, wiederholte sie und zeigte mit dem Finger genau an die Stellen, an die auch Osol kurz zuvor gewiesen hatte. Der Troll glotzte sie verwirrt an. Sie glotzte zurück und starrte auf seine Klaue.

»Gib mir deine Hand«, sagte sie und streckte die ihre aus.

Als ihre Fingerspitzen seine Krallen berührten konnte sie sie wieder sehen. Ganz klar und deutlich saßen drei in grünem Nebel gehüllte Gestalten am Tisch und blickten sie freundlich an. Ihre Gesichter schienen zwischen denen von Menschen und Totenschädeln hin und her zu flackern, was ihren Gesichtern ein bösartiges Grinsen verlieh. Schnell ließ Mara los.

»Was geschieht? Funktioniert es?«

Sie sah hoch zu Osol und ließ ein leicht hoffnungsvolles Lächeln über ihre Lippen laufen.

»Ich…« Sie konnte es sich nicht verkneifen. »Ich sehe tote Menschen.«

Tag der Nacht

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