Читать книгу Im Haus des Vaters - Marcia Rose - Страница 3
KAPITEL 1
ОглавлениеSonntag, 12. Juli 1987
Als sie sich endlich eine Atempause gönnen wollte, läutete es erneut an der Tür. Mit einem Fluch machte Cookie Adler sich auf den Weg – »Mist!«. Na ja, eigentlich war das ja kein richtiger Fluch, aber schließlich war sie die Gastgeberin und musste als solche Haltung bewahren, selbst wenn sie sich Sorgen um ihre Eltern machte, die spät dran waren. »Die Tür ist offen!«, rief sie, wohl wissend, dass es sinnlos war, da sie im Stimmengewirr ihrer rund dreißig engsten Freunde ohnehin keiner verstand.
»Jonathan!«, schrie sie, als sie ihren Sohn in der Küche stehen sah, wo er sich schon wieder ein Glas Wein einschenkte. »Jon! Die Tür! Es ist vielleicht Großvater!«
Wo blieben die Eltern nur? Sie hatten doch versprochen, früh da zu sein, und jetzt war es fast sieben. Sollte sie sie anrufen? Die Vorstellung gefiel ihr nicht, insbesondere jetzt nicht. Sie wollte Papa nicht das Gefühl geben, sie kontrolliere ihn. Andererseits wollte sie aber auch nicht, dass sie sich im Stich gelassen fühlten. Oh Gott, es war so schwierig, mit seiner Krankheit umzugehen – Krebs im Endstadium. Nach so vielen Jahren der Nähe und Verbundenheit mit ihm war sie sich plötzlich nicht mehr sicher, wie sie sich ihm gegenüber verhalten, was sie sagen, ja sogar wie sie empfinden sollte. Sie hasste die Krankheit und ihre Unsicherheit!
Sie beugte sich aus dem großen Fenster, das auf die Straße hinausging. Nach einer Woche mit ungewöhnlich hohen Temperaturen von bis zu 35 Grad hatte es einen kurzen Regenschauer gegeben, so dass die Hitze im Augenblick einigermaßen erträglich war. Erleichtert atmete sie tief ein und musste über sich selbst lächeln – reine, frische Stadtluft mit einem Kohlenmonoxidgehalt von mindestens 45 Prozent, dazu 35 Prozent Frittierfett, 10 Prozent Hundekot und 10 Prozent Ekliges unbekannter Herkunft.
Sie liebte all das – den Lärm, den Schmutz, das Durcheinander, die Spinner, die Straßenkünstler, die Yuppies mit ihren großen Hunden und winzigen Babys und, ja, sogar Bloomingdale’s, wo sie jedes Mal dieselbe laute und deutliche Botschaft empfing: Cookie Adler, reiß dich um Himmels willen zusammen! Sie lachte, als ihr Blick auf das handgeschriebene Schild im Fenster des Hauses auf der anderen Seite der 94. Straße fiel. ES IST EIN MÄDCHEN! RACHEL ELYSE.
Cookie wandte sich amüsiert um. »Hey, Dave! Sie haben ein Mädchen.«
Eilig scharten sich einige Gäste um sie, winkten und lachten. Die Frau am Fenster gegenüber hob einen Finger und bedeutete ihnen zu warten. Als sie wieder ans Fenster trat und ein in eine Decke gehülltes rosafarbenes Etwas in die Höhe hielt, stießen alle ein bewunderndes »Ooohh« aus.
»Ist das nicht süß? Wer ist das, Cookie?«
»Wer das ist? Das sind die Leute im Haus gegenüber, die morgens zur selben Zeit aufstehen wie wir... die ihren Esstisch an derselben Stelle stehen haben wie wir, und die ihre Jalousien gern die ganze Zeit hochgezogen lassen ... Ich will ja nicht zu sehr ins Detail gehen, nur so viel: Manchmal streiten sie sich, und danach versöhnen sie sich wieder ...« Cookie verdrehte vielsagend die Augen, worauf alle in Gelächter ausbrachen. Diese Art amüsanter Kommentare erwarteten die Freunde von ihr, und es war ihr ein Vergnügen, sie nicht zu enttäuschen.
Cookie blieb noch eine Weile am Fenster stehen und hielt Ausschau nach ihren Eltern. Sie hatte angeboten, dass Dave sie mit dem Wagen abholte, aber das hatten sie abgelehnt. Papa musste zu Fuß gehen. »Es sind doch nur acht Blocks, und noch lebe ich ja.« Sie spürte Tränen aufsteigen. Seit Dr. McCormack ihm die schlechte Nachricht beigebracht hatte – der Krebs, der acht Jahre lang geruht hatte, war wieder ausgebrochen –, ging Papa völlig nüchtern damit um, hatte die Krankheit angenommen und sprach sogar offen darüber. Cookie konnte es kaum fassen. Er hatte ja schon immer eine Menge geredet, aber nur über sachliche Themen, sprich, über Politik. Nie über persönliche Angelegenheiten.
Als Cookie ein kleines Mädchen war, versammelten sich im Wohnzimmer ihres Apartments in der Coop-Siedlung immer eine Menge Leute, und die Stimme ihres Vaters war stets zu hören. Er stand immer im Mittelpunkt. Sie konnte sich noch an die Gespräche über den Kalten Krieg, die Sowjetunion, China, McCarthy und den Senatsausschuss für unamerikanische Umtriebe HUAC erinnern. Und an die Gewerkschaften, die Arbeiter und den Triumph der Arbeiterklasse, den sie für unvermeidlich hielten. An die Gespräche, die Märsche und die Flugblätter, die sich stets neben der Eingangstür stapelten. Und an ihren Vater, der diskutierte, argumentierte und Reden hielt.
Papas Stimme – das war der Klang ihrer Kindheit. Sie war eher hoch, irgendwo im Tenorbereich, aber von einer beeindruckenden Kraft. Meist sprach er leise, fast schüchtern, aber wenn man glaubte, er selbst sei schüchtern, irrte man sich gewaltig. Einmal hatte er mit einer unwirschen Handbewegung den Kaffeetisch leer gefegt, so dass Tassen, Bücher, Zeitungen, Brillen und alles andere zu Boden gefallen waren.
Doch nachdem sie gezwungen waren, nach Millville zu ziehen, war alles anders. Er war ruhiger geworden, beugte sich über seine Bücher und Zeitungen oder schlief im Sessel ein. Ein vollkommen anderer Papa. Oft stand sie schüchtern neben ihm und hoffte, er würde die Hand heben, um ihr das Haar zu zerzausen, oder ein Gespräch beginnen. Manchmal tat er es auch, aber nicht oft genug, um die Angst und die Einsamkeit zu vertreiben, die sich in ihr eingenistet hatten.
Aber nun genug mit diesen deprimierenden Erinnerungen. Die Vergangenheit lag hinter ihnen. Und heute war ein Freudentag zu Ehren ihres Mannes. Sie sollte lieber in die Küche gehen und weitere Köstlichkeiten für ihre Gäste holen.
Ihr Sohn erschien mit einem Drink in der Hand an der Küchentür. Sein langes, dunkles Haar fiel ihm ins Gesicht und verdeckte ein Auge, seine Jeans saßen tief auf den Hüften, und er lächelte ein wenig dümmlich. Sie wünschte, er müsste nicht zum Alkohol greifen, um sich mit seinem Vater im selben Zimmer aufhalten zu können. Hoffentlich wurde er nicht aggressiv, wie beim letzten Mal, als er zu viel getrunken hatte. Wenigstens lächelte er. Ein gutes Zeichen. Hoffentlich blieb es so.
»Brauchst du Hilfe, Ma?«
Sie reichte ihm zwei Schüsseln. »Ja. Stell die bitte auf den Tisch.«
»Für dich tu ich doch alles.«
Und für Dad überhaupt nichts, lautete der unausgesprochene Rest des Satzes. Vielleicht begriff Jonathan ja nach der Sendung im Fernsehen, was sein Vater in den letzten drei Jahren durchgemacht hatte. In dieser Zeit, als er der Paria war, abgeschnitten von allen anderen: der Unsichtbare im Büro, das Ziel feindseliger Nachforschungen. Drei Jahre der Frustration, der Sorge, des Kummers und der Niedergeschlagenheit.
Cookie stieß einen tiefen Seufzer aus. Allein der Gedanke daran erschöpfte sie. Doch heute würden sie feiern, und sie war die Gastgeberin. Wenn der Ehemann seinen Triumph feierte, hatte sich die Gastgeberin schließlich nicht unbehaglich und angespannt zu fühlen. Eine gute Gastgeberin und Ehefrau sollte euphorisch sein. Nun ja, zu Euphorie würde sie sich wohl nicht durchringen können, aber verhaltene Freude lag zweifellos im Bereich des Möglichen.
Als sie mit dem Essen das Zimmer betrat, hatten sich die Gäste bereits am Tisch versammelt. Sie genoss es, sie zu bewirten, auch wenn in Wahrheit alles von Zabar oder Balducci geliefert worden war. Sie musste nicht schnippeln, kochen und backen, sondern brauchte lediglich ein Pfund davon, ein Kilo hiervon auszuwählen.
Jedenfalls sah alles ganz wunderbar aus – Wagenladungen von Aufschnitt, Platten mit Räucherfisch, ein halbes Dutzend Käsesorten, jede nur denkbare Bagel-Variante, knusprige Brötchen, dicke Roggenbrotscheiben und Pumpernickel mit Rosinen. Sie griff nach einer Scheibe des dunklen, feuchten Brotes, dessen säuerliche Süße sie so liebte.
Außerdem gab es verschiedene Arten Frischkäse – natur, mit Dill, mit Knoblauch – und diverse Salate: Kartoffelsalat, Drei-Bohnen-Salat, grünen Salat, Rohkostsalat, darüber hinaus Sauerkraut, Essiggurken und Oliven. Jüdisches Essen, obwohl die Lebensmittel aus ganz Europa stammten. Die Menge, dachte sie lächelnd, war jedenfalls eindeutig jüdisch.
Sie liebte all diese Speisen; wahrscheinlich weil sie in der Zeit, als sie ein Mädchen war und in dieser Einöde namens Millville im Bundesstaat New York lebte, ganz besonderen Anlässen vorbehalten waren. Und davon hatte es scheinbar nie welche gegeben. Erstens hatten sie nie genug Geld gehabt, und zweitens hätte man den mühsamen Weg zu Troy zurücklegen müssen, um sie zu besorgen. In Millville galt jüdisches Essen als exotisch und ein wenig verdächtig. In Millville galten Juden an sich als exotisch und ein wenig verdächtig.
Sie stand da und sah sich suchend nach einem freien Platz auf dem Tisch um, als ihr jemand die Schüssel abnahm. »Ich mach das schon, Mom«, sagte Michelle, die erstaunlicherweise tatsächlich ein Plätzchen fand, die Schüssel abstellte und den Käse so arrangierte, dass alles wieder perfekt aussah. Cookie hob die Hand und tätschelte liebevoll Michelles Wange. Eine Tochter war ein wahrer Segen – zumindest ihre Tochter. So rebellisch und schwierig Jonathan sein mochte, so tüchtig und hilfsbereit war seine Schwester.
»Danke, Liebes«, sagte Cookie. »Ich bringe ein bisschen von dieser nosherei zu den Leckermäulern ins Wohnzimmer.«
Dave und zwei seiner ältesten Freunde hatten es sich auf dem Sofa bequem gemacht. Sie waren verstrickt in eine ihrer so genannten ernsthaften Diskussionen, was so viel hieß, dass sie alle gleichzeitig und so laut wie möglich redeten – es ging um Reagans letzte idiotische Aktion –, und dabei stopften sie alles in sich hinein, was sich in Reichweite befand.
»Dieser Mistkerl«, hörte sie ihren Mann über das Stimmengewirr hinweg sagen. »Er wird uns nicht retten, sondern den Dritten Weltkrieg auslösen!« Ja, Dave, wir wissen es ja, dachte Cookie mit einem Anflug von Verärgerung. Seit City Sounds sich das erste Mal wegen des Beitrags bei ihm gemeldet hatte, war er so von sich überzeugt, als wäre er plötzlich Experte auf sämtlichen Gebieten. Das war normalerweise nicht seine Art, und es gefiel ihr nicht.
»Cookie«, rief er nun, »wo du schon stehst, würdest du uns eine Flasche Soda bringen?« Wieder spürte sie einen Anflug von Unmut. Warum ging er ihr nicht ein bisschen zur Hand, statt sie wie eine Dienstbotin herumzukommandieren? Sie hatten stets eine gleichberechtigte Partnerschaft geführt – bis zu dem Augenblick, als er zur Berühmtheit avanciert war.
Zwischen der Stereoanlage und dem Raumteiler blieb sie abrupt stehen und sah ihn an. »Hast du vergessen, wo der Kühlschrank steht?«, fragte sie, während sich schlagartig ihr schlechtes Gewissen regte. Dies war nicht der richtige Zeitpunkt. Verdammt, es war seine Party, und er verdiente es, im Mittelpunkt zu stehen. Schließlich war der Weg in die Küche nicht allzu lang.
»Schon gut, Dave. Es ist dein Abend. Aber ab morgen, Freund, holst du dir dein Wasser selber.«
»Ich liebe diese Frau!«, meinte Dave lachend, und für den Bruchteil einer Sekunde blitzte sein altes Ich auf. »Sie sorgt dafür, dass ich mit beiden Füßen auf der Erde bleibe.«
Cookies Blick wanderte zu ihrem Sohn, dessen angewiderter Blick Bände sprach. Es gefiel ihr nicht, aber noch weniger gefiel ihr, wie er das Glas an die Lippen hob und den Inhalt in sich hineinschüttete, als wäre es Wasser. Sie würde mit ihm reden müssen, und zwar bald. Unwirsch schob Cookie diese typisch mütterlichen Gedanken beiseite. Sie war es leid, Mutter zu sein, außerdem feierten sie heute. Wie oft hatte sie sich das heute Abend schon gesagt? Vielleicht sollte sie sich selbst einen Drink mixen.
Sie stellte die Teller vor den Männern ab und ging in die Küche, um das Wasser zu holen, wobei sie im Vorbeigehen mit einigen Freunden plauderte. Alle waren bester Stimmung. Sie alle hatten das Gefühl, Teil von Daves Triumph zu sein. Nun, das war berechtigt, denn immerhin hatten sie alle hinter ihm gestanden, als er diese Probleme mit der Stadt hatte.
An diesem Morgen hatte sie in den Spiegel geblickt und die Spuren entdeckt, die die Zeit und die Belastung hinterlassen hatten, den Zweikampf zwischen ihren mädchenhaften Sommersprossen und den Fältchen einer reifen Frau.
Zu Ehren von City Sounds trug sie ein wenig Mascara auf ihre blassen Wimpern auf und unterzog sich einer eingehenden Betrachtung. Sie war noch immer die alte Cookie mit dem ovalen Gesicht, den großen haselnussbraunen Augen, der wohlgeformten Nase, dem üppigen Mund und dem dichten, gelockten Haar, das früher so leuchtend rot wie das ihres Vaters gewesen war und heute einen – tja – einen verblassten Kastanienton mit vereinzelten grauen Strähnen angenommen hatte. Sie trug ihr Haar kurz geschnitten, so dass sie wenig Arbeit damit hatte. War sie hübsch? Weit davon entfernt. Sie schnitt eine Grimasse und zog ihre Lippen mit einem rosafarbenen Stift nach. Aber bestimmt fiel das sowieso keinem auf.
Sam, ihr Nachbar und Freund (und zufällig auch ihr Boss), wandte sich an Dave. »Sieh dir all die Speisen an, Mann! Jetzt weiß ich, dass endgültig der Wohlstand ausgebrochen ist!« Er lachte dröhnend. »Wenn Adler bei Zabar’s Feinkost einkauft ...« Er verdrehte die Augen.
Dave lachte. »Cookie hat all das bezahlt.«
»Ich dachte, du hast bezahlt«, erwiderte Cookie mit ernster Miene.
Dave sah sich um. »Hey, wer hat das bezahlt? Und wer auch immer der Wohltäter ist, wo sind meine Shrimps?« Wie so häufig war das allgemeine Gelächter das Signal für die Gäste, die Plätze zu wechseln. Cookie ging in die Küche.
Gerade als sie sich mit neuen Speisen beladen hatte, hörte sie eine Stimme. »Deine Eltern sind hier!« Sie ließ alles stehen und liegen und stürzte los, um sie zu begrüßen. Insgeheim wappnete sie sich bereits, wie sie es neuerdings immer tat, da sie nie wusste, welcher Anblick sich ihr bieten würde.
Vor sechs Monaten noch hatte Papa wie immer ausgesehen – eigenwillig, entschlossen und forsch. Sein Haar hatte flammend rot geleuchtet, und seine Schultern waren gerade gewesen. Doch nun wirkte er bei jedem Zusammentreffen gebeugter, müder und bleicher.
So auch diesmal. Sein Anblick ließ sie innerlich zusammenzucken. Er sah aus wie ein alter Mann, obwohl er es noch gar nicht war. Aber er starb, verdammt noch mal! Die Tränen unterdrückend, damit er sich nicht noch schlechter fühlen sollte, umarmte sie ihn. Er war so dünn, so zerbrechlich! Ihre Mutter rauschte indessen ins Wohnzimmer, redete wie ein Wasserfall, begrüßte jeden, den sie kannte, auf ihre gewohnte Art mit großem Hallo. Sie war zwar nicht besonders groß, besaß aber so viel Präsenz wie zehn Frauen; sie hatte genau das, was man allgemein als Charisma bezeichnete. Trotz ihrer siebzig Jahre war sie nach wie vor eine schöne Frau mit makellosem, strahlendem Teint und lebhaften Augen – und einer erstklassigen Figur.
Als Cookie sie zwei Wochen zuvor ins Ballett im Lincoln Center ausführte, erschien sie in einem weiten Bauernrock mit Bluse und Hängeohrringen, die aus winzigen Silbersternen bestanden und bei jeder Bewegung leise klirrten. Ihr langes meliertes Haar war zu einem wunderschönen, raffinierten Knoten frisiert. Cookie hatte bemerkt, wie einige Männer (und nicht nur solche ihres Alters) sich umgewandt und ihr nachgesehen hatten – eine völlig berechtigte Reaktion, denn ihre Mutter war eine höchst attraktive Frau, die viel mehr bewundernde Blicke erntete als ihre Tochter, dachte Cookie bitter.
Es musste Jahre her sein, dass ihr ein Mann das letzte Mal auch nur irgendeinen Blick zugeworfen hatte.
Sie betrachtete Dot, die völlig entspannt im Zimmer herumging und mit einem Glas in der Hand die Gäste umarmte, die sie kannte, und den anderen die Hand schüttelte, lachte, redete. Kein Blick zurück zu ihnen. Sie wusste ja auch genau, dass Cookie sich um Papa kümmern würde.
Sobald ihre Mutter außer Hörweite war, beugte Papa sich zu ihr herüber. »Und? Hast du schon etwas gehört? Was hat Jack gesagt?«, flüsterte er.
Cookie lachte. »Papa! Jack hat noch gar nichts gesagt. Ich habe Deena doch erst vor zwei Tagen angerufen. Ich habe ihr eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen, darauf hat sie mir eine Nachricht hinterlassen... Hast du das vergessen? Ich habe es dir doch erzählt. Heute Morgen habe ich sie noch mal angerufen und ihr noch eine Nachricht hinterlassen. Deenas und mein Anrufbeantworter haben inzwischen schon eine wunderbare Beziehung zueinander entwickelt.«
»Noch bin ich geistig nicht so daneben, dass ich mich nicht erinnern könnte, was du mir gestern erzählt hast. Ich dachte ja nur. Mir bleibt eben nicht mehr genug Zeit, um darauf zu warten, bis der große macher Ja oder Nein sagt! Das ist alles. Ich dachte eben nur. Kann ein Mann nicht etwas denken, ohne dass du gleich einen Staatsakt daraus machst?«
»Nun, du wirst dich noch eine Weile gedulden müssen, weil ich zuerst mit Deena reden muss, die dann mit Jack reden muss.«
»Und was ist, wenn er Nein sagt? Das fällt mir erst jetzt ein. Er könnte doch sagen, dass er es auf keinen Fall will. Dieser Mann ist so ein starrsinniger Esel.«
Cookie sah ihn belustigt an. »Ach, ja?«
»Ja, ja, ich weiß. Das sagt genau der Richtige! Du brauchst es gar nicht auszusprechen.« Sie lachten beide.
»Jack wird schon nicht Nein sagen«, meinte Cookie beruhigend. »Bestimmt nicht. Soweit ich mich an ihn erinnere, ist er gar nicht so starrsinnig, sondern eher umgänglich. Er hat viel gelacht, gesungen und Geschichten erzählt...«
»Ja, ja, und das Geld ausgegeben, als gäbe es kein Morgen mehr. Das ist auch der Grund, weshalb ihr Kinder ihn so gemocht habt. Seine Geldbörse saß immer so schön locker.«
»Papa, das ist nicht fair. Er ist unser Onkel und war immer nett zu uns. Habt ihr euch nie gemocht?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, nie. Er und ich, das war wie Feuer und Wasser, vom ersten Augenblick an.«
Cookie stemmte die Hände in die Hüften. »Papa! Irwin, Paul und ich dachten immer, ihr hättet euch trotz seiner politischen Ansichten gemocht. Verdammt, du hast uns nie irgendetwas erzählt.«
»So was erzählt man kleinen Kindern auch nicht.«
Wieso nicht?, dachte Cookie, sprach es jedoch nicht aus. Warum sollte sie sich jetzt noch mit ihm streiten? Sie nahm ihren Vater am Arm und führte ihn ins Wohnzimmer. Sobald sie im Türrahmen erschienen, sprang Ron Schwartz, ein alter Freund der Familie aus Bronx-Zeiten, von seinem Stuhl auf und bot ihn Jonah an. »Wie geht’s Ihnen, Mr. Gordon?«
»Jonah, bitte. Lassen Sie diesen Mr. Gordon doch einfach weg. Es geht mir gut – für einen alten Mann.« Er lächelte, um zu zeigen, dass seine Worte scherzhaft gemeint waren, konnte sich jedoch ein Stöhnen kaum verkneifen, als er sich auf den Stuhl sinken ließ.
»An alle diejenigen, die wissen wollten, wann mein Vater kommt – er ist hier, frisch aus der 89. Straße, Apartment C«, verkündete Cookie.
»Du hast dir ja mächtig Zeit gelassen«, bemerkte Dave, »ich habe mich schon gefragt, ob du überhaupt noch kommst.«
»Soll das ein Witz sein?«, gab Jonah zurück. »Wie könnte ich ein solches Ereignis versäumen?« Mit einem Mal lag eine unüberhörbare Kraft in seiner Stimme. Alle hatten sich ihm zugewandt und lauschten. Cookie konnte nur staunen. Er brauchte ein Publikum, das war alles.
»Dave hat etwas wirklich Beeindruckendes getan... Er hat sich gegen Kochs Kumpane aufgelehnt. Alles Idioten. Sie wissen nichts über die Unterdrückten, und es kümmert sie auch gar nicht! Aber Dave schon. Sie hätten ihm einen Orden verleihen sollen. Und was hat er stattdessen bekommen?« Er streckte den Arm aus und hielt einen Augenblick inne.
»Hohn und Spott«, rief jemand.
»Ärger«, meldete sich eine zweite Stimme zu Wort. »Probleme.«
»Jede Menge Schwierigkeiten.«
»Genau!« Jonah schien völlig in seinem Element zu sein und sich prächtig zu amüsieren. »Dave hat den Mund aufgemacht und hat sie gewarnt, und statt ihm dankbar zu sein, bestrafen diese Kerle ihn dafür, dass er Recht hatte. Sie bestrafen ihn.« Seine Stimme brach. Er griff nach einem Glas Wasser und hob es in die Höhe. »Ein Toast! Heben wir die Gläser auf Dave Adler, und recken wir die Fäuste gegen diese vertrockneten Bürokraten, die es zulassen, dass unschuldige Kinder brutal misshandelt und ermordet werden.« Zustimmende Rufe wurden laut, und er fuhr fort. »Ja, ermordet. Und was ist die eigentliche Schande? Die eigentliche Schande ist« – er senkte die Stimme zu einem dramatischen Flüstern –, »dass man eine Fernsehsendung braucht, um der Welt zu zeigen, was hier los ist... Oh, mein Enkel ist ja auch schon da und sieht mich so seltsam an. Ich kann dir genau sagen, was hier los ist, Jonathan. Ich bin hip oder hep oder wie auch immer das jetzt heißt...« Er wartete, bis das allgemeine Gelächter verebbt war, ehe er fortfuhr. »Die Flimmerkiste soll Dave von der Schuld freisprechen.«
»Dem Himmel sei Dank für die Flimmerkiste, Jonah«, rief seine Frau, die aufstand und das Glas erhob. »Und für Dick Wallach, hab ich Recht? Noch ein Kerl, der Mumm in den Knochen hat.« Weiteres Gelächter und zustimmendes Gemurmel brandete auf, während alle die Gläser erhoben.
Cookie nippte an ihrem Wein, ohne auf den Geschmack zu achten. Wann immer sie ihrem Vater zusah, wie er für etwas einstand, das ihm am Herzen lag, wurde ihr schmerzlich bewusst, wie sehr ihn die Partei enttäuscht haben musste – nein, mehr als das. Sie musste ihn verletzt und ihn zu dem Grübler mit den traurigen Augen gemacht haben, an den sie sich noch aus den schlimmen Zeiten in Millville erinnern konnte. Oh Gott! Erneut schoben sich die Erinnerungen in ihr Gedächtnis. Wieso gerade jetzt? Sie hatte es doch geschafft, sie so viele Jahre im Zaum zu halten.
»Das sind die Dinge, die einen Anhänger der Fortschrittsbewegung am Leben halten, was, Jonah?«, rief einer der alten Truppe.
Jonah lachte. »Die Anhänger der Fortschrittsbewegung haben nicht mehr so viel, worauf sie stolz sein können, nachdem sich ein Kerl zum Präsidenten wählen ließ, der neben einem Schimpansen im Fernsehen gespielt hat. Oh Mann ... Es gibt ja eigentlich gar keine richtigen Fortschrittler mehr. Die jungen Leute sind nicht mehr so idealistisch wie wir.«
»Yo, Opa. Ich bin aber idealistisch.«
»Ja, ja, Jonny. Und was hast du in letzter Zeit so getrieben? Wann warst du das letzte Mal für etwas Wichtiges auf der Straße?«
»Gestern. Ich gehe jeden Sonntag auf die Straße, um die Wahrheit zu sagen«, erwiderte Jon. »Gegen Atomwaffen. Gegen die Apartheid. Gegen den Krieg der Sterne. Was auch immer du aufzählst, Opa, ich bin dagegen und gehe dafür auf die Straße.«
Jons Antwort wurde mit allgemeinem Gelächter quittiert. Cookie blickte ihren Sohn überrascht an, der die Finger in die Gürtelschlaufen gesteckt hatte und mit einem Grinsen auf dem Gesicht seelenruhig vor Papa stand. Wenn er mit seinem Großvater zurechtkam, warum nicht auch mit seinem Vater, der doch so viel umgänglicher war.
»Genauso habe ich herausgefunden, dass ich ein Kommunistenkind bin – als ich festgestellt habe, dass andere Kinder in meiner Klasse sich samstagmorgens Zeichentrickfilme angesehen haben, statt durch die Straßen zu marschieren«, sagte eine der Frauen.
Alle lachten und applaudierten. Jonah berührte Cookies Hand und bedeutete ihr, sich zu ihm herunterzubeugen. »Ist es in Ordnung, wenn sie hier so offen redet?«, flüsterte er.
Cookie richtete sich wieder auf. »Mach dir keine Sorgen, Papa. Wir sind hier unter Freunden.«
In diesem Augenblick läutete das Telefon, und Cookie wandte sich zum Gehen. »Nicht so laut, Leute«, rief sie und hob den Hörer ab. »Ja?«
»Ich hoffe, der Lärm im Hintergrund stammt nicht von deinen Kindern, Cookie«, sagte eine Stimme. »Denn als wir das letzte Mal miteinander gesprochen haben, warst du noch nicht mal verheiratet.«
Cookie grinste. »Dr. Martin Luther King Jr. Der Marsch auf Washington. 28. August 1963. Du siehst, ich habe es nicht vergessen – genau vor 24 Jahren«, erwiderte sie, ohne zu zögern.
»Richtig, und wie klug du bist, dass du das sogar noch im Kopf ausrechnen kannst.«
Cookie wandte sich um. »Hey, Leute, es ist meine Cousine Deena, mit der ich schon seit einer Ewigkeit nicht mehr geredet habe, und jetzt kann ich sie nicht hören.« Sie blickte ihren Vater an, der ihren Blick mit ausdrucksloser Miene erwiderte. Nicht einmal ein winziges Lächeln erhellte seine Züge und verriet, wie sehr er sich freute.
»Wie schön, endlich einmal wieder deine Stimme zu hören, Deena. Hier sind ungefähr eine Million Leute, deshalb gehe ich lieber ins Schlafzimmer. Könnte einer von euch den Hörer hier auflegen?«
Sie ging den kurzen Korridor entlang bis zu ihrem Schlafzimmer. Nein. Nicht ihr eigenes, sondern Daves und ihres. Falsch. Nicht ihres, sondern seines. Wieder falsch. Inzwischen standen Daves Sportgeräte darin. Am Tag nach seiner Degradierung hatte er ein Rudergerät und einen Fahrradergometer gekauft, um gleichzeitig trainieren und fernsehen zu können, sprich, praktisch den ganzen Tag. Vielleicht brachte er die Sachen ja jetzt weg... in Jons altes Zimmer möglicherweise. Jon würde ohnehin nicht mehr hier einziehen. Gott sei Dank. Wenn solche Gedanken sie zu einer schlechten Mutter machten, na schön, dann sollte es wohl so sein.
»Deena? Tut mir Leid«, sagte sie ein wenig atemlos, als sie nach dem Hörer griff. Sie setzte sich auf die Bettkante und blickte aus dem Fenster auf den diesigen Himmel. Überrascht bemerkte sie, wie ruhig sie war. Seit dem Marsch auf Washington hatten sie kein Wort mehr gewechselt. Sie hatte gedacht, ihre Begegnung würde emotionsgeladener ausfallen, vielleicht sogar mit Tränen. Aber so war es nicht. »Wie geht es dir denn, Deena? Wie ist es dir ergangen? Ist das zu glauben? Nach über 24 Jahren frage ich dich als Erstes, was es Neues gibt?«
Deena lachte – ein Geräusch, das augenblicklich eine Fülle an Erinnerungen in Cookie aufsteigen ließ. Die feuchte Augusthitze in Washington, D.C. Die optimistischen, entschlossenen Menschen. Hunderttausende. Ihre Freunde vom New Yorker College. Die Gesänge, die Reden. Martin Luther King Jr. Oh Gott! Sie konnte sich noch genau an Deena erinnern, an deren hübsches Gesicht, das vor Schweiß glänzte, an ihre tränenerfüllten Augen, an die hochschwangere Cousine, die sich so gefreut hatte, weil Cookie sie in dieser Menschenmenge ausgemacht hatte.
Vor Aufregung, sich unter all den Menschen gefunden zu haben, noch dazu an einem historisch so bedeutsamen Tag, waren sie einander in die Arme gesunken.
»Ist dir eigentlich klar«, sagte Cookie jetzt, »dass du bei unserer letzten Begegnung mit deinem ersten Kind schwanger warst? Später habe ich dich ein paar Mal mit einem Kinderwagen auf der Straße gesehen, dann mit einem Sportwagen, dann mit einem Kleinkind an der Hand und einem Kinderwagen, dann mit einem Kleinkind an der Hand und einem Doppelkinderwagen.« Sie lachten. »Und dann bist du weggezogen. Wie viele hast du denn noch bekommen?«
»Insgesamt vier. Zwei Jungs, zwei Mädchen. Und du?«
»Nur zwei. Zwillinge.«
»Zwillinge! Wie deine Mutter und Yetta! Zwei Mädchen?«
»Nein, ein Pärchen ... Jonathan und Michelle. Sie sind inzwischen einundzwanzig, und Mickey ist Harvardstudentin im dritten Studienjahr.«
»Harvard! Ich bin beeindruckt.«
»Sie auch. Aber es gibt ja auch noch andere Orte auf der Welt, an denen man existieren kann.«
»Das geht vorbei. Mein Ältester war auch in Harvard und anschließend an der medizinischen Fakultät dort, aber langsam fängt er an, die Außenwelt wieder wahrzunehmen.«
Sie mussten beide lachen, und Cookie erinnerte sich, wie gut sie sich immer miteinander amüsiert hatten. Es war so schön, wieder dort anknüpfen zu können, wo ihr Kontakt vor so vielen Jahren abgerissen war.
»Jedenfalls hat sie noch ein Jahr vor sich, und dann ist es vorbei.«
»Und dein Sohn?«
»Er ist Künstler. Er ist an der Cooper Union Kunstakademie und malt. Und er lebt auf der Lower East Side, Verzeihung, im East Village mit seiner LAGMGW.«
»Wie bitte? Mit wem?«
»Mit seiner Lebensabschnittsgefährtin mit gemeinsamem Wohnsitz. Ist das nicht süß? Kannst du dir vorstellen, dass die Leute in unserer Statistikbehörde diesen Begriff erfunden haben?«
»Klingt nach einer Abkürzung, die nur von Leuten erfunden sein kann, die bei der staatlichen Statistikbehörde arbeiten.«
Sie lachten, ehe sich Stille ausbreitete. Schließlich holte Deena tief Luft. »Ich habe oft an dich gedacht. Aber... ich weiß auch nicht... da waren die Kinder, und Daddy hat auf meiner Loyalität bestanden, und ... ach, ich weiß auch nicht.«
»Das verstehe ich doch«, meinte Cookie. »Ich habe auch oft an dich gedacht, wusste aber einfach nicht, wie ich diese Barriere überwinden sollte.«
»Oh Gott, es hätte so einfach sein können. Und nach Michaels Geburt bin ich nach Brooklyn Heights gezogen. Du hättest herkommen können, ohne dass jemand etwas davon mitbekommen hätte.« Wieder Pause. »Übrigens bin ich geschieden und habe meinen Mädchennamen wieder angenommen.«
»Schon gut. Ich kannte deinen Familiennamen nach der Hochzeit sowieso nicht.«
»Danke, dass du dir den Kommentar erspart hast, wie Leid dir das mit der Scheidung tut. Das sagen sonst die meisten Leute. Aber was wissen die schon? Und Daddy tut so, als hätte ich ihm irgendetwas Schreckliches angetan. Natürlich sollte mich das nicht überraschen, weil er ja grundsätzlich von mir erwartet, dass ich mich genauso benehme, wie er es sich vorstellt. Einmal hat er gesehen, wie ich dir über die Straße zugewinkt habe – Jahre nach diesem ganzen Theater – und es tatsächlich fertig gebracht, danach anderthalb Wochen kein Wort mit mir zu reden. Und ich bin seine Lieblingstochter!« Obwohl sie lachte, entging Cookie das leichte Beben in ihrer Stimme nicht.
»Papa war keinen Deut besser, glaub mir. Und dann seine politische Rhetorik, die er bei jeder Gelegenheit eingesetzt hat.«
Deena holte tief Luft. »Du sagtest, dein Vater sei sehr krank. Ist es ... schlimm?«
»Ich fürchte, ja. Krebs.«
»Oh Gott, wie entsetzlich. Das tut mir so Leid! Und es macht mich traurig, dass ich ihn so viele Jahre nicht gesehen habe.«
»Na ja, und mich macht es wütend, dass Papa erst so krank werden musste, um zu erkennen, wie lächerlich dieser Streit ist. Aber immerhin besser spät als nie. Und jetzt kann er es kaum erwarten. Jeden Tag liegt er mir damit in den Ohren. Ob Jack bereit ist, sich mit ihm zu treffen? Was glaubst du?«
»Eine Versöhnung!«, rief Deena. »Nach all den Jahren! Das wäre wunderbar! Wir könnten uns wiedersehen. Aber... wieso reden eigentlich wir beide darüber? Wäre es nicht sinnvoller, wenn Onkel Jonah Daddy anrufen und es mit ihm selbst besprechen würde?«
»Sinnvoll? Wir reden hier von unseren Vätern.« Wieder brachen sie in Gelächter aus.
»Aber unsere Mütter könnten das Gipfeltreffen doch arrangieren.«
»Unsere Mütter! Ich muss dir erzählen, was passiert ist, Deena«, sagte Cookie. »Eines Nachts, es war an einem Dienstag, ist Papa um zwei Uhr früh aufgewacht und wusste, dass er sich mit seinem Schwager aussöhnen musste, bevor es zu spät ist. Also weckte er natürlich meine Mutter auf, um es ihr zu sagen. Sie wollte wissen, ob es nicht noch Zeit bis zum Morgen hätte oder ob er wollte, dass sie ihren Bruder sofort anrief. Du weißt ja, dass Männer manchmal brillante Ideen haben, aber am Ende bleibt es eben doch an den Frauen hängen, sie in die Tat umzusetzen. Verstehst du, was ich meine?«
»Ich verstehe ganz genau, was du meinst.«
»Na ja, meine Mutter fand es wohl seltsam, Onkel Jack ohne Vorwarnung anzurufen. Sie wollte zuerst mit Sylvia darüber reden. Also hat sie mich angerufen. Wen sonst? ›Du und Deena, ihr wart doch immer so gute Freundinnen‹, hat sie gesagt. ›Ruf doch Deena an und bitte sie, dass ihre Mutter mit ihrem Vater redet, und dann rufst du mich wieder an und erzählst mir, was sie gesagt hat.‹ Sie fand das absolut in Ordnung, und wie du siehst, habe ich genau das getan.«
»Das kenne ich«, lachte Deena. »Auch Sylvia hat die wunderbare Angewohnheit, ihre Töchter dazu zu bringen, dass sie sich über Dinge unterhalten, die eigentlich ihre Sache sind. Aber ich will mich nicht beschweren, immerhin habe ich auf diese Weise das Vergnügen, mit dir zu reden.«
»Und glaubst du, dass er einverstanden ist?«
»Oh, liebste Cookie, wer kann schon Daddys Reaktionen vorhersagen? Obwohl er nicht mehr ganz so hitzköpfig ist wie früher. Neuerdings wird es selbst ihm ein bisschen zu viel, und er wird irgendwie ... hilfloser oder so.«
»Onkel Jack? Hilflos? Das klingt so gar nicht nach ihm.«
»Es ist das Alter ... Aber ich habe gerade eine prima Idee. Wahrscheinlich wäre es zu bedrohlich für ihn, sich mit deinem Vater allein zu treffen. Du weißt schon, Gesichtsverlust und all dieser Männerkram. Aber wie wäre es denn mit einem Familientreffen? Wir alle, nicht nur die beiden! Einfach alle, die Kinder, Ehefrauen, Enkelkinder und was auch immer für Wohnsitz-Gefährten. Deine Leute, meine Leute, alle zusammen.«
»Im selben Land?«
»Im selben Zimmer. Klingt ziemlich abenteuerlich, was?«
Cookie hörte etwas hinter sich rascheln und drehte sich um. Es war ihre Mutter, die heftig gestikulierte und auf ihre Armbanduhr deutete. Oh Gott, fast sieben! Daves Interview würde gleich gesendet werden. »Das ist wirklich eine tolle Idee, Deena«, sagte sie eilig, »aber jetzt muss ich mich beeilen. Schalt Channel Two ein und sieh zu, wie mein Mann die Missstände des Wohlfahrtssystems anprangert. Aber ich will dich unbedingt sehen. Wirklich. Ich will, dass diese Versöhnung stattfindet. Hören wir endlich auf mit dieser narishkeit!«
»Alles klar. Wie wär’s mit Abendessen morgen?«
Deena machte Nägel mit Köpfen, wie immer. Sie hatte ihre Ziele schon immer ohne Umschweife verfolgt. Tja, und Cookie Adler kann genauso sein. »Sagen wir, bei Hisae’s am Cooper Square? Halb sechs?« Etwas überrascht stellte sie fest, wie sehr sie sich darauf freute, ihre Cousine wiederzusehen. »Wunderbar«, sagte sie, als Deena zustimmte. »Und... Deena...«
»Hmm?«
»Ich kann es kaum noch erwarten.«