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Prolog

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USS Stockdale DDG-106

Ostchinesisches Meer

18. Mai 2017

Der stromlinienförmige Rumpf des Zerstörers glitt seidig durch die leichte Dünung des Ostchinesischen Meeres. Silbern leuchteten Gischt und das brodelnde Fahrwasser im fahlen Mondlicht. Mit annähernd zwanzig Knoten machte die USS Stockdale zügig Fahrt und näherte sich durch vereinzelte Nebelschwaden, die wie weiche Wattebauschen auf dem Meer dahintrieben, den Senkaku-Inseln. Der Kurs führte das Schiff in nordöstlicher Richtung auf die umstrittene Inselgruppe zu, die sich momentan im Zentrum einer zunehmend angespannten Krisensituation wiederfand. Siebzehn Meter oberhalb des Wasserspiegels, auf der Brücke des neuntausendzweihunderttonnen schweren Zerstörers der Arleigh-Burke-Klasse, herrschte ebenso angespannte Ruhe, wie in der Gefechtszentrale im Rumpf des schweren Schiffes. Lieutenant Commander Nina Maria Williams sah durch die gepanzerten Scheiben der Brücke hinaus in die nebelige Dunkelheit und vernahm die Angaben des Sonaroperators. Die Tiefe unter dem Kiel der Stockdale verringerte sich mit jeder Meile, die sie sich dem Festlandsockel näherten. Sie hatten die über zweieinhalbtausend Meter tiefe Okinawarinne nun hinter sich gelassen und näherten sich den Untiefen des rohstoffreichen Gebiets, um das sich seit einem knappen halben Jahr China erneut vehement bemühte.

„Keine Kontakte, XO“, meldete der junge Nachrichtenoffizier, nachdem er sich an den Bildschirmen des Aegis-Systems nach möglichen Bedrohungen über, auf und unter dem Wasser umgesehen hatte. Er sah ihr bestätigendes Nicken und widmete sich wieder seinen Bildschirmen, während Nina als diensthabender Kommandant und Erster Offizier im Sessel des Captains Platz nahm. Sie hatte aus ihrer leicht erhöhten Position die gesamte Brücke im Auge. Verschiedene taktische Displays auf in ihrer unmittelbaren Nähe montierten Flachbildschirmen ermöglichten ihr einen Überblick über die wichtigsten Systeme des Schiffes. Hier konnte sie in wenigen Augenblicken verschiedene Parameter über Kurs, Position und Geschwindigkeit, elektronische Aufklärung mittels Radar und Sonar, Status der Waffen und der beiden Hubschrauber an Bord, sowie über eventuelle Schäden im Falle eines Gefechts erfassen. Williams trug die camouflagefarbene Einsatzuniform der US Navy mit schwarzen, schweren Stiefeln und der typischen dunkelblauen Baseballcap mit den goldenen Lettern: DDG-106 USS Stockdale. Ihr langes, brünettes Haar hatte sie zu einem dicken Zopf geflochten, da sie den sonst so gern gesehenen Dutt bei weiblichen Offizieren und Mannschaftsgraden abgrundtief hasste.

Sie beugte sich nach vorne, betrachtete die unauffällig leeren Bereiche auf den Bildschirmen und wandte sich an den Nachrichtenoffizier.

„Lieutenant Hood“, begann sie und hatte sofort die ungeteilte Aufmerksamkeit des schlaksigen Mannes aus Alaska, „es ist mir entschieden zu wenig Verkehr da draußen.“ Ein Blick aus dem Fenster der Brücke bestätigte die leeren Sensorpaneele auf den Bildschirmen.

„Ma’am?“, war die leicht verwirrte Antwort des jüngeren Offiziers. Ninas Blick hatte etwas Nachdenkliches an sich, sie sah nach wie vor aus dem Fenster.

„Weisung an Elektronische Aufklärung, Radar und Sonar: Ich will jede noch so kleine Nussschale hier auf meinem Bildschirm haben. Irgendwas muss da draußen sein.“ Nun sah sie Hood direkt in die Augen.

„Machen Sie mal ein bisschen Wirbel. Ich möchte, dass jeder weiß, dass wir hier sind.“ Nun, da er verstand, was der Erste Offizier meinte, grinste Hood.

„Aye, Ma’am.“ Nachdem Hood seine Befehle weitergegeben hatte, sandten die leistungsstarken aktiven Sensoren der Stockdale ihre Signale in die warme Nacht hinaus.

„So, jetzt bin ich mal gespannt, wer alles aus dem Busch hüpft, nachdem wir so sachte drauf geklopft haben“, murmelte Ltd. Cmdr. Williams und rief sich die Befehle wieder in Erinnerung, die sie und der Kapitän des Kreuzers vor dem Auslaufen im Hauptquartier der 7. Flotte in Okinawa erhalten hatten.

„Die verdammten Chinesen marschieren da unten mit Eiern so dick wie Basketbällen herum und scheuchen alles auf, was in ihre Nähe kommt“, hatte der Admiral schlecht gelaunt von sich gegeben. Dabei hatte er genüsslich seinen Tabak gekaut und abschließend nach Redneck-Art ein großen, schleimigen Klumpen in den Papiereimer gespuckt. Der Admiral gehörte einer aussterbenden Gattung unter den Flaggoffizieren an, hatte er doch den kalten Krieg noch auf einem Boomer, einem der großen strategischen Atom-Unterseeboote der Navy, miterlebt. Wochenlange Schleichfahrten im kalten Nordatlantik, pausenlos gesucht von schnellen Akulas und unter permanenter Anspannung stehend, da entwickelten sich solch schillernde Persönlichkeiten, von denen es mittlerweile nur mehr sehr wenige gab.

„Ich möchte, dass Sie mit der Stockdale da runter dampfen und ein bisschen Wind machen“, hatte er den beiden Offizieren erklärt, die in ihrer weißen Tropenuniform vor dem breiten, zerkratzten Schreibtisch des Zweisterne-Admirals Aufstellung genommen hatten.

„Fahren Sie da unten kreuz und quer durch die Gegend und lassen Sie jeden wissen, dass die US Navy da ist, und dass ihr das Säbelrasseln der Chinesen scheißegal ist. Wir werden nicht zulassen, dass diese Schlitzaugen sich in internationalen Gewässern breitmachen! Diese Inseln, diese trostlosen Felsbrocken am Arsch der Welt, gehören ihnen nun mal nicht und daran sollen Sie sie mit der Stockdale erinnern“, schloss er und übergab das Kuvert mit den detaillierten Befehlen. Viel mehr hatte der mürrische alte Seebär nicht zu erklären gehabt und die beiden Offiziere waren schließlich an Bord ihres Schiffes zurückgekehrt.


„Holen Sie den Captain“, befahl Nina ruhig und schlürfte an einer Tasse heißen, starken Kaffees, die ihr ein Petty Officer gebracht hatte.

„Ich denke, das wird ihn interessieren“, sagte sie zu Lieutenant Hood, der erste Anzeichen auf den Schirmen erkannte, dass sich Steuerbord voraus etwas rührte.

„Ma’am, sieht so aus, als ob wir bemerkt worden sind“, berichtete er, dann ging plötzlich alles ganz schnell.

„Aktives Sonar, Ma’am!“, vernahm Nina einen fast ungläubig übermittelten Befehl aus der Gefechtszentrale. Nina stand sofort auf und ging raschen Schrittes hinüber zum zuständigen Operator, der das bordeigene Sonarsystem überwachte.

„Wir werden angepingt, Ma’am“, meldete er mit angespannter Stimme, dann schrie er plötzlich laut auf und riss sich die Kopfhörer herunter, aus denen kreischender Lärm drang. Nina erschrak und fühlte, wie ihr Herz immer schneller schlug. Während der Operator sich immer noch seine schmerzenden Ohren zuhielt, sah sie sich rasch auf der Brücke um. Alle Bildschirme flackerten in rauschendem Schwarz-Weiß und zeigten nichts als dichtes Schneetreiben. Der zentrale große Schirm, der alle wichtigen Daten zur schnellen Information bereithielt, verzerrte sich und zeigte ein Stakkato aus weißen, grauen und schwarzen Pixeln.

„Was in aller Welt…“, murmelte Nina und schaute aus dem Panzerglas der Brücke in die warme Tropennacht. Sie entdeckte die Rauchspur der Rakete, die sich aus nördlicher Richtung direkt auf sie zu bewegte, und ihr Herz schien stillzustehen.

„Vampire, Vampire!!“, rief sie so laut sie konnte und zeigte zum Bug des stolzen, neuen Schiffes, auf die dünne, weiße Rauchspur, die sich dem Schiff unerbittlich näherte. Dann schnappte sie sich den Hörer des bordinternen Kommunikationssystems und brüllte hinein.

„Achtung, Achtung! Alles auf Gefechtsstation! Das ist keine Übung! Ich wiederhole: Alles auf Gefechtsstation, dies ist keine Übung, wir werden beschossen!“ Mit der Faust hämmerte sie auf den Auslöser des Alarms. Sofort ertönte lautes Sirenengeheul und überall an Bord begannen die orangen Drehlampen zu rotieren.

„Steuermann, Ausweichmanöver!“, brüllte sie, während sie wieder auf ihrem Sessel Platz nahm und sich anschnallte.

„Gefechtsstation, Gegenmaßnahmen ergreifen!“, befahl sie äußerlich nun völlig ruhig und setzte sich den Kevlarhelm auf. Ihr Blick glitt aus dem Brückenfenster und hinüber zu den Phalanx CIWS Gatlingkanonen, die jedoch untätig blieben. Nina beschlich ein tiefes, sehr schlechtes Gefühl, als sie erst auf die RIM-162 ESSM Flugabwehrraketen in ihren ebenfalls regungslosen MK 29-Startern und dann auf das bleiche Gesicht Lieutenant Hoods blickte, der sie beinahe panisch ansah.

„Was ist los?“, knurrte Nina und wusste eigentlich bereits, wie die Antwort lautete.

„Ich habe keine Ahnung, Ma’am“, gab der junge Offizier kleinlaut zurück.

„Alle Systeme scheinen tot zu sein“, erklärte er völlig überfordert von der Situation, auf die ihn kein Lehrgang und keine Simulation vorbereitet hatten.

Das Brückenschott sprang auf und Captain Peters platzte mit verschlafenem Gesichtsausdruck herein. Das Schiff beschleunigte nun auf volle Fahrt, änderte seinen Kurs und bot der anfliegenden Rakete ein möglichst kleines Ziel, doch der Flugkörper hielt unbeirrt auf sie zu.

„Meldung XO, was geht hier vor?“, brüllte Captain Peters, dessen massiger Körper auf dem vibrierenden und sich nach backbord neigenden Deck leicht schwankte. Er griff nach einem Nachtsichtglas und trat ans breite Panzerglasfenster.

„Sir, wir werden…“, fing Nina an, als ein blendend weißer Blitz die Brücke erhellte und das Schiff einen wilden Satz zur Seite machte. Beinahe gleichzeitig rollte die Druckwelle einer gewaltigen Explosion heran und traf die Brücke mit voller Wucht. Brütende Hitze drang durchs immer noch offene Schott ins Innere der engen Kommandozentrale, während Körper wild durch die Luft gewirbelt wurden, an Wände und Konsolen krachten und schließlich irgendwo auf den Stahlplanken zu liegen kamen.

Nina wurde unter dem fast einhundertzwanzig Kilo schweren Athletenkörper Captain Philips begraben, als dieser gegen sie geschleudert wurde und sie mit sich niederriss. Unfähig, sich zu bewegen, überfiel sie schlagartig Panik, da sie durch das Gewicht auf ihren Rippen und der unerträglichen Hitze in der Zentrale kaum Luft bekam. Ihre Gedanken rasten, sie versuchte zu verstehen, was hier passiert war. Die Rakete war zum Zeitpunkt der Explosion noch fast zwei Kilometer von der Stockdale entfernt gewesen, doch irgendetwas hatte sie trotzdem getroffen. Ihr fiel die Meldung ihres Sonaroperators wieder ein, dass sie mit Aktivsonar angepeilt worden waren. Ein Torpedo? Der Alarm plärrte eindringlich, die Sirene hämmerte unwirklich in ihr malträtiertes Gehör. Nur schwach vernahm sie vereinzeltes Stöhnen der Verwundeten, jemand hustete, ein anderer weinte. Dann hörte sie das Röhren der Raketentriebwerke, und schloss die Augen in Erwartung einer weiteren Explosion.



Todesfalle

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