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1 Tag für Tag

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ora Grohmann sprüht gerade die blitzsaubere Badewanne erneut mit extra dafür bestimmtem Badewannenspray ein! Eigentlich geht es weder sauberer noch glänzender, doch Nora will die perfekte Sauberkeit. Nora weiß, dass ihr Mann Thomas es so will und seit sie nicht mehr arbeitet, hat sie auch genügend Zeit dazu.

Thomas wird sicher zufrieden sein, denn nicht nur die Wanne, sondern alles im Hause Grohmann wird täglich aufs umfangreichste gesäubert, geputzt, poliert und auf Hochglanz gebracht. Sie erinnert sich noch an den Tag kurz nach ihrer Hochzeit, als sie deutlich gespürt hat, dass ihre Art das Haus zu putzen ihm nicht ausreicht. Anfangs wusste sie nicht, wie sie das besser, gut genug für ihn machen konnte. Sie arbeitete als Grundschullehrerin und die OGS1 betreute sie auch am Nachmittag. Da blieb kaum noch Zeit vor seiner Rückkehr, alles auf Vordermann zu bringen.

Dann kam ihr Sohn Sebastian auf die Welt und sie ließ sich beurlauben. Mit dem Baby und dem Kleinkind reichte die Zeit auch kaum, aber nun, da Sebastian aus dem Haus ist und sie und Thomas beschlossen hatten, dass sie nicht mehr arbeiten gehen sollte, ist alles gut.

Sie haben früh geheiratet, Nora war gerade zwanzig Jahre alt und ihr Sohn kam ebenfalls früh. Jetzt ist er selbst einundzwanzig und Nora zweiundvierzig. Leider ist er nur selten zu Besuch. Nora vermisst ihn sehr. Er vermeidet es, seinen Vater zu treffen. Nur wenn Thomas weg ist, kommt Sebastian in sein Elternhaus.

Aussehen tut sie wie Mitte dreißig, ist fast 1,80 m groß und sportlich. Trotz der Größe und ihrer Sportlichkeit wirkt sie zart und zierlich. Sie bewegt sich wie eine Balletttänzerin. Kein Wunder, denn bevor sie Kickboxen begonnen hat, war sie viele Jahre von Kind an in der Ballettschule und tanzte im Ballett am Theater Dortmund, zwar lange nur in der dritten Reihe, aber es machte ihr Spaß. Sie war gut und ständig strengte sie sich an, weiter nach „vorn“ zu kommen.

Einmal hatte sie ein Solo. Sie tanzte im Nussknacker2 die „Zuckerfee“. Damit hatte sie es fast geschafft. Es war nicht nur ihr Können, sie hatte schon immer eine wunderbare Ausstrahlung. Ihr Gesicht und wie sie sich bewegte, das hatte etwas Besonderes, sie wirkte damals so rein, klar und fast transparent. Alle anderen hatte sie ausgestochen. Doch sie brach sich ein Bein, das nur langsam heilte. Es gab Komplikationen. Die Heilung dauerte und dauerte. Bevor sie wieder hätte tanzen können, hatte sie schon Thomas kennengelernt. Dem gefiel es nicht, sie nur leicht bekleidet auf einer Bühne vor Hunderten von Frauen und vor allem Männern tanzen zu sehen. Sie hatte das sofort gemerkt, er brauchte gar nichts zu sagen.

Das war der Zeitpunkt, als sie begann, Kickboxen zu lernen und einmal die Woche ins Studio zu gehen, um Kraft zu trainieren.

Ihr Körper ist immer noch perfekt. Sie ist sehr ausdauernd und stark für eine Frau. Ihre Bewegungen sind harmonisch, katzengleich, raubkatzengleich!

Man sieht es ihr nicht an, aber ihr Ehrgeiz, auch hier alles perfekt zu machen, hatte dazu geführt, dass sie einige, genau genommen die meisten Männer in ihrem Alter bei den Kraftübungen übertraf. Aber davon merkt man im Alltag nichts. Sie ist zurückhaltend und liest ihrem Thomas alle Wünsche von den Augen ab.

Sie hat eine Freundin, ihre Kollegin Gudrun die noch an derselben Schule als Lehrerin arbeitet.

Doch mittlerweile mault und klagt Gudrun immer. Deren Lieblingslied ist „The Ballad of Lucy Jordan“, ein Lied, das Marianne Faithful in den Achtzigern gecovert hatte. Darin geht es um eine Frau, die jeden Morgen überlegt, wie sie den Tag rumkriegen soll. Lucy hat alles, einen gutaussehenden, gutverdienenden Mann. Ein schönes, großes Haus. Ihr Kind ist in der Schule. Doch Lucy ist bisher noch nie im Cabrio durch Paris auf den Champs Élysée gefahren, hatte nur einen einzigen Liebhaber in ihrem Leben, ihren Mann und sie meint, viel verpasst zu haben.

So geht es Gudrun auch. Immer wieder spricht sie Nora darauf an und fragt sie, ob sie denn zufrieden sei und Nora war es und ist es heute noch. Sie weiß ihre Situation so zu schätzen, wie sie ist. Ihr fehlen keine tausend Liebhaber oder romantische Cabriofahrten. Sie weiß, dass sie gut ist, bei Allem ganz weit vorne sein kann, wenn sie will und bei allen Dingen, die sie anpackt, Erfolg hat. Sie ist ehrgeizig, aber das fällt den Menschen in ihrer Umgebung nicht auf.

Andererseits stört es sie schon, dass sie so wenig Lob bekommt. Sie meint, dass keiner bemerkt, wie gut sie ist und noch nie hatte jemand Verständnis oder gar Mitleid für sie. Das wäre sehr wichtig für sie.

Nicht mal Thomas bemerkt das. Immer wenn sie ihn vorsichtig darauf anspricht, lacht er und sagt nur, sie wisse doch selbst, wie gut sie ist und das immer wieder zu betonen oder gar Mitleid über ihre einsame Situation zu äußern, müsse ihr doch lächerlich und peinlich sein. Er wisse genau, was er an ihr hat und das müsse man ja nicht immer wieder sagen.

Aber genug mit dem Selbstmitleid. Sie hat noch viel zu tun, denn heute Abend kommt Gudrun mit ihrem Mann Max zum Essen. Sie muss noch einkaufen, das Wohnzimmer sicherheitshalber noch mal putzen und das Essen für den Abend vorbereiten. Das macht sie alles selbst und allein. Thomas hat ihr schon oft nahegelegt, dass sie doch einen Cateringservice beauftragen und wenigstens ein, zwei Mal die Woche eine Putzfrau holen solle. Der hat gut reden. Sie ist sicher, weder Essen vom Catering noch das Putzen einer Fremden würden ihm gut genug sein. Nein, das muss sie schon selbst machen.

Manchmal hat sie eine Mordswut auf ihn, dass sie ihm am liebsten Schmerzen zufügen würde. Doch das Gefühl hat sie gut im Griff und schiebt es schnell beiseite, wenn es mal wieder hochkommt.

Sie hat alles, sie ist glücklich, sie kann alles und sie wird’s den anderen schon zeigen. Und wenn sie jetzt aufhörte zu träumen, hätte sie vielleicht noch Zeit für eine Stunde im Studio.

Sauber

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