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2 Ein perfekter Abend

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ie Eheleute Gudrun Singer-Kolb und Max Singer sind Mitte vierzig. Früher, als Gudrun und Nora noch Kolleginnen waren, hatten sie sich angefreundet. Man traf sich mal bei den Einen und danach bei den Anderen.

Mittlerweile war es so, dass die Männer gut befreundet sind, obwohl auch Max Studienrat am Gymnasium ist und Thomas eigentlich abschätzig auf die „Pädagogen“ herab schaut. Nora und Gudrun treffen sich nur noch selten. Gudrun nervt Nora mit ihrer Unzufriedenheit.

Thomas ist hochintelligent, hat Betriebswirtschaft studiert und führt mittlerweile sein eigenes Beratungsunternehmen mit fünf festangestellten und drei freiberuflichen Beratern.

Das typische Gestöhne der meisten „Pädagogen“ und „Pädagoginnen“ amüsiert ihn. Er sieht seinen Zwölfstundentag und hört zum Beispiel das Gejammer von Gudrun, die noch an der Grundschule unterrichtet und seiner Meinung nach, nach höchstens sechs Stunden dort ihre Freizeit genießen kann. Max und Gudrun sind kinderlos und wohnen – natürlich – in einer Altbauwohnung mit hohen Räumen im Kreuzviertel. Woanders kann man ja gar nicht wohnen, meint Gudrun. Dass Thomas und Nora ein Haus im nahe gelegenen Schönau haben, geht gerade noch so, das ist Uni-Umfeld und auch dort ist die Pädagogendichte hoch.

Sie sind kaum angekommen, da schiebt Nora sie schon in Richtung Esstisch. Auf dem Tisch, der peinlichst sauber und aufgeräumt ist, stehen Geschirr und Gläser für mehrere Gänge. Auf dem obersten, kleinen Tellerchen sind Amuse Gueule3 angerichtet. Als alle sitzen ruft Nora laut:

„Granat auf Guacamole! Einen Guten Appetit wünsche ich und Thomas, kannst du bitte den Haut Sauternes einschenken?“

„Guacamole? Was ist das denn?“ Max schaut seinen Teller mit der Baguettescheibe an, auf der wunderschön die grüne Paste für einen Kontrast zu einem tiefrosafarbenen Garnelenschwanz sorgt.

Nora will es ihm gerade erklären, da meckert Gudrun ihn schon an: „Das ist Avocadocreme, du Banause!“ Zack! Hat er wieder seinen Rüffel weg.

„Im Prinzip ja“, Nora kann das nicht so stehen lassen: „Aber ich füge dem Ganzen noch meinen Pfiff hinzu, der meine Guacamole einzigartig macht! Aber ich verrate nichts!“ Sie lacht verschmitzt.

„Ja ist klar, es ist immer was Besonderes, was du aufbietest.“ Eigentlich hatte Gudrun das als Kompliment sagen wollen, aber wie immer lag ihre nörgelige Grundhaltung darunter und es klang wie ein Vorwurf.

„Also ich find’s richtig lecker. Kann ich noch so’n Ding kriegen?“ nuschelt Max jetzt mit vollem Mund.

„Nora, darauf kannst du dir was einbilden. Mich lobt Max nie! Aber du hast ja auch den ganzen Tag Zeit“, giftet Gudrun erneut rum.

Thomas zieht die Augenbrauen zusammen. Er merkt, dass der Abend aus dem Ruder läuft. Er kann sich aber trotzdem eine Spitze nicht unterdrücken:

„Wie steht’s mit deinem Burnout, Gudrun? Gedeiht oder stagniert er? Es sind ja auch alles kleine Deubelchen diese Viertklässler, nicht wahr?“

„Also Burnout ist zu viel gesagt, aber nach den sechs Stunden morgens und dem Korrigieren der Arbeiten am Nachmittag, weiß ich schon, was ich getan habe. Außenstehende können sich gar nicht vorstellen, wie hart das Leben von Pädagogen ist. Ich spiele oft mit dem Gedanken, das alles hinzuschmeißen. Hoffentlich verpasse ich nicht den Absprung, bevor es wirklich zum Burnout kommt.“

Gudrun hat die Spitze nicht bemerkt. Sie hält Thomas‘ Nachfrage für ernste Besorgnis um sie und auch Nora schaut kurz kritisch zu ihrem Mann rüber. Nur Max grinst zufrieden. Er hat die Spitze entdeckt und sich blitzschnell Gudruns Amuse Gueule in den Mund gesteckt.

„Ej, Max, spinnst du?“

„Warte Gudrun, ich hol dir schnell ein Neues!“

„Nee, nee, lass mal. Ich mache mir sowieso nichts aus Garnelen.“

Max kneift Thomas verdeckt ein Auge zu. Die beiden warten nur darauf, dass das Essen zu Ende geht und sie sich gegenseitig über ihre neuen Spielzeuge unterhalten können.

Nora ist aufgestanden und kommt nun mit einem Tablett zurück, auf dem vier tiefe Teller mit Spaghetti in einer bunten Soße stehen. Nachdem sie sie verteilt hat, ruft sie wie eine professionelle Köchin „Spaghetti alla puttanesca variazione Nora“.

„Nuttennudeln?“ Max kann keinen vermeintlichen Gag auslassen. Nora weiß das und nimmt es ihm mittlerweile nicht mehr übel. Er haut gewöhnlich rein und sagt ihr auch, dass es ihm schmeckt. „Aber was meinst du mit ‚… variazione Nora‘?“

„Ich mache noch Stückchen von Culatello rein und würze mit Chiliflocken. Also aufgepasst, könnte etwas scharf sein!“

„Na ja, schmecken wirklich gut, deine Spaghetti. Aber was hast du da am Handgelenk? Das ist ja ganz blau am Knöchel.“ Gudrun verbindet auch ein Lob mit kritischen oder nicht ganz höflichen Fragen.

Nora hebt ihr Handgelenk so an, dass es unter der tiefhängenden Esstischlampe gut zu sehen ist.

„Ach das ist mir heute beim Kickboxen passiert. Ich krieg immer so schnell blaue Flecken, brauche nur irgendwo leicht anzustoßen und schon ist es passiert!“

„Und das unter dem rechten Auge …?“

„Sieht man das? Ich dachte, ich hätte es gut überschminkt. Da habe ich die Boxbirne vorgekriegt, als ich mal einen Moment unaufmerksam war. Unaufmerksamkeit beim Kickboxen rächt sich sofort.“ Sagt sie ganz leicht dahin. Nora lächelt Thomas an, der die Stirn in Falten gezogen hat. Er wirkt fast zornig, hat sich aber schnell wieder im Griff.

Der nächste Gang kommt und anschließend der Nachtisch. Es geht so weiter, Gudrun nörgelt, Nora preist die eigenen Kochkünste an, Max isst wie ein Scheunendrescher und Thomas versucht aufkommende Wogen von Ärger zu glätten. Er fragt sich schon lange, was diese gemeinsamen Essen sollen.

Später tauschen sich die Männer über ihre technischen Gimmicks aus, die sie sich neu beschafft haben, Mähroboter, neues Notebook, Handy-Apps und ihre Autos. Die Frauen reden wie immer aneinander vorbei, Gudrun erzählt von der Schule und ihrem Stress und Nora preist das eine oder andere Reinigungsmittel, das ihr den Tag erleichtert.

Gegen halb eins beschließen sie den Abend. Gudrun und Max verabschieden sich herzlichst mit Küsschen rechts und links. „Schön war’s!“ „Müssen wir bald wieder machen!“ „Aber dann kommt ihr zu uns, abgemacht?“ „So perfekt wie du kriege ich das natürlich nicht hin, Nora! Du weißt ja, die Arbeit …!“

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„Schatz, ich hau mich hin. Ich bin ziemlich müde. Lass uns morgen aufräumen!“ Thomas gähnt ostentativ.

„Ja, geh du nur schlafen. Ich stell alles nur provisorisch zusammen und dann komme ich nach.“ Nora stapelt schmutziges Geschirr auf dem Esstisch und fegt Krümel vom Tischtuch.

Sie möchte noch nicht zu Bett gehen. Irgendwie ist sie noch nicht bereit dafür. Ihr geht zu viel im Kopf herum. Sie könnte noch laufen. Danach schläft Thomas sicherlich und dann kann sie auch schlafen.

Nora läuft oft nachts durch die leeren Straßen. Vom Haus ist es nicht weit zu den Feldern, die die Universität umgeben und sie hat sich eine schöne Laufstrecke zusammengestellt. Nachts eine knappe Stunde zu laufen und dabei acht, neun Kilometer zurückzulegen, tut ihr gut. Ja und Thomas schläft sicher, wenn sie zurück ist!

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Gudrun und Max haben es nicht weit zurück ins Kreuzviertel. Sie wohnen in der Essener Straße und sind zu Fuß unterwegs.

„Tut gut, jetzt noch zu gehen! Irgendwie war es zum Schluss gefühlt stickig bei Nora und Thomas, woll?“

„Jau! Hömma, seit wann sachst ausgerechnet duwoll‘? Du bist doch sonst so etepetete.“ wundert sich Max.

„Hör bloß auf! Mir ist danach, so richtig prollig zu sein. Die geht mir auf den Zeiger mit ihrem Perfektionismus. Stundenlang hat sie mir von den Vor- und Nachteilen einzelner Kloreiniger erzählt. Als ihr auf der Terrasse wart, hat sie mich im ganzen Haus rumgeführt, nur damit ich sehe, dass nirgends ein Stäubchen liegt. Kunststück, den ganzen Tag ist sie zu Hause und kriegt wahrscheinlich die Zeit nicht rum, so wie Lucy Jordan in dem Lied.

“And there are, oh, so many ways

for her to spend the day.

She could clean the house for hours

or rearrange the flowers”

singt sie kurz die Strophe an. Mensch! Früher, als sie auch unterrichtete, konnte man mit ihr reden, aber jetzt, wo sie nur noch Hausfrau ist, kriege ich keinen Draht mehr zu ihr.“

„Na, so schlimm ist es doch wohl auch nicht und bedenke, sie hat eine harte Zeit hinter sich.“

„Ja, nimm du sie immer in Schutz, aber mal ganz was anderes, hast du die blauen Flecken von Nora gesehen. Das kommt mir reichlich komisch vor.“

„Was willst du damit sagen? Denkst du an häusliche Gewalt?“ sagt Max und lacht laut los.

„Ich weiß nicht, es ist nicht das erste Mal, dass ich sowas an ihr sehe und jedes Mal redet sie sich mit dem Kickboxen raus.“

„Kann ich mir nicht vorstellen. Thomas ist wirklich in Ordnung. Er ist zwar äußerst pingelig, aber Genauigkeit gehört bei ihm zum Job. Hast du übrigens gesehen, wie er kurz vorm Essen nochmal um den Tisch gegangen ist und alle Bestecke exakt ausgerichtet hat? Mal ehrlich, ist doch Quatsch! Wieso sollte er Nora verhauen? Sie sieht klasse aus und macht alles, was ihm gefallen könnte. Die hat doch ihr ganzes Leben und Streben ihrem Thomas gewidmet. Da haben sich Topf und Deckel gefunden.

Hör mal, tu mir einen Gefallen und sprich in der Schule oder sonst wo nicht darüber! Behalte das für dich. Es geht schnell, dass jemand ohne jeden Grund seinen guten Ruf verliert.“

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Nora war doch länger weg. Es ist fast drei, als sie ins Haus zurückkehrt. Warum auch nicht, obwohl morgen Montag ist, treibt sie nichts und niemand. Aber jetzt wird sie tief und fest schlafen, durchgelüftet und mit freiem Kopf.

Sie geht leise die Treppe hoch ins Badezimmer neben dem Schlafzimmer. Zieht ihre verschwitzte Laufkleidung aus und wäscht sich den nackten Körper leise mit einem Waschlappen. Auch an den Rippen, da wo die Leber ist, hat sie einen Bluterguss, aber den sieht ja keiner.

Nackt geht sie auf Zehenspitzen rüber ins Schlafzimmer. Sie ist sehr leise und braucht kein Licht. Nun einfach ruhig hinlegen und schnell schlafen, das will sie mehr als alles andere.

Die kühle Bettdecke tut gut auf dem Körper. Nora schläft schon seit langem nackt. Sie ist sehr zufrieden mit ihrem Körper und liebt es, ihn zu fühlen und alles was ihn umgibt. Für ihr Alter ist er fast perfekt auch in ihren Augen. Andere Frauen versteht sie nicht, die ständig mit ihren ‚Problemzonen kämpfen‘ und an sich herumnörgeln. Entweder sollten die was tun so wie sie oder sich mit dem Status quo abfinden. Sie hat Stunden mit Krafttraining, Laufen und Sport in ihn investiert und das Ergebnis ist wirklich sehr ansehlich.

Irgendwie ist ihr, als wäre sie allein im Raum. Vorsichtig schiebt sie ihre Hand rüber zu Thomas‘ Bett Nur nicht wach machen! Sie braucht einige Zeit, denn sie rückt nur millimeterweise rüber.

Sie schreckt auf und sitzt mit einem Ruck senkrecht im Bett. Thomas‘ Laken und Decke sind kalt. Er ist nicht da. Was ist, wenn er zurückkommt und sie noch nicht schläft?

Sauber

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