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6 Jutta war klasse
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arla, hast du aufgelegt?“
„Wie aufgelegt? Nein, ich lese die Akte. Warum, was war denn?“
„Ich hatte da eine Frau an der Strippe, die mir sagte, dass die Tote von gestern Kellnerin im ‚Rock-Oko’ war. Ich wollte gerade meinen Block holen und als ich zurückkam, war das Gespräch weg. Aber erstmal egal, komm wir fahren zum ‚Rock-Oko’. Ich bin mal gespannt, warum die sich nicht gemeldet haben. Hau rein! Der frühe Vogel fängt den Wurm!“
„Och, du nervst. Ich versuche gerade alles an Hand der Akte zu verstehen und da grätscht du rein. Aber gut, ich komme schon. Sagtest du Rock-Oko?“
„Ja, Warum?“
„Das kenne ich zur Genüge. Mein Ex war dort Stammgast und mich hat er auch immer dahin geschleppt. Dann hat er sich zu seinen Kumpels an die Theke gestellt und sie haben sich in trauter Eintracht die Kante gegeben. Ich hoffe, der ist jetzt nicht ausgerechnet da, wenn wir dahin gehen, dann bleibe ich draußen!“
Karla zieht ihre Jeansjacke über die blendend weiße Bluse. Sie sieht toll aus mit ihren kurzen, dunklen Haaren und den strahlend blauen Augen, findet Karin. Nicht nur ihre Augen strahlen, es ist, als würde sie von innen leuchten durch ihren klaren, reinen Teint im Gesicht.
‚Aber ach, das ist vorbei. Wie lange ist das her, dass sie …?‘
-:-
Ottokar Sprantz lümmelt gelangweilt auf einem Stuhl vor dem Tisch mit dem PC drauf rum. Letzten Abend war es wieder spät geworden - Gastwirtsleben eben – aber das ‚Rock-Oko’ schnurrt richtig gut. Noch einen Sommer lang und ‚Oko‘, wie er genannt wird, ist saniert. Das ist das Geheimnis, man muss die Blase füttern und kurz bevor sie platzt, alles verkaufen.
Es ist schon die dritte Kneipe, die er aufgemacht hat und beim ersten Mal hat er richtig draufgezahlt. So ein Schuppen ist anfangs angesagt, jedenfalls wenn er in der richtigen Ecke ist und das Kreuzviertel ist für neue Kneipen immer die richtige Ecke. Aber längstens nach der zweiten Saison zieht der Tross der Leute, die meinen in zu sein, in die nächste neue location, wie man so schön sagt. Also kurz vorher weg damit und teuer verkaufen.
Und jetzt kommen diese beiden Tussies und wollen was von ihm. Passt gerade gar nicht!
„Herr Sprantz, es geht ganz schnell, wenn Sie mitmachen. Hier ist ein Foto und wir brauchen einen Namen dazu. Bevor Sie uns abwimmeln wollen, wir haben Zeugen dafür, dass diese junge Dame hier gekellnert hat. Ist das richtig?“
„Na Mädels, wenner schon alles wisst, warum seid ihr dann hier? Klar, das is Jutta. Die is ‘n Schatz. Wat die allein an Trinkgeld wegschleppt, sagenhaft! Manche kommen nur wegen Jutta innen Laden. Abba warum fragt ihr, Mädels? Is was mit Jutta?“
„Na, nun mal Butter bei die Fische, Oko-Schätzken“, Karin steigt auf den Ton ein. „Wieso hast du dich nicht gemeldet. Das Bild ist heute in der Zeitung mit der Bitte um Hilfe, aber du … nix!“
„Mann, Zeitung, wer guckt denn da rein? Papier mit Facts von gestan, das habe ich doch schon alles vorher im Web gecheckt. Das Bild habe ich aber nicht gesehen. Jutta sieht komisch aus darauf. Total blass! Is sie krank? Das wäre echt scheiße!“
„Nu mach mal halblang, Oko!“ Karins Geduld ist unerschöpflich, wundert sich Karla. „Ist doch wohl klar, was passiert ist. Kurz gesagt, Jutta ist tot! Auf bestialische Weise ermordet worden. Sie muss unheimlich gelitten haben, mit Stahlbürsten abgescheuert zu werden und dann … aber ich sehe schon, du wirst blass. Ich will nicht, dass du dich kotzend meiner Befragung entziehst. Also, zeig mir den harten Oko und erzähl mir von Jutta.“ Karin behält die Verbrühungen für sich. Manchmal ist es wichtig, sogenanntes Täterwissen nicht öffentlich werden zu lassen, schon allein um nicht auf irgendwelche Spinner reinzufallen, die sich zu allen Verbrechen melden.
Sprantz ist wirklich blass geworden. Die Mitteilung hat ihn hart getroffen. Jutta war für ihn ein unheimlich starkes Pfund, mit dem er wuchern konnte. Vor allem Männer und auch ein paar sehr ‚strikte‘ Frauen kamen in seinen Laden, nur weil Jutta da war. Dass sie nun tot ist, ist ein Schlag ins Kontor.
„Jutta ist … wa ‘n Schatz. Ich kann mir im Moment gar nicht vorstellen, wie et hier ohne sie weitergeht. Sie sah nicht nur klasse aus, sondern Sie wa‘n Sonnenschein. Wissta? Die hat so gestrahlt von innen. So wie sie, stelle ich mir Engel vor, sauber, rein und strahlend, ‘n bisken wie du.“ Er schaut Karla an. „Sobald sie die Gäste ansprach, waren die hin und wech. Es war eine Freude, mit ihr zu sprechen. Die Gäste haben nicht mehr auf‘n Preis geguckt, sondern bestellt, verzehrt, gerne bezahlt und ihr hohe Trinkgelder gegeben.“
Ottokar Sprantz fängt plötzlich an zu schluchzen. Das sieht nicht gespielt aus. Jutta fehlt ihm nicht nur geschäftlich.
„Also Oko, nimm es mir nicht übel, aber wart ihr, Jutta und du ein Paar oder hattest du sonst wie was mit ihr?“
„Wat? Schön wär’s! Jutta hätte jeden haben können, aber sie hielt immer Abstand, so als wenn sie auf DEN Mann für’s Leben wartet. Sie wurde imma wieder angebaggert, manchmal auch sehr heftich, aber sie hat immer wieder den Dreh gekricht, die Kerls abzuwimmeln, ohne dass es stressich wurde. Aber es gab auch Frauen …“
„Wie Frauen? Lass knacken, Oko!“
„Mann, das ist doch so, die richtich klasse Frauen wirken todsicher auf Männer, aber genauso auf Frauen, die Frauen lieben.
Jutta hatte ein Tanzkärtchen lang und gut gefüllt, da kannze nur von träumen, Baby!
Ach so, Mädel …“ spricht er Karla an. „Dich kenne ich doch. Gezz weiß ich auch woher! Warste nich ’n paarmal mit ’m Gottfried hier?“
Karla wird sauer: „Klar, aber den hab ich in den Wind geschossen. Der wurde grob! Aber das hat mit der Sache nichts zu tun. Also weiter im Text!“ Sie versucht sich dem forschen Ton von Karin anzupassen und deckt ihre aufkommende Panik damit leidlich zu.
„Ne, ne, ich komm nur drauf, weil der Gottfried schon ’ne ganze Zeit umme Jutta rumscharwenzelt is. Der war auch richtich scharf auf sie. Jutta war der unheimlich, hat sie mir mal gesagt.“
„Kann ich verstehen. Wahrscheinlich hat er sie schon angemacht, als ich noch mit ihm zusammen war. Aber ist ja auch egal.“
Karin übernimmt wieder: „Es gab also Männer … ja gut und auch Frauen, denen Jutta gefiel. Ist dir was dabei aufgefallen, gab es ein besonderes Ereignis?“
„Nee … oder watte mal, vorletztes Wochenende da wa‘s ’n bisken gemischt. Da war Jutta zum ersten Mal inner Bredouille und ich musste eingreifen, sonst hätte es hier richtich Theater gegeben.
Da saßen zwei Paare an einem Tisch – weisse so Pädagogen und Akademiker, wie üblich hier inner Ecke – zirka Anfang, Mitte vierzich. So richtich Upper Middleclass, wenna wisst wat ich meine.
So richtich Schöne mit Geld. Und der Eine, der hatte so lange Haare, die er wie son Popper vonner einen Seite auffe andre gekämmt … ne, gelegt hatte. Weisse mit sonner Welle. Schön wara, ich wollte schon schwul werden. Seine Frau hat mir aber noch besser gefallen. Sie war ziemlich groß, aber unheimlich … ach ich weiß au nich … knackich, jau, knackich trifft‘s. Schlank, trotzdem zart, sehnig, muskulös und ging wie ‘ne Gepardin. Mann, die war klasse.
Na ja, als Jutta an den Tisch ging, richtete sich der Schöne demonstrativ auf wie son Pfau, weisse. Er machte sie direkt an. Ohne viel Zurückhaltung hatta sie angepunkt, als wäre sie ihm was schuldig oder als würde sie ihm gehören.
Jutta war kein Kind von Traurigkeit. In solchen Situationen hat sie immer Kontra gegeben und dann hatte es sich, aber nich mit dem Schnösel. Der hat richtich Druck gemacht.
Gott sei Dank habe ich das vom Tresen aus gesehen und bin dann ran. Der Typ wurde schon laut, als ich dazu kam. Kurz und gut, ich habe Jutta weggeschickt, den Typen beruhigt und statt Jutta ‘nen Kellner hingeschickt.
Sonst war nix, jedenfalls habe ich nix mehr mitbekommen. Jutta war ‘n bisschen einsilbig nachher, aber am nächsten Abend war alles wie immer.“
„Wie haben sich die anderen am Tisch verhalten? Haben die mitgemacht oder …?“
„Also diese tolle Frau an seiner Seite, hat versucht, ihn zu beruhigen, immer wieder die Hand auf ‘n Arm gelegt und ‚Lass doch, Thomas!‘ zu ihm gesagt. Ja und das andere Pärchen tat so, als hätte es nix damit zu tun. Denen war das peinlich … obwohl der andere Kerl konnte auch überhaupt nicht die Augen von Jutta nehmen. Wie soll ich sagen, ich sach ma so, der war spitz wie Nachbars Lumpi, wenna wisst, wat ich meine.“
Karin weiß, was er meint und Karla auch. Beide nicken.
„Danke Oko! Du hast uns sehr geholfen oder was meinst du Karla?“ Karins Blick ruht lange und wohlwollend auf Karla. Sie sieht fantastisch aus. In ihrer weißen Bluse strahlt sie klar und sanft wie eine Blume. Es liegt wahrscheinlich an ihrem mattglänzenden, apricotfarbenen Teint. Kaum geschminkt, nur die Wimpern, die lang und seidig sind, sind ein wenig geschwärzt. Ihre sehr dunklen, fast schwarzen Haare umrahmen das Gesicht. Der Bob ist perfekt geschnitten und das Haar fällt dementsprechend genauso, wie es soll. Ihre fast 1,80 m und knapp 60 kg stecken in engen Jeans, für die sie die passende Figur hat. Selbst in den flachen Sneakers, die sie trägt, wirken ihre Beine lang und schlank.
„Ach Ottokar, kannst du die Leute identifizieren, wenn du sie sehen würdest?“ fragt sie Sprantz. Karins Blick hat sie ein wenig irritiert.
„Mensch, lasst mich da raus! Ich bin auf Kundschaft angewiesen. Klar würde ich die erkennen, vor allem den mit‘m Popperschnitt, aber lieber nich Auge in Auge bei einer Gegenüberstellung, wennet geht.“
Karin und Karla wenden sich zum Gehen, da dreht sich Karin nochmal um:
„Ach halt, wie hieß Jutta denn nun mit Nachnamen und wo hat sie gewohnt? Kannst du mir das sagen?“
„Schulte, den Rest musse die Gisi fragen, die steht hinta der Theke und macht auch die Bücher. Die hat alle Infos vonne Jutta.
Allet klaa, meine Damen? Ich tu mich ma wech, woll. Mann dat is ’n Schock! Scheiße, die Jutta is tot! Mann, Mann, Mann!“
Oko dreht kopfschüttelnd ab und verschwindet durch die Tür, die hinter der Theke liegt. Gisi, also Gisela Manndorf gibt bereitwillig alle Informationen über Jutta raus.
„Also Jutta Schulte heißt sie und sie wohnt Schillingstr. 28 fast umme Ecke. Sonne Scheiße, das die Jutta tot is. Mensch dat wa so’n tolles Mädchen, immer adrett und freundlich. Die arme Erna! Erna is Juttas Mutter, woll!“
Gisi ist Ende vierzig und schon lange im Geschäft. Sie hat mehr Kneipen schließen sehen, als die meisten in ihrem Leben besucht haben. Früher hat sie auch gekellnert, aber die Füße machen nicht mehr mit, Hallux valgus hat ihr der Arzt gesagt und dass sie früher nicht so oft Stöckelschuhe hätte tragen sollen. Toll, jetzt wo es passiert ist. Da kann sie sich auch nichts für kaufen.
Ihre Haare trägt sie – früher sagte man – im ‚Jackie-Look‘. Also so wie Jacqueline Kennedy6 sie getragen hat, mit großem Pony und von der Mitte des Kopfes hochtoupiert und mit viel Haarspray fixiert.
Man sieht, dass Gisi mal ein flottes Mädel war, aber die Schwerkraft fordert auch bei ihr ihren Tribut. Sie ist 1,70 m und wiegt zur Zeit 75 kg, aber das wechselt von einer Diät zur nächsten. Doch Gisis Augen, die heute ausnahmsweise sehr traurig sind, seit sie von Juttas Tod gehört hat, sind ansonsten strahlend, humorvoll und so, als hätten sie Dinge gesehen, wegen der Gisi nun die Welt sehr entspannt sieht. ‚Aufregen kannze dich auch später noch!‘ ist Gisis Wahlspruch.
Karla hakt im Kopf ab, dass eine der Vermissten, deren Akten sie auf dem Tisch hat, Jutta ist. Nun wird sie nicht mehr vermisst! Sie müssen es noch Juttas Mutter erklären. Das ist wirklich ein Scheißjob.
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„Na Karla, was sagst du? Aufschlussreich was? Wir müssen den Sprantz nochmal vorladen, damit der uns ein Phantombild von dem ‚Schnösel‘ macht. Den müssen wir finden.“
„Klar, sehe ich genauso. Aber mal was anderes, du hast mich gerade so komisch angeguckt … war was?“
„Wie komisch? Nein, als der Sprantz so von der Wirkung dieser Jutta auf Männer UND Frauen sprach, fiel mir ein, dass das auch auf dich zutrifft. Auch du bist gutaussehend und kommst so sympathisch rüber … ach ich weiß auch nicht. Ich finde dich absolut toll! Ich freue mich, dich als Partnerin zu haben.“
„Hrm … Karin, ich bin nicht so, okay? Ich mag Männer, auch wenn ich gerade keinen am Start habe. Also bitte, gute Kolleginnen und gut ist, okay?“
„Na klar, wie kommst du darauf, ich könnte …?“ Karin ist rot geworden. Den Satz spricht sie nicht zu Ende. Um das Wort macht sie einen großen Bogen. „Aber die Jutta muss was ganz Besonderes gewesen sein oder?“