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4 Jutta ist weg!

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rna Schulte schläft schlecht. Es ist Sonntag und sie macht sich Sorgen um ihre Tochter. Seit der ganzen letzten Woche hat sie versucht, sie zu erreichen, ohne Erfolg.

Jutta ist fünfundzwanzig, also erwachsen, verdient ihr eigenes Geld als Kellnerin und hat ihre eigene Wohnung im Kreuzviertel. Sie muss sich nicht bei Mama abmelden, aber sie ist ein gutes Mädchen. In der Regel telefonieren Mutter und Tochter zwei bis dreimal in der Woche miteinander, falls sie sich nicht sogar treffen, um irgendwas zusammen zu unternehmen.

Erna ist gerade mal fünfundvierzig, Jutta kam früh und viele halten die zwei für Schwestern, wenn sie „auf die Rolle gehen“, wie Erna es ausdrückt.

Sie hat beschlossen, zu Juttas Wohnung zu gehen. Anders weiß sie sich nicht zu helfen, nachdem sie schon die Mailbox bei ihr vollgesprochen hat. Und nun steht sie in dem alten Haus an der Schillingstraße und klingelt. Der Briefkasten läuft über und alles deutet darauf hin, dass Jutta schon einige Tage nicht zu Hause war.

Für alle Fälle hat Erna einen Schlüssel, so wie Jutta umgekehrt auch. Obwohl es ihr widerstrebt, öffnet sie nun die Wohnungstür und bemerkt sofort die abgestandene Luft. Hier war seit Tagen kein Fenster mehr auf. Die schönen Topfblumen, die Juttas Stolz sind, lassen größtenteils die Blätter hängen. Ein großer Ficus ist schon fast vollständig entlaubt.

Nein, da ist etwas passiert. Erna wird zur Polizei gehen.

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Am Freitag davor ruft Max Thomas in dessen Büro an. „Hast du heute Zeit für eine Runde Squash?“ Sie verabreden sich oft ganz spontan, entweder es klappt oder auch nicht.

„Puh, du erwischt mich gerade in einer dringenden Arbeit, aber Squash wäre wirklich mal wieder gut. Ich sehe zu, dass es klappt. Am besten rufe ich dich an, sobald ich absehen kann, wann ich heute Feierabend mache. Ist das okay?“

„Klar, du weißt doch, wir Pädagogen haben ab fünfzehn Uhr in der Woche nichts mehr zu tun. Falls Gudrun nichts für heute Abend geplant hat, können wir auch ziemlich spät gehen, also bis nachher.“ Max legt auf.

Mist, jetzt hat er mich aus dem Konzept gebracht, aber er hat Recht, wir müssen mal wieder was miteinander und vor allem ohne die Frauen machen. Beim letzten Mal war zu viel „Zwietracht“ in der Luft

Thomas kniet sich in seine Projektunterlagen und es dauert nicht lange, bis er wieder seine volle Konzentration für die Arbeit aufbringt. Es läuft ausgesprochen gut bei ihm. Erst kürzlich haben sie einen sehr großen, bekannten Kunden gewonnen. Für den macht er gerade eine Kurzanalyse gewissermaßen als Probearbeit. Wenn die ankommt, dann hat er für die nächsten Jahre genug Arbeit.

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Es hat geklappt, Thomas und Max stehen auf dem Squash-Court und es gab gerade einen heftigen Schlagabtausch, den Thomas – wie meistens – für sich entschieden hat. Es lohnt nicht mehr einen neuen Satz zu beginnen, in fünf Minuten ist ihre Zeit in der Kabine abgelaufen und ihre Nachfolger sitzen schon auf den mit Teppichboden bespannten Stufen vor den Glastüren.

„Glückwunsch! Du hast mal wieder gewonnen, aber irgendwann schaffe ich es noch, dich zu besiegen.“ Von Max‘ Nase tropfen einige Schweißperlen auf den Holzboden, als er die Glastür öffnet, um den Court zu verlassen.

„Danke! Ja, vielleicht wird es dir mal gelingen. Wir sind nur wenig auseinander, aber wenn mir nichts dazwischenkommt, werde ich den Abstand halten. Du weißt doch, ich gewinne gerne.“ Das klingt sehr selbstbewusst, eigentlich so, als wäre es eine unumstößliche Feststellung.

Max kennt das und es ärgert ihn, aber insgesamt haben die Beiden eine gute Zeit miteinander. Er freut sich auf die Dusche und vor allem auf das Bier danach.

„Sag mal, hast du mit einem Gorilla gekämpft!“ Sie stehen unter den Duschen und Max zeigt auf Thomas Oberkörper und Beine, die voller blauer Flecken sind, seine Arme sind zerkratzt.

„Ich bin kürzlich im Gelände gestürzt, als ich mit meinem Cross-Bike im Schwerter Wald gefahren bin. Wenn ich den Helm nicht gehabt hätte, hätte ich wohl ins Krankenhaus gemusst. Aber tags drauf bin ich wieder aufgestiegen und es lief wieder wie davor. Fallen darf man, aber man muss immer wieder aufstehen. Kennst du doch!“

Max bemerkt anfangs eine kleine Unsicherheit bei Thomas, aber er kann sich auch täuschen.

„Nora und du ihr seid absolute Sportfanatiker, sie mit ihrem Krafttraining und Kickboxen und du mit dem Rad. Macht ihr eigentlich auch was zusammen?“

„Klar machen wir was zusammen und das ist auch ziemlich anstrengend …!“ lacht Thomas und fährt sich mit den Fingern durch seine nassen Haare. „Du, ich geh schon mal und zieh mich an. Ich brauch jetzt unbedingt ein Bier. Soll ich dir eins mitbestellen?“

„Nee, nee, lass man. Ich lasse noch das schöne, warme Wasser auf mich wirken, sonst habe ich morgen Muskelkater. Aber in längstens zehn Minuten komme ich auch und treffe dich an der Theke.“ Max aalt sich unter dem dampfenden Strahl und prustet dabei genüsslich.

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Die nächste Polizeidienststelle ist am Präsidium, aber die liegt so weit ab, dass Erna in die Stadtmitte geht und die Wache hinter dem Konzerthaus aufsucht, am ‚Platz von Pieks‘, wie man scherzhaft wegen der Spritzen, die früher da rumlagen, zum Platz von Leeds sagt.

„Ich möchte meine Tochter Jutta als vermisst melden!“

„Wie lange ist sie denn schon weg?“ fragt Polizeihauptmeister Gerd Müller – er heißt wirklich so und langsam werden die Leute weniger, die den Fußballer Gerd Müller noch kennen.

„Das weiß ich nicht, aber so wie es in ihrer Wohnung aussieht, muss sie schon wenigstens eine Woche weg sein.“

„Wie alt ist denn Ihre Tochter?“

„Fünfundzwanzig und bevor Sie weiter fragen, ja, sie wohnt in ihrer eigenen Wohnung, verdient ihren Lebensunterhalt selbst, aber sie ruft mich sonst wenigstens zweimal in der Woche an. Ich habe seit acht Tagen kein Lebenszeichen von ihr. Schauen Sie Herr Wachtmeister …“

„Polizeihauptmeister oder einfach nur Herr Müller für Sie!“ korrigiert er sie.

„Ja, Entschuldigung, also schauen Sie Herr Müller, hier ist ein Foto von ihr.“

„Na dann geben Sie mir zuerst Ihre Personalien an und dann die von Ihrer Tochter.“ Hauptwachtmeister Müller kommt um den leidigen Schreibkram nicht rum, das hat er eingesehen.

Üblicherweise werden die Vermisstenmeldungen sehr viel früher aufgegeben, dann kann man die Leute vertrösten, aber nach über einer Woche ist es wohl Zeit, sie aufzunehmen.

In dem Fall findet er auch keine Worte um die besorgte Erna zu beruhigen. Es tut ihm leid, denn die Frau gefällt ihm ausgenommen gut. Polizeihauptmeister Gerd Müller ist immer noch Junggeselle.

„Stimmt das denn wirklich, Sie haben eine fünfundzwanzigjährige Tochter? Sie sehen aus wie Ende dreißig, Frau Schulte.“

„Danke, Herr Müller. Wenn Sie das in einer anderen Situation gesagt hätten, hätte es mich gefreut. Ich mache mir wahnsinnige Sorgen um Jutta. Sie ist so verlässlich und lieb. Da muss was passiert sein!“

„Nun machen Sie sich mal nicht verrückt. Vielleicht musste sie sehr kurzfristig weg und kann sich aus irgendeinem ganz lapidaren Grund nicht bei Ihnen melden, Handy kaputt oder so. Das klärt sich sicher bald zum Guten auf, Sie werden sehen.“

„Darf ich denn ab und zu nachfragen, ob Sie schon was wissen?“

Wenn ihm die Frau nicht so gut gefallen würde, hätte er das jetzt routinemäßig abgeblockt, aber so könnte er in Kontakt mit ihr bleiben, wer weiß …? „Hier ist eine Karte, auf der Sie die Nummern dieser Wache haben und ich schreibe Ihnen mal meine Handynummer dazu. Sie dürfen mich gerne anrufen.“

Erna nimmt die Karte und geht langsam mit hängendem Kopf aus der Wache. Eigentlich wollte sie in der Stadt Schaufenster gucken, aber so allein, wie sie es jetzt ist, macht ihr das keinen Spaß.

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Es ist Sonntagmittag und in KHK Kwiatkowskis Büro sitzen sich Karla und Karin gegenüber.

„Was ist eigentlich los mit dir? Erst die Nummer mit der verrissenen Anfahrt und dann deine Übelkeit. Du siehst doch nicht zum ersten Mal eine Leiche. Muss ich da was wissen? Kennst du die Frau?“

„Nein! Ich kenne sie nicht, jedenfalls habe ich in diesem Blut- und Hautgemisch nichts und niemanden erkennen können.

Ich weiß gar nicht, wie ich dir das sagen soll. Bei Gewalt gegen Frauen kippt bei mir ein Schalter um und ich bin nicht mehr ganz bei mir. Schon als ich die Meldung am Telefon annahm, ging es mir dreckig.“

„So leid es mir tut, aber da musst du drüber wegkommen. Nicht auszudenken, wenn du direkt am Fundort hingekotzt hättest. Ich kann da leider keine Rücksicht drauf nehmen. Wir sind schon so wenige und gerade bei der Bereitschaft muss man alles erledigen, wie es kommt.“

„Ja, ich weiß und ich finde es auch blöd … ach was soll’s … ich hatte mal einen Freund und der hat mich mal angegriffen. Das war in einem Schrebergarten, den der hatte und als wir Richtung Bahndamm gefahren sind, habe ich erkannt, dass das die Anlage ist, wo es passiert ist. Wir sind damals vom Krückenweg aus runtergegangen. Als du und ich da lang gefahren sind, habe ich Panik bekommen. Daran habe ich überhaupt keine guten Erinnerungen. Seitdem geht es mir in dem Zusammenhang nicht gut und ich kriege Zustände, wenn sowas passiert.“

„Hast du den wenigstens angezeigt?“

„Nein, der wäre auch immer wieder gekommen und du weißt doch, wie mit einem umgegangen wird, wenn man mit sowas kommt!“

„Ja, leider, jedenfalls je nachdem, wer die Anzeige aufnimmt. Und wie hast du da Ruhe bekommen?“

„Ich hatte noch einen guten Freund, den ich von der Schule kannte. Wir treffen uns auch heute noch ab und zu. Dem habe ich das erzählt und da der kein Kind von Traurigkeit ist, hat der diesem Arsch wohl sehr deutlich klar gemacht, dass er sich von mir fernhalten soll. Ich glaub, der hat den richtig verprügelt. Seitdem habe ich Ruhe.“

„Offiziell muss ich jetzt den Kopf schütteln, aber als Frau und Kollegin gratuliere ich dir zu dem Schulfreund!“

„Danke! Und Karin, sag bitte den anderen nichts davon. Ich kriege das schon in den Griff, das verspreche ich dir.“

„Klar, aber jetzt an die Arbeit. Bitte durchsuche alle Vermisstenmeldungen der letzten Wochen nach einer jungen Frau von zirka 25 Jahren, 1,75 m groß, schlank und blond. Ich rufe Dr. Bürger an, ob er schon ein wenig mehr weiß.“

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„Hallo Herr Dr. Bürger, tut mir leid, dass ich Sie störe, aber …“

„Schon gut Frau Kwiatkowski. Ich hatte es Ihnen versprochen. Nun bin ich zwar trotzdem zu spät zur Geburtstagsfeier gekommen, aber ich kann Ihnen sagen, dass sich mein Anfangsverdacht bestätigt hat.

Das arme Mädchen wurde mit einer sehr harten Bürste am ganzen Körper quasi wundgebürstet, außer an diesen weißen Stellen, wahrscheinlich nachdem oder während sie in einer Wanne mit heißem Wasser saß. Schon allein das ist eine Quälerei gewesen. Doch sie wurde außerdem mit kochendem Wasser oder viel wahrscheinlicher mit Wasserdampf überall verbrüht und das bei lebendigem Leib, bis der nicht mehr mitmachte. Organversagen!

Haben Sie diese weißen Streifen in der Körpermitte und nach rechts und links verlaufend gesehen? Ich geh davon aus, dass sie in bester Bondage-Manier gefesselt war. Wir konnten auch Hanffasern feststellen.“

„Das hört sich nach einem Reinigungsprozess durch einen Wahnsinnigen an. Kann ich mir das so vorstellen?“

„Ja, so in etwa. Ich habe sowas noch nie erlebt und hoffentlich bleibt es auch bei diesem einen Fall. Aber nun muss ich zurück an die Kaffeetafel, obwohl ich den Kaffee auf habe.“ lacht er resigniert. „Bis Montag, Frau Kwiatkowski.“

„Ach Moment noch, Dr. Bürger. Wann ist sie gestorben und wurde sie … gibt es Spuren von sexuellem Missbrauch?“

„Der Todeszeitpunkt muss zwischen 02.30 und 03.30 Uhr liegen. Nein, sie hatte keinen Verkehr bevor sie umgebracht wurde. Allerdings wurde sie geschlagen und sehr hart angefasst. Aber von ihr kam keine oder wenig Gegenwehr. Der Gegner hat sie gefesselt und sie konnte sich nicht mehr wehren. Aber jetzt muss ich los. Tschüss nochmal, bis morgen!“ Er hat aufgelegt.

Nach Ende des Gesprächs sitzt Karin in Gedanken versunken ‚Ja, hoffentlich bleibt es bei diesem EINEN Fall!‘ aber ihr Gefühl sagt was anderes.

Karla kommt rein mit einem Bogen Papier.

„Wir haben fünf Vermisste, auf die die Beschreibung zutreffen könnte. Soll ich deren Verwandte mal abtelefonieren?“

„Klar! Mach dich direkt daran und vereinbare Termine mit denen. Am besten die kommen her. Die Tote muss möglichst bald identifiziert werden. Wenn du sie alle für Montag bestellst, kannst du direkt mit denen zu Dr. Bürger gehen … oder hältst du das nicht aus, dann schicke ich Heinz oder Alex?“

„Mensch hör auf! Nein, da muss ich durch. Ich habe beschlossen, das alles jetzt ganz professionell zu handhaben und ganz bald habe ich das im Griff.“

Sauber

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