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3 Die Tote unter der Brücke

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K

arin Kwiatkowski ist siebenunddreißig Jahre alt, schlank, sportlich und immer äußerst aufmerksam. Ihr entgeht nichts, was sich um sie herum tut.

Keine schlechte Eigenschaft für eine Kriminalbeamtin. Und sie hat es auch schon weit gebracht. Immerhin ist sie Hauptkommissarin und leitet die Mordkommission im Polizeipräsidium Dortmund. Ihr unterstehen Hauptkommissar Heinz Grauert, Oberkommissar Alex Bender und das Nesthäkchen Karla Schaller, die mit ihren siebenundzwanzig Jahren auch schon Oberkommissarin ist.

Obwohl es Sonntagmorgen ist, ist Karla da und telefoniert. Man sieht, dass sie blass wird. Ganz hektisch wirft sie das Telefon auf den Tisch, springt auf und läuft zum Schreibtisch von Karin in deren mit Glasscheiben abgeteilten Raum. Beide haben sie Bereitschaft und damit ein versautes Wochenende.

„Soeben wurde eine weibliche Leiche gefunden. Die muss schrecklich aussehen, wenn das stimmt, was man mir am Telefon beschrieben hat. Also die haben sie …“

„Nee, lass mal Karla, wir fahren hin und schauen sie uns ganz unvoreingenommen an. Wo ist der Fundort?“

„Am Krückenweg, da wo die Bahnlinie kreuzt!“

„Das ist ein Klacks! Wir beide schauen uns das an oder soll ich lieber Heinz oder Alex anrufen?“

„Nein, nein, ist schon in Ordnung, aber ich bin nach dem Anruf ziemlich vorgespannt. Gehört halt zum Job oder?“ Karla hört sich an, als würde sie im Keller pfeifen4. Sie ist immer noch käsig um die Nase.

-:-

Die beiden verirren sich in dem Labyrinth, das die Sträßchen in Schönau am Rüpingsbach bilden. Vom Krückenweg aus kommt man mit dem Auto nicht hin und die Palmweide sind sie schon fast bis zur Uni raufgefahren. Karla fährt und ihr bleibt nichts anderes übrig, als in ihrer Heimatstadt das Navi anzustellen. „Nach Möglichkeit wenden!“ kommt die lapidare Anweisung.

Ihre Geduld ist fast erschöpft und sie wendet sehr zügig, ohne groß zu schauen. Jemand hupt laut und Reifen quietschen. Am Sonntagmorgen ist eigentlich nichts los, aber sie hat fast ein Auto angefahren, das oben aus der Kurve herunter geschossen kam, als sie rückwärts gesetzt hat.

„Was ist los mit dir, Karla?“ fragt Karin.

„Ach mir geht diese Beschreibung am Telefon durch den Kopf und ich kurve hier ohne Sinn und Verstand durch meine Heimatstadt, in der ich mich eigentlich auskennen sollte.“

Sie rast los und fährt die Palmweide schnell zurück. Es blitzt!

„Scheiße! Auch das noch. Da steht ‘ne Radarfalle. Warum eigentlich? Heute um diese Zeit sind bestimmt keine Schulkinder unterwegs. Die wollen nur wieder abkassieren und Herrn Stüdemann5 den Säckel füllen.“

Sie haut mit Schmackes (wie man bei uns sagt) aufs Lenkrad und erwischt natürlich den Hupenknopf.

„So, jetzt mal ganz ruhig und nur noch Tempo 30 fahren, liebe Karla. Langsam kriege ich Befürchtungen nicht unfallfrei bis zur Fundstelle zu kommen.“ Karin macht sowas ungern, aber Karlas Verhalten ist ihr unerklärlich und wirkt übertrieben.

Sie fährt nun weiter – mit 20, aber das ist egal. Es kann nicht mehr weit sein. Hinter einer Unterführung geht eine sehr schmale Straße nach links ab und gemäß Navi soll sie die nehmen.

Uferstraße / Zufahrt Diekmüllerbaum steht da. Die Jungs von der Spurensicherung haben Karla GPS-Koordinaten aufs Handy geschickt. Sie weiß nicht, ob eine der beiden Straßen richtig ist, aber sie verlässt sich auf das Navi.

An die zweihundert Meter geht es rechts an einer Hecke entlang. Links hinter der Hecke liegt der Rüpingsbach und auf dem Display sieht das gut aus. Dann geht es entweder links über den Bach oder nach rechts und sofort wieder nach links an einer Schrebergartenanlage entlang. Dahin wird sie geleitet. Nun noch achtzig Meter eine Steigung rauf und dann endet die Straße. Oben stehen schon zwei Autos der Kollegen.

„Geschafft!“ stöhnt Karla mit einer Stimme, die Karin dazu veranlasst, sie nochmals scharf zu mustern. Karla ist käsig weiß. Ihre Hände zittern und sie leckt sich dauernd die Lippen.

„Pass auf, bleib zurück. Ich mache das allein, aber im Präsidium müssen wir uns unterhalten. Hast du gehört?“

„Wie? Ja! … Unterhalten! Ja. Danke!“

Karin schüttelt den Kopf und geht an den SpuSi-Fahrzeugen entlang bis sie vor der Brücke am Krückenweg ist und da geht eine Treppe runter zu den Gleisen der Zugtrasse.

Ihr kommen schon einige Kollegen entgegen. Sie muss warten, da kann man nur einzeln durch. Es ist der Fotograf und sein Assistent. Die Aufnahmen sind wohl alle im Kasten. Man wartet also auf sie, damit sie dann endlich die Leiche bewegen und abtransportieren können.

„Ach und da kommt ja auch endlich die Kavallerie!“ Ingo Stahlschmidt, der oberste Spurensicherer ist im Beruf zynisch geworden und solche Sprüche gehören zu seinem Standardrepertoire.

„Ja, ist ja gut Ingo! Wir haben die Scheißstraße nicht gefunden. Liegt ja auch wirklich abartig.“

„Mensch Karin, heute ist Sonntag und mir reicht es schon, dass ich hier vor dem Frühstück aufschlagen muss. Nachher spielt mein Sohn um den Aufstieg und sein Papa ist womöglich nicht dabei. Also mach hinne, damit wir hier wegkommen!“

Karin erzählt ihm nichts von Karlas Zustand. Der hätte das gnadenlos ausgeschlachtet. Bei sowas ist er ein richtiges Arschloch, ohne Rücksicht auf Verluste, aber seine Arbeit macht er wie kein anderer.

Man muss nah rangehen. Überall stehen diese großblättrigen, bambusartigen Bahndammpflanzen rum. Nur an einer Stelle ist ein Kreis mit zwei Metern Durchmessern weggemäht und da liegt sie. Jetzt sieht sie erstmals die Leiche. Was sie erblickt, ist eine junge, nackte, tote Frau mit auffallend guter Figur und langen blonden Haaren und dann ist für sie auch schon Schluss für Schlussfolgerungen. Der Gerichtsmediziner Dr. Friedhelm Bürger kniet neben dem Körper und schaut ihn sich aus kurzer Entfernung an. Er hat eine Lupe in der Hand und fährt damit rauf und runter über die Haut der Toten. Er versucht den Grund für die Beschaffenheit der Haut zu finden.

Am ganzen Körper sieht es so aus, als wäre von oben bis unten die Haut streifig herunter geschliffen oder –gekratzt worden. Zwischen schmalen Streifen sehr heller Haut sind breite, blutrote Streifen zu sehen, wo keine Haut mehr zu sein scheint. Vorne vom Hals bis ganz unten zu den Füssen ist in der Mitte ein weißer Streifen und von diesem Streifen gehen in regelmäßigen Abständen weiße Streifen nach rechts und nach links ab.

Auch im Gesicht, im Nacken und am Hals ist die Haut wundgescheuert.

Eine ehemals sehr schöne, junge Frau ist in einen blutroten Fleischhaufen verwandelt worden. Der Anblick hätte Karla die letzte Fassung genommen. Gut, dass sie zurück geblieben ist … denkt Karin, als sie auch schon hinter sich einen Aufschrei hört.

Karla hat gemeint, dass es zu ihren Pflichten gehört, sich Tatort und Opfer anzusehen. Jetzt dreht sie sich entsetzt um, rennt weg und übergibt sich laut würgend unter der Brücke.

Kurz überlegt Karin zu ihr zu gehen, aber sie lässt es. Damit kann sie sich jetzt nicht aufhalten. Alle Anwesenden sind sowieso schon sauer auf sie beide.

„Herr Dr. Bürger, sind Sie soweit fertig?“

„Guten Morgen Frau Kwiatkowski. Ja, soweit bin ich durch. Den Rest mache ich im Institut. Schlimme Sache, was?“ Dr. Bürger ist groß und kräftig, etwa Anfang sechzig und ein ganz alter Hase. Er hat eine dicke, rotunterlaufene Nase, große Tränensäcke und einen Kranz weißer Haare um seinen Kopf. Trotz der schlimmen Dinge, die er fast täglich seit vielen Jahren zu sehen bekommt, hat er immer ein freundliches, zufriedenes Lächeln im Gesicht. Noch ein weißer Bart dazu und er ist die Idealbesetzung für einen ganz lieben Nikolaus, denkt sich Karin.

„Und was meinen Sie, woran ist sie gestorben?“

„Im Moment kann ich nur spekulieren, aber es sieht sehr nach systemischem Organversagen aus, das der Nieren wahrscheinlich.“

„Was sind das für Verletzungen? Wurde sie mit einer Stahlbürste behandelt? Es sieht aus, als hätte man ihr die Haut streifenweise heruntergeschrubbt.“

„Stimmt, so ähnlich sieht es aus. Kann auch so gewesen sein, bevor oder nachdem man sie flächendeckend verbrüht hat! Das müssen unausdenkliche Schmerzen gewesen sein.“

„Verbrüht! Womit? Warum?“ Karin steht mit offenem Mund am Bahndamm. Sie hat überall eine Gänsehaut bekommen, weil es sie graust.

„In der Reihenfolge Ihrer Fragen: 1. Ja, verbrüht, 2. Vielleicht mit Wasserdampf, 3. Weiß ich nicht! Aber das ist absolut grausam. Das muss ein Psychopath gewesen sein. Eine andere Erklärung finde ich nicht.“ Es ist einer der seltenen Momente, wo Bürgers Lächeln ausbleibt. Den alten Profi erschüttert der Fund fast genauso wie KHK Kwiatkowski.

„Wann ist das passiert? Was meinen Sie?“

„Ich nehme an, dass das Mädchen nicht hier getötet wurde, sondern woanders und hier nur abgelegt wurde. Gestorben ist sie irgendwann zwischen zwei und vier Uhr morgens. Ob sie schon tot war, als sie hierhin gelegt wurde, weiß ich nicht, aber ich hoffe es für sie. Nach der genaueren Untersuchung werde ich Ihnen mehr sagen können, so ab Montagmittag. In Ordnung?“

„Lieber Herr Dr. Bürger können Sie nicht sofort mit der Obduktion beginnen. Sie wissen doch, was man nicht in der ersten achtundvierzig Stunden aufgeklärt hat und so weiter und so weiter.“

„Anfangen kann ich, weil Sie es sind, aber spätestens um 11:30 Uhr bin ich weg. Meine Enkelin hat Geburtstag und ich muss dahin. Dem Kind kann ich nicht erklären, warum ich zu spät oder gar nicht komme. Bevor ich gehe, rufe ich Sie an und sage Ihnen, was ich weiß. So und jetzt sollten wir uns beeilen, die achtundvierzig Stunden laufen schon!“ Sein Lächeln ist wieder da und er steigt mit seiner Tasche den Bahndamm rauf.

Sauber

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