Читать книгу Sauber - Marco Toccato - Страница 8
5 Unheimliche Wut
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ora läuft auf dem Stepper. Der Assistent im Studio hat nicht schlecht gestaunt, als sie ihm die Vorgabe für den Laufwiderstand gesagt hat. Er hat ungläubig und etwas arrogant die Brauen hochgezogen und dann die Einstellung vorgenommen. Nun steht er da und glaubt nicht, was er sieht. Diese zarte Frau läuft den Apparat in Grund und Boden, dabei wirkt sie, als hätte sie Wut und ließe es am Gerät aus.
Sein Bekannter Diddi kommt vorbei und fragt ihn: „Na, Sven, wat staunze denn so? Sieht klasse aus die Schickse, wa?“
„Hömma, Diddi, dat glaubse nich! Der hab ich den Stepper fast bis annen Anschlach eingestellt. Entweder iss das Ding kaputt oder die hat Kraft wien Pferd!“
„Iss klaa, Alta! Bis annen Anschlach, genau, erzähl noch so einen! Kann nich sein, dann könnte die doch nich so auf dem Ding rumtoben. Du hasse nich mehr alle!
Abba wenn die runterkommt, wer ich mal was mit der klaamachen, da kannze einen drauf lassen!“ Er geht zum Stepper und spricht Nora an:
„Ej, Kirsche, mach doch ma Pause, ich will mich mit dir unterhaltn, hörze!“
Nora hört das zwar, bezieht die Ansprache aber nicht auf sich.
„Ej Schätzken, mach Schluss. Ich lad dich ein. Kommze mit und trinkze was mit mir anne Bar?“
Nun hat sie bemerkt, dass der Typ sie anmachen will. „Lassen Sie mich in Ruhe trainieren, okay?“
Diddi ist nicht der Typ, der einen Korb verträgt. In seiner engen Jerseyhose mit dem Gigantic-Schriftzug am rechten Bein runter und dem knappen Muscle-Shirt steckt ein beeindruckender Körper, der viel Training hinter sich und reichlich Protein verarbeitet hat.
Nun pumpt er sich noch stärker auf und stellt sich direkt vor den Stepper, Auge in Auge mit Nora.
„Hömma Alte, du siehs klasse aus und ich sowieso. Wat meinze, wat wir für klasse Kinda machen!“
Nora fehlt ihr Sebastian. Sie vermisst ihn sehr und bei dem Stichwort „Kinder“ wird ihr das plötzlich schmerzhaft bewusst. Sie sieht blitzende Flecken vor den Augen. Hat sie zu stark trainiert, es mal wieder übertrieben? Sie ist nicht mehr sie, nimmt auch ihre Umwelt nicht mehr richtig wahr. Sie hat plötzlich eine Stinkwut.
Was nun passiert, ist kaum zu glauben, schwer zu beschreiben und läuft so schnell ab, dass sich nachher die, die es gesehen haben, widersprechen.
Nora hört auf, nimmt ihr Handtuch und trocknet damit ihren Schweiß. Dann steigt sie vom Stepper und feuert blitzschnell ihre Fäuste ab, bevor sie mit einem einzigen Tritt in Diddis Solar plexus den Bewegungsablauf abschließt. Das hat zwei, drei Sekunden gedauert.
Diddi gibt eine Ton von sich, der sich anhört wie von einem Luftballon, den man aufgeblasen aus der Hand fliegen lassen hat, nur viel lauter. Diddis Gesicht ist eine einmalige Mischung aus Schmerz, Panik und Staunen. Der Mund sieht wie der eines Karpfens aus, der an Land ist und nach Luft zu schnappen scheint. Seine Augen sind aufgerissen, voller Angst zu ersticken und voller Staunen. Wie in Zeitlupe geht er erst auf beide Knie und danach fällt er so heftig vornüber mit seinem schweren Oberkörper, dass das Studio wackelt. Nora hat ihn kalt erwischt.
Alles ist ruhig, totenstill. Im gesamten Studio bewegt sich keiner mehr, am allerwenigsten Diddi. Es dauert eine Weile bis Sven sich wieder regt und sich neben den Koloss kniet. Er fühlt am Hals, ob da noch Puls zu fühlen ist und so ist es wohl.
„Is noch am leben! Aba der brauch’n Krankenwagen. Kann mal eina die eins eins zwo anrufen. So wie der mitter Fresse aufn Boden geklatscht is, hatta da garantiert was gebrochen.“
Mittlerweile ist Nora wieder bei Sinnen. Sie schaut sich orientierungslos um, bevor sie die Blicke der anderen im Studio sieht, die alle auf sie gerichtet sind.
Warum liegt der Fleischklops da am Boden? War sie das? Ihr fehlen die letzten paar Minuten. Hinter der Theke kommt der Inhaber des Studios hervor und auf sie zu.
„Frau Grohmann, was ist los? Ist der zudringlich geworden?“
Sven kniet neben Diddi, der immer noch weggetreten ist. „Chef, die hat den Diddi ruckzuck zusammengeschlagen. Der konnte gaa nix machen, so schnell ging dat. Die Alte is gemeingefährlich! Schmeiss die raus! Die hat hier nix zu suchen.“
„Halt die Schnauze, Sven! Frau Grohmann ist eine unserer treuesten und besten Kundinnen. Wenn sie sich gewehrt hat, wird sie schon ihre Gründe haben. Aber deinem Kumpel da unten kannst du ausrichten, er soll sich hier nie wieder blicken lassen. Weisse Bescheid? Sonst kannze auch gehen. Also halt’s Maul! Von mir aus fahr noch im Krankenwagen mit, aber sobald die den im Krankenhaus übernommen ham, kommze zurück, is nämlich noch nich Feierabend, hasse gehört?“
„Geht es Ihnen gut, Frau Grohmann, fragt er Nora nun besorgt und in perfektem Hochdeutsch.
„Ja, ja, Herr Stein, alles in Ordnung. Der junge Mann war ziemlich aufdringlich. Ich hab mich nur gewehrt, muss ihn wohl an einer empfindlichen Stelle erwischt haben. Mir wäre es sehr recht, wenn die ganze Sache nicht publik würde. Können Sie dafür sorgen?“
Stein nickt.
„Danke! Für heute werde ich mal Schluss machen. Bis morgen, Herr Stein.“
-:-
Zu Hause angekommen, ist sie immer noch auf Hochtouren. Sowas ist ihr noch nie passiert. Sie hat sich immer gut im Griff und jeder, der sie kennt, weiß, dass sie eine ganz Liebe ist.
Wie hatte das geschehen können? Sie ist sich plötzlich selbst fremd. Sie macht sich einen Tee und hofft, dass der sie runterbringt, beruhigt und wieder auf ihre gewohnten Bahnen führt.
Das Telefon läutet, auf dem Display ist Gudruns Name. Die hat ihr gerade noch gefehlt!
„Hast du schon die Zeitung gelesen?“ Gudrun sagt weder Guten Tag, noch hält sie sich mit langwierigen Floskeln auf.
„Ja, heute beim Frühstück, warum?“
„Weißt du noch, vorletztes Wochenende, als wir den Zug durchs Kreuzviertel gemacht haben? Im ‘Rock-Oko’ war doch diese hübsche Kellnerin, die unsere Männer synchron mit den Augen verschlungen haben. Sagenhafte Figur, schmal, schlank und einen Wahnsinnsbusen. Sogar ich fand die süß … äh, so meine ich das nicht, du weißt schon!“
„Ja, stimmt, jetzt wo du es sagst, fällt es mir wieder ein. Doch, die war sehr hübsch. Thomas hat sogar noch auf dem Heimweg von ihr gesprochen. Aber rufst du mich deshalb an?“
„Ja beziehungsweise nein. Die ist heute in der Zeitung, tot, nackt am Bahndamm gefunden da am Ende vom Diekmüllerbaum! Die wissen nicht wer sie ist. Meinst du, ich sollte mal anrufen und denen Bescheid geben?“
„Nee, würde ich nicht machen. Was haben wir denn damit zu tun. Bist du dir überhaupt sicher, dass es das Mädchen ist?“ Nora hat sich die Zeitung rüber gezogen und blätterte sie während des Telefonierens durch. Da, da ist es:
Die Polizei bittet um Ihre Mithilfe!
Wer kennt diese Frau?
Sie wurde tot an der Bahnlinie Richtung Hagen / Wuppertal gefunden. Ihre Identität konnte bisher nicht festgestellt werden.
Falls Sie sie kennen sollten oder schon einmal gesehen haben, melden Sie sich bitte bei Frau KHKin Kwiatkowski im Polizeipräsidium Dortmund Kriminalinspektion 1, 0231/132-2436 oder bei Frau KOKin Schaller 0231/132-2437.
(Ein Foto mit den nackten Schultern und dem Gesicht einer sehr blassen und scheinbar zerkratzten Frau mit blonden Haaren ist unter dem Aufruf zu sehen.)
‚Stimmt, die sieht genauso aus. Gudrun hat recht.‘ denkt Nora. ‚Aber was wird losgehen, wenn sie deswegen bei der Polizei anruft? Dann sind wir plötzlich Beteiligte. Wir und unsere Männer würden untersucht und wer weiß was noch alles kommt. Das mag ja für Gudrun und Max kein Problem sein, aber für Thomas, der stark von Aufträgen der öffentlichen Hand abhängig ist, wäre das fatal.‘
„Mensch Gudrun, lass es sein. Wir kriegen nur Scherereien. Dann wollen sie plötzlich wissen, was unsere Männer zur Tatzeit gemacht haben, marschieren zu Thomas in sein Büro und so. Ich würde es mir sparen. Wahrscheinlich wissen die doch sowieso schon, dass die Kellnerin im ‚Rock-Oko‘ war.“
„Nee, ich ruf an. Ich finde das aufregend und wenn man helfen kann, muss man es doch auch, meine ich! Wieso sollten sie Max und Thomas nach Alibis fragen, in die Kneipe gehen doch genug andere Kerls, die es gewesen sein können, also! Ich rufe da an und danach melde ich mich wieder bei dir.“
„Was sagt Max denn dazu, hast du ihn gefragt?“
„Der meint auch, dass wir uns melden sollten, aber er kann erst heute am späten Nachmittag, deshalb hat er mich gebeten, es zu tun.“
„Tu was du nicht lassen kannst, aber stöhne nachher nicht rum, wenn dir die Polizei auf die Nerven geht! Ich hab’s dir gesagt! Tschüss Gudrun!“
Sie legt auf. Was für ein beschi… Tag. ‚Es fing schon in der Nacht an. Wo war Thomas? In letzter Zeit ist er immer mal wieder weg, wenn sie nachts wach wird. Eins kommt zum anderen, erst Thomas‘ schlechte Laune heute Morgen, ihr Zusammenstoß im Studio und jetzt zieht uns Gudrun noch in irgend so eine Mordermittlung rein.‘
Das mit dem Tee und der Beruhigung klappt auch nicht. Am besten, sie putzt nochmal das Wohnzimmer und spült dann das Geschirr. Das lenkt sie sicher ab.
Doch jetzt saust ein Gedanke durch ihren Kopf. Sie muss Gudrun aufhalten, wählt schon deren Handynummer.
„Ja, Nora was ist denn? Ich habe gerade die Kommissarin in der Leitung.“
„Bitte hänge sofort auf … ich meine, beende das Gespräch mit der Polizei … SOFORT!“
„Ist ja gut, ich habe schon aufgelegt. Was hast du denn?“
„Ich habe mit Thomas gesprochen“ lügt sie „und er will absolut nicht, dass er in diese Sache reingezogen wird. Wenn du unbedingt anrufen und zur Lösung des Mordes beitragen willst, dann lass uns da bitte raus. Sag meinetwegen, ihr wärt allein gewesen du und Max, aber wir wollen nichts damit zu tun haben. Hast du gehört?“
„Ja, aber warum? Ich verstehe dich nicht. Aber in Ordnung, ich überlege es mir nochmal. Falls du es dir anders überlegst, ruf mich an. Ach übrigens, ich habe der Kommissarin schon erzählt, dass ich die Tote im ‚Rock-Oko’ gesehen habe …“
„Bist du wahnsinnig!“
„Nein, keine Sorge, von euch weiß die noch nichts. Die wollte gerade meine Aussage aufnehmen, als du angerufen hast.“
„Also bitte, kein Wort von uns! Ich verlass mich drauf!“
„Ja, ist ja gut. Reg dich ab. Aber das musst du mir noch genau erklären. Darauf bestehe ich!“
„Ja, ja, wir treffen uns bald und dann erkläre ich dir alles. Aber jetzt muss ich nochmal Thomas anrufen. Der wartet auf meinen Rückruf, mach’s gut. Tschüss Gudrun!“
-:-
„Thomas? Stell dir vor, was passiert ist …“
„Nora? Habe ich dir nicht gesagt, dass du mich nicht im Büro anrufen sollst? Wie oft muss ich dir noch erklären, dass ich hier ganz sensible Geschäfte manage. Jede Ablenkung könnte tödlich für meine Aufträge sein, soweit sie noch nicht entschieden sind.“
„Ja Schatz, ich weiß, aber es geht indirekt auch ums Geschäft. Kannst du dich noch an die Kellnerin erinnern, die dich im ‚Rock-Oko’ so beeindruckt hat? …“ Nora legt eine bedeutungsvolle Pause ein. „Die ist tot!“
„Was? Du meinst die hübsche Blonde, die uns bedient hat, als wir mit Gudrun und Max dort waren? Die ist tot?“
„Ja, da ist ein Bild in der Zeitung, von der Polizei veröffentlicht. Die wissen ihren Namen noch nicht und bitten um Mithilfe. Gudrun ist dabei, dort anzurufen und denen zu sagen, dass sie sie erkannt hat als Kellnerin aus dem ‚Rock-Oko’!“
„WAS? Spinnt die? Du stopp die! Das kann ich im Moment gar nicht gebrauchen. MACH DAS SOFORT! Hast du gehört? Auch wenn du sonst nichts hinkriegst, das musst du machen und zwar subito!“ Damit hat er das Gespräch beendet, Thomas hat aufgelegt!
‚Hab ich doch schon, du Hirni! Hättest ja wirklich mal „Danke Nora!“ sagen können, aber gut, wir sind eine Zugewinngemeinschaft und mir geht es gut, dank dir!‘
Genau genommen war ihre Beziehung im Eimer. Ja, anfangs war die gegenseitige Liebe groß, aber im Laufe der Jahre flaut sowas ab, das ist normal und seit Sebastian, ihr Sohn, den sie vergöttert …
Sebastian und Thomas sind wie Feuer und Wasser. Nun schon seit Längerem und vor allem deshalb ist Sebastian aus dem Haus. Sie vermisst ihn und wie sie ihn vermisst. Sie treffen sich nur selten und immer nur dann, wenn Thomas nicht da ist.
Aber was soll sie machen, sie ist auf Thomas angewiesen. Allein könnte sie nicht leben. Sie braucht ihn finanziell und auch, damit er ihr durchs Leben hilft.