Читать книгу Amor Amaro und die tote Domina - Marco Toccato - Страница 5
Das Wasser bringt es an den Tag
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m Roten Herz herrscht Aufregung. Es hat einen Wasserrohrbruch gegeben und die Senke in der sich der Saunaclub befindet, steht unter Wasser. Das Erdgeschoss ist vollgelaufen und alle Gäste haben sich in den ersten Stock gerettet. Einige nesteln noch an ihrer Kleidung herum, soweit sie sie nicht im Erdgeschoss lassen mussten.
Die Gastgeberin Roswitha Schneiderzik beißt sich dauernd auf die Unterlippe. Sowas ist schlecht für's Geschäft. Ihr Ruf „Freisekt für alle!", mit dem sie die Situation mildern will, verhallt ohne Wirkung. Ihr Laden ist voller Prominenter und zur Rettung musste die Feuerwehr kommen. Draußen vor dem Fenster im Flur des ersten Stocks erscheint gerade die Leiter. Ein Feuerwehrmann steht grinsend oben und ruft seine Anweisungen für eine geordnete Evakuierung durch das geöffnete Fenster in den Raum.
Draußen blitzt es ... nicht weil Gewitter herrscht, sondern weil die gesamte Presse des östlichen Ruhrgebiets das Schauspiel verfolgt und die Fotografen sich einschießen. Die Reporter sitzen rings um das Haus wie auf den Rängen eines Amphitheaters mit bester Sicht und bester Akustik. Sie sind gerüstet, für die Personen, die bald das Etablissement über die Leiter verlassen müssen. Statt des roten Teppichs ist es diesmal eine rote Leiter. Am Fenster zeigt sich der erste Gast, der versucht, sich eine Hand vor sein Gesicht zu halten. Der Feuerwehrmann schnauzt ihn an, er solle beide Hände an die Leiter nehmen und zwar dalli! Er hat ein Badetuch um die Hüften und sein Oberkörper ist nackt. Plötzlich rutscht das Tuch, er greift danach, schwankt auf der Leiter. Man denkt an den Mond von Wanne-Eickel. Der Feuerwehrmann flucht laut, steigt zwei Sprosse höher und hilft, das Tuch wieder um die Blöße zu drapieren.
Die Kameraverschlüsse klicken, ein Blitzlichtgewitter geht über das Rote Herz hinweg. Wir bleiben diskret und nennen keine Namen, aber was da vorbeidefiliert, ist das Who is who von Kronenburg. Borris Glatzow, eine der schillerndsten Persönlichkeiten von Kronenburg und auch ein sehr guter Gewerbesteuerzahler hatte zu seinem siebzigsten Geburtstag eingeladen und alle, alle kamen. Er steht am Fenster und verfolgt die Evakuierung. Im Gegensatz zu Roswitha meint er, dass ihm nichts besseres hätte passieren können, diese Werbung ist unbezahlbar!
Wie bei Filmfestivals rufen die Fotografen ihren absteigenden Lieblingen Regieanweisungen zu: „Peter, etwas nach links und lächeln!" oder „Klaus, wink mal!" und so weiter. Die Anweisungen werden nur in den seltensten Fällen befolgt. Es herrscht große Heiterkeit bei den Reportern und bei Borris.
Dieses skurrile Szenario wird abrupt durch einen spitzen Schrei aus dem Haus beendet. Kein weiterer Gast tritt auf die Leiter. Die Rettung stockt! Der Feuerwehrmann ist mittlerweile durchs Fenster ins Haus gestiegen ... was ist da los? Draußen steht die Presse und rätselt, keiner hat eine Ahnung. Nach einigen Minuten erscheint das nun blasse, bestürzte Gesicht des Feuerwehrmannes am Fenster. Er ruft seinem Chef irgendwas zu, irgendwas mit dem Wort „Polizei"!
Es scheint ein lohnender Termin für die Journalisten zu werden.