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Kapitel 6 – Leyla

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Leyla Öztürk lehnte in der offenen Tür des kleinen Gemüseladens ihres Vaters und blinzelte in die Sonne. Aus den geöffneten Fenstern ihrer Nachbarn schallte ein wirrer Mix aus Musik durch die Blumenstraße. Türkische Klänge vermischten sich mit deutschem Schlager, aus dem Haus gegenüber dröhnte harter Punkrock. Lelya lächelte. Sie mochte dieses Viertel. Jeder ließ den anderen leben, so wie er war. Zwei Studenten fuhren lachend mit den Fahrrädern an ihr vorbei und winkten ihr zu. In den Getränkehaltern an ihren Rädern steckten Bierflaschen. Auf der anderen Straßenseite malten zwei schmutzige, dünne Kinder mit leidenschaftlicher Energie Kreidezeichnungen auf den Bordstein. Vor der Trinkhalle hatten sich die üblichen Kunden zu einem Schwätzchen verabredet.

Leyla kniff ihre großen, schwarzen Augen zusammen. Den jungen, schlanken Mann, der in seinem eleganten Anzug auf ihren Laden zu schlenderte, hatte sie hier noch nie gesehen. Mit einem herablassenden Lächeln auf seinem schönen Gesicht kam er auf sie zu.

Er strahlte Kälte aus. Leyla kreuzte die Arme vor der Brust und unterdrückte ein Schaudern. Seine dunkelblauen Augen bohrten sich in ihre, als er sich ohne ein Wort zu sagen, an ihr vorbei schob und den Laden betrat.

Leyla folgte ihm misstrauisch, stellte sich hinter die Ladentheke und beobachtete ihn. Verächtlich sah er sich in dem, mit Regalen zugestellten, dunklen Verkaufsraum um. Ein Lichtstrahl fiel durch das Fenster auf die ramponierten Dielen des alten Holzfußbodens und ließ tanzende Staubflocken sichtbar werden. Der fremde Mann passte nicht hierher. Er wirkte in seiner schicken Kleidung und dem perfekt sitzenden, nach hinten gegeelten Haar, zwischen den staubigen Einmachgläsern und den Körben mit Obst, Gemüse und Kräutern wie eine Karikatur. Er nahm einen Apfel in die die Hand und roch daran. Mit einem abfälligen Gesichtsausdruck ließ er ihn von oben zurück in den Korb fallen.

Lelya konnte sich nicht länger zurückhalten. »He, ein bisschen vorsichtiger mit unserer Ware, ja? Die Früchte gehen kaputt, wenn sie so geworfen werden.«

Langsam drehte er sich zu ihr um. Leyla schluckte schwer. Der Mann fixierte sie einen Moment mit kaltem Blick, dann wanderte er weiter durch den Laden und verschwand hinter den Regalen. Ihr Herz begann, schneller zu schlagen. Die Stille im Raum war bedrückend. Der Mann tauchte wieder auf und wandte sich der Tür zu.

»Moment mal, Freundchen.« Lelya blickte auf die große Beule in der Sakkotasche des Mannes. »Was hast du da? Hast du was geklaut, oder was?«

»Süße, das würde ich nie tun. Nicht bei einem so bezaubernden Mädchen, wie du es bist. Hab ich auch gar nicht nötig.« Seine melodische Stimme klang angenehm. Sein Gesicht sah hinreißend aus.

Leyla ließ sich nicht täuschen.

Mit schnellen Schritten ging sie zornig auf den Mann zu, bis sie dicht vor ihm stand. Sein Atem roch nach Alkohol.

»Zeig mir, was du in der Tasche hast, sonst rufe ich die Polizei, du Lackaffe«, zischte sie ihn leise an.

Für einen winzigen Moment wirkte der Mann verunsichert, dann verzog sich sein Gesicht vor Abscheu. »Du dumme Schlampe. Das kannst du doch nicht ernst meinen. Weißt du eigentlich, wen du vor dir hast?«

»Das interessiert mich nicht«, sie griff an ihm vorbei und stieß die Tür auf, »gib die Ware zurück und dann hau ab. Du hast hier Hausverbot.« Ihre Stimme wurde lauter.

»Leyla, gibt es Ärger? Brauchst du Hilfe?« Der psychisch kranke Kurt, der dreimal am Tag mit seinen drei kläffenden Pekinesen sein Haus verließ und einen Spaziergang durch das Hafenviertel machte, steckte seinen riesigen, kahlen Kopf durch die Tür.

»Tasche auf«, brüllte Leyla außer sich vor Zorn.

Es ging hier nicht um etwas Obst, es ging um ihre Ehre. Die Stammkunden der Trinkhalle versammelten sich vor dem Eingang des Gemüseladens.

»Tu, was sie sagt!«, schrie Horst, mit dem aufgeschwemmten Gesicht von draußen, als würde es um sein Leben gehen.

Der fremde, junge Mann blickte fassungslos auf die wütende Meute vor der Tür, dann griff er in die Tasche seines Sakkos und zog zwei Orangen daraus hervor, die er auf die Holzdielen fallen ließ.

»Das wirst du bereuen, Bitch«, stieß er zwischen zusammengepressten Lippen hervor. Als er eilig verschwand und mit großen Schritten die Blumenstraße entlanglief, schallte der Applaus und das Johlen von Leylas Nachbarn noch eine ganze Weile durch die engen Häuserschluchten.

Leyla ahnte nicht, welches Nachspiel ihr Handeln haben würde.

Emscher Zorn

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